Die Mobilität junger Menschen zu Lernzwecken fördern

Stellungnahme zum Grünbuch der Kommission der Europäischen Gemeinschaften

A. Kontext der Stellungnahme

Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) ist der Zusammenschluss von 22 protestantischen Landeskirchen lutherischer, reformierter und unierter Tradition in der Bundesrepublik Deutschland. Sie repräsentiert ca. 25 Millionen Christinnen und Christen.

Für die Evangelische Kirche ist seit ihren Anfängen in der Reformation Bildung ein zentrales Thema und Anliegen. Jeder Mensch – gleich welcher sozialen Herkunft oder Geschlechts – soll dazu befähigt werden, eigenständig und verantwortungsvoll denken und auch handeln zu können. Um dies zu ermöglichen, ist die Realisierung eines umfassenden Bildungsverständnisses nötig. Dafür setzt sich die EKD gemeinsam mit dem Diakonischen Werk , ihrem Wohlfahrtsverband, in zahlreichen Einrichtungen der formalen und nonformalen Bildung in Deutschland ein.

Gemeinsam mit anderen gesellschaftlichen Institutionen und Trägern teilt sie die Verantwortung im öffentlichen Bildungswesen. Auf der Basis des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland (Art. 7 GG.) räumt der Staat den Kirchen und Religionsgemeinschaften als freien Trägern konfessioneller Kindertagesstätten und Schulen eine Mitverantwortung für das Bildungswesen ein.
- In Deutschland werden in ca. 8200 evangelischen Kindertagesstätten und Horten, das sind 17 % der bestehenden Einrichtungen, annähernd 495 000 Kinder betreut.
- In ca. 1150 evangelischen Lehranstalten werden etwa 170 000 SchülerInnen unterrichtet.
- In den staatlichen Schulen dient der Religionsunterricht, an dem wöchentlich mehr als drei Mio. SchülerInnen teilnehmen, der persönlichen Grundrechtsausübung: Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene sollen sich frei und selbständig religiös orientieren können.
- Eine große Bedeutung haben die 170 evangelischen Förderschulen. Mit fünf Prozent des gesamten Angebots dieser Schulart erfüllen sie in besonderer Weise den diakonischen Auftrag der Kirche.
- Die EKD und das Diakonisches Werk der EKD sind außerdem freier Träger von Berufsbildungswerken. Etwa 53 000 Jugendliche werden in 596 berufsbezogenen Schulen in kirchlicher Trägerschaft ausgebildet.
- Die Evangelische Kirche ist an den Hochschulen u.a. in Studierendengemeinden und -gruppen, christlichen Foren und Veranstaltungsinitiativen und nicht zuletzt in den theologischen und religionspädagogischen Fakultäten, Fachbereichen und Lehrstühlen präsent. In Deutschland gibt es elf evangelische Fachhochschulen und 20 theologische Fakultäten.

Übergemeindliche Erwachsenenbildung findet in Familienbildungsstätten und evangelischen Akademien statt. Jährlich werden mit etwa 2000 Veranstaltungen mehr als 100 000 TeilnehmerInnen erreicht.

Bildungsarbeit findet darüber hinaus auch im unmittelbaren Bereich der Kirche, überwiegend in den Kirchengemeinden, statt: im Konfirmandenunterricht, in den verschiedenen Gruppen und Projekten der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen sowie in den vielfältigen Veranstaltungen zur Erwachsenenbildung, zu der auch die Arbeit mit Senioren sowohl in Kirchengemeinden als auch in Pflege- oder Altersheimen gehört.

Schließlich kommen die EKD und das Diakonische Werk ihrem Bildungsauftrag auch im Migrationsbereich nach. Beispielhaft sollen hier nur 144 Beratungsstellen Migration, sieben Beratungsstellen für Auswanderer bzw. Auslandstätige oder 112 Beratungsstellen für Flüchtlinge aufgeführt werden.

Im Bereich von internationalen Jugendaustauschprogrammen bieten 13 Beratungsstellen ein differenziertes Vermittlungs- und Begleitungsangebot für ausländische Au-pairs an und vermitteln sichere Auslandsaufenthalte für junge deutsche Menschen.

 

B. Vorbemerkungen

Die EKD begrüßt das Engagement der Europäischen Kommission zur Förderung junger Lernender und teilt deren Einschätzung, dass die Zahl der Jugendlichen, die zu Bildungs- und Ausbildungszwecken eine gewisse Zeit im Ausland verbringen, noch zu gering ist.

Die vielfältigen Erscheinungsformen weltweiter Globalisierungsprozesse sind im 21. Jahrhundert zu einem elementaren Bestandteil unserer gesellschaftlichen Wirklichkeit geworden. Dazu zählt auch eine zunehmende ethnische und kulturell-religiöse Heterogenität, die einerseits eine Bereicherung für die Gesellschaft darstellt, andererseits auch ein großes Konfliktpotenzial mit sich bringt. Es ist daher ein allgemeines Bildungsziel einer jeden Persönlichkeitsentwicklung, konstruktiv mit kultureller Vielfalt umgehen zu können. Auslandserfahrungen können die Ausbildung dieser Fähigkeit begünstigen. In der persönlichen Auseinandersetzung mit der eigenen Lebenswelt durch Erfahrungen in einer fremden Lebenswelt können christliche Werte wie Achtung allen menschlichen Lebens, Toleranz, Friedfertigkeit, interkulturelle und interreligiöse Sensibilität sowie (gesellschaftliches) Verantwortungsbewusstsein gefördert werden. Insofern ist es ein kirchliches Anliegen, die Mobilität junger Menschen weiter auszubauen.

Eine besondere Beachtung verdient das Bildungs- und Kompetenzverständnis, das nicht nur dem zu konsultierenden Grünbuch, sondern auch anderen EU-Dokumenten zugrunde liegt. Deshalb soll an dieser Stelle auf die „Schlussfolgerungen des Rates vom 12. Mai 2009 zu einem strategischen Rahmen für die europäische Zusammenarbeit auf dem Gebiet der allgemeinen und beruflichen Bildung“ (2009/C 119/02)  hingewiesen werden. Der Rat der Europäischen Union betont darin, dass die Weiterentwicklung der Systeme der allgemeinen und beruflichen Bildung in den Mitgliedstaaten mit zwei Hauptzielen verfolgt werden soll:
- „persönliche, soziale und berufliche Entwicklung aller Bürger“
- „nachhaltiger wirtschaftlicher Wohlstand und Beschäftigungsfähigkeit unter gleichzeitiger Förderung der demokratischen Werte, des sozialen Zusammenhalts, des aktiven Bürgersinns und des interkulturellen Dialogs“.

