Auf meinen lieben Gott...

Robert Leicht

Morgenandacht im NDR

(Aus: Morimur, „Den Tod niemand zwingen kunnt“, Band 12, Vers 2:)

Den Tod niemand zwingen kunnt
Bei allen Menschenkindern,
Das Macht alles unsere Sünd,
kein Unschuld war zu finden...

„Den Tod niemand zwingen kunnt bei allen Menschenkindern“ – Wenn wir schon sterben müssen, so wollen wir doch nicht alleine sterben. Sterbehilfe, davon reden wir, viel – und oft auf eine falsche Weise: So, als wäre es das Einfachste, wir gäben einander den Rest. Anstatt auch den schweren, oft bitteren Rest als Geschenk, auch als einen Teil des ganzen geschenkten Lebens zu nehmen.  Sterbehilfe als Lebenshilfe – das sollten wir uns wünschen und sollten wir zu leisten versuchen. Aber wenn wir es falsch anfangen, können wir uns auch dabei nur übernehmen.
Deshalb sollten wir uns eine Mahnung aus Luthers Wittenberger Fastenpredigt auf den Sonntag Invokavit des Jahres 1522 zu Herzen nehmen. Luther sagte da:
„Wir sind allesamt zu dem Tod gefordert, und keiner wird für den anderen sterben, sondern jeder in eigener Person für sich mit dem Tod kämpfen. In die Ohren können wir wohl schreien, aber ein jeder muss für sich selbst geschickt sein in der Zeit des Todes: Ich werde dann nicht bei dir sein noch du bei mir.“
Ja, wenn das so ist – ist dann nicht all unser Reden, Helfen und Hoffen umsonst? Und wenn wir einander nicht in der letzen Stunde beistehen können, wie sollte das im ganzen Leben zuvor möglich sein? Martin Luther wollte mit diesen Worten vor existentieller Eigenmacht warnen – seine Wittenberger Fundamentalisten, die sich vor lauter religiösem Eifer nur noch selber verwirklichen wollten; und uns Selbstverwirklicher, die aus unserer existentiellen Autonomie, aus unserer Selbstherrlichkeit einen oft religions-losen Fundamentalismus gemacht haben. Und deshalb fügt Luther hinzu: „Hierin muss jedermann die Hauptstücke, die einen Christen angehen, genau wissen und gerüstet sein.“ Oder an anderer Stelle: „Dafür müssen wir einen klaren, starken Spruch haben…“
Mit anderen Worten: Alles Menschenvertrauen ist in der letzten Stunde – und in allen Stunden davor! – eigentlich nur so viel wert, wie das Gottvertrauen, das dahinter steht. Und dafür müssen wir, mit Luther, einen klaren, starken Spruch haben.

Ich wünschte mir also, in der Stunde meines Todes stünde mir jemand bei, der mir von seinem Gottvertrauen etwas mitteilen kann – denn was nützte mir dann sein Selbstvertrauen, das doch im besten Falle auch nur noch eine kleine Weile währt? Und ich hoffte, wenn ich einmal an einem Sterbebett stehen ( ach, stehen? doch besser lange sitzen als nur kurz zu stehen) – ich hoffte also, dass ich, wenn ich an einmal an einem Sterbebett sitzen werde: dass ich dann nicht mit den leeren Formeln des eigenen Selbstvertrauens dem Sterbenden gut, also in Wirklichkeit: schlecht zurede. Sondern dass Gottvertrauen zur Sprache kommt – und da nicht nur unser Vertrauen auf Gott, sondern vor allem Gottes Vertrauen, also: seine Treue zu uns. Eine Treue, die nicht einmal in der Stunde des Todes weicht. Und dazu müssen wir, mit Luther, einen klaren, starken Spruch haben. Haben! Nicht: Machen! Denn sonst machen wir – nur Sprüche.
 
Einen klaren, starken Spruch! Oder ein starkes, stärkendes Lied – eines der Lieder, die Johann Sebastian Bach in seiner Chaconne, in diesem Totentanz auf das Sterben seiner Frau Maria Barbara, verborgen hat:


Auf meinen lieben Gott
Trau ich in Angst und Not;
Der kann mich allzeit retten
Aus Trübsal, Angst und Nöten;
Mein Unglück kann er wenden,
steht alls in seinen Händen.

(Aus: Morimur, The Hillard Ensemble, Christoph Poppen, Band 1, 1. Strophe)