Menschen brauchen den Sonntag

Menschen brauchen den Sonntag

Gemeinsame Erklärung des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Deutschen Bischofskonferenz, 1999

Der Sonntag wird geschätzt

  1. Der Sonntag gehört zu den wichtigen Beiträgen des Christentums zur Kultur unserer Gesellschaft. Vielen ist bewußt, daß er maßgeblich zur Qualität menschlichen Zusammenlebens beiträgt. Weithin wird der Sonntag als gemeinsamer Ruhetag, als Schutz der Arbeitenden, als Symbol der Freiheit und als Tag des christlichen Gottesdienstes anerkannt und geachtet. Das Grundgesetz schützt den Sonntag als Tag der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung. Sonntagsarbeit ist deshalb nur in ausdrücklich festgelegten und begründeten Ausnahmefällen möglich.
  2. Über die Notwendigkeit, den Sonntag zu schützen, herrscht in weiten Teilen der Bevölkerung Übereinstimmung. Mehr als zwei Drittel der Bevölkerung lehnen eine Ausweitung der Ladenöffnungszeiten am Sonntag ab. Nur eine Minderheit will am Sonntag einkaufen. Die Behauptung, die Bevölkerung hätte den Sonntag zum großen Teil abgeschrieben, ist ebenso falsch wie die Annahme, eine Mehrheit wolle am Sonntag einkaufen oder gar arbeiten. Es ist verantwortungslos, wenn auf diese Weise das Bild einer Gesellschaft gezeichnet wird, die mit dem Sonntag als einem Tag der Arbeitsruhe und der Besinnung nichts mehr anzufangen weiß.
  3. Es gehört zu den besonderen Aufgaben der Kirchen, sich für die Kultur des Sonntags zu engagieren. Die Wahrung des gemeinsamen Ruhetags ist in den Zehn Geboten fest verankert. Der Sonntag hat für Christen seine herausragende Bedeutung als Tag der Auferstehung Christi gewonnen. Beides zusammen prägt das Verhältnis der Christen zu diesem Tag. Die bewußte Gestaltung des Sonntags durch den Gottesdienst, in den Gemeinden, im persönlichen Leben, in den Familien ist deshalb das erste, was sie zur Sonntagskultur beizutragen haben. Die Christen und die Kirchen tragen zugleich Mitverantwortung für das gesellschaftliche Zusammenleben. Es dient der Gesellschaft im ganzen, wenn die Kirchen nachdrücklich für den Schutz des Sonntags eintreten.

