Zivilrechtliches Antidiskriminierungsgesetz

Der Bevollmächtigte des Rates der EKD bei der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Union
Zum Entwurf für ein zivilrechtliches Antidiskriminierungsgesetz

  1. Der Rat der Europäischen Union hat im Jahre 2000 zwei Richtlinien zur Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes beschlossen, die an die Mitgliedstaaten gerichtet sind und spätestens im Laufe des Jahres 2003 in nationales Recht umgesetzt werden müssen. Es handelt sich um die Richtlinie 2000/43/EG des Rates vom 29. Juni 2000 zur Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ohne Unterschied der Rasse oder der ethnischen Herkunft, der die Mitgliedstaaten bis zum 19. Juli 2003 nachkommen müssen, und um die Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf, die bis zum 02. Dezember 2003 in nationales Recht umzusetzen ist.

  2. Beide Richtlinien stützen sich auf Art. 13 EG-Vertrag – eine Bestimmung, die im Zuge der Amsterdamer Regierungskonferenz von 1997 in den EG-Vertrag eingefügt wurde. Artikel 13 EG-Vertrag hat folgenden Wortlaut: "Unbeschadet der sonstigen Bestimmungen dieses Vertrags kann der Rat im Rahmen der durch den Vertrag auf die Gemeinschaft übertragenen Zuständigkeiten auf Vorschlag der Kommission und nach Anhörung des Europäischen Parlaments einstimmig geeignete Vorkehrungen treffen, um Diskriminierungen aus Gründen des Geschlechts, der Rasse, der ethnischen Herkunft, der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung zu bekämpfen."

  3. Um dem Beschluß des Rates der Europäischen Union zu entsprechen, der aufgibt, die oben erwähnten Richtlinien spätestens im Jahre 2003 in deutsches Recht umzusetzen, hat die Bundesregierung einen Gesetzentwurf vorgestellt, mit dem zunächst einmal der ersten Richtlinie (2000/43/EG vom 29. Juni 2000) Folge geleistet werden soll. Hierbei geht es um die Verhinderung von Diskriminierungen im Zivilrecht. Der Gleichbehandlungsgrundsatz soll bei der Begründung, Beendigung und Ausgestaltung von Kauf-, Miet-, Dienst-, Werk- und Geschäftsbesorgungsverträgen sowie ähnlichen Schuldverhältnissen durchgesetzt werden, soweit der Vertragsschluß öffentlich angeboten wird. Die Pläne der Bundesregierung bleiben dabei nicht bei den von der Richtlinie angesprochenen Diskriminierungsmerkmalen "Rasse" und "ethnische Herkunft" stehen, sondern beziehen alle Merkmale ein, die in Artikel 13 EG-Vertrag genannt sind. Zur Begründung führt das Bundesministerium der Justiz an, daß es sachlich nicht vertretbar erscheine, zwischen den einzelnen Diskriminierungsmerkmalen zu differenzieren.

  4. Gerade diese Differenzierung halten die Kirchen jedoch für geboten. Sie sind der Auffassung, dass man Diskriminierungen aus Gründen des Geschlechts, der Rasse, der ethnischen Herkunft, der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung nicht undifferenziert aneinander reihen kann. Sie hätten es daher von vornherein lieber gesehen, wenn man schon in der Rechtsgrundlage des Artikel 13 EG-Vertrag für das Religions- oder Konfessionsmerkmal eine sondergesetzliche Behandlung vorgesehen hätte. Beim Religionsmerkmal gilt es zwischen zulässigen und unzulässigen Unterscheidungen zu differenzieren, also solchen, die durch das kirchliche Proprium veranlaßt sind, und solchen, bei denen dies nicht der Fall ist. In der Rechtsordnung unseres Grundgesetzes ist außerdem zu beachten, daß die verfassungsrechtlich garantierte Religionsfreiheit und das kirchliche Selbstbestimmungsrechts beeinträchtigt werden, wenn man jegliche Unterscheidung nach der Religion als diskriminierend versteht. Hier muß eine Abwägung zweier Rechtsgüter stattfinden, wie sie auch sonst in unserer Rechtsordnung an anderer Stelle vielfach geboten und notwendig ist.

