Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- u. asylrechtlicher Richtlinien der EU

Der Bevollmächtigte                                                                 
des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland    
bei der Bundesrepublik Deutschland und der EU 
Charlottenstraße 53/54, 10117 Berlin

Der Leiter
des Kommissariats der deutschen Bischöfe
Katholisches Büro in Berlin
Hannoversche Straße 5, 10115 Berlin
  

Stellungnahme

zum Referentenentwurf eines Gesetzes
zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union

Einleitung

Die beiden großen christlichen Kirchen haben die Reform des deutschen Zuwanderungs- und Flüchtlingsrechtes mit großer Aufmerksamkeit begleitet. Sie waren an der Arbeit der Unabhängigen Kommission Zuwanderung beteiligt und haben sich in den verschiedenen Stadien des Gesetzgebungsverfahrens mit Stellungnahmen zu Wort gemeldet. Auf die Stellungnahmen vom 14.09.2001 und vom 14.01.2002 wird an dieser Stelle verwiesen.

Auch auf der Ebene der Europäischen Union beobachten die Kirchen intensiv die fortschreitende Vereinheitlichung des Einwanderungs- und Flüchtlingsrechtes.

Sie sind daher für die Gelegenheit dankbar, ihre Einschätzung zu dem nun vorliegenden Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vortragen zu können. Aufgrund der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit muss sich die vorliegende Stellungnahme allerdings auf einige ausgewählte Aspekte beschränken. Die Kirchen behalten sich vor, zu einem späteren Zeitpunkt weitere Anmerkungen zu machen.

Einige der vorgeschlagenen Gesetzesänderungen erfüllen die Kirchen mit besonderer Sorge. So halten sie die angestrebte Einführung eines Mindestalters von 21 Jahren für den Ehegattennachzug und den obligatorischen Nachweis deutscher Sprachkenntnisse als Nachzugsvoraussetzung für unannehmbar. Die beiden großen christlichen Kirchen haben immer wieder hervorgehoben, dass ihnen der Schutz von Ehe und Familie ein herausragendes Anliegen ist. So heißt es etwa in dem Gemeinsamen Wort der Kirchen zu den Herausforderungen durch Migration und Flucht von 1997 „…und der Fremdling, der in deinen Toren ist“: „Wegen seiner sozialen Natur kann der Mensch nur zur Entfaltung seiner Persönlichkeit kommen, wenn er in Gemeinschaft lebt. Die Familie ist die Grundform menschlichen Zusammenlebens in Gemeinschaft und gegenseitiger Verantwortung. Darum kommt ihr ein besonderer Schutz zu. Dazu gehört das Recht, dass Eltern zusammenleben, ihre Kinder erziehen und Kinder in der Familie ihrer Eltern leben. Nach Artikel 6 Abs. 1 des Grundgesetzes stehen „Ehe und Familie … unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung.“ In der Migration ist dieses Recht der Familie gefährdet und bedarf deshalb eines besonderen Schutzes. Die Kirchen setzen sich darum nachdrücklich für die Sicherung der Familieneinheit und für die Familienzusammenführung ein. Sie dringen darauf, diesen Schutz von Ehe und Familie gerade auch in der Gesetzgebung und in der Verwaltungspraxis zu sichern.“ (GW Rn. 137)

Darüber hinaus bedauern die Kirchen, dass der Referentenentwurf das umfangreiche Änderungsvorhaben nicht zum Anlass nimmt, einige notwendige humanitäre Verbesserungen vorzunehmen. Dies gilt insbesondere für die Abschaffung der so genannten „Kettenduldungen“, die den Kirchen stets ein besonders wichtiges Anliegen war. Die mit der Verabschiedung des Zuwanderungsgesetzes verbundenen Hoffnungen, dass ein Großteil der langjährig geduldeten Ausländer nun Aufenthaltstitel erhalten würde, haben sich bisher leider nicht erfüllt. Dies liegt nicht zuletzt in einer sehr restriktiven Auslegung der einschlägigen Vorschriften (§ 25 Abs. 4 und 5 AufenthG) begründet, die die Kirchen sehr bedauern. Da die Problematik der „Kettenduldungen“ auch unter der Geltung des Zuwanderungsgesetzes tatsächlich fortbesteht, haben die Kirchen gegenüber der Konferenz der Innenminister und –senatoren der Länder bereits mehrfach für eine Altfallregelung plädiert. Sie werden sich auch zukünftig dafür einsetzen, dass in diesem Bereich eine humanitär vertretbare Lösung gefunden wird.
 
Die Kirchen sind stets dafür eingetreten, die Menschenrechte – gerade auch von Flüchtlingen – möglichst effektiv zu schützen. Dabei gilt insbesondere der Wahrung und Achtung der Religionsfreiheit die besondere Aufmerksamkeit der Kirchen. Der Möglichkeit des öffentlichen Glaubensbekenntnisses kommt nach ihrer Überzeugung erhebliche Bedeutung zu. In diesem Zusammenhang begrüßen es die Kirchen sehr, dass durch die Richtlinie der Europäischen Union zur Flüchtlingsanerkennung der dort vorgesehene Schutz auch der öffentlichen Religionsbetätigung nun für das deutsche Recht verbindlich ist.


Anmerkungen zu einzelnen Bestimmungen des Entwurfes

Artikel 1: Änderung des Aufenthaltsgesetzes

Nr. 6: § 9 AufenthG-E

Die Voraussetzungen für die Erteilung der „nationalen“ Niederlassungserlaubnis sowie diejenigen für die aufgrund der Richtlinie 2003/109/EG neu zu schaffende Niederlassungserlaubnis – Daueraufenthalt - EG sollen in einer Vorschrift zusammengefasst werden.

Der Klarheit und Lesbarkeit der Regelung wäre es nach Einschätzung der Kirchen dienlicher, diese unterschiedlichen Aufenthaltstitel in getrennten Normen zu behandeln. Dies wäre auch deshalb vorzuziehen, weil durch die Normierung in einer Vorschrift inhaltliche Probleme entstehen. Insbesondere ist darauf hinzuweisen, dass durch die Zusammenführung in einer Bestimmung die strengeren Anforderungen, die nach der Richtlinie 2003/109/EG nur für die Niederlassungserlaubnis–Daueraufenthalt–EG gelten sollen, teilweise auch auf die nationale Niederlassungserlaubnis erstreckt werden.

§ 9 Abs. 2 S. 1 Nr. 4, § 9 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 AufenthG-E

Die Bestimmung des § 9 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 AufenthG-E regelt, welches verhängte Strafmaß im Falle der Straffälligkeit des Ausländers der Erteilung einer „nationalen“ Niederlassungserlaubnis entgegensteht. Für die Niederlassungserlaubnis–Daueraufenthalt-EG sieht § 9 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 AufenthG-E diesbezüglich kein festes Strafmaß vor, sondern nimmt auf „Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung“ Bezug.

Da die „nationale“ Niederlassungserlaubnis weniger Rechte vermittelt als die Niederlassungserlaubnis–Daueraufenthalt–EG wäre es konsequent, wenn die „nationale“ Niederlassungserlaubnis“ unter erleichterten Voraussetzungen zu erlangen wäre. § 9 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 AufenthG-E müsste also günstigere Bedingungen formulieren als § 9 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 AufenthG-E.

Die Entwurfsbegründung (vgl. S. 138-140) stellt fest, dass dies der Fall sei und verweist auf die Tatsache, dass der Versagungsgrund des § 9 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 AufenthG-E auch schon unterhalb der Schwelle des § 9 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 AufenthG-E gegeben sein könne (vgl. S. 140).
Andererseits ist jedoch darauf hinzuweisen, dass § 9 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 AufenthG-E eine Abwägung zwischen den privaten Interessen des Ausländers und den Gründen der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung vorschreibt. Dabei sind insbesondere die Dauer des bisherigen Aufenthalts sowie bestehende Bindungen im Bundesgebiet zu berücksichtigen. Hierfür ist im Rahmen des § 9 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 AufenthG-E, der eine absolute Grenze normiert, kein Raum. In dieser Hinsicht werden also an die Erteilung der „schwächeren“ Niederlassungserlaubnis die strengeren Anforderungen gestellt.

