Sommerdepression: Krise im Sonnenschein

Telefonseelsorge registriert vermehrt Anrufe von Menschen, die in den Sommermonaten leiden

Sonne durch eine verregnete Scheibe fotografiert

Manche Menschen erleben die helle Zeit des Jahres getrübt von Sorgen und Selbstzweifeln.

Hamburg (epd). Es ging ihr nicht gut. Die junge Studentin war gerade aus einer ländlichen Region nach Hamburg gezogen und kam in der großen Stadt überhaupt nicht zurecht. Irgendwann griff sie zum Hörer und wählte die Nummer der Telefonseelsorge. Dort klagte sie ihr Leid. Alle anderen Menschen hätten ihren Spaß, säßen bei sommerlichem Wetter in Straßencafés und amüsierten sich. Sie aber gehöre nirgends dazu. Über mehrere Wochen rief sie immer wieder an. Als der Sommer zu Ende ging, blieben die Anrufe aus.

Jenseits der 30 Grad steigt die Zahl der Anrufer

Probleme wie das dieser jungen Frau kennt Babette Glöckner, Leiterin der Hamburger Telefonseelsorge, sehr gut. Sie deuteten darauf hin, dass sie an einer Sommerdepression leiden könnte, sagt die Theologin. Eine endgültige Diagnose müsse allerdings ein Mediziner stellen. Doch Anrufer mit ähnlichen Problemen gibt es bei der Hamburger Telefonseelsorge in den Sommermonaten einige. Und wenn das Thermometer wie in diesen Tagen auf mehr als 30 Grad steigt, nimmt auch die Zahl der Anrufer zu.

Die Winterdepression ist bekannter, aber es gibt auch im Sommer eine Depression, die jahreszeitlich bedingt ist. Die Symptome unterscheiden sich allerdings erheblich: Während sich im Winter viele Betroffene träge fühlen und viel schlafen, zeigt sich im Sommer das Gegenteil: Wer darunter leidet, ist hyperaktiv und kommt nachts schlecht in den Schlaf. Während im Winter Hungerattacken auftreten, dominiert im Sommer Appetitlosigkeit. Neu ist das Leiden nicht: Menschen mit solchen Symptomen habe es schon immer gegeben, sagt Glöckner. Nur habe es früher niemand als Sommerdepression bezeichnet.

Es fällt auf, dass von Sommerdepressionen praktisch nur Frauen betroffen sind. Die meisten Anruferinnen bei der Telefonseelsorge sind laut Glöckner 20 bis 35 Jahre alt, einige seien auch jünger. Die jüngste Anruferin war gerade einmal 16 Jahre alt. Frauen könnten nach Meinung von Experten deshalb stärker betroffen sein, weil sie einem Schönheitsideal nacheifern, dem sie ihrer Meinung nach nicht entsprechen. Wenn es warm ist, sehen sie andere Frauen – vermeintlich schönere – in kurzen Kleidern und kurzen Hosen, und fühlen sich selbst unwohl. Das verstärkt die negative Stimmung noch.

„Es ist gut zu wissen, dass jemand da ist und zuhört“

Das war auch bei der Studentin der Fall, die andere Frauen im Straßencafé gesehen hat – Frauen, die sie hübscher fand als sich selbst. Als Konsequenz würden sich Betroffene noch mehr zurückziehen und die eigenen vier Wände kaum noch verlassen, sagt die Seelsorgerin.

Ein Anruf bei der Telefonseelsorge kann die Betroffenen nicht heilen, aber ihnen doch helfen: „Es ist gut zu wissen, dass jemand da ist und zuhört“, sagt Glöckner. Das schaffe ein Bewusstsein für die eigene Situation. Die ehrenamtlichen Seelsorger konfrontieren die Anruferinnen aber nicht sofort damit, dass sie möglicherweise an einer Form der Depression leiden. Das würde sie verschrecken, sagt Glöckner. Erst zum Ende des Gesprächs erfolgt ein entsprechender Hinweis, verbunden mit der Bitte, zum Arzt zu gehen. Wie viele der Anruferinnen unter einer Sommerdepression leiden, kann Glöckner nicht sagen. Es gehe bei der Telefonseelsorge nicht darum, Diagnosen zu stellen.

Timo Teggatz (epd)


Die Telefonseelsorge ist ökumenisch und erreichbar unter 0800/111 0 111 oder 0800/111 0 222. Der Anruf ist kostenfrei. Es gibt zudem das Angebot der Online-Seelsorge (Mail oder Chat) sowie Gespräche vor Ort.
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