Vor dem Hintergrund dieser allgemeinen Zielbestimmung bildungspolitischen Interesses erscheint
1. die Bedeutung der Mobilität zu Bildungszwecken im Grünbuch vorrangig an wirtschaftspolitische Ziele gekoppelt.
2. das Bildungsverständnis des Grünbuches an vielen Stellen zu eng auf das formale Bildungssystem (Lernen) bezogen.


Ad 1. Die Bedeutung der Mobilität

Es ist zweifelsohne richtig und wichtig, dass ein Auslandsaufenthalt neben der Förderung eines europäischen Bürgersinns, der Sprachkenntnisse und der interkulturellen Kompetenzen europäischer Jugendlicher auch die Wettbewerbsfähigkeit Europas verbessern kann. Weil durch ebendiese Qualifikationen die Qualität der Arbeitskräfte gesteigert wird, dient die Förderung der Mobilität junger Menschen nicht nur der Umsetzung der Lissabon-Strategie für Wachstum und Beschäftigung, sondern auch der Beschäftigungsfähigkeit und dem damit verbundenen Wohlergehen der Bürger selbst.

Die Formulierungen des Grünbuches erwecken allerdings den Eindruck, dass die Förderung der Mobilität junger Menschen zu Bildungszwecken in erster Linie arbeitsmarkt- bzw. wirtschaftspolitische Ziele verfolgt. Der bzw. die Jugendliche erscheint so als bloßes Instrument wirtschaftlicher Interessenträger, was sich insbesondere in Formulierungen wie „die Mobilität zu Lernzwecken verbessert die Qualität des Humankapitals“  niederschlägt. Bildung und insofern auch die Förderung der Mobilität zu Bildungszwecken muss aber zu aller erst den bzw. die Jugendliche(n) selbst im Blick haben.

Jacques Delors, der von 1985-1995 Präsident der Europäischen Kommission war, sagte 1992: "Wenn wir es innerhalb von zehn Jahren nicht schaffen, Europa eine Seele zu geben, eine Spiritualität und einen Inhalt, dann ist das Spiel aus." Leitend war dabei die Erkenntnis, dass wirtschaftspolitische Interessen allein kaum zu einer Herzenssache der Europäer werden können.

„Europa“ ist von Beginn an mehr als eine geographische Größe oder ein Wirtschaftraum. Europa ist auch ein Kulturraum: So viele Länder zu Europa gehören – mindestens so viele Kulturen prägen die europäische Gemeinschaft. Ein weiter Kulturbegriff umfasst die Gesamtheit der von Menschen selbst hervorgebrachten und im Zuge ihrer Sozialisation erworbenen Voraussetzungen sozialen Handelns, d.h. die Kultur einer Gemeinschaft wird charakterisiert durch ihre typischen Arbeits- und Lebensformen, Denk- und Handlungsweisen, Wertvorstellungen und geistigen Lebensäußerungen. Begreift sich die Europäische Gemeinschaft als „in Vielfalt geeint“ , dann gilt das ebenso für einen europäischen Kulturbegriff. Eine „Kultur Europas“ ist durch ihre Pluralität in geographischer, sprachlicher, historischer, politischer oder auch religiöser Hinsicht gekennzeichnet. In der Vielfalt der nationalen Eigenheiten lässt sich dennoch eine Schnittmenge ausmachen, zu der man auch ein gemeinsames Wertesystem zählen kann.

Verfolgt die EU das Ziel, die demokratischen Werte, den sozialen Zusammenhalt, einen aktiven europäischen Bürgersinn und den interkulturellen Dialog zu fördern, dann wird dies nicht (allein) durch die Gestaltung des gemeinsamen Marktes geschehen können. Ein öffentliches Bewusstsein sowohl für die Kultur des eigenen Landes als auch für eine Kultur Europas kann nur in der Auseinandersetzung mit den eigenen und den gemeinsamen Werten wachsen. Die Bedeutung der Mobilität liegt für junge Menschen demnach in erster Linie in der Möglichkeit der Beschäftigung mit der europäischen Kultur und damit in der Aneignung interkultureller Kompetenz, d.h. in der Aneignung der Fähigkeit zum konstruktiven Umgang mit kultureller Vielfalt.

Deshalb regt die EKD an, die Formulierungen zur Bedeutung der Mobilität junger Menschen zu Bildungszwecken zu überdenken und das Interesse der EU an der persönlichen Entwicklung der jungen Menschen vor ihre wirtschaftspolitischen Interessen zu stellen.


Ad 2. Ein umfassendes Bildungsverständnis

Vor diesem Hintergrund und im Hinblick auf die oben erwähnten Schlussfolgerungen des Rates zur allgemeinen und beruflichen Bildung vom 12. Mai 2009 ist es unserer Ansicht nach notwendig, das Anliegen der Förderung der Mobilität junger Menschen zu Bildungszwecken in einem umfassenden Bildungsverständnisses zu gründen.

Nach dem Bildungsverständnis, das die EKD vertritt, steht im Zentrum jeglichen Bildungsinteresses der Mensch als Individuum in seiner Bezogenheit zu Gott, zu sich selbst, zu seinen Mitmenschen, seiner Umwelt und Gesellschaft. Insofern beschreibt Bildung in erster Linie einen lebenslangen Prozess der Identitätsentwicklung eines Menschen frei jeglicher fremder Funktionalisierung. Dieses auf die Entwicklung der Person bezogene Bildungsverständnis trägt der Würde eines jeden Menschen Rechnung.

