Kultur der Konsultation

Stellungnahme zur Mitteilung der Europäischen Kommission

Konsultationsdokument: Hin zu einer verstärkten Kultur der Konsultation und des Dialogs – Vorschlag für allgemeine Grundsätze und Mindeststandards für die Konsultation betroffener Parteien durch die Kommission

In der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) ist die Gemeinschaft der 24 lutherischen, reformierten und unierten Landeskirchen in der Bundesrepublik Deutschland institutionalisiert. Zur Zeit gehören in Deutschland etwa 27 Millionen Christinnen und Christen den Landeskirchen mit ihren mehr als 18.000 rechtlich selbstständigen Kirchengemeinden an. Ohne die Selbständigkeit der einzelnen Landeskirchen zu beeinträchtigen, nimmt die EKD die ihr übertragenen Gemeinschaftsaufgaben wahr und vertritt die Gliedkirchen auch international nach außen. Im Rahmen ihres Öffentlichkeitsauftrages nimmt sie Stellung zu ethischen, kirchenspezifischen, weltanschaulichen und gesamtgesellschaftlichen Fragen, insbesondere wenn Gesichtspunkte wie Frieden, Gerechtigkeit und die Bewahrung der Schöpfung berührt sind. Sie will dabei denen eine Stimme verleihen, die normalerweise ungehört bleiben, wie Arbeits- und Obdachlose, Entwurzelte und Außenseiter. Motivation und Leitlinie ihres Handelns ist die christliche Glaube als Basis von sozialer Gerechtigkeit, persönlicher Verantwortung und Nächstenliebe.

Die EKD hat bereits zum Weißbuch "Europäisches Regieren" ausführlich Stellung bezogen. Sie begrüßt grundsätzlich das Vorhaben der Kommission, für die Zukunft ein einheitliches Konzept für ihre Konsultationen zu entwickeln und hierzu Grundsätze und Mindeststandards aufzustellen. Sie wird sich auf einige Anmerkungen zu den Vorschlägen beschränken.

Die EKD hat in der Vergangenheit im Wege formloser punktueller Konsultation Kontakte zur Europäischen Kommission und zum Europäischen Parlament gepflegt. Sie hat Möglichkeiten wahrgenommen, ihre kirchlichen, sozialethischen und -politischen Anliegen zu bestimmten Fachpolitiken in den europäischen Meinungsbildungsprozess einzubringen, zum Teil im Rahmen von Anhörungen, zum Teil mit schriftlichen Stellungnahmen. Sie hat sich regelmäßig geäußert – auch in rechtlicher Hinsicht – zum Verhältnis der Religionsgemeinschaften zum Staat bzw. zur Europäischen Union. Außerdem hat sie regelmäßig an dem sog. "strukturierten Dialog" zwischen der Kommission und den christlichen Kirchen teilgenommen.

Nach ihrem Verständnis liegt die Rolle der Religionsgemeinschaften im gesellschaftlichen und nicht im staatlichen Bereich. Die EKD verfolgt daher bei ihren Bemühungen um mehr Partizipation bei der europäischen Politikgestaltung nicht das Ziel, politischer (Mit-) Entscheidungsträger zu werden.

Die EKD und ihre Gliedkirchen begleiten den europäischen Einigungsprozess als Versöhnungs- und Friedensprojekt mit großem Interesse und Engagement. Sie legt bei ihren europapolitischen Aufgaben allerdings großen Wert auf Unabhängigkeit.

Zu Recht werden im Konsultationsdokument der Kommission Religionsgemeinschaften als Teil der Zivilgesellschaft explizit erwähnt. Religionsgemeinschaften haben eine wichtige Funktion als Sprachrohr ihrer Mitglieder und zur Bündelung ihrer Interessen. Als Repräsentanten großer gesellschaftlicher Gruppen fungieren sie als Bindeglied zwischen Bürgern und politischen Institutionen. Kirchliche Interessengruppen vermögen insbesondere jene zu Wort kommen zu lassen, die sonst – z. T. mangels politischer Vertretung – überhört würden (z. B. Ausländer). Ein Großteil der Bevölkerung im EU-Gebiet ist kirchlich oder religiös gebunden. Kulturhistorisch haben die Kirchen bei der Wertebildung eine wichtige Rolle gespielt. Sie können auch in Zukunft der Politik der Europäischen Union wichtige Impulse geben.