Der Sonntag ist gefährdet

  1. Übergreifende wirtschaftliche und gesellschaftliche Veränderungen haben Auswirkungen auf den Sonntag. Der Wandel von der Industriegesellschaft zur Dienstleistungs- und Informationsgesellschaft verändert die Gestalt und die Organisationsform der Arbeit. Das Angebot an personenbezogenen Dienstleistungen wächst. Hiermit unmittelbar verbunden ist eine Veränderung im Nachfrageverhalten, und mit dem Nachfrageverhalten ändern sich auch Lebensstile, das Freizeitverhalten und damit das Zueinander von Arbeit und Freizeit. Diese übergreifenden wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Veränderungen sind durch ein Mehr an Mobilität und Flexibilität gekennzeichnet. Sie bewirken eine "Beschleunigung des Lebens". Die Auflösung der Zeitstrukturen wird auch erlebbar auf der gesellschaftlichen Ebene - durch die Auflösung der tradierten Regel, einen Tag als Ruhetag herauszuheben. Es ist ein Weg in Richtung auf die Rund-um-die-Uhr-Gesellschaft mit dem Prinzip "alles zu jeder Zeit".
  2. Problematisch ist diese Entwicklung, wenn das ökonomische Kalkül alle Lebensbereiche bestimmt, soziale Beziehungen belastet und persönliche Zeitgestaltung immer mehr einengt. Dann geraten auch die persönliche Zeit und das Miteinander in Familie und Freundschaft in den Sog der Wirkungen, die von Angebot und Nachfrage ausgehen. Auch die Einstellungen in der Bevölkerung ändern sich. Die Unterschiede zwischen Sonntag und Werktag werden zunehmend verwischt. All dies gefährdet den Sonntag und seine humanisierende Funktion. Ohne Sonntag gibt es nur Werktage. Ein verantwortlicher Umgang mit diesen Entwicklungen ist nur dann gewährleistet, wenn die Frage gestellt und beantwortet wird, wo die Grenzen liegen und welche Freiräume bewahrt werden sollen. Dabei muß bewußt sein: Der Sonntag ist nicht ein Überbleibsel einer vergangenen Epoche, sondern eine Chance für eine Gesellschaft im Wandel.
  3. Seit längerer Zeit ist eine schleichende Aushöhlung des Sonntagsschutzes in Deutschland zu beobachten. Immer wieder wurden Einschnitte in den Schutzbereich dieses Tages vorgenommen. Für sich genommen waren sie jeweils so bemessen, daß sie von vielen Bürgerinnen und Bürgern als "geringfügig" oder "hinnehmbar" eingeschätzt wurden. Tatsächlich aber führen das Ausmaß und die Qualität der Eingriffe zu einer substantiellen Beeinträchtigung des Charakters des Sonntages und seiner in Familie und Gesellschaft ausgeprägten Kultur.
  4. Schon die bisherigen Eingriffe haben insgesamt einen besorgniserregenden Umfang. Über viele einzelne Stationen wurde der Sonntag fortschreitend ausgehöhlt. Zu diesen Stationen zählen:
    • die Neuregelung des Arbeitszeitrechts im Jahr 1994;
    • die Neuregelung des Ladenschlußgesetzes im Jahr 1996;
    • die Erhöhung der Zahl der Sonntage, an denen die Geschäfte in Kur- und Erholungsorten geöffnet sein dürfen;
    • die überzogene Anerkennung von Orten als Erholungsorten und Tourismuszielen einzig zu dem Zweck, in ihnen erweiterte Ladenöffnungszeiten zu ermöglichen (Bäder- und Tourismusverordnungen);
    • die Ausweitung der Sonntagsarbeit durch die sog. Bedürfnisgewerbeordnungen der Länder, beispielsweise im Beratungs- und Dienstleistungsbereich;
    • die Erteilung von Ausnahmegenehmigungen vom Sonntagsarbeitsverbot auch in sehr zweifelhaften Fällen.
  5. Durch die ausgiebige Inanspruchnahme von Ausnahmegenehmigungen ist in den Bereichen von Handel und Dienstleistungen die Sonntagsarbeit innerhalb von nur sieben Jahren um die Hälfte angestiegen. Forderungen nach weiteren Ausnahmen verbunden mit Gesetzesübertretungen lassen einen "Flächenbrand" befürchten, der zu Lasten der Menschen und der Gesellschaft geht. Die Auswirkungen auf die betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie ihre Familien werden dabei in unvertretbarer Weise verharmlost. Die Arbeit anderer wird zur Verschönerung des eigenen Sonntags bereitwillig in Anspruch genommen, ohne daß die Nutznießer sich eingestehen, welcher soziale Preis dafür zu zahlen ist. Sonntagsarbeit zählt zu den unbeliebtesten Arbeitsformen. Wenn den beschriebenen Tendenzen nicht Einhalt geboten wird, droht eine Teilung der Gesellschaft in Sonntagsverlierer und Sonntagsgewinner.
  6. Der gesellschaftliche Wandel, den wir erleben, hat Auswirkungen auf den Umgang mit dem Sonntag. Die Individualisierung der Lebensformen verändert den Stellenwert der gemeinsamen freien Zeit. Das zeigt sich auch im Umgang vieler Christen mit dem Sonntag. Auch unter ihnen ist bisweilen das Interesse an der religiösen und kulturellen Bedeutung dieses Tages zu schwach ausgeprägt. Es gibt bei vielen eine Verlegenheit, wie sie den Sonntag feiern und gestalten sollen. Wenn Christen dem Sonntag eine hohe Bedeutung für die Gesellschaft zusprechen wollen, ist es wichtig, daß sie auch selbst diesen Tag auf neue Weise heiligen. Die gottesdienstliche Feier des Sonntags und seine gemeinsame Gestaltung in der Gemeinde, in der Familie oder im Freundeskreis muß mit neuem Leben erfüllt werden.