Auf dieser Grundlage umfasst Bildung mehr als die Aneignung von Wissen durch Lernen. Bildung fragt nach der Substanz und den Zielen von Wissen und Lernen. Bildung hat den einzelnen Menschen als Person im Blick und verfolgt dessen Förderung und Entfaltung. Bildung bedeutet deshalb die Förderung von Selbstverantwortung, Handlungsfähigkeit und Mündigkeit eines Menschen. Sie zielt auf eine reflektierte Auseinandersetzung mit der Welt und verfolgt die Ausbildung sozialer und gesellschaftlicher Verantwortung. Dabei geht es auch um die Aneignung eines Wertebewusstseins. Ein solches Bewusstsein ist jedoch weniger erlernbar, sondern erwächst vielmehr aus eigenen Erfahrungen und Lebensdeutungen. Zeit, Raum, Freiheit und Geduld sind dafür nötig und auch Scheitern muss mit einbezogen werden.
Bildung kann also nur in ihrer Mehrdimensionalität begriffen werden: Bildung umfasst ethische, soziale, religiöse, ästhetische, geschichtliche und philosophische Bildung. Erziehungs- und Bildungsaufgaben erstrecken sich demnach sowohl auf den schulischen als auch auf den außerschulischen Bereich und vollziehen sich in informeller, nonformaler und formaler Bildung.

Deshalb regt die EKD an, das dem Grünbuch zugrunde liegende Bildungsverständnis weiter zu fassen und neben dem Aspekt des formalen Lernens die Bedeutung der informellen und nonformalen Bildung hervorzuheben, die gerade im Zusammenhang mit dem Stichwort Mobilität einen hohen Stellenwert besitzen. Das hätte auch eine Änderung der Zielformulierung zur Folge: Die Förderung der Mobilität junger Menschen zu „Bildungszwecken“ anstatt zu „Lernzwecken“.

 

C. Konsultationsfragen

Die oben gegebenen Vorbemerkungen bilden die Grundlage für unsere Bearbeitung konkreter Fragen des Grünbuchs.

1. Vorbereitung von Mobilitätsphasen
1.1 Wie können die Verfügbarkeit von Informationen und Beratung zum Thema Mobilität verbessert werden?

Die EKD unterstreicht die Beobachtungen der Europäischen Kommission, dass vor allem bei jungen Menschen im Schulalter ein grundlegendes Bewusstsein für einen möglichen geförderten Auslandsaufenthalt nicht vorhanden ist. Viele staatliche aber auch evangelische Schulen oder evangelische Kirchengemeinden und deren Jugendgruppen haben keine oder nur sehr geringe Kenntnis über die verschiedenen europäischen Förderprogramme. Internetpräsenz allein nützt insofern wenig, wenn das Bewusstsein für die Möglichkeit eines Auslandsaufenthaltes nicht gegeben ist, das jeglicher aktiven Informationsaneignung zugrunde liegt. Unserer Meinung nach kommt es dennoch zuerst auf die persönliche Weitergabe von Informationen auch im Sinne von Erfahrungen an. Geeignete Medien, die die Zielgruppen erreichen, sind zu entwickeln. Hierbei ist darauf zu achten, dass die Informationszugänge so gestaltet sind, dass sie auch Jugendliche mit bildungsfernem Hintergrund erreichen.

Dazu ist es dringend nötig, die Vernetzungen auf staatlicher, regionaler und kommunaler Ebene weiter auszubauen, um den Informationsfluss gewährleisten zu können. Institutionen, Vereine, Organisationen und Behörden müssen voneinander wissen und miteinander kommunizieren können. Diese haben wiederum die kontinuierliche Aufgabe, die Zivilgesellschaft für die Möglichkeit eines geförderten Auslandsaufenthaltes zu sensibilisieren. Das kann durch Informationsveranstaltungen an Orten geschehen, wo sich sowohl Jugendliche als auch deren Eltern aufhalten wie z.B. in Schulen, Gemeinden oder Jugendtreffs. Auch könnten z.B. Arbeitsämter sowie Einrichtungen der öffentlichen Jugendhilfe darauf verweisen.
Als besonders wirkungsvoll erleben wir die Weitergabe von Informationen, Erlebnissen und Erfahrungen von jungen Menschen mit Mobilitätserfahrungen an andere junge Menschen ohne solche Erfahrungen. In Angeboten der Jugendarbeit und Jugendverbandsarbeit findet dieses sogenannte „peerlearning“ stetig statt und spielt ein herausgehobene Rolle. Eine Sicherung dieser Strukturen trägt auch zu einer guten Voraussetzung der Multiplikation von Mobilitätserfahrungen bei.

Auch aus Sicht der Evangelischen Studierendengemeinden (ESG)  ist eine gezielte Beratung und Motivierung der Studierenden unverzichtbar. Als geeignete Beratungsstellen stehen an vielen Hochschulorten ein Akademisches Auslandsamt, ein International Office o.Ä. zur Verfügung. Diese sollten natürlich mit entsprechenden Informationen ausgestattet sein (Kontakte, geeignete Hochschulen im Ausland, finanzielle Förderung, Stipendien). Insbesondere die Vielzahl der Stipendien und anderer Fördermöglichkeiten wird oft als verwirrend erlebt. Daher ist Hilfestellung dringend erforderlich. Sinnvoll wäre eine regelmäßig aktualisierte Aufstellung bzw. Datenbank aller Fördermöglichkeiten für einen Aufenthalt im Ausland. Das Internet stellt hier eine Plattform zur Verfügung, die besonders von den Studierenden intensiv genutzt wird.

Als sehr motivationsfördernd für Auslandsaufenthalte hat sich die Weitergabe von Erfahrungsberichten anderer Studierender in den Medien und Informationsveranstaltungen von Hochschulen zu Auslandsaufenthalten herausgestellt. Dieser Ansatz, die Studierenden als Erfahrungsträger mit einzubeziehen, kann mit Sicherheit noch verstärkt werden.

Bei all dem sollte nicht nur die Bedeutung eines Auslandsaufenthaltes für die Verbesserung der Fremdsprachenkenntnisse, sondern auch für die Erweiterung der interkulturellen und interreligiösen Kompetenz betont werden, denn in einer zunehmend pluralistischen europäischen Gesellschaft werden diese Fähigkeiten immer wichtiger.


1.2 Wie können jungen Menschen bessere Anreize geboten werden und wie können sie besser dazu motiviert werden, eine Mobilitätsphase zu absolvieren?

Eine längere Zeit im Ausland zu verbringen, ist für junge Menschen eine gewichtige Entscheidung. Um sie dafür zu ermutigen bzw. zu begeistern, bedarf es einerseits des persönlichen Erlebens und andererseits der persönlichen Weitergabe von Erfahrungen. Insofern kommt den Multiplikatoren eine enorme Bedeutung zu.