Im Gegensatz zur übrigen "Zivilgesellschaft" vertreten die Kirchen und Religionsgemeinschaften jedoch keine Partikularinteressen, sondern äußern sich auch zu weltanschaulichen und gesamtgesellschaftlichen Fragen, insbesondere wenn die Gesichtspunkte Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung berührt sind. Kirchen und Religionsgemeinschaften haben daher einen eigenständigen Charakter gegenüber den anderen Interessengruppen, auch wenn sie teilweise akzeptieren, funktionell bei der Partizipation anderen Organisationen gleichgestellt zu werden.

Mit der Verpflichtung zu Konsultationen beabsichtigt die Kommission, einen "Bottom-up Ansatz" zu verwirklichen und eine breite Öffentlichkeit in einen umfassenden politischen Dialog einzubeziehen. Dies kann ihr nach Auffassung der EKD aber nur gelingen, wenn sie nicht nur europäisch organisierte Institutionen, sondern auch nationale Interessenvertretungen mit erwiesenem europäischem Engagement in die Meinungsbildung einbezieht, denn diese nehmen ebenfalls eine wichtige Vermittlungsfunktion wahr und verfügen über eine größere Nähe zu den Bürgern. Außerdem dürfte sich eine entsprechende Verpflichtung aus Artikel 6 Abs. 3 EU – Vertrag ergeben, wonach die Union die nationale Identität ihrer Mitgliedstaaten zu achten hat. Nationale Besonderheiten kann die Union aber nur beachten, wenn sie nicht nur die europäisch organisierten Interessenvertretungen befragt.

Die Zusammensetzung des Konventes und seine Themen zeigen, wie wichtig es für die Akzeptanz der EU – Politik bei den Bürgern ist, die nationalen Ebene einzubeziehen. Ca. 70 % der Konventsmitglieder sind Vertreterinnen und Vertreter der nationalen Ebene (der Regierungen und der nationalen Parlamente). Zwei der Hauptthemen der Debatte über die Zukunft der EU sind die Beteiligung der nationalen Parlamente im EU – Gesetzgebungsverfahren sowie das Subsidiaritätsprinzip. Bei ihren zukünftigen Konsultationsverfahren sollte die Kommission nicht anders verfahren und die nationalen Interessenvertretungen einbeziehen.

Dem Konsultationsdokument zufolge soll der Wirtschafts- und Sozialausschuss eine wesentliche, aktive Rolle als Schnittstelle und Vermittler zur Zivilgesellschaft spielen. Allerdings wird bezweifelt, dass die derzeitige Zusammensetzung des Wirtschafts- und Sozialausschusses nach Art. 257 S. 2 EG - Vertrag die Zivilgesellschaft tatsächlich repräsentiert.

Die EKD befürwortet die Einrichtung der Datenbank CONECCS zur Akkreditierung der organisierten Zivilgesellschaft als transparente Informationsquelle. Die EKD geht aber davon aus, dass nicht nur auf europäischer Ebene organisierte Vereinigungen, sondern auch nationale Interessenvertretungen mit europäischem Engagement – wie das Büro der EKD in Brüssel – in die Datenbank aufgenommen werden.

Die vorgeschlagenen Fristen für eine Partizipation sind möglicherweise zu kurz bemessen. Sechs Wochen für Antworten in schriftlichen öffentlichen Konsultationen und 20 Werktage für Sitzungen dürften für europaweite Organisationen nur schwer einzuhalten sein, wenn sie eine ernsthafte Rückkopplung mit ihren Mitgliedern, regionalen und nationalen Partnerorganisationen durchführen wollen.

Die EKD sieht ihre Interessen nicht nur dann berührt, wenn staatskirchenrechtliche Fragen Gegenstand europäischer legislative Vorhaben sind, sondern auch dann, wenn europäische Gesetzgebungsvorhaben und Politiken unter den Gesichtspunkten Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung von ihr geprüft werden.

Die EKD bezieht sich im übrigen auf die Stellungnahme der Kommission Kirche und Gesellschaft der Konferenz Europäischer Kirchen (KEK), die diese in Abstimmung mit APRODEV, CCME und Eurodiaconia zum Konsultationsdokument der Kommission abgegeben hat.