§ 9 Abs. 4 Nr. 1 AufenthG-E

Die Norm betrifft die Anrechnung von Voraufenthaltszeiten auf die für die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis erforderliche Aufenthaltsdauer und bezieht sich sowohl auf die „nationale“ Niederlassungserlaubnis als auch auf die Niederlassungserlaubnis–Daueraufenthalt–EG.

Nach Artikel 4 der Richtlinie 2003/109/EG können frühere Aufenthaltszeiten in dem Mitgliedsstaat, der über die Erteilung des Daueraufenthaltes-EG entscheidet, nur in begrenztem Umfang anerkannt werden. Dies gilt jedoch (vorbehaltlich der in Artikel 4 Abs. 3 Unterabsatz 2 zugelassenen Ausnahmeregelungen) nur für den zur Mobilität innerhalb der Europäischen Union berechtigenden Daueraufenthalt-EG. Artikel 13 der Richtlinie bestimmt ausdrücklich, dass die Mitgliedstaaten dauerhafte Aufenthaltsrechte mit ausschließlich nationaler Reichweite auch unter günstigeren Bedingungen erteilen können. Es besteht daher keine Notwendigkeit, die in § 9 Abs. 4 Nr. 1 AufenthG-E vorgesehenen Begrenzungen auch auf den „schwächeren“ Titel der „nationalen“ Niederlassungserlaubnis zu erstrecken.

Es sollte daher für die Erteilung der „nationalen“ Niederlassungserlaubnis an der bisherigen Rechtslage festgehalten werden, der zufolge Aufenthalte außerhalb des Bundesgebiets jeweils mit höchstens sechs Monaten angerechnet werden können, ohne dass eine absolute Obergrenze von 10 Monaten innerhalb eines Fünfjahreszeitraums gesetzt wird (§ 9 Abs. 4 S. 2 Nr. 2 AufenthG).

§ 9 Abs. 5 S. 1 Nr. 1 AufenthG-E

Ein strukturell ähnliches Problem stellt sich bei § 9 Abs. 5 S. 1 Nr. 1 AufenthG-E, der in Umsetzung einer durch die Richtlinie 2003/109/EG eingeräumten Möglichkeit die Erfüllung der Verpflichtungen nach den Abgabengesetzen zur Voraussetzung macht, um die Sicherung des Lebensunterhaltes anzunehmen. Wiederum wäre es nicht erforderlich, dieses nach der Richtlinie 2003/109/EG für die Niederlassungserlaubnis–Daueraufenthalt–EG zulässige Kriterium auch auf die Erteilung der „nationalen“ Niederlassungserlaubnis anzuwenden.

Nr. 14:

Der Gesetzentwurf sieht keine Änderung des § 25 Abs. 3 AufenthG vor. Die Kirchen möchten dennoch die Umsetzung der Richtlinie 2004/83/EG zum Anlass nehmen, auf Regelungen im Bereich des subsidiären Schutzes aufmerksam zu machen, die nicht durch Bestimmungen der Richtlinie gedeckt sind.

§ 25 Abs. 3 S. 1 AufenthG

Nach Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie 2004/83/EG sind Personen, die den Flüchtlingsstatus erhalten haben, und Personen, denen der Status als subsidiär Geschützte zuerkannt wurde, so bald wie möglich Aufenthaltstitel zu erteilen. § 25 Abs. 2 AufenthG – auch in der vorgesehenen Fassung nach § 25 Abs. Abs. 2 S. 1 AufenthG-E - setzt diese Anforderung in Bezug auf Flüchtlinge um. § 25 Abs. 3 S. 1 AufenthG regelt hingegen, dass bei Vorliegen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2, 3, 5 oder 7 AufenthG die Aufenthaltserlaubnis lediglich erteilt werden soll. Diese Ungleichbehandlung ist im Hinblick auf Art. 15 der Richtlinie 2004/83/EG zumindest für Personen, die auch dessen Voraussetzungen erfüllen, nicht zu rechtfertigen.

§ 25 Abs. 3 S. 2 AufenthG

§ 25 Abs. 3 S. 2 AufenthG regelt die Ausschlussgründe für eine Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis bei Vorliegen eines Abschiebungshindernisses nach § 60 Abs. 2, 3, 5 oder 7 AufenthG. In der Richtlinie 2004/83/EG sind die Ausschlusskriterien für die Erteilung eines Titels für subsidiär zu Schützende in Art. 24 Abs. 2 geregelt. Stehen zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung einer Erteilung entgegen, kann sie nach Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie 2004/83/EG verweigert werden. § 25 Abs. 3 S. 2 AufenthG regelt die Ausschlussgründe für eine Erteilung nach deutschem Recht. Die in § 25 Abs. 3 S. 2 1. und 2. Alternative genannten Gründe – nämlich die mögliche und zumutbare Ausreise in einen anderen Staat (Alt. 1) und der wiederholte oder gröbliche Verstoß gegen Mitwirkungspflichten (Alt. 2) – können nach Einschätzung der Kirchen jedoch nicht als zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung angesehen werden. Sie finden damit in der Richtlinie 2004/83/EG keine Entsprechung und sind nach Auffassung der Kirchen zu streichen.

§ 25 Abs. 4a AufenthG-E

Die Vorschrift, die der Umsetzung der Richtlinie 2004/81/EG dient, schafft eine explizite Rechtsgrundlage für die Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen an Opfer von Menschenhandel, die mit den Strafverfolgungsbehörden kooperieren. Nach Auffassung der Kirchen wäre dies allerdings auch bisher schon auf der Grundlage des § 25 Abs. 4 AufenthG möglich gewesen. Anders als die Begründung des Gesetzentwurfs (vgl. S. 151 und auch bereits die Vorläufigen Anwendungshinweise des Bundesministeriums des Innern zum Aufenthaltsgesetz) können die Kirchen keine Gründe für einen Ausschluss vollziehbar ausreisepflichtiger Ausländer vom Anwendungsbereich des § 25 Abs. 4 AufenthG erkennen.
Eine Verbesserung gegenüber geltendem Recht bedeutet jedoch die Vorschrift des § 5 Abs. 3 S. 1 AufenthG-E, die für die Fälle des § 25 Abs. 4a AufenthG-E zwingend vorschreibt, von den allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 Nr. 1 und 2 sowie Abs. 2 AufenthG abzusehen.

Die Kirchen verkennen nicht, dass bereits nach dem Sinn und Zweck der Richtlinie 2004/81/EG die Erteilung eines solchen kurzfristigen Aufenthaltstitels an Opfer von Menschenhandel und solche Ausländer, denen Beihilfe zur illegalen Einreise geleistet wurde, primär der Verfolgung öffentlicher Interessen dienen soll. Dies darf jedoch nicht dazu führen, dass die schutzwürdigen Interessen und Bedürfnisse der betroffenen Ausländer in den Hintergrund geraten.

