Errichtung einer Grundrechte-Agentur

Stellungnahme der Evangelischen Kirche in Deutschland in der öffentlichen Konsultation der Europäischen Kommission zur Errichtung der Agentur für Grundrechte

Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) begrüßt den Beschluss des Europäischen Rates vom Dezember 2003, eine Agentur für Grundrechte einzurichten als Bekenntnis der EU, den Menschenrechten einen besonderen Stellenwert einzuräumen.

Zusammen mit ihren Werken und Einrichtungen setzt sich die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) für die weltweite Wahrung und Förderung der Menschenrechte ein. Denn nach evangelischem Verständnis gebührt jedem Menschen als Geschöpf und Ebenbild Gottes Würde. Die Achtung der Menschenrechte ist für die Garantie der Menschenwürde unabdingbare Voraussetzung.

Als Teil der internationalen Menschenrechtsbewegung engagiert sich die EKD besonders für Menschen, die um ihres christlichen Glaubens wegen verfolgt werden. Sie tut dies um der Glaubensfreiheit aller Menschen willen und tritt deshalb im Dialog mit ihren ökumenischen Partnern zugleich für die Glaubensfreiheit der Angehörigen anderer Religionsgemeinschaften ein.

Mit der Verabschiedung der EU-Grundrechte-Charta im Jahr 2000 in Nizza und ihrer Aufnahme in die künftige Verfassung ist der Stellenwert der Menschenrechte in der EU erheblich gestärkt worden. Da die EU bei der stetigen Erweiterung ihrer Kompetenzen in den letzten Jahren zunehmend in das Leben der Bürger eingreift, ist es umso wichtiger, die Umsetzung der in der Charta niedergelegten Grundrechte in der Praxis zu beobachten und zu evaluieren, welche Folgen die Aktivitäten der EU für den Schutz und die Förderung der Menschenrechte haben. Die Agentur kann hier einen wichtigen Beitrag leisten.

  1. Aufgaben der Agentur

    Allerdings müssen die Aufgaben der Agentur in einem klaren rechtlichen Rahmen wahrgenommen werden. Mit Art. II-111 Absatz II der Grundrechte-Charta (konsolidierte Fassung) wird klargestellt, dass die Charta den Geltungsbereich des Unionsrechts nicht über die Zuständigkeiten der Union hinaus ausdehnt und weder neue Zuständigkeiten noch neue Aufgaben für die Union begründet, noch die in den anderen Teilen der Verfassung festgelegten Zuständigkeiten und Aufgaben ändert. Dementsprechend kann mit der Gründung der Agentur ebenfalls keine neue Zuständigkeit begründet werden.

    Im Übrigen kann aus der in Betracht kommenden Rechtsgrundlage des Art. 308 EGV lediglich folgen, dass die Agentur mit der Beobachtung der Grundrechtssituation im Zusammenhang mit dem Vollzug und der Umsetzung der Politiken der Gemeinschaft und des Gemeinschaftsrechts beauftragt wird.

    Um die Unabhängigkeit der Agentur zu gewährleisten, sollte sie nicht in das politische Verfahren nach Art. 7 EUV einbezogen werden.

    Das Mandat der Agentur sollte die Beobachtung aller in der Grundrechte-Charta niedergelegten Rechte umfassen. Allerdings ist die systematische Überwachung der Einhaltung dieser Rechte durch die Organe und Einrichtungen der EU sowie durch die Mitgliedsstaaten bei der Umsetzung des EU-Rechts zunächst eine Aufgabe der Kommission. Diese Aufgabe sollte nicht der Agentur überlassen werden.

    Der „Mehrwert“ der Agentur könnte darin liegen, die Aktivitäten von Europäischer Kommission, Europäischem Parlament und Rat im Bereich der Grundrechte zu unterstützen bzw. zu ergänzen. Sie könnte i.S. einer Serviceleistung dazu beitragen, einen höheren Grad an Kohäsion im Gemeinschaftssystem zum Schutz und zur Förderung der bestehenden Grundrechte zu erreichen. Außerdem könnte die Agentur in ihrer neuen Form den Grundrechtsschutz für die europäische Öffentlichkeit transparenter gestalten.

    Bei der Informationssammlung und -analyse und der Anfertigung von Stellungnahmen sollte die Agentur entweder aufgrund eigener Initiative oder im Auftrag von den Institutionen tätig werden und Tendenzen in den EU-Politiken aufzeigen, die negative Auswirkungen auf die Lage der Menschenrechte innerhalb der EU haben könnten. Die Agentur könnte auch Sachgebiete identifizieren, in denen EU-Politiken entwickelt werden müssen, um den Menschenrechtsschutz in der EU zu verbessern, und auf große Unterschiede im Schutzniveau in den einzelnen Mitgliedsstaaten hinweisen.