Menschen brauchen den Sonntag

  1. Menschen brauchen den Sonntag. Der Wechsel von Arbeit und Ruhe gehört zum Leben und Dasein des Menschen. Der Sonntag unterbricht den Kreislauf von Arbeit und Konsum. Auch der Umgang mit der Freizeit soll nicht nur von Markt und Geschäft bestimmt sein. Der Grundsatz "Zeit ist Geld" soll nicht alle Tage beherrschen. Menschen müssen Zeit haben für das, was sich ökonomisch nicht rechnet. Dafür steht der Sonntag. Die Christen, die ihn als ersten Tag der Woche feiern, berufen sich für ihn zugleich auf die Tradition des Sabbats im Alten Testament: "Sechs Tage darfst du schaffen und jede Arbeit tun", heißt es dort. "Der siebte Tag ist ein Ruhetag, dem Herrn, deinem Gott, geweiht" (5. Mose/Deuteronomium 5,13-14).
  2. Der Sonntag gibt dem Zeitempfinden einen wiederkehrenden Rhythmus und gewährt einen regelmäßigen Freiraum. Er verhilft zu dem notwendigen Abstand von dem sich beschleunigenden Wandel, von dem Anpassungsdruck des Erwerbslebens wie des Freizeitverhaltens. In der Leistungsgesellschaft bietet er eine Zone der Freiheit vom Leistungsdruck. Zum verantwortlichen Umgang mit der Zeit gehört die regelmäßige Unterbrechung. "Zeitbrachen", also unbewirtschaftete Zeit, sind für die Wahrnehmung menschlicher Freiheit unentbehrlich. Wer seine Zeit bis zum Äußersten auskaufen will und den Rhythmus der Zeit mißachtet, untergräbt die natürlichen Lebensbedingungen ebenso wie die Bedingungen der Freiheit.
  3. Menschen leben in Beziehungen: der Familie, der Gemeinschaft von Freunden, der Nachbarschaft, dem sozialen Umfeld. Diese Beziehungen können nur gelingen, wenn gemeinsame freie Zeit für sie eingesetzt werden kann. Der Sonntag ist ein Tag der Arbeitsruhe, an dem möglichst viele Menschen zur gleichen Zeit "frei" haben sollen. Der Zusammenhalt in überschaubaren Gemeinschaften wie in der Gesellschaft im ganzen wird nicht allein durch wirtschaftliche Güter gewährleistet; dazu gehört auch die gemeinsame Teilhabe an kulturellen Gütern, das gemeinsame Erleben, Wahrnehmen und Gestalten der Zeit. Gerade in einer mobilen Gesellschaft, in der viele durch ihre Arbeit angespannt sind oder ohne gesicherte Erwerbsarbeit sich um ihr Leben sorgen müssen, ist der Sonntag für die Erneuerung des gemeinsamen Lebens unersetzlich. Wo diese Quelle der Erneuerung fehlt, verstärken sich die Zerreißproben. Wenn der Vater seinen "Sonntag" am Montag hat, die Mutter am Mittwoch und die Kinder am Sonntag, belastet dies die Familie und trägt zur Entstehung von Konflikten bei.