Den Kirchen ist es daher ein großes Anliegen, dass die in den Artikeln 9 bis 12 der Richtlinie vorgesehenen Garantien und Schutzbestimmungen mit besonderer Sorgfalt umgesetzt werden. Da der Gesetzentwurf Minderjährige nicht vom Anwendungsbereich des § 25 Abs. 4a AufenthG-E ausnimmt, ist besonders auf die in Artikel 10 der Richtlinie enthaltenen Bestimmungen zum Schutz von Minderjährigen zu verweisen. Demnach soll insbesondere auch die Bedenkzeit (vgl. § 50 Abs. 2a AufenthG-E) verlängert werden, wenn dies dem Wohl des Kindes dient.
Darüber hinaus geben die Kirchen zu bedenken, dass in jedem Einzelfall sehr sorgfältig geprüft werden sollte, ob nach Ablauf der Geltungsdauer des gemäß Artikel 25 Abs. 4a AufenthG-E erteilten Titels die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis auf anderer gesetzlicher Grundlage in Frage kommt. Erwägungsgrund 15 sowie Artikel 13 Abs. 2 der Richtlinie enthalten entsprechende Vorgaben. Insbesondere muss der Umstand gebührende Berücksichtigung finden, dass Opfer von Menschenhandel, die in Strafverfahren aussagen, durch dieses von den Behörden erwünschte Verhalten in Gefahr geraten können. Dies kann eine besondere Schutzbedürftigkeit begründen, die die Erteilung eines Aufenthaltsrechts gebieten kann.


Nr. 16 a): § 27 Abs. 1a AufenthG-E

Der in dieser Bestimmung vorgesehene Ausschluss des Familiennachzuges bei Vorliegen einer Scheinehe soll nach der Entwurfsbegründung der Vermeidung von Scheinehen dienen. Ferner werde die Zwangsprostitution bekämpft, da Scheinehen nicht selten geschlossen würden, um Ausländerinnen, die zur Prostitution gezwungen würden, einen Aufenthaltstitel zu verschaffen.

Beide Ziele verdienen selbstverständlich auch nach Überzeugung der Kirchen volle Unterstützung. Rechtlich wirft die vorgesehene Regelung gleichwohl Fragen auf.

Die Entwurfsbegründung beruft sich hinsichtlich dieser Regelung auf Artikel 16 Abs. 2 b) der Richtlinie 2003/86/EG. Diese Vorschrift ermächtigt die Mitgliedsstaaten jedoch lediglich, einen Antrag auf Einreise und Aufenthalt zum Zwecke der Familienzusammenführung dann abzulehnen, wenn „feststeht, dass die Ehe oder Lebenspartnerschaft nur zu dem Zweck geschlossen … wurde, um der betreffenden Person die Einreise in einen Mitgliedsstaat oder den Aufenthalt in einem Mitgliedsstaat zu ermöglichen“.

Die nun vorgeschlagene Regelung des § 27 Abs. 1a AufenthG-E kehrt Artikel 16 Abs. 2 b) der Richtlinie 2003/86/EG um: Die Einreise darf nicht erst dann verweigert werden, wenn das Vorliegen einer Scheinehe feststeht (so aber die Richtlinie). Vielmehr darf sie erst dann zugelassen werden, wenn das Vorliegen einer Scheinehe auszuschließen ist. Damit ist § 27 Abs. 1a AufenthG-E nach Einschätzung der Kirchen von der Richtlinie 2003/86/EG nicht mehr gedeckt.

Zu erinnern ist ferner in diesem Zusammenhang an die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts in seinem Grundsatzurteil vom 12. Mai 1987: „(E)ine behördliche Prüfung des Einzelfalls (könnte) das Vorliegen einer „Scheinehe“ regelmäßig nur bei Kenntnis von Umständen aus dem höchstpersönlichen Bereich des Betroffenen aufdecken …Es wäre mit Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG jedoch schwerlich vereinbar, wenn die Verwaltung es unternähme, sich diese Kenntnis von Amts wegen zu verschaffen. Nicht anders wäre es zu beurteilen, wenn den Betroffenen vorbehaltlos die Last auferlegt würde darzutun, dass es sich bei ihrer Ehe nicht um eine „Scheinehe“ handle.“ (BVerfGE 76, 1, 61). Das Bundesverfassungsgericht hat außerdem Zweifel daran bekundet, dass eine ausländerbehördliche Prüfung jedes einzelnen Antrags von der Verwaltung geleistet werden könne.

Die Regelung des § 27 Abs. 1a AufenthG-E erlegt – durch die Umkehrung des Regelungsinhalts des Artikels 16 Abs. 2 b) der Richtlinie – den Antrag stellenden Ausländern genau die „Darlegungslast“ auf und unterwirft sie genau der behördlichen Prüfung, die das Bundesverfassungsgericht als „schwerlich vereinbar“ mit Artikel 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Artikel 2 Abs. 1 GG bezeichnet hat.

Den vom Bundesverfassungsgericht geäußerten Bedenken möchten die Kirchen sich anschließen. Ein – nicht durch konkrete Anhaltspunkte begründetes - gesetzlich verankertes Misstrauen gegenüber allen Ehen von Ausländern bzw. gegenüber Ehen von Deutschen mit Ausländern steht auch im klaren Widerspruch zu der Wertschätzung und Anerkennung, die nach Überzeugung der Kirchen und nach der Wertung des Grundgesetzes Ehen von Ausländern und Deutschen gleichermaßen verdienen.

Nr. 17: § 28 Abs. 1 S. 3 AufenthG-E

Die Bedenken, die gegen § 30 Abs. 1 Nr. 1 und 2 AufenthG-E zu erheben sind (vgl. unten zu Nr. 19 a), gelten in noch gesteigertem Maße für die Einschränkung des Ehegattennachzugs zu Deutschen. Deutsche können sich – anders als Ausländer – nicht nur auf Artikel 6 Abs. 1 GG, sondern auch auf ihr Grundrecht auf Freizügigkeit nach Artikel 11 GG berufen. Das uneingeschränkte Aufenthaltsrecht des deutschen Ehepartners ist von zentraler Bedeutung. Artikel 6 Abs. 1 GG gebietet es in diesen Fällen regelmäßig, den Nachzug des ausländischen Ehegatten zu erlauben (vgl. v.Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum Bonner GG, Art. 6 Abs. 1 Rn. 125). Die vorgeschlagene generelle Regelung, die nur „zur Vermeidung einer besonderen Härte“ ein Absehen von den erschwerenden Voraussetzungen erlaubt, erweist sich demgegenüber als unverhältnismäßig. Der durch Artikel 6 und Artikel 11 GG gebotenen Wertung entspräche es im Gegenteil, wenn die Versagung des Ehegattennachzuges zu Deutschen nur in extremen Ausnahmefällen in Betracht käme.

Überdies würde durch § 28 Abs. 1 S. 3 AufenthG-E die im Hinblick auf den Nachzug von Kindern bereits bestehende, problematische Diskriminierung von Inländern gegenüber anderen EU-Ausländern (vgl. § 28 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG einerseits und § 3 Abs. 1 und 2 Nr. 1 FreizügigkeitsG/EU andererseits) auf den Bereich des Ehegattennachzuges ausgedehnt. Denn den Ehegatten von EU-Ausländern, die zu ihren in Deutschland lebenden Partnern nachziehen möchten, werden – völlig zu Recht – derartige Beschränkungen nicht auferlegt.

Eine besondere Problematik folgt aus dem Erfordernis einfacher Sprachkenntnisse ferner in Bezug auf die Angehörigen von Spätaussiedlern: Diesen wurde durch die Neuregelung des BVFG im Zusammenhang mit dem Zuwanderungsgesetz auferlegt, für die Einbeziehung in den Aufnahmebescheid des Spätaussiedlers vor der Einreise nach Deutschland den Nachweis deutscher Sprachkenntnisse zu erbringen (§ 27 BVFG). Den – auch von den Kirchen – hinsichtlich dieser Regelung vorgebrachten Bedenken wurde unter anderem entgegengehalten, dass es den Betroffenen unbenommen bliebe, auf dem ausländerrechtlichen Weg nach Deutschland einzureisen. Sollte nun auch die für den Ehegattennachzug zu Deutschen maßgebliche Vorschrift des Ausländerrechts den Anspruch vom Nachweis deutscher Sprachkenntnisse abhängig machen, wäre damit für Spätaussiedler und ihre Familien in vielen Fällen der Weg nach Deutschland weitgehend versperrt. Dies wäre für die Kirchen nicht akzeptabel, und es widerspräche auch der in der Koalitionsvereinbarung erklärten Absicht, dass die Bundesrepublik ihre besondere Verantwortung gegenüber Spätaussiedlern weiterhin wahrnehmen werde.