  5. Die EKD nimmt daher zu dem Entwurf eines Gesetzes zur Verhinderung von Diskriminierungen im Zivilrecht wie folgt Stellung:

      Die EKD begrüßt, daß die Europäische Union im Zuge der Entwicklung zu einer Wertegemeinschaft bzw. des Ausbaus dieser Wertegemeinschaft über die ursprünglichen in den Gründungsverträgen verankerten Diskriminierungsverbote hinausgeht und auch andere Benachteiligungen im Rechtsverkehr bekämpft. Sie unterstützt insbesondere eine Gesetzgebung zur Beseitigung der Diskriminierung aus Gründen der Rasse und der ethnischen Herkunft in der Form, wie sie durch die Richtlinie 2000/43/EG vorgesehen ist. Sie ist allerdings der Auffassung, dass dieses nur gelingen wird, wenn man Unterschiede zwischen einzelnen Differenzierungstatbeständen nicht einzuebnen versucht, sondern beim Erlaß von Rechtsnormen berücksichtigt.

    1. Die EKD ist daher nicht gegen das Vorhaben eines zivilrechtlichen Antidiskriminierungsgesetzes als solches. Sie hat aber vor allem Vorbehalte hinsichtlich der bisher geplanten Regelungsdichte. Sie hält es für problematisch, daß in Rechtsnormen zur Durchsetzung des Gleichheitssatzes und des Gleichbehandlungsgebots unterschiedliche Diskriminierungstatbestände gleichbehandelt werden. Dies gilt jedenfalls bezüglich des Merkmals "Religion und Weltanschauung". Diese Bedenken werden auch vom Diakonischen Werk der EKD geteilt. Beim Merkmal Religion ist zu beachten, dass es zu Wertungswidersprüchen zwischen dem begrüßenswerten Gedanken der Abschaffung von Diskriminierung einerseits und dem Grundrecht der Religionsfreiheit sowie des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts andererseits kommen kann, die im Sinne eines schonenden Ausgleichs gelöst werden müssen.

      Die Kirchen können ihr Werteprofil nur wahren und dadurch im säkularen Staat einen Beitrag zur Wertekonvergenz in grundsätzlichen Fragen leisten, wenn sie in ihren eigenen Einrichtungen prägend wirken können. Daher muß eine Kirche beispielsweise die Möglichkeit haben, bei der Aufnahme in kirchliche Schulen, in Kindergärten, Altersheime und andere kirchliche Einrichtungen darauf zu achten, daß Mitglieder der eigenen Kirche in einem hohen Prozentsatz zum Zuge kommen, weil sich sonst das spezifisch kirchliche Profil dieser Einrichtung nicht wahren ließe. Für diese "Bevorzugung" der eigenen Mitglieder spricht auch, daß kirchliche Einrichtungen, vor allem kirchliche Kindergärten, zu einem beträchtlichen Prozentsatz mit Mitteln finanziert werden, die die eigenen Kirchenmitglieder aufbringen. Im übrigen muss eine Mitgliedschaft dabei nicht das entscheidende Kriterium sein. Die Kirche und ihre Einrichtungen müssen unabhängig davon aus religiösen Gründen zwischen Vertragspartnern differenzieren können. Das kirchliche Selbstverwaltungsrecht gewährt die Freiheit über die Entscheidung, wem gegenüber sich die Kirche mit ihren Einrichtungen öffnen will.

      Der Schutz vor Diskriminierung aus Gründen der Religion muss vor diesem Hintergrund so gestaltet sein, dass er nicht seinerseits die im Grundgesetz gewährleisteten Rechte der Religionsfreiheit und der kirchlichen Selbstbestimmung beeinträchtigt. Schon nach geltender Rechtslage können diskriminierende Handlungen von Privatpersonen, die darauf abzielen, Mitglieder einer Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft zu verunglimpfen, zu beschimpfen oder verächtlich zu machen, gem. § 130 StGB (Volksverhetzung) und gem. § 166 StGB (Beschimpfung von Bekenntnissen, Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen) strafrechtlich verfolgt werden. Den Schutz der religiösen Toleranz zu stärken war Gegenstand eines von den Kirchen unterstützten Vorschlags zur Änderung des § 166 StGB, der allerdings nicht aufgegriffen wurde. Es wäre zu prüfen, inwieweit es sich bei den genannten Normen des StGB um Schutzgesetze i. S. d. § 823 BGB handelt, deren Verletzung einen zivilrechtlichen Schadensersatzanspruch auslösen könnte.

