Predigt im Gottesdienst „9 Jahre FREIe HEIDe“ am 9. Juli 2018 in der Dorfkirche Gadow

Dr. Irmgard Schwaetzer, Präses der Synode der EKD

Es gilt das gesprochene Wort

Liebe Gemeinde,

„Selig sind…“, so beginnen die Zusagen der Bergpredigt aus dem Matthäusevangelium. Sie beschreiben unsere Sehnsucht nach einer geheilten Welt.

Dagegen steht scheinbar der Spruch: „Mit der Bergpredigt kann man keine Politik machen.“ Mit dieser Aussage werden wohl alle politisch Aktiven, die sich öffentlich zu ihrem Christsein bekennen, im Laufe ihrer Tätigkeit immer wieder konfrontiert. Auch ich habe ihn öfter gehört.

Ich denke an diesen Satz, wenn ich an den Ortsschildern hier in der Region das Symbol der „Freien Heide“ sehe. 

Freie Heide – das ist die Rückgewinnung eines Stückes wunderbarer Natur von menschengemachter Zerstörung. Freie Heide – das ist ein kraftvolles Statement für friedliches Zusammenleben und gegen den Krieg als Mittel zur Austragung von Konflikten.

Freie Heide – das ist ein sichtbares Zeichen für die Kraft von zivilgesellschaftlichem Engagement gegen die Logik von Politik, aber auch für die Veränderbarkeit von Politik.

Ich weiß nicht, wer von den Aktiven konkret die Bergpredigt für sein Engagement herangezogen hat. Aber viele sehen ihren christlichen Glauben als Wurzel ihres Engagements.  

Ich lese den Anfang der Bergpredigt, die im Evangelium nach Matthäus im 5. -7. Kapitel steht.

1 Als er aber das Volk sah, ging er auf einen Berg. Und er setzte sich, und seine Jünger traten zu ihm.
2 Und er tat seinen Mund auf, lehrte sie und sprach:
3 Selig sind, die da geistlich arm sind; denn ihrer ist das Himmelreich.
4 Selig sind, die da Leid tragen; denn sie sollen getröstet werden.
5 Selig sind die Sanftmütigen; denn sie werden das Erdreich besitzen.
6 Selig sind, die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit; denn sie sollen satt werden.
7 Selig sind die Barmherzigen; denn sie werden Barmherzigkeit erlangen.
8 Selig sind, die reinen Herzens sind; denn sie werden Gott schauen.
9 Selig sind, die Frieden stiften; denn sie werden Gottes Kinder heißen.
10 Selig sind, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden; denn ihrer ist das Himmelreich.
11 Selig seid ihr, wenn euch die Menschen um meinetwillen schmähen und verfolgen und allerlei Böses gegen euch reden und dabei lügen.
12 Seid fröhlich und jubelt; es wird euch im Himmel reichlich belohnt werden. Denn ebenso haben sie verfolgt die Propheten, die vor euch gewesen sind.

Blicke ich in den Text, frage ich mich eher: Wie kann man KEINE Politik machen, wenn man die Bergpredigt ernst nimmt?

Dem Einwand: „Mit der Bergpredigt kann man keine Politik machen.“ habe ich immer widersprochen. Die Bergpredigt ist mir Kompass jeglicher Abwägung, Maßstab von Entscheidungen und Richtschnur des Handelns geworden. Vor diesem Hintergrund ist mir die seit einigen Jahren wieder verstärkt geführte Debatte um das Verhältnis von Kirche und Staat und die Rolle der Christinnen und Christen in der Politik sehr wichtig.  

Ich bin überzeugt: „Weil der Gott, an den Christenmenschen glauben, sich von der Welt nicht ab-, sondern ihr zuwendet, hat das Evangelium stets politische Bedeutung.“1  

Im Februar 2016 mahnte der damalige Bundesfinanzminister und jetzige Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble die protestantische Kirche in einer theologischen Fachzeitschrift vor dem Verlust des religiösen Kerns ihrer Botschaft, wenn sie in politisch motivierten Stellungnahmen übers Ziel hinausschieße: „Manchmal […] entsteht der Eindruck es gehe in der evangelischen Kirche primär um Politik, als seien politische Überzeugungen ein festeres Band als der gemeinsame Glaube.“3 Ich vermute, dass Sie diese Einwände gut kennen.  

Der Theologe Dietrich Bonhoeffer nannte diese Vorstellung: Denken in „zwei Räumen“, also einem geistlichen und einem weltlichen Raum. Mich überzeugt Bonhoeffers Argumentation, warum er diese Trennung zwischen Welt und Glaube ablehnt. Er schreibt: „Die Wirklichkeit Gottes erschließt sich nicht anders als indem sie mich ganz in die Weltwirklichkeit hineinstellt, die Weltwirklichkeit aber finde ich immer schon getragen, angenommen, versöhnt in der Wirklichkeit Gottes vor. Das ist das Geheimnis der Offenbarung Gottes in dem Menschen Jesus Christus.“4 Kirche muss darum immer Kirche für die Welt sein und darf sich nicht auf sich selbst zurückziehen. Daraus folgt für mich die Aufgabe, sich in der Welt zu engagieren.  

Ein weiterer Satz aus der Bergpredigt gibt vielen Menschen bei diesem Engagement einen Rahmen für ihre Handlungen: „Alles nun, was ihr wollt, dass euch die Leute tun sollen, das tut ihr ihnen auch! Das ist das Gesetz und die Propheten.“

Vor allem der erste Teil des Satzes ist als „goldene Regel“ bekannt. Mir ist wichtig, auch die zweite Hälfte zu betonen: „Das ist das Gesetz und die Propheten.“ Basis des ethischen Rahmens, den wir in unserem Glauben entdecken, ist die Bibel. Auf dieser Basis können einzelne ethische Entscheidungen getroffen werden. In der Bibel stehen also nach diesem Verständnis ausdrücklich keine konkreten politischen Handlungsanweisungen. Deshalb können auch zwei Christinnen unterschiedliche Entscheidungen treffen.  