Nr. 19 a): § 30 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG-E

Diese Bestimmung, die den Anspruch auf Ehegattennachzug an ein Mindestalter knüpft, ist aus Sicht der Kirchen nicht akzeptabel. Im Einzelnen möchten die Kirchen insbesondere folgendes geltend machen:

Die Regelung kann nicht abschließend damit gerechtfertigt werden, dass die Richtlinie 2003/86/EG entsprechende Vorgaben mache. Denn Artikel 4 Abs. 5 der Richtlinie enthält keinen an die Mitgliedsstaaten gerichteten Befehl zur Umsetzung, sondern stellt den Erlass der einschränkenden Regelung zum Ehegattennachzug in das Ermessen der Mitgliedsstaaten. Selbstverständlich haben die Mitgliedsstaaten zu prüfen, ob es mit ihrem nationalen Verfassungsrecht vereinbar ist, wenn sie von dieser Möglichkeit Gebrauch machen. In Deutschland ist die Vorschrift des § 30 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG-E daher vor allem an Artikel 6 Abs. 1 GG zu messen.

Das eheliche Zusammenleben fällt in den Schutzbereich des Grundrechts auf Ehe nach Artikel 6 Abs. 1 GG. Deutsche und Ausländer sind gleichermaßen Träger des Grundrechts, nachzugswillige Ausländer sind es auch dann, wenn sie sich noch nicht im Geltungsbereich des Grundgesetzes befinden. Auch wenn nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts Artikel 6 Abs. 1 GG keinen grundrechtlichen Anspruch auf Ehegattennachzug begründet, hat das Bundesverfassungsgericht doch klargestellt, dass Artikel 6 GG als „wertentscheidende Grundsatznorm“ „für den Staat die Pflicht begründet, Ehe und Familie zu schützen und zu fördern“ (BVerfGE 76, 1, 49). Dieser Pflicht entspreche „ein Anspruch des Trägers der Grundrechte aus Artikel 6 Abs. 1 und 2 Satz 1 GG darauf, dass die zuständigen Behörden und Gerichte bei der Entscheidung über ein Aufenthaltsbegehren …. die bestehenden ehelichen und familiären Bindungen des Antragstellers an im Bundesgebiet lebende Personen in einer Weise berücksichtigen, die der großen Bedeutung entspricht, welche das Grundgesetz dem Schutz von Ehe und Familie erkennbar beimisst.“ (BVerfGE 76, 1, 49/50). Das Bundesverfassungsgericht hat insofern betont, dass die zu treffenden Regelungen dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und dem Übermaßverbot entsprechen müssen. Sie müssen daher ein legitimes Ziel verfolgen und zu seiner Erreichung geeignet, erforderlich und angemessen sein.

Zwar ist dem Rat der Europäischen Union sowie dem Bundesministerium des Innern uneingeschränkt zuzustimmen, dass Zwangsverheiratungen großes Unrecht darstellen, das unter keinem denkbaren Aspekt gerechtfertigt werden kann. Zwangsverheiratungen verletzen grundlegende Menschenrechte und widersprechen auch der Wertung des Artikels 6 Abs. 1 GG, insoweit dieser das Recht verbürgt, nicht heiraten zu müssen (negative Eheschließungsfreiheit). Im einfachen deutschen Recht kommt die Missbilligung von Zwangsehen darin zum Ausdruck, dass Ehen, deren Eingehung rechtswidrig durch Drohung bewirkt wurde, aufhebbar sind (§ 1314 Abs. 2 Nr. 4 BGB)  bzw. dass der Standesbeamte seine Mitwirkung an der Eheschließung verweigern muss, wenn offenkundig ist, dass eine solche Situation gegeben ist (§ 1310 Abs. 1 S. 2 BGB). Unter Umständen kommt ferner die strafrechtliche Ahndung als Nötigung (§ 240 StGB) in Frage.

Obwohl die Kirchen also nachdrücklich unterstreichen, dass Zwangsverheiratungen entgegengewirkt werden muss und dass die Opfer von Zwangsehen wirksame Hilfe benötigen, sind sie gleichwohl der Überzeugung, dass ein Mindestalter für den Anspruch auf Ehegattennachzug nicht das richtige Mittel ist, um dieses Ziel zu verfolgen.
Zwei Überlegungen mögen dies veranschaulichen: Die vorgeschlagene Regelung belastet – im Vergleich zum bisher geltenden Recht - alle Ehepartner unter 21 Jahren, unabhängig davon, ob sie zwangsweise oder freiwillig geheiratet haben. Der Adressatenkreis lässt sich also auf diese Weise nicht präzise der Zielsetzung entsprechend eingrenzen.
In anderer Hinsicht bleibt die Regelung hinter dem angestrebten Ziel zurück: Zwangsverheiratungen von Personen über 21 Jahren sowie solchen zwischen bereits rechtmäßig in Deutschland lebenden Ehepartnern kann mit der Versagung des Nachzugsanspruches nichts entgegengesetzt werden. Darüber hinaus könnten weiterhin Zwangsehen mit Personen unter 21 Jahren im Ausland geschlossen werden, lediglich die Einreise nach Deutschland würde sich verzögern.

Die Kirchen halten überdies den Ausschluss eines Nachzugsanspruchs für alle Ehepaare unter 21 Jahren nicht für angemessen.
Hierfür ist zunächst die Überlegung maßgeblich, dass Zwangsehen nicht den „Normalfall“ darstellen. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die Eheschließung freiwillig erfolgte. Ein generelles Misstrauen gegenüber allen jung geschlossenen Ehen, wie es in § 30 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG-E zum Ausdruck kommt, lässt sich nicht begründen und steht auch mit den für die Eheschließung maßgeblichen Vorschriften des deutschen Rechts nicht in Einklang.
Daher ist die Angemessenheit der Regelung – jedenfalls auch - bezogen auf freiwillig verheiratete Paare zu prüfen, die ja von § 30 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG-E gleichermaßen erfasst werden. Diesen gegenüber scheidet das Ziel der Bekämpfung von Zwangsehen als Legitimationsgrund aus. Die Versagung des Nachzugsanspruchs könnte jedoch mit dem in der Entwurfsbegründung zusätzlich angeführten Ziel der Integrationsförderung (vgl. S. 155) begründet werden. Diese Zielsetzung verdient als solche zweifellos Unterstützung. Allerdings ist nicht ersichtlich, dass junge – freiwillig verheiratete - Ehepartner grundsätzlich schlechter in die deutsche Gesellschaft integriert werden können als ältere.

Zudem muss bei der Abwägung der für den Nachzug sprechenden privaten mit den dagegen sprechenden öffentlichen Belangen dem Schutz- und Förderungsgebot des Artikels 6 Abs. 1 GG genüge getan werden.