Kurze Auslandsaufenthalte in den Angeboten der Jugendarbeit oder im Schulalltag können das Interesse für einen längeren Aufenthalt im Ausland wecken. Die Träger der Evangelischen Jugendarbeit in Deutschland führen regelmäßig ein- bis zweiwöchige Begegnungsmaßnahmen in europäischen und anderen Ländern durch und empfangen Gruppen aus diesen Ländern in Deutschland. Die Durchführung solcher Ferienfahrten ist oft der Türöffner für ein Interesse an längerfristigen Austauscherfahrungen, z.B. mit dem Europäischen Freiwilligendienst. In solchen Settings werden darüber hinaus Freundschaften geschlossen, die häufig die persönlichen Lebensbiographien weiter begleiten und dadurch auch die Mobilität weiter fördern. Auch Schüleraustauschprogramme, Klassenfahrten ins Ausland, Schul- oder Klassenpartnerschaften können einen wichtigen Beitrag leisten.

Die Mobilität junger Menschen sollte bereichsübergreifend gefördert werden. Dabei kommt es darauf an, die Bandbreite der Auslandsprogramme wie z.B. der Europäische Freiwilligendienst oder Au-pair-Programme mit ihren unterschiedlichen Rahmenbedingungen zu vermitteln.

Außerdem sollte das Programm COMENIUS die Möglichkeit für die Förderung außerschulischer Praktika schaffen, so dass SchülerInnen aller Schularten und unabhängig von Schulpartnerschaften auch Praktika in ausländischen Betrieben oder Einrichtungen der Zivilgesellschaft wahrnehmen können.

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Aus- und Fortbildung der Fachkräfte und MultiplikatorInnen (Ehrenamtliche und Hauptberufliche in der Jugendarbeit, Lehrkräfte u.a.). Fachkräfte und MultiplikatorInnen können authentisch und anregend Informationen und Erfahrungen weitergeben, wenn sie sich selbst mit entsprechenden Themen und Problemstellungen auseinandergesetzt und möglichst auch eigene Erfahrungen gesammelt haben. Deshalb sollte von europäischer Ebene der Austausch guter Beispiele aus der fachlichen Praxis gefördert werden.

Tendenziell nutzen eher junge Menschen aus bildungsnahen Milieus eine Mobilitätsmaßnahme als Orientierungszeit, zur Entwicklung der eigenen Persönlichkeit und der Erweiterung ihrer Fremdsprachenkenntnisse. Attraktive Mobilitätsmaßnahmen müssen auf die individuellen Vorstellungen und Bedürfnisse zugeschnitten sein. Weiter ist es von großer Bedeutung, dass die Wertschätzung von Mobilitätsmaßnahmen im gesellschaftlichen Bewusstsein insgesamt zunimmt.

Wir unterstützen die Vorschläge der Bundesarbeitsgemeinschaft Evangelische Jugendsozialarbeit e.V. (BAG EJSA)  in ihrem Beitrag zum Grünbuch, wonach
- es sinnvoll ist, mit interessierten Jugendlichen und Aufnahmeeinrichtungen so genannte „matching“-Konferenzen zu veranstalten, während derer versucht wird, möglichst passende Einrichtungen bzw. Stellen für die Jugendlichen, und umgekehrt, zu finden.
- so genannte „Schnupperwochen“, die vor einem längerfristigen Aufenthalt in einem anderen Land absolviert werden, vor allem für benachteiligte Jugendliche hilfreich sind.
- benachteiligte Jugendliche besonders dadurch motiviert werden, wenn ihnen eine Aufnahme in einer Einrichtung, in der selbst benachteiligte Jugendliche arbeiten, angeboten werden kann.


1.3 Worin bestehen Ihrer Ansicht nach für junge Menschen die wichtigsten Hindernisse, die sie davon abhalten, eine Auslandserfahrung zu machen?
Wie können die sprachlichen und kulturellen Hindernisse, die der Mobilität entgegenstehen, am besten beseitigt werden?

Eine Barriere besteht darin, dass sich viele Jugendliche einen längeren Aufenthalt im Ausland aufgrund begrenzter sprachlicher Fähigkeiten nicht zutrauen.
Finanzielle Gründe halten ebenfalls viele junge Menschen davon ab, eine Mobilitätsmaßnahme wahrzunehmen. Staatlich nicht oder nur gering kofinanzierte Projekte nötigen die Familien zu einer finanziellen Beteiligung. Nicht selten müssen Reisekosten oder der finanzielle Aufwand für Verpflegung oder Unterkunft aus eigener Tasche gezahlt werden.

Die Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend in Deutschland e.V. (aej)  betont zurecht, dass der Bedarf an Einsatzmöglichkeiten z.B. in Freiwilligendiensten die zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel bei weitem übersteigt. Um der hohen Nachfrage zu entsprechen, bedarf es höherer finanzieller Unterstützung. Außerdem ist ein weiterer Abbau von bürokratischen und formalen Hürden für die Trägerorganisationen, die Mobilitätsprogramme der EU durchführen, nötig.

Eine weitere Barriere viel grundlegender Natur sind die sprachlichen und kulturellen Probleme, die es nicht nur im Hinblick auf die Mobilität junger Menschen gibt. Sie bestehen in den Bildungseinrichtungen vor Ort. Die sozialen Unterschiede an deutschen Schulen sind ein grundsätzliches Problem, das auch negative Konsequenzen für die Mobilität zur Folge hat.  Hierzulande ist der Bildungserfolg sehr stark von der sozialen Herkunft abhängig. So verlassen acht Prozent aller Kinder eines Jahrgangs die Schule ohne Abschluss. Unter Jugendlichen mit Migrationshintergrund ist die Abbrecherquote dreimal so hoch. Vielen Kindern und Jugendlichen fehlen elementare Grundkenntnisse, da sie keine individuelle Förderung erfahren – Kinder mit Migrationshintergrund sind wiederum besonders betroffen. Hier ist neben der Bildungspolitik die Sozial- und Familienpolitik gefordert. Um allen jungen Menschen eine Mobilitätserfahrung zu ermöglichen, müssen die entsprechenden Weichen in den entsprechenden politischen Ressorts gestellt werden.

