Vortrag beim Sommerempfang des Konfessionskundlichen Instituts zum Thema „Ökumene“

Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm, Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland, am Dienstag, 3. September 2019 in Bensheim

Meine Damen und Herren, liebe Schwestern und Brüder,

„Aufbruch Ökumene“ – das ist das Thema, das Sie mir zum heutigen Sommerempfang des KI gestellt haben. Man kann dieses Thema deskriptiv oder programmatisch verstehen. Wenn man es deskriptiv versteht, dann wird man wohl in jedem Falle ein Fragezeichen dahinter setzen müssen. Denn es ist ja jedenfalls umstritten, ob wir gerade einen ökumenischen Aufbruch erleben oder ob Hoffnungen, die es in den letzten Jahren vielleicht wieder besonders gegeben hat, enttäuscht worden sind. Eine der wichtigen Aufgaben des KI ist es, uns Analysen zur Verfügung zu stellen, die uns die Lage einschätzen helfen, so dass wir auf dieser Basis dann möglichst kluge Strategien entwickeln, wie wir die Ökumene stärken können.

Aber bei allem nüchternen analytischen Blick ist die Aufgabe des KI für mich nicht allein deskriptiv. Wir würden als EKD dieses Institut nicht unterhalten, wenn dahinter nicht auch eine programmatische Intention steckte. Die ökumenische Forschungs- und Lernwerkstatt, die das KI ist, verdankt sich der Erkenntnis und theologischen Überzeugung, dass die Trennung der Kirchen nichts ist, an das man sich gewöhnen kann. Den Grund dafür kann man nicht besser formulieren, als Paulus es im 1. Korintherbrief getan hat:

Ich ermahne euch aber, liebe Brüder, im Namen unseres Herrn Jesus Christus, dass ihr alle mit einer Stimme redet und lasst keine Spaltungen unter euch sein, sondern haltet aneinander fest in "einem" Sinn und in "einer" Meinung. …Ich meine aber dies, dass unter euch der eine sagt: Ich gehöre zu Paulus, der andere: Ich zu Apollos, der Dritte: Ich zu Kephas, der Vierte: Ich zu Christus. Wie? Ist Christus etwa zerteilt? Ist denn Paulus für euch gekreuzigt? Oder seid ihr auf den Namen des Paulus getauft? (1 Korinther 1,10-13).

Ist Christus etwa zerteilt? Wir alle kennen die Antwort. Es gibt keinen evangelischen, katholischen oder orthodoxen Christus, sondern es gibt nur den einen Herrn Jesus Christus, der der Eckstein der Kirche ist. Und deswegen kann auch die Kirche der Leib Christi sich nie mit der Trennung zufriedengeben.

Das war der Grund dafür, dass wir das Reformationsjubiläumsjahr 2017 als großes Christusjahr gefeiert haben. Ich habe in diesem Jahr denen, die sich mehr evangelische Identität durch Abgrenzung von den Katholiken gewünscht haben, immer entgegengehalten, dass es Martin Luther selbst immer nur darum gegangen ist, Christus neu zu entdecken und dass deswegen die einzig wirklich lutherische Form eines Reformationsjubiläums eine ist, die zum gemeinsamen ökumenischen Christuszeugnis zurückfindet. Und wer dann immer noch nicht überzeugt war, dem habe ich dann noch einen berühmten O-Ton Martin Luthers mit auf den Weg gegeben:

„Erstens bitte ich, man wolle von meinem Namen schweigen und sich nicht lutherisch, sondern einen Christen nennen. Was ist Luther? Ist doch die Lehre nicht mein! Ebenso bin ich auch für niemanden gekreuzigt. St. Paulus … wollte nicht leiden, dass die Christen sich paulisch oder petrisch hießen, sondern Christen. Wie käme denn ich armer stinkender Madensack dazu, dass man die Kinder Christi dürfte nach meinem nichtswürdigen Namen nennen? Nicht so, liebe Freunde! Lasst uns tilgen die parteiischen Namen und uns Christen heißen, nach Christus, dessen Lehre wir haben.“

Niemand muss die lutherische Kirche jetzt umbenennen. Aber wir dürfen uns von Luther selbst schon gerne daran erinnern lassen, dass aller Konfessionalismus den Blick auf Christus verdunkelt, dass wir uns als Kirchen unterschiedlicher Konfessionen deswegen immer wieder von neuem zu Christus selbst rufen lassen sollen.