Christen feiern den Sonntag

  1. Weil Jesus Christus am ersten Tag nach dem Sabbat (Markus 16,2) von den Toten auferweckt wurde, feiern Christen den Sonntag als den Tag des Herrn. Der Sinn des Sabbats wurde in die Feier des Sonntags aufgenommen. Der erste der sieben Schöpfungstage ist der Anfang der Schöpfung. Die Auferstehung Jesu Christi ist der Anfang der neuen Schöpfung. So umgreift der Sonntag alte und neue Schöpfung. Wer den Sonntag feiert, bekennt: Christus ist auferstanden, er lebt. Der Sonntag als der erste Tag der Woche drückt die Freude an der alten wie an der neuen Schöpfung aus. Den Dank für die Schöpfung und den Lobpreis für die Auferstehung Christi haben die Christen von Anfang an im Gottesdienst zum Ausdruck gebracht. "Indem Christen sich zum Gottesdienst versammeln, verdeutlichen sie, daß die Unterscheidung des Sonntags vom Alltag dem Leben dient. Die Feier des Sonntags ist die Antwort der Christen auf das, was Gott getan hat. (...) Es ist wichtig, an diesem Tag uns zu besinnen und zur Ruhe zu kommen, damit wir entdecken, wofür wir zu danken haben." (Gemeinsames Wort der Deutschen Bischofskonferenz und des Rates der EKD "Den Sonntag feiern", 1984)
  2. Schon in der Zeit der Apostel begann der "erste Tag nach dem Sabbat" den Lebensrhythmus der ersten Christen zu bestimmen. Diesen Tag wählten sie, um sich zu versammeln und "das Brot zu brechen" (Apostelgeschichte 20,7-12), sie feierten Gottesdienst. Wo immer sich seitdem Menschen zum Gottesdienst versammeln, gewinnt die Versöhnung in Jesus Christus konkrete Gestalt. Im Gottesdienst sammelt und erhält Gott seine Kirche.
  3. Mit dem Gebot der Heiligung des Sonntags beansprucht Gott das ganze Leben und die ganze Zeit des Menschen. Sein Tun soll ein besonderes Tun und seine Zeit eine besondere Zeit sein. Der Sonntag ist Hinweis und Verheißung auf die erlösende Ruhe und Freude im Reich Gottes. Der Sonntag muß deshalb ein besonderer Tag bleiben. Der Sinn des Sonntags auch in seinen Auswirkungen auf die Gesellschaft bleibt an diesen besonderen Tag gebunden. Der Sinn des Sonntags läßt sich nicht von dem besonderen Tag ablösen; er ginge dadurch im ganzen verloren. Die Sonntagsruhe läßt sich nicht durch irgendeine Ruhepause zwischen den Zeiten der Arbeit ersetzen.