Für die Vereinbarkeit mit Artikel 6 Abs. 1 GG könnte der Umstand angeführt werden, dass § 30 Abs. 2 S. 1 AufenthG-E es erlaubt, „zur Vermeidung einer besonderen Härte“ von der Altersgrenze abzuweichen. Den Ausländerbehörden wird insoweit die Möglichkeit eröffnet, in besonders gelagerten Einzelfällen dem Interesse der Ehegatten am Zusammenleben gegenüber dem Begrenzungsinteresse des Staates den Vorrang einzuräumen. Ihrer Natur nach sind Härtefallregelungen jedoch auf atypische Sonderfälle beschränkt. Fraglich ist, ob eine solch eng gefasste Dispensmöglichkeit „der großen Bedeutung entspricht, welche das Grundgesetz dem Schutz von Ehe und Familie erkennbar beimisst“ (BVerfGE 76, 1, 50). Nicht nur bei Vorliegen besonderer Konstellationen, sondern in jedem Einzelfall muss schließlich das rechtlich schutzwürdige Interesse der Ehepartner am Zusammenleben berücksichtigt werden. Es ist daran zu erinnern, dass die eheliche Lebensgemeinschaft zum „verfassungsrechtlich gewährleisteten Kerngehalt der Ehe“ gehört (vgl. v.Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum GG, Artikel 6 Abs. 1 Rn. 73), wie er insbesondere in § 1353 Abs. 1 S. 2 BGB (Verpflichtung zur ehelichen Lebensgemeinschaft) seinen Niederschlag gefunden hat. Dabei kommt dem Interesse, das Zusammenleben in Deutschland zu realisieren, mit steigender Aufenthaltsdauer des hier lebenden Ehepartners immer größere Bedeutung zu. Ebenso müssen in jedem Einzelfall „die bestehenden ehelichen … Bindungen des Antragstellers an im Bundesgebiet lebende Personen“ (BVerfGE 76, 1, 50) in Rechnung gestellt werden. Beeinträchtigungen dieser Rechtspositionen bedürfen der Rechtfertigung und müssen, wie das Bundesverfassungsgericht entschieden hat, insbesondere der Prüfung am Maßstab der Verhältnismäßigkeit standhalten. Erstaunlich ist es daher, wenn in der Begründung zu § 30 Abs. 2 S. 1 AufenthG-E (S. 157) die Überlegung anklingt, der nachzugswillige Ausländer und sein Ehegatte müssten ihrerseits ihren Wunsch nach ehelichem Zusammenleben durch das Vorbringen besonderer Umstände – wie des Vorhandenseins gemeinsamer Kinder – rechtfertigen. Die in der Begründung gewählte Terminologie, die eheliche Lebensgemeinschaft müsse „das geeignete und notwendige Mittel sein, um die außergewöhnliche Härte zu vermeiden“, erinnert an die Verhältnismäßigkeitsprüfung. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sowie das Übermaßverbot, „die sich als übergreifende Leitregeln allen staatlichen Handelns zwingend aus dem Rechtsstaatsprinzip und im Grunde schon aus dem Wesen der Grundrechte selbst ergeben“ (BVerfGE 76, 1, 50/51 m.w.N.) setzen jedoch nicht der Grundrechtsbetätigung des Einzelnen, sondern der Einschränkung grundrechtlich geschützter Positionen durch den Staat Grenzen.

Nicht hinnehmbar ist der grundsätzliche Ausschluss des Ehegattennachzuges vor Erreichen des Mindestalters außerdem dann, wenn der in Deutschland lebende Ausländer anerkannter Asylberechtigter oder Flüchtling ist (§ 30 Abs. 1 Nr. 3b AufenthG-E). Er kann für die Realisierung seines Wunsches nach Zusammenleben mit seinem Ehepartner nicht auf die Rückkehr in seine Heimat verwiesen werden. Dem trägt auch Artikel 23 der Richtlinie 2004/83/EG Rechnung, der die Mitgliedstaaten verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass der Familienverband von Flüchtlingen aufrechterhalten werden kann. Artikel 23 Abs. 2 i.V.m. Artikel 24 Abs. 1 der Richtlinie sieht für Familienangehörige von Flüchtlingen insbesondere auch die Erteilung von Aufenthaltstiteln vor. Es ist daher nicht hinreichend, den Angehörigen von Flüchtlingen lediglich im Einzelfall durch Anwendung der Härteklausel des § 30 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG-E eine Nachzugsmöglichkeit einzuräumen und es den betroffenen Ausländern damit aufzuerlegen, zusätzliche Gründe für die Notwendigkeit des Zusammenlebens in Deutschland vorzutragen. Denn begründete die Flüchtlingseigenschaft als solche bereits eine besondere Härte im Sinne von Absatz 2 S. 1, dürften Ausländer mit Aufenthaltserlaubnissen nach § 25 Abs. 1 und 2 AufenthG von vornherein nicht dem Tatbestand des § 30 Abs. 1 AufenthG-E unterfallen.

In seiner Entscheidung vom Mai 1987 hat das Bundesverfassungsgericht ferner dem Umstand entscheidendes Gewicht beigemessen, ob eine Regelung ausschließlich junge Ehen betrifft. Solche Ehen seien „häufig durch die Geburt von Kindern gekennzeichnet“, und „die Anforderungen, die eheliche Gemeinschaft und Elternschaft an die Betroffenen stellen, (würden) erstmals erfahren und (müssten) bewältigt werden…“ (BVerfGE 76, 1, 69). Gerade junge Ehen bedürften daher des besonderen Schutzes. Lange Trennungszeiten träfen diese jungen Partnerschaften besonders hart. Diese Erwägungen treffen auch auf die nun vorgeschlagene Regelung zu.

§ 30 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG-E belastet demgegenüber junge Ehen besonders stark. Diese Schlechterstellung ausländischer Ehepartner unter 21 Jahren gegenüber denjenigen über 21 Jahren ist nicht akzeptabel. Eine Differenzierung aufgrund der Erwägung, dass Ehepartner unter 21 Jahren häufiger Opfer oder Täter von Zwangsverheiratungen seien, ist insofern widersprüchlich, als das deutsche Recht Eheschließungen ab dem Alter von 18 Jahren – völlig zu Recht - ohne weitere Unterscheidung nach Alter zulässt. Der Gesetzgeber hegte also offenbar nicht die Befürchtung, dass Eheschließungen sehr junger Ehepartner häufig zwangsweise zustande kämen. Auch die Kirchen können keinen Grund für eine solch grundsätzliche Besorgnis erkennen.

 

Nr. 19 a): § 30 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG-E

Diese Regelung, die den Nachzugsanspruch durch den Verweis auf § 44a Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe a AufenthG-E an den vorherigen Nachweis deutscher Sprachkenntnisse knüpft, ist ebenfalls sehr kritisch zu beurteilen. Nach der Entwurfsbegründung sollen „die Betroffenen dazu angeregt werden, sich bereits vor ihrer Einreise einfache Deutschkenntnisse anzueignen und dadurch ihre Integration im Bundesgebiet zu erleichtern“ (S. 156).

Gegen eine „Anregung“ zum Erwerb von Sprachkenntnissen, etwa in Form von Anreizen, hätten die Kirchen keinerlei Einwände. Solche Anreize wären insbesondere die frühere Erteilung eines eigenständigen Aufenthaltstitels oder die schnellere Verfestigung des Aufenthaltsrechts. Ohne Zweifel ist es in hohem Maße wünschenswert und für die Integration in die deutsche Gesellschaft auf Dauer unentbehrlich, dass in Deutschland lebende Ausländer die deutsche Sprache erlernen. Über eine „Anregung“ geht es aber wohl hinaus, wenn der Nachzugsanspruch beim Fehlen von Sprachkenntnissen – von den sich aus § 44a Abs. 2 AufenthG ergebenden Ausnahmen abgesehen – völlig entfällt.

Auch diese Regelung muss im Hinblick auf die Schutzpflicht des Staates für Ehe und Familie dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz genügen. Insbesondere muss daher die von den Ausländern zu überwindende Hürde bei Würdigung aller Umstände angemessen sein. Die Kirchen haben auch diesbezüglich große Zweifel, dass ein Ausschluss des Anspruches auf Ehegattennachzug, von dem lediglich bei dauerhafter Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit der Teilnahme an Sprachkursen (§ 44 a Abs. 2 Nr. 3 AufenthG) Ausnahmen möglich sind, „der großen Bedeutung entspricht, welche das Grundgesetz dem Schutz von Ehe und Familie erkennbar beimisst“ (BVerfGE 76, 1, 50). Die Angemessenheit eines generellen Ausschlusses des Nachzugsanspruches bei Fehlen von Sprachkenntnissen wird zusätzlich dadurch in Frage gestellt, dass viele nachzugswillige Ehegatten in ihren Herkunftsländern keine adäquate Möglichkeit haben, die deutsche Sprache zu erlernen. Da § 44a Abs. 1 Nr. 1 a AufenthG-E, anders als die bisher geltende Fassung des § 44a Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AufenthG, die Fähigkeit zur mündlichen Verständigung nicht genügen lässt, müssten viele Betroffene sich also völlig eigenständig Kenntnisse der deutschen Schriftsprache aneignen.