So wird es Sie nicht überraschen, dass ich mir das mir heute gestellte Thema auch in seinem programmatischen Sinn von ganzem Herzen zu eigen mache. „Aufbruch Ökumene“ – ja, genau das brauchen wir!

Ich will nun anhand einiger Schlaglichter der letzten Jahre aber auch zu zeigen versuchen, dass es gute Gründe gibt, dieses Thema auch im deskriptiven Sinne aufzunehmen und dabei anstatt eines Fragezeichens ein – falls es so etwas gibt – vorsichtiges Ausrufezeichen zu setzen. 

Die Einheitserklärung von Busan

Bei der Zehnten Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen 2013 im südkoreanischen Busan haben die dort versammelten Vertreter von 500 Millionen Christen aus aller Welt eine Erklärung zur Einheit der Kirchen verabschiedet, die auch auf Weltebene genau den Geist atmet, den ich im Hinblick auf unser Reformationsjubiläum beschrieben habe. Als Vorsitzender der Arbeitsgruppe, die das Dokument in die Versammlung einzubringen hatte, habe ich den konstruktiven Geist, in dem wir als Vertreter der protestantischen und orthodoxen Kirchen, aber auch der römisch-katholischen Kirche zusammengearbeitet haben, live miterleben können. In dem Dokument, das die Vollversammlung am Ende ohne Gegenstimme angenommen hat, heißt es: 

„Nur wenn Christen durch Gottes Geist versöhnt und erneuert werden, wird die Kirche ein authentisches Zeugnis für die Möglichkeit eines versöhnten Lebens aller Menschen und der ganzen Schöpfung ablegen können… (11) Wir bekräftigen den Platz der Kirche in Gottes Heilsplan und bereuen die Spaltungen zwischen und innerhalb unserer Kirchen, wir bekennen voll Schmerz, dass unsere Uneinigkeit unser Zeugnis für die frohe Botschaft von Jesus Christus untergräbt und unser Zeugnis dafür, dass die Einheit Gottes Wunsch für alle ist, weniger glaubwürdig erscheinen lässt. Wir bekennen, dass wir versagt haben, Gerechtigkeit zu üben, für Frieden einzutreten und die Schöpfung zu bewahren. Trotz unseres Versagens ist Gott treu und vergibt, er ruft uns weiterhin zur Einheit auf. Wir glauben an Gottes schöpferische und erneuernde Macht und sehnen uns danach, dass die Kirche tatsächlich ein Vorgeschmack, ein glaubwürdiges Zeichen und eine wirksame Dienerin des neuen Lebens ist, das Gott der Welt schenkt. In Gott, der uns zu einem Leben in Fülle ruft, werden unsere Freude, unsere Hoffnung und eine Leidenschaft für Einheit erneuert“ (14).

Aus meiner Sicht sind diese Worte gerade auch für unsere Situation des Deutschlands im Jahre 2019 hoch aktuell. Wir haben gerade in diesem Jahr die Zahlen der Freiburger Studie bekommen, nach denen eine Fortschreibung des jetzigen Trends die Halbierung unserer Mitgliederzahlen zur Folge hätte. Dass unsere Uneinigkeit unser Zeugnis für die frohe Botschaft von Jesus Christus untergräbt und unser Zeugnis dafür, dass „die Einheit Gottes Wunsch für alle ist, weniger glaubwürdig erscheinen lässt“, das ist eine Diagnose, die hochrelevant ist für den Umgang mit den Freiburger Zahlen. 

