„Die Überlebenden haben uns die Erinnerung anvertraut“

Ökumenischer Gedenkgottesdienst zu 80 Jahren Kriegsende

Mit einem ökumenischen Gedenkgottesdienst in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche zu Berlin haben heute Kirchen und staatliche Vertreter des Endes der Naziherrschaft vor 80 Jahren gedacht. Unter dem Leitwort „Herr, vergib“ kamen Klagepsalmen aus der jüdischen Tradition ebenso zu Wort, wie die Versöhnungslitanei von Coventry. Neben Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und sämtlichen Verfassungsorganen der Bundesrepublik Deutschland waren auch Gäste aus Großbritannien, Polen und Österreich anwesend.

In ihrer Hinführung betonte die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirchen in Deutschland (EKD), Bischöfin Kirsten Fehrs, dass es vor allem um die Erinnerung an das Geschehen vor 80 Jahren gehe: Heute erinnern wir. Heute hören wir die bleibende Klage, denn Trauer bleibt.

Fassungslosigkeit und Entsetzen bleiben. Auch nach 80 Jahren. Die Toten klagen an. Die Überlebenden haben uns ihr Erinnern anvertraut – und wir hören mit erschüttertem Herzen. Und wir sehen zugleich, was für ein Wunder danach möglich wurde: Versöhnung. Frieden. Ein gemeinsames, demokratisches Europa, ein Europa, das trotz vieler Differenzen zusammenhält. Ich hoffe inständig, dass das so bleibt.“ Die Erinnerung gelte auch den Opfern der Shoah, was sich auch in der Musik des Gottesdienstes zeige: „Von Bach bis zum Klagelied für die Opfer der Shoa, Musik ist universale Sprache, die jeder Mensch versteht. Eine Sprache der Hoffnung, die bleibt, auch wenn der Tod so übermächtig scheint. Eben: Lebensmelodien … Wieder lebendig gewordene jüdische Kultur! Gegen das Vergessen und Verstummen. Denn hinter jeder Melodie verbergen sich Lebensgeschichten jüdischer Schicksale.“ Bischöfin Fehrs fügte hinzu: „Wir wissen: Die Angst und der Schrei Jesu am Kreuz, menschlicher geht es doch kaum, es ist nicht das Ende. Wir leben im Licht von Ostern. Und das kennt eben genau beides – den Schmerz des Todes und den Aufstand für das Leben. Aufstand für die unverlierbare Würde eines jeden Menschen. Das wahrlich haben wir doch in unserem Land gelernt, ein für alle Mal? Die Würde des Menschen ist unantastbar! Und so hören wir heute Worte, die erschüttern und Worte, die heilen. Wir sprechen Klagegebete – und lassen uns zur Umkehr rufen.“

Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Dr. Georg Bätzing, erinnerte mit Dankbarkeit an die zurückliegenden 80 Jahre Friedensarbeit: „Spätestens seit Corona und dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine wissen wir, wie wenig selbstverständlich das ist.“ Deutschland und Europa seien vor 80 Jahren befreit worden von der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft, und „eine schier unglaubliche Friedenszeit ist uns geschenkt worden. Aber die ist nicht vom Himmel gefallen: Gott wirkt durch uns Menschen.“ Bischof Bätzing fügte hinzu: „Gerechtigkeit und Erbarmen – diese Grundhaltungen gelingenden Zusammenlebens sind 80 Jahre danach dringlicher denn je. Wie können wir die Zeitenwende von damals dankbar erinnern, ohne die heutigen Herausforderungen anzuschauen und vor allem anzugehen? Es scheint ja, als stiege der Gewaltpegel überall eher an. Von zunehmender Aggression und Gereiztheit ist die Rede, die Polarisierung in unserer Gesellschaft nimmt zu, extremistische Positionen wirken anziehend. Sollte wirklich zum Fortschritt an Humanität auch die Verfeinerung des Lügens, Fälschens und Unterdrückens gehören – von der Perfektionierung der Gewaltausübung in Krieg und Unterdrückung sonst ganz zu schweigen? Autokratisches Machtgehabe und ökonomischer Egoismus scheinen im Vormarsch. Und die Ärmste der Armen ist wohl Mutter Erde. ‚Deren Schmerz sich zu eigen machen‘, sei das Gebot der Stunde, empfahl Papst Franziskus zusammen mit Patriarch Bartholomäus. Nichts sei gefährlicher als Gleichgültigkeit und bloßes Mitläufertum“, so Bischof Bätzing.

Hinweise:

Bereits gestern hatten sich Bischöfin Fehrs und Bischof Bätzing in einem Gemeinsamen Wort zum 80. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs geäußert. Den Text finden Sie unter www.ekd.de/Gemeinsame-Erklaerung-8-Mai-1945

Hannover, 8. Mai 2025

Pressestelle der EKD
Carsten Splitt