Steinmeier plädiert für „versöhnte Verschiedenheit“ in Europa

Seine Reise nach Rom und zu Papst Franziskus nutzt der Protestant auch zur Würdigung der Reformation

Frank-Walter Steinmeier hält einen Vortrag in der ev. Christuskirche in Rom
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sieht die Annäherung zwischen Protestanten und Katholiken als Vorbild.

Rom/Berlin (epd). Bei seiner Reise anlässlich einer Privataudienz bei Papst Franziskus im Vatikan hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier die Annäherung zwischen evangelischer und katholischer Kirche gewürdigt. In einer Rede am 8. Oktober in der evangelischen Christuskirche in Rom bezeichnete Steinmeier die „Versöhnungsgeschichte der einst blutig zerstrittenen Christenheit“ als Hoffnung für eine heutige Einigung in Europa. Er forderte dazu auf, das Modell „versöhnten Verschiedenheit“ zum Vorbild für die Zusammenarbeit in Europa zu machen.

Mit dem Begriff „versöhnte Verschiedenheit“ beschreiben die großen christlichen Kirchen heute ihr Verhältnis, das jahrhundertelang nach der durch die Reformation erfolgte Spaltung ohne Annäherung blieb. Protestanten und Katholiken betonen damit ihre gemeinsamen Wurzeln und Grundlagen, auch wenn sie das nach wie vor Trennende anerkennen, beispielsweise die Ablehnung des Papstamtes auf evangelischer Seite oder verschiedene Auffassungen zum Abendmahl.

Versöhnte Verschiedenheit in Europa?

Steinmeier sagte, man könne den Begriff – „mit aller Vorsicht und ohne ihn überzustrapazieren“ – auf das komplizierte Gebilde des politischen Europa übertragen. Er würde vielleicht manchen die Angst nehmen, „ein großes, allzu mächtiges, zentralistisches, uniformes Europa“ wolle einzelnen Ländern, Regionen, Gemeinschaften ihre Identität nehmen, sagte der frühere Außenminister.

Er verwies unter anderem auf Großbritannien, dessen Bevölkerung für den Brexit gestimmt hat, Polen und Katalonien, das Unabhängigkeit anstrebt. „Vielleicht ist ‚versöhnte Verschiedenheit‘ die Grundlage von Einheit, die in Europa möglich ist“, sagte Steinmeier.

Das Staatsoberhaupt unterstrich, ohne Versöhnung sei das große Werk der politischen europäischen Einigung nicht denkbar. Die Europäische Union sei eine „überaus vernünftige Angelegenheit“. So ein Projekt könne auf Dauer aber nur existieren, „wenn auch Herzen und Seelen dabei sind“. Gefühle seien nie zweitrangig. „Aber politisch wurden sie doch gelegentlich unterschätzt oder übergangen“, mahnte er.

Eine Chance für die Ökumene

Steinmeier traf in Rom Papst Franziskus in einer Privataudienz. Außerdem kommt er mit Vertretern der Gemeinschaft Sant'Egidio zusammen und besucht die Vatikanischen Museen. Begleitet wird er von seiner Frau Elke Büdenbender. Der Bundespräsident ist selbst reformierter Christ und engagierte sich in der Vergangenheit unter anderem im Präsidium des Deutschen Evangelischen Kirchentags.

Die ökumenischen Bemühungen der beiden großen christlichen Kirchen insbesondere anlässlich des Reformationsjubiläums würdigte auch die Botschafterin Deutschlands im Vatikan, Annette Schavan. Die Menschen insbesondere in Deutschland, dem Land der Reformation, sehnten sich aber auch nach weiteren Fortschritten in der Ökumene, sagte sie zur Begrüßung des Bundespräsidenten in der Christuskirche, in der Vertreter aus Kirchen, Kultur und der dortigen Gemeinde den Vortrag Steinmeiers hörten. Der Pfarrer der Gemeinde, Martin Kruse, sagte, 2017 biete die Chance für mehr Ökumene, „die wir nicht ungenutzt verstreichen lassen dürfen“. Noch immer könnten konfessionsverschiedene Paare nicht gemeinsam zur katholischen Eucharistiefeier.

Das Potenzial für Ökumene sei noch nicht ausgeschöpft

Frank-Walter Steinmeier hat bei seinem Besuch bei Papst Franziskus auf weitere Schritte zu  mehr Gemeinsamkeiten von evangelischer und katholischer Kirche gedrungen. Er habe seine persönliche Auffassung bekundet, „dass das Potenzial für Ökumene nicht ausgeschöpft ist“, sagte Steinmeier nach einer Privataudienz beim Oberhaupt der katholischen Kirche in Rom.

Er hoffe, dass mit Hilfe des Papstes weitere Schritte gegangen werden, sagte Steinmeier. Nach seinem Eindruck sei Franziskus bei dem Thema aufgeschlossen, ergänzte das Staatsoberhaupt, das selbst der evangelischen Kirche angehört. 

Migration, Klimawandel und die Bundestagswahl

Eine Stunde und damit ungewöhnlich lang tauschten sich Steinmeier und Franziskus über die Themen Migration und Flucht sowie die Folgen des Klimawandels aus. Auch das Ergebnis der Bundestagswahl mit dem guten Abschneiden der AfD kam nach Angaben des Bundespräsidenten zur Sprache. Der Papst sei darüber gut informiert gewesen, habe seinen Respekt für die Flüchtlingsaufnahme in Deutschland bekundet und die Hoffnung geäußert, „dass Deutschland sich nicht abwendet von einem Problem, das uns begleiten wird“, berichtete Steinmeier. Es war Steinmeiers erste persönliche Begegnung mit einem Papst im Vatikan. Begleitet wurde er von seiner Frau Elke Büdenbender.

Steinmeier übergab dem Papst ein antiquarisches Buch des Jesuiten Jan David mit Kupferstichen unter dem Titel „Zwölf Spiegel zusammengefügt für den, der Gott schauen möchte“. Der Papst schenkte dem deutschen Staatsoberhaupt drei seiner Schriften, darunter die Umwelt-Enzyklika „Laudato si“ und das Schreiben „Amoris laetitia“ zur Familie, sowie eine Medaille einer Aktion zum Thema Migration.

Die evangelische Kirche feiert noch bis Ende dieses Monats 500 Jahre Reformation. 1517 hatte Martin Luther seine 95 Thesen gegen die Missstände der Kirche seiner Zeit veröffentlicht, die er der Überlieferung nach am 31. Oktober an die Tür der Wittenberger Schlosskirche nagelte. Der Thesenanschlag gilt als Ausgangspunkt der weltweiten Reformation, die die Spaltung in evangelische und katholische Kirche zur Folge hatte.