Dass wir „versagt haben, Gerechtigkeit zu üben, für Frieden einzutreten und die Schöpfung zu bewahren“, dass die Menschen nicht wirklich spüren, dass wir selbst ausstrahlen, wovon wir sprechen, das könnte auch eine Erklärung dafür sein, dass Menschen die Bindung an die Kirche verlieren. Glaubwürdigkeit ist das vielleicht stärkste Element der missionarischen Ausstrahlungskraft der Kirche.

Ich spüre das in diesen Tagen aus einer Richtung, an die man nicht zuerst denkt, wenn man von missionarischer Ausstrahlungskraft spricht. Ich habe in meiner Bischofszeit noch nie so viele zustimmende Mails, Facebooknachrichten und Briefe bekommen wie seit meinem Besuch bei der Seawatch-Crew in Sizilien und dem daran anschließenden Palermo-Appell. Viele Menschen schreiben: endlich redet die Kirche nicht nur, sondern leistet konkrete Unterstützung! Oder: jetzt weiß ich wieder, warum ich Kirchensteuer zahle. Natürlich haben wir im Hinblick auf unser Engagement für die Seenotrettung auch kritische Briefe bekommen. Aber, ganz anders als ich es erwartet hatte, ist die Zahl derer bei weitem größer, die uns ermutigen, nicht nachzulassen in unserem Engagement und auch den Impuls des Kirchentages nach der konkreten Beteiligung an der Bereitstellung eines Schiffes nachdrücklich aufzunehmen.

Natürlich treffen wir unsere Entscheidungen in den Gremien der EKD nicht nach der Zahl der Zusendungen, die wir zu bestimmten Themen bekommen. Wir werden uns für die Entscheidungen im Hinblick auf den Kirchentagsimpuls so viel Zeit nehmen, wie wir für eine gründliche Prüfung brauchen. Aber dass auch eine solche Entscheidung Konsequenzen hat für die Wahrnehmung der Kirche gerade in Kreisen, die Zweifel an ihrem glaubwürdigen Engagement der Kirche für die Menschen und insbesondere für die Schwächsten haben, das wird man schon jetzt sagen können. Wenn wir die Worte der Busan-Erklärung wirklich ernstmeinen, „dass wir versagt haben, Gerechtigkeit zu üben, für Frieden einzutreten und die Schöpfung zu bewahren“, dann kann es gar nicht anders sein als dass wir Konsequenzen für unser Handeln in der Zukunft ziehen, wie auch immer die Umsetzung dieser Grundorientierungen dann im Einzelnen aussieht. 

In der letzten Sitzung des Kontaktkreises der EKD und der DBK waren wir uns im Übrigen einig, dass gerade in unserem diakonischen Handeln mehr Ökumene möglich und auch nötig ist, um als Kirche die Liebe Gottes gegenüber allen Menschen wirklich glaubwürdig zu bezeugen.

Ich mache von der Busan-Erklärung des Jahres 2013 nun einen großen Sprung ins Jahr 2017. Ich habe schon kurz daran erinnert, warum wir das Reformationsjubiläum dieses Jahres zum ersten Mal in der Geschichte seit der Reformation nicht so gefeiert haben, dass wir unsere Identität als Protestanten durch die Abwertung der Katholiken zu stärken versucht haben, sondern durch den gemeinsamen ökumenischen Bezug auf Christus.

Impulse des Reformationsjubiläums

Zwei Erfahrungen waren aus meiner Sicht entscheidend dafür, dass das ökumenisch gefeierte Reformationsjubiläum und –gedenken tatsächlich zu einem Signal des ökumenischen Aufbruchs geworden ist. Das erste ist der Schmerz über die noch vorhandene Trennung zwischen den Kirchen, den wir in dem Maße noch tiefer gespürt haben, in dem wir menschlich zusammengewachsen sind. Und das zweite ist die Spirale der Wertschätzung, die in dem Maße entstanden ist, in dem wir den jeweils anderen in seinen Stärken neu entdeckt haben.