Grundsätzlich fordern wir deshalb mehr Chancengleichheit im Bildungssektor. Diese wiederum gründet in einer durchlässigeren Gesellschaft, die es allen Kindern unabhängig von sozialer Herkunft, Geschlecht oder Behinderung ermöglicht, ihren Interessen, ihren Fähigkeiten und ihrem Wesen gemäß ausgebildet und gefördert zu werden, d.h. ihnen auch Zugang zu einem Auslandsaufenthalt während ihrer Ausbildung zu ermöglichen.

Schließlich stellt der hohe Verwaltungsaufwand im Zusammenhang mit EU-Mobilitätsmaßnahmen eine Hürde dar. Damit Jugendliche aus einem bildungsfernen Milieu einen Auslandsaufenthalt wahrnehmen können, muss der Verwaltungsaufwand umfassend reduziert und finanzielle Ressourcen frühzeitig zur Verfügung gestellt werden.


1.4 Auf welche wesentlichen Mobilitätshindernisse sind Sie in (rechtlicher Hinsicht) gestoßen?
Welche Maßnahmen sollten ergriffen werden, um die Mobilität in und aus der EU heraus zu fördern?

Staatliche Regelungen hinsichtlich der Sozialversicherungspflicht, der Versicherungskosten der Fortzahlung des Kindergeldes oder der Waisenrente stellen Jugendliche und deren Familien immer wieder vor Probleme. Für die Organisationen leiten sich aus der Sozialversicherungspflicht in der Praxis Arbeitgeberpflichten wie Arbeitsschutz oder Arbeitssicherheit ab, denen sie im Ausland nicht gerecht werden können.

Evangelische Bildungseinrichtungen begrüßen die Erwähnung eines Europäischen Praktikumstatuts  und unterstreichen dessen Bedeutung für die soziale Absicherung der Jugendlichen. Die Einrichtung eines speziellen Freiwilligen-Statuts, der Freiwilligendienste als Bildungsdienste und als Maßnahme nonformalen Lernens definiert, ist dringend nötig. Es sollte sicherstellen, dass die teilnehmenden Jugendlichen keine Arbeitnehmer sind und insofern von Sozialversicherungspflicht und Besteuerung auszunehmen sind.

Nach Angaben des Vereins für Internationale Jugendarbeit, einem Fachverband des Diakonischen Werkes der EKD (vij)  ist es zwingend erforderlich, dass der Charakter von Au-pair-Programmen im deutschen Recht eindeutig als ein Kulturaustauschprogramm zu definieren ist und als eine Jugendbildungsmaßnahme der Verantwortlichkeit des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) unterliegt. Au-pair-Programme in Deutschland werden jedoch grundsätzlich als Arbeitsverhältnisse betrachtet. Dies hat zur Folge, dass der international festgeschriebene Aspekt des Kulturaustausches in den deutschen Bestimmungen in den Hintergrund rückt. Mehr als 30.000 junge Menschen nehmen jedes Jahr an Au-pair-Programmen teil, kommen aus dem Ausland nach Deutschland bzw. junge Deutsche gehen mit dieser Maßnahme z.B. in ein europäisches Land, nach Amerika oder Australien.

Bei der Genehmigung von Visaanträgen ausländischer Au-pairs bei den zuständigen Konsulaten sollte die Vermittlung über zertifizierte Agenturen in die Beurteilung mit eingehen und vorhandene Ermessensspielräume bei der Genehmigung zum Tragen kommen. Die Botschaften in den Herkunftsländern der Au-pairs sollten auf ihrer Homepage Informationen, Auskunft und Hinweise über sichere und anerkannte Auslandsprogramme geben.

Die europäische Ebene sollte entsprechende Empfehlungen an die Mitgliedstaaten aussprechen, um den Charakter des Au-Pair-Aufenthalts als kulturelle Lernerfahrung zu stärken und den TeilnehmerInnen Ausbildungsqualität und persönliche Sicherheit zu garantieren.

Die Evangelischen Studierendengemeinden (ESG) nehmen zudem in den letzten Jahren wahr, dass es den Studierenden aufgrund der zeitlichen Belastung durch das Studium immer schwerer fällt, sich neben dem Studium ehrenamtlich zu engagieren. Ebenso ist es für sie immer schwieriger, neben dem Studium Geld zu verdienen, um ein finanzielles Polster für einen Auslandsaufenthalt zu erwerben. Neben der Übertragbarkeit von Stipendien und Darlehen sind daher die grundsätzlichen Fragen der Finanzierung eines Auslandsaufenthaltes noch zu verbessern.


1.5 Welche Maßnahmen sollten ergriffen werden, damit die Mobilitätsphase von hoher Qualität ist?

Ein Auslandsaufenthalt sollte von Beginn an von den Trägerorganisationen begeleitet werden. Tagungen und Workshops zur Vorbereitung von jungen Menschen, die Durchführung und Nachbereitung eines Auslandsaufenthaltes sollten eine kontinuierliche Reflexion der Erlebnisse der Jugendlichen gewährleisten. Dadurch vollzieht sich interkulturelle Bildung. Schon im Vorfeld einer Mobilitätsphase sollte zu der Möglichkeit eines Sprachkurses auch die begleitete Auseinandersetzung mit der Kultur des Gastlandes gehören, die auch die Auseinandersetzung mit dessen Religion(en) einschließt.

Grundsätzlich sollten Organisationen, die Jugendliche ins Ausland entsenden und dort begleiten, einheitlichen Qualitätsstandards entsprechen und sich einem kontinuierlichen Qualitätsmanagementprozess anschließen, der sowohl die Eigen- als auch die Fremdevaluation umfasst. Grundlage dafür kann die „Europäische Qualitätscharta für Mobilität“  sein.

Der Verein für Internationale Jugendarbeit (vij) weist in diesem Zusammenhang daraufhin, dass die Agenturenpflicht für die Vermittlung von Au-pair-Programmen, die in anderen europäischen Ländern mit Erfolg praktiziert wird, in Deutschland 2002 leider aufgehoben wurde. Die mit Unterstützung des BMFSFJ erarbeiteten Qualitätsstandards – wie z.B. das RAL-Gütezeichen  – sind wichtig für die Weiterentwicklung des Au-pair-Wesens, reichen aber als Ersatz nicht aus, da sie nicht zwingend für die Arbeit von Agenturen sind. Eine direkte private Anwerbung auch per Internet ist seitdem möglich, wodurch notwendiger Schutz und Sicherheit für junge Frauen und Männer nicht mehr gewährleistet ist. Fehlende eindeutige Rahmensetzungen führen dazu, dass eines der ältesten Kulturaustauschprogramme in Misskredit zu geraten droht. Die Einführung der Agenturenpflicht ist von daher zwingend erforderlich.