Während sich die Kirchen also dagegen aussprechen, den Nachweis deutscher Sprachkenntnisse bereits vor der Einreise zu verlangen und diesen dadurch zur Bedingung für den Nachzugsanspruch zu machen, befürworten sie eine stärkere Förderung der Integration der nachziehenden Ehegatten, insbesondere auch des Erwerbs deutscher Sprachkenntnisse, nach der Einreise. § 44 Abs. 1 Nr. 1b) AufenthG-E räumt nachziehenden Familienangehörigen einen Anspruch auf Teilnahme an einem Integrationskurs ein, unter den Voraussetzungen des § 44a Abs. 1 AufenthG-E sind sie hierzu verpflichtet.

Hinsichtlich der Familienangehörigen von Flüchtlingen stellt Artikel 7 Abs. 2 Unterabsatz 2 der Richtlinie 2003/86/EG klar, dass von ihnen die Teilnahme an Integrationsmaßnahmen erst verlangt werden kann, nachdem die Familienzusammenführung gewährt wurde. Die beabsichtigte Vorschrift des § 30 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG-E, die für Flüchtlinge und anerkannte Asylberechtigte keine Ausnahme vorsieht, steht insoweit also auch mit der Richtlinie 2003/86/EG nicht im Einklang.


Nr. 20: § 31 Abs. 1 S. 2 AufenthG-E

Die vorgeschlagene Änderung, die das aufenthaltsrechtliche Schicksal des nachgezogenen Ehegatten mit demjenigen des Stammberechtigten verknüpft, steht im Widerspruch zum Regelungszweck der Vorschrift, der, wie Satz 1 klar zum Ausdruck bringt, gerade darin besteht, ein „eigenständiges, vom Zweck des Familiennachzuges unabhängiges Aufenthaltsrecht“ zu gewähren. Die Kirchen befürworten diese Regelungsabsicht; sie haben daher auch die Verkürzung der für die Erteilung eines eigenständigen Titels maßgeblichen Frist von vier auf zwei Jahre begrüßt.

Nr. 23: § 36 Abs. 2 AufenthG-E

Diese durch Artikel 10 Abs. 3 der Richtlinie 2003/86/EG gebotene Neuregelung, die dem personensorgeberechtigten Elternteil eines unbegleiteten minderjährigen Flüchtlings einen Anspruch auf Nachzug einräumt, ist sehr zu begrüßen. Die Kirchen hielten eine entsprechende Regelung auch zugunsten von subsidiär Geschützten für wünschenswert, die Aufenthaltserlaubnisse nach § 25 Abs. 3 bzw. Niederlassungserlaubnisse nach § 26 Abs. 4 AufenthG innehaben. Denn auch diese Personen können, wie anerkannte Flüchtlinge, aufgrund der ihnen drohenden Gefahren ihr Recht auf Herstellung und Wahrung der Familieneinheit nicht in ihrem Herkunftsland realisieren.

Nr. 38 a) cc): § 60 Abs. 1 S. 5 AufenthG-E

Grundsätzlich begrüßen die beiden großen christlichen Kirchen, dass im Text des § 60 Abs. 1 AufenthG-E auf den Artikel 4 Abs. 4 und die Artikel 7 bis 10 der Richtlinie 2004/83/EG hingewiesen wird, die im Falle ihrer Anwendung im Vergleich zur bisherigen Rechtsprechung eine deutliche Verbesserung des Flüchtlingsschutzes bedeuten werden - insbesondere in dem für die Kirchen bedeutsamen Bereich der Religionsfreiheit.

§ 60 Abs. 1 S. 5 AufenthG-E bestimmt jedoch etwas undeutlich, dass die Art. 4 Abs. 4 und die Art. 7 bis 10 der Richtlinie 2004/83/EG „ergänzend anzuwenden“ sind. Selbstverständlich sind die Bestimmungen der Richtlinie (mit Ausnahme solcher Regelungen, deren Umsetzung ausdrücklich in das Ermessen der Mitgliedsstaaten gestellt wird) für den deutschen Gesetzgeber verbindlich. Werden bindende Vorschriften einer Richtlinie, die dem Einzelnen subjektive Rechte einräumen, nicht fristgerecht umgesetzt, kann er sich ferner direkt auf diese Bestimmungen berufen. Die Formulierung, die Bestimmungen der Richtlinie seien „ergänzend anzuwenden“, muss also wohl dahingehend verstanden werden, dass eine Diskrepanz zwischen nationalem Recht und bindenden Vorgaben der Richtlinie durch den Rückgriff auf die Richtlinienbestimmungen vermieden werden muss. Bleibt das nationale Recht hinter den Vorgaben der Richtlinie zurück, müssen insoweit die Regelungen der Richtlinie angewandt werden. Aus Gründen der Rechtsklarheit und Bestimmtheit wäre es nach Einschätzung der Kirchen sehr wünschenswert, dies durch die Formulierung zum Ausdruck zu bringen, dass Artikel 4 Abs. 4 und die Artikel 7 bis 10 der Richtlinie „gelten“. Hierdurch würde es den Begünstigten erleichtern, Kenntnis von ihren Rechten zu erlangen und diese vor einem nationalen Gericht geltend zu machen (vgl. EuGH C-361/88 (Urteil v. 30.5.1991) Kommission/Deutschland).

Die Kirchen können sich überdies der in der Entwurfsbegründung geäußerten Einschätzung nicht ausnahmslos anschließen, wonach die Bestimmungen der Richtlinie weitgehend der bestehenden Rechtspraxis entsprechen (vgl. S. 170 der Begründung für die Verweistechnik generell; in Bezug auf die Definition der Verfolgungsgründe in Art. 10 der Richtlinie vgl. S. 174).  Dies gilt insbesondere in dem für die Kirchen elementaren Bereich der Religionsfreiheit.

Nach Art. 10 Abs. 1 b) der Richtlinie 2004/83/EG umfasst „der Begriff der Religion“
 
„insbesondere theistische, nichttheistische und atheistische Glaubensüberzeugungen, die Teilnahme bzw. Nichtteilnahme an religiösen Riten im privaten oder öffentlichen Bereich, allein oder in Glaubensgemeinschaft mit anderen, sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen Einzelner oder der Gemeinschaft, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind.“

In der Begründung zum Entwurf des Gesetzes wird dazu lediglich ausgeführt, dass es sich bei den Definitionen in Artikel 10 der Richtlinie 2004/83/EG um einen Auslegungshinweis zu den einzelnen Verfolgungsgründen handelt. Die Definitionen entsprächen aber weitgehend der bestehenden Rechtspraxis.

In Anlehnung an die zu Art. 16a GG entwickelten Grundsätze der Verfolgungsintensität bei Beeinträchtigungen von sonstigen Rechtsgütern gewährt die Rechtspraxis des Bundesverwaltungsgerichts Schutz vor Verfolgung aus religiösen Gründen allerdings nur dann, wenn das so genannte „forum internum“ betroffen ist bzw. wenn die Religionsausübung abseits der Öffentlichkeit in persönlicher Gemeinschaft mit anderen Ziel von Verfolgungsmaßnahmen ist (BVerwGE 74, 31, 38; BVerwG, U. v. 20.01.2004, 1 C 9.03). Die Glaubensbetätigung in der Öffentlichkeit ist hingegen nicht geschützt, sofern sie nicht unmittelbar Gefahren für Leib oder Leben oder Beschränkungen der persönlichen Freiheit zur Folge hat. Diese einschränkende Auslegung des Schutzbereichs der Verfolgung aus religiösen Gründen im Rahmen des Abschiebungsschutzes nach § 60 Abs. 1 AufenthG lässt sich nach Ansicht der beiden Kirchen in Anbetracht von Artikel 10 Abs. 1 b) der Richtlinie 2004/83/EG nicht mehr aufrechterhalten.