Als ich mit dem Rat der EKD und neun katholischen Bischöfen im Oktober 2016 zu einer Pilgerreise ins Heilige Land gefahren bin, haben wir in der dortigen „Brotvermehrungskirche“ Gottesdienst gefeiert. Bei der katholischen Eucharistiefeier mussten wir Evangelische sitzen bleiben. Der Schmerz, an diesem besonderen Ort, das Abendmahl nicht gemeinsam feiern zu können, sitzt nicht nur mir, sondern, so glaube ich, uns allen noch immer in den Knochen. Und ist uns zur Verpflichtung geworden, noch leidenschaftlicher auf die Einheit der Kirchen hinzuarbeiten. 

Nur zwei Wochen später haben bei einem gemeinsamen Gottesdienst die Vertreter des Lutherischen Weltbundes und Papst Franziskus in Lund Folgendes gemeinsam festgestellt:

„Viele Mitglieder unserer Gemeinschaften sehnen sich danach, die Eucharistie in einem Mahl zu empfangen als konkreten Ausdruck der vollen Einheit. Wir erfahren den Schmerz all derer, die ihr ganzes Leben teilen, aber Gottes erlösende Gegenwart im eucharistischen Mahl nicht teilen können. Wir erkennen unsere gemeinsame pastorale Verantwortung, dem geistlichen Hunger und Durst unserer Menschen, eins zu sein in Christus, zu begegnen. Wir sehnen uns danach, dass diese Wunde im Leib Christi geheilt wird. Dies ist das Ziel unserer ökumenischen Bemühungen.“

Und dann haben wir am 11. März 2017 in der Hildesheimer Michaeliskirche den von der ARD live übertragenen ökumenischen Gottesdienst zur „Heilung der Erinnerungen“ gefeiert. Er hat viele Menschen, mich eingeschlossen, sehr bewegt. Besonders berührt hat mich, als Kardinal Marx die folgenden Worte an mich als Repräsentant der 21 Millionen evangelischen Christen in Deutschland richtete:

„Wir danken Gott für die geistlichen, die theologischen und die ethischen Impulse der Reformation, die wir in der katholischen Kirche teilen können. Ich nenne die Wertschätzung des Wortes Gottes und der Heiligen Schrift. Ich nenne die Rechtfertigungslehre: Es ist auch für die katholische Kirche wichtig zu erkennen, dass ein Mensch nicht aus Werken des Gesetzes, sondern aus dem Glauben an Jesus Christus gerechtfertigt wird. Wir sehen das Engagement so vieler Männer und Frauen in den evangelischen Gemeinden als lebendiges Zeugnis des Glaubens. Wir schätzen die intensiven Diskussionen und die verantwortungsvollen Entscheidungsprozesse in den Synoden. Wir sind beeindruckt von dem starken Einsatz der evangelischen Kirche in der Diakonie, in unserem Land und auf der ganzen Welt. Vieles wäre noch zu nennen. Liebe evangelische Glaubensgeschwister: Wir danken Gott, dass es Euch gibt und dass Ihr den Namen Jesu Christi tragt.“ 

Ich habe meinerseits zum Ausdruck gebracht, was wir an unseren katholischen Glaubensgeschwistern schätzen und gesagt: 

„Wir danken Gott für das Glaubenszeugnis der katholischen Kirche. Wir sehen, dass sie im wahren Sinn des Wortes eine Weltkirche ist, die Nationen, Sprachen und Kulturen verbindet. Wir schauen voll Achtung auf die Liebe zur Liturgie, die in der katholischen Kirche gepflegt wird. Wir schätzen die besondere Aufmerksamkeit für die Überlieferungen des Glaubens, Bekennens und Denkens, die die Geschichte der Christenheit und so auch unsere Geschichte geprägt haben. Wir wissen uns herausgefordert, unser eigenes Verständnis von Kirche und Kircheneinheit, von Ordination und Amt im Dialog mit der katholischen Theologie zu vertiefen. Wir sind beeindruckt vom caritativen Dienst der katholischen Kirche in unserem Land und auf der ganzen Welt. Vieles wäre noch zu nennen. Liebe katholische Glaubensgeschwister: Wir danken Gott, dass es Euch gibt und dass Ihr den Namen Jesu Christi tragt.“ 