Die Qualität von Au-pair-Programmen sollte durch die Einführung von verpflichtenden Lernelementen zu interkulturellen und bildungspolitischen Inhalten gestärkt werden. Zertifizierungen über erworbene Schlüsselkompetenzen, die seitens der zuständigen Fachstellen des BMFSFJ neu erarbeitet werden, sind baldmöglichst einzuführen.


1.6 Worin bestehen die größten Schwierigkeiten, auf die Sie im Hinblick auf Mobilität zu Lernzwecken von benachteiligten Gruppen gestoßen sind?

Zur großen Gruppe der Benachteiligten gehören die so genannten bildungsbenachteiligten Jugendlichen, zu denen die oben schon erwähnten jungen Menschen aus dem sozial schwachen Milieu oder Jugendliche mit Migrationshintergrund gezählt werden. Die Herausforderungen in diesem Bereich sind komplex. Zum einen verhindern die eigenen prekären finanziellen Voraussetzungen einen Aufenthalt im Ausland. Oft bleibt Schülern aus diesem Milieu schon eine Klassenfahrt (in ein anderes Land) aus finanziellen Gründen verwehrt. Auch die sprachlichen Hürden sind meist höher. Hinzu kommen Vorbehalte der Familien gegenüber einem Auslandsaufenthalt aus kulturellen oder religiösen Gründen.

Um das Ziel zu verfolgen, allen Jugendlichen gleiche Chancen für ein Mobilitätsprogramm einzuräumen, bedarf es im Hinblick auf diese Gruppe besonderer Anstrengungen. Um sie für einen Auslandsaufenthalt zu motivieren, müssen benachteiligte Jugendliche und deren Familien frühzeitig über die Möglichkeiten und Chancen informiert und beraten werden. Sie müssen eigens angesprochen und beworben werden. Dazu ist es nötig, die Vernetzung zwischen Schulen, Jugendorganisationen und spezifischen Maßnahmeträgern auszubauen. Den Jugendlichen muss die Möglichkeit eingeräumt werden, ihre sprachlichen Fähigkeiten zu verbessern. Die Trägerorganisationen, die benachteiligte junge Menschen aufnehmen, haben einen deutlichen Mehraufwand im Hinblick auf Information, Beratung und Begleitung.

Die Bundesarbeitsgemeinschaft Evangelische Jugendsozialarbeit e.V. (BAG EJSA) hat hierzu folgende konkrete Hinweise, die wir unterstreichen:
- Benachteiligte Jugendliche suchen besonders den Anschluss an Erwachsene und Gleichaltrige, die die eigene Sprache sprechen bzw. aus dem Heimatland kommen. Denn dadurch ist ein angemessener Austausch möglich, der den Aufenthalt im Gastland erleichtert.
- Die Betreuung von benachteiligten Jugendlichen im Ausland erfordert hochqualifiziertes Personal. Einen ständigen Ansprechpartner im Heimatland zu haben, ist unerlässlich. Bereits bei der Vorbereitung einer Maßnahme sollten feste Betreuer sowohl in der Entsende-, als auch in der Aufnahmeeinrichtung benannt werden, denn Personalfluktuationen und ungeklärte Zuständigkeiten haben auf diese Zielgruppe negative Auswirkungen.

Junge Menschen mit körperlicher oder geistiger Behinderung bilden eine weitere Gruppe benachteiligter Jugendlicher. Dabei ist deutlich hervorzuheben, dass die inklusive Arbeit mit Jugendlichen ein Erfahrungsfeld mit wertvollen Lernprozessen für alle Beteiligten darstellt. Leider scheitert diese Arbeit oft schon an den räumlichen Gegebenheiten: Barrierefreiheit ist eine Voraussetzung, die meist nicht gegeben ist. Dies ist ein grundsätzliches Problem, dass gezielt behoben werden muss, um allen Jugendlichen gleiche Chancen einzuräumen. Wie in der oben genannten Gruppe ist auch hier von den Trägerorganisationen ein deutlicher Mehraufwand im Hinblick auf Information, Beratung, Betreuung und Finanzierung zu leisten. Dieser muss ermöglicht und honoriert werden. Mitarbeiter der Institutionen und Organisationen sollten für die Anforderungen der inklusiven Arbeit geschult werden. Dabei ist es oft schon von Vorteil, Menschen mit Behinderungen als Mitarbeiter einzustellen oder diese zumindest in den Dialog zu Fragen der Gestaltung und Organisation von Angeboten einzubeziehen, denn sie sind Experten in Bezug auf ihre eigene Lebenssituation. Die inklusive Arbeit mit jungen Menschen sollte generell besonders hervorgehoben und gewürdigt werden.


best practice Beispiel:

Ein gutes Beispiel in Europäischer Weiterbildung und Kontakten ist die jährlich stattfindende Maßnahme in der westfälischen Evangelischen Jugendbildungsstätte Nordwalde . Hier treffen im Sommer für 10 Tage körperlich und geistig behinderte Jugendliche aus Europa, um gemeinsam zu aktuellen europäischen Thema zu arbeiten. Verdeutlichend sei hier der Ausschreibungstext wiedergegeben: „EuroContact 2009. Internationale Begegnung für junge Menschen im Alter von 17-25 Jahren mit und ohne Handicap. Die Jugendbildungsstätte Nordwalde soll im Sommer 2009 wieder Treffpunkt von ca. 90 jungen Menschen mit und ohne Handicap aus acht europäischen Ländern (Belarus, Deutschland, Frankreich, Italien, Luxemburg, Niederlande, Polen, Ukraine) werden. Gemeinsam werden alle auf unterschiedliche Art und Weise kreativ an einem Thema arbeiten in Communities, Comm4all, Workshops und offenen Angeboten. Das gemeinsame Erleben, die Begegnungen, das miteinander Gestalten stehen genauso im Mittelpunkt wie Musik- und Kulturveranstaltungen.“