    Dabei sollte die Möglichkeit gegeben werden, in ein- oder mehrjährigen Programmen Prioritäten zu setzen. Die Prioritäten sollten so gesetzt werden, dass die Agentur Lücken in der Menschenrechtsbeobachtung in Europa identifiziert und diese Themen bearbeitet. Die ursprüngliche Aufgabe der Agentur, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit zu beobachten, darf durch die Erweiterung des Mandates nicht ins Hintertreffen geraten.

  2. Arbeitsweise

    Die Agentur muss unabhängig arbeiten. Dies ist nur dann garantiert, wenn sie finanziell, personell und organisatorisch in angemessener Weise ausgestattet ist. Klare Regeln über ihre politische und rechtliche Verantwortung sind weitere Voraussetzungen für eine effektive Arbeit. Zur Orientierung sollten die Pariser Prinzipien der Vereinten Nationen herangezogen werden. Die Lage der Menschenrechte in Europa wird von zahlreichen europäischen Organisationen und Institutionen intensiv beobachtet. Dies sind neben dem Europarat, die OSZE mit ihren Missionen und Hochkommissaren sowie die Vereinten Nationen – die Menschenrechtskommission, insbesondere Sonderberichterstatter zu Ländern und Themen, und die Vertragsorgane. Hinzu kommen noch nationale Einrichtungen wie Menschenrechtsinstitute oder Ombudspersonen. Doppelarbeit sollte auf jeden Fall vermieden, Synergieeffekte genutzt werden. Die Agentur sollte deshalb auf die bereits gesammelten Daten zurückgreifen, in engem Austausch mit den anderen Institutionen stehen und Lücken identifizieren, um nur dort eigene Recherchen vorzunehmen. Da EU-weit große Unterschiede bestehen, wie Daten gesammelt und Erhebungen angestellt werden, kann die Errichtung der Agentur dazu diesen diese Arbeit besser zu koordinieren und zu harmonisieren.

    Um ein hohes Maß an Unabhängigkeit und Objektivität bei der Erstellung von Stellungnahmen und Empfehlungen zu erreichen, bietet es sich an, auf das bereits bestehende Netz unabhängiger Sachverständiger im Bereich Grundrechte (E.U. Network of Independent Experts on Fundamental Rights (CFR- CDF) zurückzugreifen. Das Netzwerk sollte als selbständiger Teil in die Agentur einbezogen werden.

    Die Agentur sollte selbst Sachverständigengutachten in Auftrag geben können.

    Die Agentur sollte dem Europäischen Parlament mindestens einmal jährlich über ihre Aktivitäten Bericht erstatten. Ihre Empfehlungen sollten an Rat und Kommission gerichtet werden.

  3. Einbindung der Zivilgesellschaft

    Von entscheidender Bedeutung für die Wirksamkeit der Arbeit der Agentur ist ein enger Kontakt zu und regelmäßiger Dialog mit den Vertretern der Zivilgesellschaft in den EU-Mitgliedstaaten. Diese sollten deshalb grundsätzlich die Möglichkeit haben, ihre Informationen über Menschenrechtsverletzungen an die Agentur weiter zu leiten. Bei der großen Anzahl von Akteuren erscheint es jedoch angemessen, den Kontakt über die in den Mitgliedstaaten vorhandenen nationalen Menschenrechtsinstitutionen zu halten. Kirchen, internationale NGOs und andere Akteure, die vor Ort bei den EU-Institutionen präsent sind, sollten dagegen auf direktem Wege kontaktiert werden. Hier empfiehlt es sich, ein Netzwerk aufzubauen, um alle interessierten und kompetenten Kreise zusammenzubringen und in einen Dialog miteinander zu treten.

    Die gesammelte Daten und Informationen der Agentur sollten wiederum allen Bürgern und den Vertretern der Zivilgesellschaft zugänglich sein. Die Empfehlungen und Entscheidungen der Agentur, z.B. über die Prioritäten ihrer Arbeit, müssen veröffentlicht und innerhalb der EU bekannt gemacht werden. Die Ausarbeitung einer Kommunikationsstrategie wird von der EKD ausdrücklich begrüßt.

    In den Leitungsgremien der Agentur sollten neben Vertretern des Europäischen Parlaments, der Mitgliedstaaten, der Kommission und des Europarates auch Vertreter gesellschaftlicher Organisationen, den Grundsätzen der Vereinten Nationen für Nationale Menschenrechtsinstitutionen entsprechend, vertreten sein. Die Errichtung eines wissenschaftlichen Beirates wird empfohlen.

Sabine von Zanthier

-Leiterin des EKD-Büro Brüssel-