Die Liturgie, die wir dem Hildesheimer Gottesdienst zugrunde gelegt haben, haben viele Gemeinden in Gottesdiensten überall in Deutschland danach auch gefeiert. Die Berichte, die ich darüber gehört habe, haben mich berührt und die Hoffnung gestärkt, dass die neue ökumenische Dynamik, die wir erlebt haben, nicht rückholbar ist. Dass in Folge dieses Jahres nach einem Auf und Ab und mancher Sorge um einen neuerlichen ökumenischen Stillstand an Ende doch auch konkrete Erleichterungen für die gemeinsame Eucharistie von konfessionsverschiedenen Ehen möglich wurden, hat mich sehr gefreut. 

Und dass wir auf dem Weg zum ökumenischen Kirchentag in Frankfurt 2021 so große Fortschritte machen, dass auch eine wechselseitige eucharistische Gastfreundschaft möglich wird, ist jedenfalls nicht auszuschließen. Man darf ja träumen.

Was wir jetzt jedenfalls erleben, ist eine „Ökumene auf dem Weg“. Ich bete darum, dass der Heilige Geist uns zugleich Beine macht und den nötigen Rückenwind gibt.

Die Predigt, die Papst Franziskus 2018 bei seinem Besuch zum 70. Geburtstag des ÖRK in Genf gehalten hat, macht mir jedenfalls Mut:

Was uns miteinander verbindet – so der Papst – „ist viel stärker als das, was uns trennt.“ Sich ökumenisch auf den Weg zu machen „bedeutet oftmals in den Augen der Welt, mit Verlust zu arbeiten. Scheuen wir uns nicht davor, Verluste zu machen! Die Ökumene ist ‚ein großes Verlustgeschäft‘. Aber es handelt sich um einen dem Evangelium gemäßen Verlust entsprechend der von Jesus vorgezeichneten Spur: »Denn wer sein Leben retten will, wird es verlieren; wer aber sein Leben um meinetwillen verliert, der wird es retten« (Lk 9,24)“

Und er fährt fort:
„Nach vielen Jahren ökumenischen Einsatzes bitten wir den Geist an diesem siebzigsten Jahrestag des Rates, unsere Schritte zu stärken. Zu leicht bleiben wir angesichts der bestehenden Unterschiede stehen; zu oft bleiben wir, vom Pessimismus niedergedrückt, im Aufbruch stecken. Wir sollten uns nicht mit den Entfernungen herausreden, es ist jetzt schon möglich, im Geist zu wandeln: beten, evangelisieren, gemeinsam dienen, das ist möglich und Gott wohlgefällig! Gemeinsam gehen, gemeinsam beten, gemeinsam arbeiten: Das ist unser Königsweg heute.“

Von der bilateralen zur multilateralen Ökumene

Der ökumenische Weg, von dem Papst Franziskus spricht, schließt alle Konfessionen ein. Nachdem das Jahr 2017 trotz der Einbeziehung aller in der ACK zusammengeschlossenen Kirchen stark evangelisch-katholisch geprägt war, müssen wir uns in den kommenden Jahren noch mehr von der bilateralen hin zur multilateralen Ökumene bewegen.
Die Geschichte des Konfessionskundlichen Instituts Bensheim selbst zeigt eine solche Bewegung. Zu Hoch-Zeiten des Instituts gab es drei (!) Catholica-Beauftragte aber wenig Beschäftigung mit anderen Konfessionen. Seit 1981 kamen zur innerprotestantischen und römisch-katholischen „Ökumene“ auch Freikirchen und Ostkirchen als Forschungs- und Dialoggebiete hinzu. Das war ein guter Weg, den wir weitergehen sollten.