Nach Erfahrungen der Evangelischen Studierendengemeinden (ESG) ist nicht nur die Mobilität ins Ausland für benachteiligte Gruppen (hier köperbehinderte Studierende) problematisch, auch in Deutschland kann ein Rollstuhl eine Exkursion im Rahmen des Studiums fast unmöglich machen. Ein geplanter Auslandsaufenthalt steigert die Zahl der zu lösenden Probleme enorm. Die Fragen nach einem barrierefreien Quartier und entsprechenden Transportmöglichkeiten sind Herausforderung genug um manche Absicht scheitern zu lassen. Daher erhöhen sich mit einem Aufenthalt im Ausland für diesen Personenkreis die Anforderungen nach entsprechender Betreuung und Unterbringung enorm. Hier sind unkomplizierte finanzielle Fördermöglichkeiten gefragt, um auch dieser Gruppe die Beteiligung zu ermöglichen.


2. Auslandsaufenthalt
2.1. Mentoring und Integration

Wie oben schon angedeutet, sollten die Jugendlichen während des gesamten Auslandsaufenthaltes von den Trägerorganisationen begleitet werden, am besten von MentorInnen sowohl der Entsendeorganisation als auch der Organisation im Gastland. Begleitung schließt in diesem Sinne die Vor- und Nachbereitung eines Auslandsaufenthaltes ein. Einzelgespräche sowie der Austausch in der Gruppe bei regelmäßig stattfindenden Treffen und Workshops sollen die reflektierte Auseinandersetzung mit der erlebten Praxis ermöglichen.

Integrationsfördernde Maßnahmen, wie die Teilnahme der Jugendlichen an Sprachkursen oder Freizeitprogrammen vor Ort (Chöre, Sportkurse, Kreativkurse etc.) sollten zusätzlich gefördert werden.


best practice Beispiele:

Als ein Beispiel aus der kirchlichen Arbeit soll an dieser Stelle das Ecumenical Diaconal Year Network (EDYN)  angeführt werden. Es ist ein weltweites Netzwerk kirchlicher Freiwilligenprogramme, das vielfältige Möglichkeiten für einen Freiwilligendienst in ausländischen sozialen und kirchlichen Einrichtungen organisiert. Die enge Zusammenarbeit der Mitgliedsorganisationen und ständiger Austausch ermöglichen eine qualitativ hochwertige Begleitung der Jugendlichen vor, während und nach einem Auslandsaufenthalt.

Für den Bereich der Studierenden aus den Entwicklungsländern hat sich das Studienbegleitprogramm (STUBE)  bewährt. In Trägerschaft der Diakonischen Werke der Landeskirchen sowie „Brot für die Welt“  und in Zusammenarbeit mit der Geschäftsstelle der Bundes-ESG entwickeln elf STUBE-ReferentInnen ein Programm, das das individuelle Fachstudium durch qualitativ hochwertige außeruniversitäre Veranstaltungen ergänzt, um eine entwicklungspolitische Sensibilisierung und Qualifizierung der Studierenden zu ermöglichen. Es setzt zu Beginn des Studiums an und ist ein Forum sowohl für Fragen nachhaltiger Bildung als auch der persönlichen Zukunftsplanung. Daneben fördert es den Austausch der Studierenden untereinander und die Bildung von Süd-Süd Netzwerken. Zitat eines Studenten aus Kamerun: „Nur bei STUBE habe ich die Chance, so viele andere Menschen aus südlichen Ländern zu treffen, und über ‚unsere‛ Sache zu reden.“ Diese Studienbegleitprogramme sind Studierenden aus Afrika, Asien und Lateinamerika vorbehalten. Die positiven Erfahrungen ermutigen aber, entsprechende Programme für andere Zielgruppen zu entwickeln.


2.2 Stellen die Anrechnung und Anerkennung des formal und nicht formal Gelernten immer noch ein signifikantes Hindernis für die Mobilität dar?
Wie können Unternehmen motiviert werden, sich verstärkt für die Mobilität junger Menschen zu engagieren?

Ein umfassendes Bildungsverständnis verlangt nach der allgemeinen Anerkennung formaler und nonformaler Bildung. Insofern begrüßt die EKD, dass dies durch den „Europass Lebenslauf“ und die Einführung des „Youthpass“ zur Honorierung nonformaler Bildung innerhalb des EU-Programms „Jugend in Aktion“ gefördert wird.

Es ist eine alltägliche, unübersehbare und prägende Erfahrung in den Evangelischen Hochschulgemeinden (ESG), dass die Anrechnung und Anerkennung von Leistungen an Hochschulen derzeit ein zentrales und oft unüberwindliches Hindernis für Mobilität darstellt. Hier ist insbesondere eine Weiterentwicklung des Europäischen Systems zur Anrechnung von Studienleistungen (ECTS) erforderlich. Die derzeitige Praxis der Akkreditierung macht in einer großen Zahl von Studiengängen im Bachelor- und Mastersystem schon einen Wechsel zwischen Hochschulen innerhalb Deutschlands unmöglich, im Extremfall sogar innerhalb von Teilbereichen einer Hochschule, da deutlich zu wenige Studieninhalte anerkannt werden. An einen Wechsel ins Ausland ist für die Mehrzahl der Studierenden kaum zu denken, da die Anerkennung von Abschlüssen und Leistungsnachweisen noch weniger gesichert ist. Abgesehen von der leichteren „Umrechenbarkeit“ der Leistungsnachweise im ECTS-System sind die einzelnen Module der Hochschulen (auch innerhalb Deutschlands) zu unterschiedlich in Größe und Umfang. Vielerorts ist es nur individuell für einzelne Studierende zwischen den Hochschulen zu lösen, welche bisher erbrachten Leistungen in welchem Umfang angerechnet werden.

Dies stellt ein zentrales und faktisch fast unüberwindliches Hindernis sowohl für unzählige Auslandsaufenthalte von Studierenden als auch für innerdeutschen Hochschulwechsel dar. Die Studierenden erleben sich in einem Gestrüpp von Leistungsanforderungen, Höchststudiendauer und finanziellen Belastungen gefangen und sehen nur den Weg eines schnellen Studienabschlusses an einer Hochschule im Inland ohne jede Mobilität. Insbesondere in den konsekutiven Studiengängen sind die Spielräume für Auslandssemester und Praktika im Ausland daher eher kleiner geworden. Die Philosophie von „Bologna“ rückt die Wichtigkeit von Auslandaufenthalten zu recht in den Vordergrund, die Realität sieht leider anders aus.