Eintreten für den Sonntag

  1. Der Sonntag als Tag der Arbeitsruhe und der Besinnung ist gerade in einer Zeit des gesellschaftlichen Wandels für die humane Qualität menschlichen Lebens und Zusammenlebens unentbehrlich. Deshalb setzen die Kirchen sich für den Schutz des Sonntags und die Pflege der Sonntagskultur ein. Es ist wichtig, daß die lebensdienliche Bedeutung und die künftige Gestaltung des Sonntags in allen Bereichen der Gesellschaft neu diskutiert werden.
  2. Zu den Aufgaben der gesetzgebenden Organe gehört es, den Schutz des Sonntags im Sinne der Verfassung entschieden zu sichern. Dies gilt für die Kommunen und Länder, aber auch für den Bund und zunehmend auch für die europäische Ebene. Nur großflächige Regelungen zum Sonntagsschutz werden der kulturprägenden Bedeutung des Sonntags gerecht. Die Ladenöffnungszeiten sind so zu gestalten, daß der Schutz des Sonntags durch das Grundgesetz gewährleistet bleibt. Der Mißachtung der rechtlichen Regelungen zum Schutz des Sonntags muß energisch entgegengetreten werden. Wer die geltenden Regelungen zu umgehen versucht oder offen zu ihrem Bruch aufruft, untergräbt die Grundlagen der gesamten Rechtsordnung.
  3. Wir rufen die politisch Verantwortlichen auf, einer weiteren Ausweitung der Sonntagsarbeit und einer schleichenden Aushöhlung des Sonntagsschutzes Einhalt zu gebieten. Die Ausnahmen vom Verbot der Sonntagsarbeit müssen sich auf das beschränken, was an Diensten und Angeboten im Interesse des Allgemeinwohls, zugunsten hilfsbedürftiger Menschen und im Blick auf eine sinnvolle Gestaltung der freien Zeit wirklich nötig ist. Zu den notwendigen Ausnahmen vom Verbot der Sonntagsarbeit zählen nicht diejenigen Dienstleistungen, die aufschiebbar sind und damit auch an Werktagen erbracht werden können. In Kommunen und Städten muß dem Vordringen kommerzieller Veranstaltungen und Verkaufsschauen Grenzen gesetzt werden. Der Weg in die Dienstleistungsgesellschaft mit seinen Folgen für die Sonntagsarbeit muß verantwortlich gestaltet werden. Gerade wegen der unabweisbaren Veränderungen in einer Dienstleistungs- und Informationsgesellschaft muß die Politik den Beitrag, den der Sonntag für die humane Gestaltung der Gesellschaft leistet, erkennen und bewahren.
  4. Die Wirtschaft trägt im Blick auf die Erhaltung des Sonntags eine große Verantwortung. Ein Teil der Wirtschaft erkennt diese Verantwortung an und leistet den notwendigen Beitrag zum Schutz des Sonntags. Ein anderer Teil will die Sonntagsarbeit insbesondere im Handel und in den Dienstleistungen ermöglichen und beruft sich dafür auf die veränderten Sonntagsgewohnheiten in der Bevölkerung. Wer das fordert, sollte die Folgen für die Arbeitenden und ihre Familien bedenken. Aber ebenso müssen die Auswirkungen auf kleinere Unternehmen im Blick sein, die bei einer solchen Entwicklung nicht mithalten können. Die regelmäßige Unterbrechung der Arbeitswoche darf nicht einfach als wirtschaftlicher Nachteil gesehen werden. Wenn den Erwerbstätigen eine zeitlich uneingeschränkte Flexibilität abverlangt wird, dann geraten Gesundheit, persönliche Stabilität und Sicherheit in Gefahr; am Ende wird dadurch gerade die Leistungsfähigkeit untergraben, auf welche die Wirtschaft angewiesen ist. Die Verantwortung der Wirtschaft darf sich nicht auf ein kurzfristiges betriebswirtschaftliches Kalkül beschränken. Auch die Wirtschaft trägt Mitverantwortung für Mensch, Gesellschaft und Kultur.
  5. Wir laden die Partner in anderen gesellschaftlichen Bereichen ein, sich am konstruktiven Gespräch über den Sonntag und seine Bedeutung für die Menschen zu beteiligen. Es ist eine gemeinsame Aufgabe in der Zivilgesellschaft, den grundsätzlichen Konsens über den Schutz des Sonntags zu wahren. Auch beim Eintreten für den Sonntag ist der Kirche das Zusammenwirken mit anderen gesellschaftlichen Kräften wichtig. Es geht nicht nur um den Schutz, sondern auch um die Gestaltung eines besonderen Tages für den Menschen, für die Familie, für die Gemeinschaft und für Gott. Die Gesellschaft insgesamt hat hier eine wichtige Gestaltungsaufgabe.
  6. Der Sonntag ist für alle Menschen - gleich welcher religiösen oder weltanschaulichen Überzeugung - ein Angebot zur Besinnung und zum Innehalten. Er bietet einen Raum, sich die wichtigen und entscheidenden Fragen bewußt zu machen: Wer bin ich? Wohin gehe ich? Aus welcher Quelle lebe ich? Wofür lohnt es sich zu leben? Er bietet ebenso Raum für herausgehobene, festlich gestaltete Begegnungen mit anderen. Durch ihr eigenes Tun und Lassen entscheiden die Menschen darüber, welchen Wert und welche Qualität der Sonntag für sie hat.
  7. Wir bitten die Christen , öffentlich für den Wert des Sonntags einzutreten und durch ihr Verhalten die Bedeutung von gewährter Zeit, von gemeinsamer Freizeit, von Besinnung und Ruhe bewußt zu machen. Kirchen und Christen stehen vor der Aufgabe, den christlichen und humanen Sinn des Sonntags verständlich zu machen und ihm neue Anziehungskraft zu verleihen. Sie können sich nicht damit begnügen, den Schutz des Sonntags politisch zu fordern; entscheidend ist, wie sie selbst mit ihm umgehen. Für Christen gehört zu den Begegnungen, die der Sonntag ermöglicht, auch die Versammlung vor Gott. Damit weist der Sonntag über sich hinaus. Er zeigt, daß alle Zeit in der Hand Gottes liegt. Menschen dürfen nicht unbegrenzt durch die von ihnen selbst geschaffenen Zwänge beansprucht werden. Die Bewahrung und zukunftsorientierte Gestaltung des Sonntags ist möglich, wenn sich die Christen gemeinsam mit anderen mutig zu ihm bekennen, ihn als eine bereichernde Gabe Gottes annehmen und mit ihm für ein menschlicheres Gemeinwesen eintreten. Der Sonntag muß von jeder Generation lebendig gehalten und erneuert werden.

16. September 1999