Er zeigt sich auch in der Geschichte der Ökumenischen Kirchentage: Der ÖKT 2003 in Berlin wurde verantwortet durch die beiden großen Kirchen. Beim ÖKT 2010 in München war die ACK mit im Boot. Die von der orthodoxen Tradition eingebrachte Arthoclasia wurde zu seinem stärksten ökumenischen Zeichen.

Der ÖKT 2021 in Frankfurt will nun das weltweite Christentum stärker in den Blick nehmen. Auch die Freikirchen, die Pfingstler, die Migrantenkirchen, die bisher noch ein ökumenisches Randdasein fristen, sollten als Teil der ökumenischen Gemeinschaft verstärkt sichtbar werden.

Und natürlich gilt meine Hoffnung auf Stärkung der multilateralen Ökumene erst recht für die ÖRK-Vollversammlung in Karlsruhe Ihr Motto: „Die Liebe Christi bewegt, versöhnt und eint die Welt“ ist dafür eine denkbar gute Grundlage.

Und so habe ich tatsächlich die Hoffnung, dass der Titel meines Vortrags auch in seiner deskriptiven Dimension mit einem Ausrufezeichen versehen werden kann. Lassen Sie mich das zum Schluss noch einmal mit einer kleinen Zukunftsvision unterstreichen:

Eine Vision für die Zukunft

Geben wir uns einen Moment lang der Hoffnung hin, dass im Jahr 2030, dem 500. Jahr der Verlesung der Confessio Augustana, mit der die Kirchentrennung eine Tatsache wurde, die sichtbare Einheit der Kirchen in versöhnter Verschiedenheit da ist und wir gemeinsam zum Mahl am Tisch des Herrn versammelt sind. Gehen wir 50 Jahre – zwei Generationen - weiter und stellen uns vor, wie die eine Kirche Jesu Christi im Jahr 2080 das 50. Jubiläum der Kircheneinheit feiert und dankbar nachzeichnet wie es dazu gekommen ist. Und stellen wir uns schließlich die Feiern zum 600-jährigen Reformationsjubiläum und –gedenken im Jahr 2117 vor. Die Einheit der großen Kirchen ist zur Normalität geworden. Drei Generationen sind aufgewachsen, die nichts anderes kannten. Und nun versucht man in einem kirchenhistorischen Symposion im Jahr 2117 zu verstehen, wie in aller Welt die Christen vor Hundert Jahren so souverän über all die biblischen Texte hinweggehen konnten, die von der Einheit sprechen, die von dem einen Glauben, der einen Taufe, dem einen Herrn und Vater aller reden und von der Einladung unseres Herrn Jesus Christus zum Mahl an alle, die ihm nachfolgen. Sie versuchen zu verstehen, warum sie so einfach ignorieren konnten, dass es keinen katholischen Christus, keinen evangelischen Christus und keinen orthodoxen Christus, sondern nur den einen Herrn Jesus Christus gibt! 

Wäre es nicht wunderbar, wenn die Kirchenhistoriker bei diesem Symposion im Rückblick nach 100 Jahren sagen würden: das Jahr 2017 mit seinen ökumenischen Gottesdiensten und so vielen anderen Veranstaltungen zum 500. Jahr der  Reformation ist zu einer Zäsur in den Herzen der Menschen geworden - an der Basis genauso wie in den Kirchenleitungen. Zu einem tiefen Gefühl, dass wir Christen zusammengehören und niemand uns mehr auseinanderreißen darf, dass wir nur gemeinsam ein starkes Zeugnis der Versöhnung in einer zerrissenen Welt geben können. Dass dieses Jahr zu dem entscheidenden Schub geworden ist, den es noch gebraucht hat, damit all die Lehrgespräche und all die erzielten Konsense, all die Erfahrungen ökumenischer Gemeinschaft 13 Jahre später endlich zum Ziel der sichtbaren Einheit in versöhnter Verschiedenheit führen konnten. Wäre es nicht wunderbar, wenn die Menschen das in 100 Jahren über das Reformationsjubiläumsjahr und die Jahre danach sagen könnten?

Mit weniger sollten wir uns nicht zufriedengeben!