Es fällt auf, dass in der Entwurfsbegründung eine umfassende Darstellung der Definition des Verfolgungsgrundes Religionsfreiheit nach der Richtlinie 2004/83/EG unterblieben ist. Anders als beispielsweise in den Bereichen der internen Fluchtalternative (vgl. S. 172) und der Relevanz von Wehrdienstverweigerung für die Gewährung eines Abschiebungsschutzes (vgl. S. 173) können so keine Rückschlüsse darauf gezogen werden, inwieweit die Rechtspraxis im Bereich der Religionsfreiheit Veränderungen erfahren soll.

Im Rahmen des § 60 Abs. 1 AufenthG setzt sich die Entwurfsbegründung mit einigen notwendigen Änderungen in der Entscheidungspraxis des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge und der Spruchpraxis der Gerichte auseinander, die die Kirchen ebenfalls kommentieren möchten.

Akteure, die Schutz bieten können (S. 171 der Entwurfsbegründung)
Bei der Darstellung des Art. 7 der Richtlinie 2004/83/EG weisen die Kirchen darauf hin, dass - anders als es die Entwurfsbegründung nahe legt – der Schutz im konkreten Fall für den Einzelnen tatsächlich erreichbar sein muss. Eine grundsätzliche Fähigkeit und Willigkeit seitens der Akteure, Schutz zu gewähren, reicht hingegen nicht aus.

Verfolgungshandlungen (S. 172 der Entwurfsbegründung)
Die Kirchen begrüßen den Hinweis, dass neben der Verletzung der nicht-derogierbaren Rechte der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) auch die Verletzung anderer Rechte als Verfolgungshandlung nach Art. 9 gewertet werden kann. Die Kirchen sind außerdem erfreut über die ausdrückliche Feststellung in der Entwurfsbegründung, dass eine Verfolgungshandlung nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. b) der Richtlinie 2004/83/EG auch bei kumulativ vorliegenden Maßnahmen bejaht werden kann. Wünschenswert wäre jedoch eine Auseinandersetzung in der Entwurfsbegründung mit der Frage gewesen, inwiefern dies Auswirkungen auf die Rechtsprechung hat, die weitere Voraussetzungen an die Annahme einer Verfolgungshandlung knüpft.

Nr. 38. d): § 60 Abs. 7 AufenthG-E

Die Kirchen begrüßen ausdrücklich, dass im Rahmen von § 60 Abs. 7 AufenthG Änderungen vorgenommen werden sollen, um eine Anpassung an Art. 15 der Richtlinie 2004/83/EG zu ermöglichen. Der neu eingefügte Satz 2 setzt dabei die Vorgaben von Art. 15 c) der Richtlinie 2004/83/EG um.

Als problematisch erweist sich jedoch, dass die in Satz 3 aufgenommene verfahrensrechtliche Sperrwirkung auch für den Satz 2 gelten soll. Dafür findet sich nach Auffassung der Kirchen keine Rechtsgrundlage in der Richtlinie 2004/83/EG. Denn Erwägungsgrund 26 der Richtlinie 2004/83/EG stellt lediglich klar, dass bei einer allgemeinen Gefahr dennoch eine Bedrohung des Individuums Voraussetzung für die Gewährung subsidiären Schutzes ist. Auch kann nach Überzeugung der Kirchen ein dem Richtlinientext vorangestellter Erwägungsgrund keine Einschränkung des Anspruches aus Art. 15 c) i.V.m. Art. 18 und Art. 21 Abs. 1 auf Gewährung von subsidiärem Schutz bewirken, sondern nur als Auslegungshilfe herangezogen werden. Insofern können die Kirchen – anders als die Entwurfsbegründung (S. 176) – im Erwägungsgrund 26 auch keine Rechtsgrundlage für eine vorrangig anzuwendende, gruppenspezifische Regelung bei allgemeinen Gefahren im Zusammenhang mit bewaffneten Konflikten erkennen.

Satz 4 soll etwaige Schutzlücken schließen. Dieses Ziel unterstützen die Kirchen ausdrücklich. Nach Artikel 24 Abs. 2 der Richtlinie 2004/83/EG ist allerdings ein Aufenthaltstitel zu erteilen (s. oben zu den Ausführungen zu § 25 Abs. 3 AufenthG). Deshalb wäre es sachgerechter, die Anwendung von Satz 3 von einer stattgebenden Entscheidung nach § 23 Abs. 1 AufenthG abhängig zu machen.

Nr. 38. f): § 60 Abs. 11 AufenthG-E

Die Kirchen begrüßen die durch Verweis in § 60 Abs. 11 AufenthG-E erfolgte Erweiterung des subsidiären Schutzes. Insbesondere im Bereich des Schutzes vor Abschiebung in Staaten, in denen den Betroffenen Folter oder allgemeine Gefahren für Leib und Leben drohen, können so Schutzlücken vermieden werden. Die Entwurfsbegründung geht davon aus, dass Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 2004/83/EG eine Rechtsgrundlage bereitstellt, den subsidiären Schutz bei subjektiven Nachfluchtgründen auszuschließen. Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 2004/83/EG regelt jedoch nur eine mögliche Einschränkung der Flüchtlingsanerkennung. Die Kirchen schlagen deshalb vor, im Rahmen von § 60 Abs. 11 AufenthG-E lediglich auf Art. 5 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2004/83/EG zu verweisen.

Nr. 41: § 62 Abs. 4 AufenthG-E

Die Vorschrift soll den für den Antrag auf Anordnung von Abschiebungshaft zuständigen Behörden das Recht zur vorläufigen Festnahme ohne vorherige richterliche Anordnung einräumen. Diese Bestimmung erweitert – ebenso wie § 74a Abs. 2 AufenthG-E und möglicherweise die explizite Regelung der Zurückweisungshaft in § 15 Abs. 5 AufenthG-E – die Möglichkeiten zur Inhaftnahme von Ausländern. Die Kirchen fordern dagegen bereits seit langem, die Vorschriften zur Abschiebungshaft unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit zu überprüfen. Sie bedauern daher die in den §§ 15 Abs. 5, 62 Abs. 4 und 74a Abs. 2 AufenthG-E zum Ausdruck kommende gegenläufige Tendenz und betrachten diese Regelungsvorschläge mit besonders kritischer Aufmerksamkeit.

Artikel 104 Abs. 2 S. 1 GG, der das Grundrecht der Freiheit der Person vor willkürlichen Eingriffen schützen soll, bestimmt, dass über Zulässigkeit und Fortdauer einer Freiheitsentziehung nur der Richter zu entscheiden hat. Die Verfassung geht also „vom präventiven Rechtsschutz als Regelfall aus“. Artikel 104 Abs. 2 S. 2 GG „wertet die nicht-richterliche Freiheitsentziehung als Ausnahme“ (Kommentar zum Bonner Grundgesetz, Artikel 104 Rn. 41).
§ 62 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 AufenthG-E bestimmt, dass eine Festnahme nur zulässig ist, wenn sie „erforderlich ist, um zu verhindern, dass sich der Ausländer dem gerichtlichen Verfahren zur Anordnung der Haft entzieht.“
Angesichts der in Artikel 104 Abs. 2 S. 2 GG zum Ausdruck kommenden Wertung dürfen die vorläufige Festnahme durch die Ausländerbehörden und die erst nachträgliche Einholung der richterlichen Anordnung nicht zum Regelfall werden. Unzulässig ist nach Überzeugung der Kirchen eine generelle Unterstellung dahingehend, dass Ausländer sich dem gerichtlichen Verfahren zur Anordnung von Haft entziehen wollen.

