Shitstorms, Trolle und Hate Speech
Das Studienzentrum der EKD für Genderfragen veranstaltet eine Tagung zur Macht der Sprache in der digitalen Kommunikation
Durch die Digitalisierung ändert sich unsere Art miteinander zu kommunizieren. Es entstehen neue Chancen, aber auch Risiken, denen sich Einzelne im Internet ausgesetzt sehen. Das Studienzentrum der EKD für Genderfragen hat zum Thema Hassmails eine Studie erarbeitet und bietet im April eine Tagung zum Umgang mit Hatespeech an. Im Interview spricht Oberkirchenrätin Ellen Radtke darüber, warum sich das Studienzentrum der EKD für Genderfragen mit diesen Phänomenen beschäftigt und warum es trotz allem wichtig ist, dass Stimmen aus der Kirche in den sozialen Medien hörbar sind.
Warum beschäftigt sich die Kirche mit dem Phänomen Hate-Speech?
Ellen Radtke: In der Vergangenheit konnte eine Zunahme sogenannter Shitstorms und persönlicher Angriffe auf Persönlichkeiten aus der Kirche und der Diakonie wahrgenommen werden. Die Menschen, die dabei zur Zielscheibe wurden, waren oftmals alleine mit dieser Erfahrung und es war schwer einzuordnen, woher diese Angriffe kamen und weshalb sie sich mit einer starken Dynamik auf einzelne Äußerungen richteten. Das war der Anlass für das Studienzentrum der EKD für Genderfragen zusammen mit der Evangelischen Hochschule Ludwigsburg die Studie „Verhasste Vielfalt. Eine Analyse von Hate Speech im Raum von Kirche und Diakonie“ zu erarbeiten. Unsere Untersuchung hat unter anderem verschiedene Grundformen ermittelt, mit denen Schreibende ihren Hass begründen. Zudem wurde auch die soziale Funktion der Hassrede betrachtet um herauszufinden, weshalb Angriffe in den sozialen zu einem regelrechten Shitstorm werden können.
Welche Gründe spielen Ihren Erkenntnissen nach eine Rolle bei der Entwicklung von Hassrede?
Radtke: Die oft mit Gewaltbildern assoziierten Diskriminierungsäußerungen sind ein Mittel zur Herstellung sozialer Prozesse, an deren Ende Selbstvergewisserung und ein neues Zusammengehörigkeitsgefühl stehen können. Beides – die Grundformen und die soziale Bedeutung der Diskriminierungsäußerungen – ist für den Umgang mit dem Phänomen von Bedeutung, aber vielen nicht bewusst. Es geht daher in den Ergebnissen der Studie auch um die Rolle der sich verändernden Kirche als Identifikationspunkt. Das ist ein wichtiger Punkt für die Weiterarbeit an diesen Themen und gerade deshalb ein für die Kirche so bedeutendes Thema.
Hat es einen Grund, dass sich gerade das Studienzentrum der EKD für Genderfragen mit diesem Thema beschäftigt?
Radtke: Absender_innen diffamierender Kommentare knüpfen häufig an Vielfaltsthemen an. Die gesellschaftspolitischen Diskurse zu den Themen „Gender“, „Homosexualität“, sowie „Flucht und Islam“, bieten sich offensichtlich an, um Posts mit gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit in den digitalen Raum zu stellen. Dabei wird von den Schreibenden oft suggeriert, dass die Lesenden ein Weltbild verinnerlicht hätten, das sich gegen eine gesellschaftliche Veränderung oder die Auseinandersetzung mit neuen Themen richtet. Verschiedene Themen können dabei auch in argumentative Konkurrenz treten. Menschen, die beispielsweise gegen den Islam sind, aber auch gegen Feminismus, müssen priorisieren, was bei argumentativen Kollisionen den Vorrang erhält. Diese Priorisierungen finden dann ihre Klärung in den entsprechenden Echokammern. Gerade alles, was mit dem Begriff Gender verknüpft wird, erfährt bei Angriffen oftmals die höchste Priorität, da Gender als etwas dargestellt wird, das die Gesellschaft von innen heraus zersetzen solle und damit noch gefährlicher sei, als Feinde von außen. Meinungsäußerungen wie diese haben uns zur analytischen Aufarbeitung durch die Studie veranlasst.
Was sollten Menschen wissen, die innerhalb von Kirche und Diakonie mit den sozialen Medien befasst sind?
Radtke: Die Nutzung sozialer Medien ist auf jeden Fall ein guter Weg mit vielen Möglichkeiten, um Menschen zu erreichen. Es ist sogar bedeutsam, dass die Stimmen aus der Kirche genau dort hörbar sind, um das Gefühl zu durchbrechen, demokratiefeindliche oder rassistische Ansichten bildeten eine Mehrheit. Jedoch sollten sich gerade Institutionen auf die Nutzung vorbereiten. Das Studienzentrum hat ganz konkrete Empfehlungen erarbeitet, was bei der Arbeit in digitalen Kontexten zu beachten ist. Die eigene unmittelbare Reaktion, die in einem persönlichen Gespräch geäußert werden könnte, sollte nicht ungefiltert in eine offizielle Positionierung hineinfließen.
Mitarbeitende, die die Kommunikation in den sozialen Medien für eine Einrichtung übernehmen, müssen daher in Bezug auf die Wahrnehmung von außen vorbereitet sein oder gegebenenfalls geschult werden. Ebenso müssen Arbeitgeber über Abstimmungspyramiden nachdenken. Die digitale Kommunikation und ihr hohes Tempo stehen oftmals im Widerspruch zu langen Abstimmungswegen – gleichzeitig sind Äußerungen im Internet ähnlich einer offiziellen Stellungnahme und sollten auf einem allgemeinen Konsens beruhen. Mit diesen Fragen müssen sich alle kirchlichen und diakonischen Einrichtungen auseinandersetzen, das empfehlen wir nachdrücklich. Die Empfehlungen bilden daher den Abschluss der Studie.
Außerdem bietet das Studienzentrum zu dem Themenkomplex Hate-Speech im April eine Tagung an, die sich an Menschen richtet, die in ihrer Funktion von dem Phänomen berührt werden. Hierzu zählen beispielsweise Verantwortliche für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, aber auch Themenverantwortliche. Bei dieser Tagung werden die Ergebnisse der Studie zum einen in einen größeren gesellschaftspolitischen Zusammenhang gestellt. Zum anderen geht es auch darum, über die Dynamik hassförmiger Kommunikation zu informieren, sowie über die Mechanismen, die hinter einem Shitstorm stecken. Und es geht auch um die Einordnung, welche Rolle den sozialen Medien in Meinungsbildungsprozessen zukommt. Wir werden uns aber auch mit dem praktischen Umgang beschäftigen – von der einfachen Beantwortung eines Posts bis hin zu strafrechtlichen Schritten. Auch die Frage, wie Menschen damit leben, wenn sie von gewaltförmiger Kommunikation in unterschiedlichster digitaler Form betroffen sind, wird eine Rolle spielen.