Allerdings bleibt die Frage, wie weit jeweils der Handlungsrahmen gesetzt ist. Eine Grenze ist ohne Zweifel die klare Benennung und Abgrenzung von Menschenfeindlichkeit, Rassismus und Antisemitismus, auch von Ausgrenzung. Zugleich ist es Aufgabe der Kirche ihren Teil zum Zusammenhalt der Gesellschaft beizutragen. Weltdeutung und Wertorientierung brauchen den Dialog auch mit Menschen, deren Meinung man nicht teilt. Wobei Dialog nicht den Schlagabtausch erwartbarer Positionen meint. Ein Dialog, der gelingen soll, setzt voraus, dass man einander zuhört und erkennt, wie der oder die andere die Realität wahrnimmt. Für uns Christinnen und Christen heißt das: Wir dürfen die anderen nicht einfach „anpredigen“, wohl aber die Universalität der christlichen Botschaft ins Gespräch bringen. Nächstenliebe gilt allen, den Fremden und den Vertrauten. Dabei verbietet sich jeder moralische Ton, der seinerseits den Blick auf die Wirklichkeit verstellt.  

Unsere Gesellschaft ist einem hohen Veränderungs- und Anpassungsdruck ausgesetzt, der u. a. mit der Globalisierung, der Digitalisierung und der weltweiten Migration zusammenhängt. Das hat auch Folgen für unsere Bemühungen um den Frieden in der Welt. Wo Micha davon spricht, „Schwerter zu Pflugscharen“ und „Spieße zu Sicheln“ zu machen, müssen wir uns heute andere Bilder suchen.  

Die ethische Bewertung von Waffensystemen und erst recht ihrer Nutzung ist umstritten. Ich glaube, das ist nicht neu. Darum müssen wir als Gesellschaft ringen und uns als Christinnen und Christen in diese Debatten einbringen. Neu ist die Komplexität des Bedrohungspotentials. Wer durchschaut, wo schon Cyberwar geführt wird? Wer weiß, wie viele unbemannte Drohnen mit Waffen unterwegs sind? Krieg und Gewalt hatten immer auch die Dimension des Heimlichen. Heute ist aber auch die Einschätzung der Technik und deren Bewertung so komplex, dass sich Viele nichts mehr zu sagen trauen. Auch in der Kirche. Gleichzeitig kommen Menschen aus der Politik durchaus auf uns zu. Sie sagen: Wir brauchen eure Meinung!  

Abrüstung in einer Welt der Atomwaffen, der autonomen Waffensysteme, von hybrider Kriegführung und Cyberwar braucht als Erstes den Willen zum Frieden, Aufbau von Vertrauendurch gegenseitiges Kennenlernen und Verträge jenseits aller Naivität. Was die Welt aber sicher nicht braucht, sind Vorbereitungen für den Alptraum von einem beherrschbaren Atomschlag, wie sie von Atommächte diskutiert wird. Was die Welt hingegen braucht, sind neue Abrüstungsinitiativen.

Gerade in einer immer komplexer werden Welt dürfen wir uns also nicht drücken, weil wir als Christinnen und Christen Teil der Gesellschaft sind und diese mitgestalten.  

Die Synode der EKD will sich dieser Aufgabe stellen. 2019 haben wir das Thema Frieden als Thema der Synode gewählt. Auch, weil die Fragen so komplex sind, hat die Vorbereitung unter dem Titel „Schritte auf dem Weg zu einer Kirche der Gerechtigkeit und des Friedens“ bereits begonnen. Wir haben die Synodalen der EKD und Menschen aus unterschiedlichsten Einrichtungen, die sich mit dem Thema beschäftigen gebeten, uns zu schreiben, welche Themen ihnen besonders wichtig sind. In der Vorbereitung werden wir überlegen müssen, wo wir Schwerpunkte setzen. Das wird nicht nur die Fortführung der Diskussion der Denkschrift zum „Gerechten Frieden“ von 2008 sein, sondern auch die Frage des Klimawandels und der Zerstörung der Welt durch unseren Lebenswandel, die ungerechte Verteilung des Reichtums und das friedliche Zusammenleben in einer Welt unterschiedlicher Religionen und Kulturen.

Es klingt so banal und ist doch so schwer: Frieden fängt zu Hause an. Als Christinnen und Christen können wir in Fragen des Friedens in der Welt nicht ausweichen und nicht auf einfache Antworten zielen. Ihr Engagement ist ein Beispiel dafür, dass es sich lohnt, sich für etwas einzusetzen. Ein gemeinsamer Motor für unser Engagement steht schon in der Bergpredigt: „Selig sind, die Frieden stiften; denn sie werden Gottes Kinder heißen.“

Amen

Anmerkungen:
1. Das rechte Wort zur rechten Zeit. Eine Denkschrift des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland zum
Öffentlichkeitsauftrag der Kirche
, Gütersloh 2008, Ziff. 94.
2. Evangelische Kirche und freiheitliche Demokratie. Der Staat des Grundgesetzes als Angebot und Aufgabe. Eine Denkschrift der Evangelischen Kirche in Deutschland, Gütersloh 1985.
3. Wolfgang Schäuble, Das Reformationsjubiläum 2017 und die Politik in Deutschland und Europa, Pastoraltheologie 105 (2016), S. 44-53: S. 46.  
4. Dietrich Bonhoeffer, Ethik, DBW 6, Gütersloh, 2. Aufl. 1998, S. 40.