Nr. 47: § 74a Abs. 2 AufenthG-E

Die neu geschaffene Bestimmung zur Durchbeförderungshaft ermöglicht es, Ausländer zur Sicherung der Durchbeförderung oder der Rückbeförderung in Gewahrsam oder auf richterliche Anordnung in Haft zu nehmen. Nach § 74 a Abs. 2 S. 3 AufenthG-E ist eine richterliche Anordnung für eine Inhaftnahme nicht erforderlich, solange zu erwarten ist, dass die Durch- oder Rückbeförderung abgeschlossen sein wird, bevor eine gerichtliche Entscheidung ergeht. In diesem Zusammenhang möchten die Kirchen auf ihre Anmerkungen zu § 62 Abs. 4 AufenthG-E verweisen. Insbesondere die vage Formulierung des Satzes 3 begegnet erheblichen Bedenken. Die Regelung knüpft das Ergehen einer vorherigen richterlichen Anordnung an die Fähigkeit des Beamten, die Dauer der Rück- bzw. Durchbeförderung präzise einzuschätzen. Die Bestimmung wird dem durch Art. 104 Abs. 2 S. 2 GG vorgeschriebenen Ausnahmecharakter der ohne richterliche Anordnung erfolgenden Freiheitsentziehung nach Einschätzung der Kirchen schwerlich gerecht.

Artikel 2: Änderung des Freizügigkeitsgesetzes/EU

Nr. 2: § 3 Abs. 3-5 FreizügG/EU-E

Die Bestimmung lässt den Eindruck entstehen, als hätten Familienangehörige von Unionsbürgern für die Erteilung eines eigenständigen Aufenthaltsrechtes in mancherlei Hinsicht höhere Anforderungen zu erfüllen als Familienangehörige von Drittstaatsangehörigen gemäß §§ 31, 34, 35 AufenthG.


§ 3 Abs. 3 FreizügG/EU-E
 
§ 3 Abs. 3 FreizügG/EU-E räumt drittstaatsangehörigen Familienangehörigen eines verstorbenen Unionsbürgers erst dann ein eigenständiges Aufenthaltsrecht ein, wenn sie sich vor dem Tod des Unionsbürgers mindestens ein Jahr als seine Angehörigen im Bundesgebiet aufgehalten haben. § 31 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG, der für Ehegatten von Drittstaatsangehörigen gilt, verlangt dagegen lediglich, dass die eheliche Lebensgemeinschaft zum Zeitpunkt des Todes des Ausländers rechtmäßig im Bundesgebiet bestand. Eine Mindestaufenthaltsdauer wird nicht zur Erteilungsvoraussetzung gemacht.
 
§ 3 Abs. 4 FreizügG/EU-E

Kinder eines Unionsbürgers sowie der Elternteil, der die elterliche Sorge für die Kinder tatsächlich wahrnimmt, behalten nach dieser Vorschrift ihr Aufenthaltsrecht (lediglich) bis zum Abschluss einer Ausbildung des Kindes.

Eine derartige Befristung ist für das eigenständige Aufenthaltsrecht der Kinder von Drittstaatsangehörigen gemäß  §§ 34, 35 AufenthG nicht vorgesehen.

§ 3 Abs. 5 FreizügG/EU-E

§ 3 Abs. 5 S. 1 Nr. 1 FreizügG/EU-E knüpft das Aufenthaltsrecht des ehemaligen Ehegatten eines Unionsbürgers an einen dreijährigen Bestand der Ehe und eine mindestens einjährige Bestandszeit der ehelichen Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet. Damit ist die Regelung einerseits großzügiger als § 31 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AufenthG, der die Voraussetzungen für ein eigenständiges Aufenthaltsrecht der Ehegatten eines Drittstaatsangehörigen normiert. Denn danach muss die eheliche Lebensgemeinschaft mindestens zwei Jahre rechtmäßig im Bundesgebiet bestanden haben. Andererseits wird in § 31 Abs. 1 AufenthG jedoch keine dreijährige Mindestbestandszeit der Ehe gefordert.

Eine solche Schlechterstellung der Familienangehörigen von Unionsbürgern gegenüber denjenigen von Drittstaatsangehörigen wäre unvereinbar mit der privilegierten Stellung, die für Unionsbürger unmittelbar aus der im EG-Vertrag garantierten Freizügigkeit folgt (vgl. dazu Erwägungsgrund 11 der Richtlinie 2004/38/EG). Erwägungsgrund 5 der Richtlinie 2004/38/EG hebt hervor, dass „das Recht aller Unionsbürger, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedsstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, … auch den Familienangehörigen ungeachtet ihrer Staatsangehörigkeit gewährt werden“ sollte. Nur so könne das Freizügigkeitsrecht der Unionsbürger „unter objektiven Bedingungen in Freiheit und Würde ausgeübt werden“.

Im Ergebnis stellt die Anwendung des § 11 Abs. 1 S. 3 FreizügG/EU sicher, dass eine unzulässige Diskriminierung verhindert wird. Die Vorschrift erklärt das AufenthG für anwendbar, wenn es eine günstigere Rechtsstellung vermittelt als das FreizügG/EU. Sofern also die §§ 31 ff. AufenthG Familienangehörigen von Ausländern mehr Rechte einräumen, verdrängen sie insoweit die Bestimmungen des § 3 Abs. 3 bis 5 FreizügG/EU.

Aus Gründen der Rechtsklarheit und –bestimmtheit sollte sich die Rechtsstellung der Familienangehörigen von Unionsbürgern unmittelbar aus den einschlägigen Vorschriften des § 3 Abs. 3 bis 5 FreizügG/EU ergeben. Rechtsanwender und Begünstigte sollten sich zweifelsfrei über die bestehenden Rechtspositionen informieren können.


Artikel 6: Änderungen sonstiger Gesetze - Asylbewerberleistungsgesetz

Abs. 1 Nr. 2: § 6 Abs. 3 AsylbLG-E

Die Vorschrift dient der Umsetzung von Artikel 7 und 9 der Richtlinie 2004/81/EG. Anders als die Begründung des Entwurfs (vgl. S. 239) betrachten die Kirchen die den betroffenen Opfern von Menschenhandel zu gewährende medizinische und psychologische Hilfe nicht ausschließlich unter dem Gesichtspunkt der Förderung ihrer Aussagebereitschaft. Vielmehr gebietet es die Achtung ihrer Menschenwürde, ihnen die notwendige Hilfe und Betreuung zu leisten. Dass dies unter den Bedingungen des AsylbLG erfahrungsgemäß oft nicht in ausreichendem Maße gelingt, haben die Kirchen immer wieder beanstandet.

Ferner wäre es aus Sicht der Kirchen erforderlich, die entsprechende medizinische, psychologische und psychotherapeutische Betreuung auch allen anderen Leistungsberechtigten nach dem AsylbLG zuteil werden zu lassen, sofern sie entsprechende besondere Bedürfnisse haben. Für Personen, die eine Aufenthaltserlaubnis nach § 24 AufenthG besitzen, ist dies in § 6 Abs. 2 AsylbLG bereits geregelt. Die Richtlinie 2003/9/EG zur Festlegung von Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern in den Mitgliedstaaten bestimmt in Artikel 15 Abs. 2, dass Asylbewerber mit besonderen Bedürfnissen die erforderliche medizinische oder sonstige Hilfe erhalten. Die Umsetzung dieser Vorschrift steht noch aus. Da die Befriedigung der Grundbedürfnisse der betroffenen Personen um ihrer selbst willen geboten ist, kann es insoweit keinen Unterschied machen, ob der Ausländer dem Staat im Rahmen der Strafverfolgung von Nutzen sein kann oder nicht.

Berlin, 31. Januar 2006

Prälat Dr. Stephan Reimers, Prälat Dr. Karl Jüsten