Gesetzliche Krankenversicherung

Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Modernisierungsgesetz – GMG)

  1. Allgemeine Bewertung

    Die Evangelische Kirche in Deutschland begrüßt, dass bei den politisch maßgebenden Kräften inzwischen weitgehende Übereinstimmung darüber besteht, dass Strukturreformen im Gesundheitswesen unabdingbar sind. Aus Sicht der EKD ist es ein positives Signal, dass sich Regierung und Opposition zusammengesetzt haben, um wichtige Reformen im sozialen Sicherungssystem gemeinsam anzugehen.

    Die EKD fordert seit langem eine Reform des Gesundheitswesens. Sie hat ihre Vorstellungen dazu in der im Jahre 1994 erschienenen Studie "Mündigkeit und Solidarität. Sozialethische Kriterien für Umstrukturierungen im Gesundheitswesen" und in einer Stellungnahme vorgelegt, die der Rat der EKD im September 2002 unter dem Titel "Solidarität und Wettbewerb" beschlossen hat. Der Vorsitzende des Rates der EKD hat in diesem Zusammenhang betont, dass der Rat der EKD Änderungen bei den sozialen Sicherungssystemen und folglich auch im Gesundheitswesen für notwendig hält, nicht "weil der Sozialstaat demontiert werden soll, sondern weil er erhalten werden muss" (Präses Kock "Mut zu Reformen", Vortrag vom15. Januar 2003 im Rahmen der Reihe "Treffpunkt Gendarmenmarkt").

    Die Reformen dürfen sich jedoch nicht auf die derzeit anvisierten Veränderungen beschränken; es sind weitere, noch einschneidendere Schritte erforderlich. Deshalb bedauert die EKD, dass der vorliegende Entwurf für ein Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung, auf den sich Regierung und Opposition geeinigt haben, keinen Einstieg in notwendige strukturelle Reformen wagt, sondern im bestehenden Krankenversicherungssystem verhaftet bleibt. Der Gesetzesentwurf versucht, die notwendige finanzielle Stabilisierung der Krankenversicherung und darüber hinaus eine Senkung der Lohnnebenkosten vor allem dadurch zu erreichen, dass Leistungseinschränkungen bzw. Kostenverlagerungen auf den Patienten erfolgen. Die EKD bezweifelt, dass dieser Ansatz ausreicht, um eine langfristige Finanzierung der sozialstaatlichen Sicherungsziele und die Generationengerechtigkeit zu gewährleisten.

    Hinsichtlich der Bewertung der einzelnen Regelungen des Gesetzesentwurfs wird weitgehend auf die Stellungnahme des Bevollmächtigten des Rates zum Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Gesundheitswesens verwiesen, die in der Anhörung am 23. Juni dieses Jahres vor dem Ausschuss des Deutschen Bundestages für Gesundheit und Soziale Sicherung abgegeben wurde. Die EKD stellt fest, dass der jetzige Entwurf im Vergleich zum Vorgängerentwurf die Lasten der erforderlichen Einsparungen noch übermäßiger den Patienten und Versicherten aufbürdet.

  2. Kostenverlagerungen zuungunsten der Patienten

    Die Evangelische Kirchen in Deutschland kritisiert die Lastenverteilung zuungunsten der Patienten und Versicherten, die durch die im Vergleich zum Gesetzentwurf der Bundesregierung verstärkten Leistungskürzungen und Zuzahlungspflichten bewirkt werden. Die Regelungen bergen die Gefahr, eine Schwelle für die Inanspruchnahme medizinisch notwendiger Leistungen zu bilden. Die Verpflichtungen, sich an Leistungen der häuslichen Krankenpflege (vgl. § 61 SGB V) und an den Kosten einer aufgrund von Krankheit erforderlichen Haushaltshilfe (vgl. § 38 Abs. 5 SGB V) anteilig zu beteiligen, benachteiligen insbesondere Familien und sozial Schwache.

    Bedenklich ist, dass die besondere finanzielle Notlage von Sozialhilfeempfängern bei den im Gesetz vorgesehenen Zuzahlungsverpflichtungen keine Berücksichtigung findet. Die Belastungsgrenze bei den Zuzahlungspflichten beträgt 2 % der jährlichen Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt und für chronisch Kranke 1 % (§ 62 SGB V). Diese Regelungen des Gesetzentwurfs bedeuten eine Verschlechterung im Vergleich zu dem Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Gesundheitswesens vom Juni diesen Jahres. Es ist unvertretbar, den zum Lebensunterhalt notwendigen Minimalunterhalt, den die Sozialhilfe leistet, durch Zuzahlungspflichten weiter zu reduzieren. Für chronisch kranke Menschen mit umfänglichen Leistungen aus dem Katalog der GKV haben die Regelungen des Entwurfs zur Folge, dass zu Beginn des jeweiligen Jahres vollständige Zuzahlungen zu leisten sind, bis die Belastungsgrenze greift. Das stellt eine unzumutbare Härte dar.

    Hinsichtlich der besonderen Belastungen für chronisch Kranke, Sozialhilfeempfänger und Menschen mit geringen Einkommen wird auf die Stellungnahme des Diakonischen Werkes der Evangelischen Kirche in Deutschland verwiesen.

  3. Notwendigkeit grundlegender Strukturreformen

    Unter den politischen Entscheidungsträgern besteht Einigkeit, dass sich die sozialen Sicherungssysteme mittelfristig nur stabilisieren und erhalten lassen, wenn grundlegende Strukturreformen durchgeführt werden. Die EKD bedauert, dass der Entwurf für ein GMG diese Einsicht nicht widerspiegelt und fordert, die notwendigen strukturellen Reformen in absehbarer Zeit einzuleiten.

    Mögliche Modelle für grundlegende Strukturreformen sind das Konzept der Bürgerversicherung oder eine Versicherung mit pauschalen Kopfprämien. Die EKD favorisiert eine Bürgerversicherung. Der Ansatz der Bürgerversicherung deckt sich mit den Überlegungen der EKD, wie sie in der Stellungnahme des Rates der EKD für mehr Verantwortung, Selbstbestimmung und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen "Solidarität und Wettbewerb" aus dem Jahr 2002 zum Ausdruck kommen. Der Rat der EKD hatte sich für die Einbeziehung aller Einkommensarten in die Beitragsgrundlage ausgesprochen und die Frage einer allgemeinen Versicherungspflicht für jede Bürgerin und jeden Bürger in der gesetzlichen Krankenversicherung aufgeworfen.

    Bei der Diskussion über die notwendigen Umstrukturierungen bei der Gesetzlichen Krankenversicherung müssen auch familienpolitische Aspekte berücksichtigt werden. Bei Kopfpauschalen, also einer Regelung, dass jeder Erwachsene – Kinder bleiben beitragsfrei mitversichert – eine feste Pauschale an die Gesetzliche Krankenversicherung zu zahlen hat, die sich nicht nach seinem Erwerbseinkommen, sondern nach den durchschnittlichen Gesundheitskosten seiner Kasse bemisst, entfällt nämlich die bisherige Regelung, dass der nicht erwerbstätige Ehepartner beitragsfrei mitversichert ist.

Berlin, den 22. September 2003