    2. Der EKD geht es bei ihrer Kritik am Gesetzgebungsvorhaben jedoch nicht nur um den Schutz der Religion und der Rechte der Religionsgemeinschaften. Sie hält es auch für problematisch, wenn – um der berechtigten Bekämpfung sachfremder Diskriminierung willen – die Privatautonomie so erheblich eingeschränkt wird, wie das Gesetzgebungsvorhaben der Bundesregierung es vorsieht. Die privatrechtliche Gestaltungsfreiheit ist ein allgemeines Freiheitsrecht, das dem Einzelnen das Recht gibt, aktiv und initiativ nach eigenen Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten und in persönlicher Verantwortung zu handeln. In diesem Sinne ist sie wichtiger Bestandteil der sozialen Marktwirtschaft, die wiederum als Grundlage für die Gestaltung der Ordnung einer modernen Gesellschaft in verschiedenen kirchlichen Schriften immer wieder in den Blick genommen worden ist (etwa im sog "Sozialwort" der Kirchen). Mit diesem hohen Rechtsgut sollte daher schonend umgegangen werden. Einschränkungen sollten nur dort vorgenommen werden, wo dies zum Schutz überragender Gemeinschaftsgüter geboten ist. Es ist nicht nur das Interesse des Einzelnen zu schützen, sich Vertragspartner, mit denen er – wie beispielsweise beim Abschluß eines Mietvertrages – eine möglicherweise langjährige Bindung eingeht, nach Belieben aussuchen zu können. Will man etwa Beherbergungsbetriebe untersagen, die beispielsweise nur Frauen aufnehmen? Es gilt auch das Recht des Einzelnen zu wahren, vertragliche Beziehungen in erster Linie mit Mitgliedern der eigenen Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft zu pflegen. Gerade für Minderheiten – und zwar nicht nur für religiöse und weltanschauliche – kann es eine große Bedeutung haben, sich eng an andere Mitglieder der Gruppe anzulehnen, um in der großen Gemeinschaft das individuelle Überleben zu sichern und das eigene Profil zu wahren.

    3. Die EKD plädiert daher dafür, die Umsetzung der Richtlinie zur zivilrechtlichen Antidiskriminierung in dieser Wahlperiode zurückzustellen und das Vorhaben in der nächsten Legislaturperiode wieder aufzugreifen, um dann beide Richtlinien (also gleichzeitig auch die Parallelrichtlinie zur Schaffung eines allgemeinen Rahmens in Beschäftigung und Beruf) in deutsches Recht umzusetzen. Zwischen beiden Richtlinien besteht ein enger Zusammenhang (Beschäftigung im Rahmen eines Dienstvertrages fällt unter die Richtlinie 2000/78/EG, eine solche im Rahmen eines Werkvertrages unter die Richtlinie 2000/73/EG), so daß es sinnvoll, wenn nicht sogar geboten ist, beide Umsetzungsgesetze im Parlament zusammen zu beraten. Dabei ist stärker als bisher die Regelungsintention der europäischen Richtlinien zu berücksichtigen. Schließlich wird durch die Verschiebung des Vorhabens der Umsetzung der zivilrechtlichen Antidiskriminierungsrichtlinie Zeit gewonnen, um die Regelungstiefe des Gesetzes noch einmal überdenken zu können. Es hat wenig Sinn, gerade auf dem sensiblen Feld der Antidiskriminierungsgesetzgebung unausgereifte, möglicherweise zu weit gehende und womöglich verfassungs- und europarechtswidrige Regelungen zu beschließen, die eher Unfrieden als Frieden in die Gesellschaft hineintragen und bei denen letztendlich die Gerichte genötigt wären, die klare und verbindliche Richtschnur vorzugeben.

Berlin, 29.05.2002