Neben der Verbesserung der Anerkennung von Studienleistungen sollte auch die Weiterentwicklung von Bildungsinhalten der so genannten Schlüsselqualifikationen, die nach der Philosophie des Bologna-Prozesses neben den fachlichen Inhalten im Studium vermittelt werden, genutzt werden, um die Mobilität der Studierenden zu verbessern. In den Evangelischen Studierendengemeinden (ESG) zeigen viele Studierende, dass sie ein Interesse an internationaler Begegnung und interkulturellem Lernen haben, da sie vielerorts sehr international geprägte Studierendengemeinden erleben. Würden diese Inhalte im Rahmen der Schlüsselqualifikationen durch die Vergabe von ECTS-Punkten gefördert werden, könnte auf diese Weise zu Auslandsaufenthalten motiviert werden.

Beides, die Verbesserung der Anerkennung von Studienleistungen und die Weiterentwicklung der nicht fachlich geprägten Schlüsselqualifikationen im Studium, sind die großen Herausforderungen und Schwerpunkte in der Weiterentwicklung von Bachelor und Master zehn Jahre nach Bologna.

Generell ist es wichtig, die Gesellschaft, insbesondere aber auch die Ausbildungsbetriebe und Arbeitgeber für die enorme Bedeutung der Teilnahme junger Menschen an Mobilitätsprogrammen zu sensibilisieren. Sie profitieren von den erworbenen interkulturellen und sozialen Kompetenzen sowie von den Fremdsprachenkenntnissen der jungen Menschen. Deshalb ist auch hier Informationsarbeit von Seiten der Ämter, Institutionen und Organisationen nötig.


3. Eine neue Partnerschaft für Mobilität
3.1. Wie können alle Akteure und Ressourcen auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene zu Gunsten der Mobilität junger Menschen stärker mobilisiert werden?

Die EKD begrüßt die Erwägung des Grünbuches, die Vernetzung der unterschiedlichen Organisationen zu fördern. Die Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend in Deutschland e.V. (aej) bemerkt im Hinblick auf die evangelischen Freiwilligendienste, dass es hilfreich wäre, wenn sich alle nationalen Freiwilligendienstprogramme für junge Menschen aus ganz Europa öffnen und die Zusammenarbeit auch finanziell gefördert würde.

Für eine gute Betreuung spielen gut organisierte und erfahrene Partnerschaften eine wichtige Rolle. Die Jugendverbände in Deutschland verfügen über langjährige Erfahrungen in der Partnerschaftsarbeit und über ein breites Netzwerk im europäischen und internationalen Austausch.

best practice Beispiele:

Die Bundesarbeitsgemeinschaft Evangelische Jugendsozialarbeit e.V. (BAG EJSA) betreibt für den Bereich der Jugendsozialarbeit ein europäischen Netzwerk – das Y.E.S. Forum . Y.E.S. steht für Youth and European Social Work. Es ist ein Netzwerk, das sich speziell um die Belange und Interessen junger Menschen mit besonderem Unterstützungsbedarf auf der europäischen Ebene kümmert. Zusammen mit 21 Mitglieds- und Partnerorganisationen aus 15 Ländern tritt Y.E.S. seit 2002 dafür ein, dass auch benachteiligte Jugendliche in Europa bessere Chancen haben. Dies geschieht durch Entwicklung und Durchführung von innovativen Projekten, Austausch und Transfer von bewährten Handlungsansätzen sowie Interessenvertretung gegenüber den europäischen Institutionen und nationalen Entscheidungsträgern. Y.E.S. unterstützt die JugendsozialarbeiterInnen durch eigene Weiterbildungen und Seminare und ermöglicht den Jugendlichen durch europäische Begegnungen, Praktika und Freiwilligendienste, das zusammenwachsende Europa hautnah zu erleben und davon zu profitieren.

Die Evangelische Fachhochschule Rheinland-Westfalen-Lippe in Bochum  hat eine langjährige Partnerschaft mit der Hochschule in Wologda (Russland). Der differenzierte Austausch findet schwerpunktmäßig in den Fachbereichen soziale Arbeit und Heilpädagogik statt. Neben Exkursionen und Dozentenaustausch, gibt es gemeinsame wissenschaftliche Projekte und Aufenthalte von Aspiranten in Bochum bis zu drei Monaten. 2010 soll eine gemeinsame Sommerakademie stattfinden, in die auch noch die Hochschule von Kursk (Russland) einbezogen werden soll. Darüber hinaus gibt es gemeinsame Angebote im Weiterbildungsprogramm beider Hochschulen. Zur Finanzierung dieser Arbeit und zusätzlicher Unterstützungsmaßnahmen für Studierende der Hochschule wird ein Teil der Studienbeiträge verwendet. Das ist nicht unbedingt innovativ, aber sehr effektiv. Die einzelnen Fördermöglichkeiten der unterschiedlichen Einrichtungen und Träger müssten hier einfacher und zugänglicher sein.


3.2. Sollten Multiplikatoren in den europäischen Programmen zusätzliche Unterstützung erhalten und sollte ihnen eine größere Bedeutung beigemessen werden?

Jugendliche, ehrenamtliche und hauptberufliche JugendmitarbeiterInnen wie auch Lehrkräfte, die einen Auslandsaufenthalt absolviert haben, sollten ihre Erfahrungen und ihr Wissen in Informationsveranstaltungen weitergeben können. Dafür wäre es von Vorteil, wenn die Verbindung zu den Entsendeorganisationen aufrecht erhalten werden kann. Das kostet Zeit, Geld und ehrenamtliches Engagement. Letzteres muss honoriert werden. Das bedeutet neben der Würdigung auch die Möglichkeit der Weiterbildung, die dazu nötige Freistellung von der hauptamtlichen Tätigkeit und die Finanzierung. In diesem Sinne muss die Frage, ob die Multiplikatoren in den europäischen Programmen zusätzlich Unterstützung erhalten und ihnen eine größere Bedeutung beigemessen werden sollte, ausdrücklich bejaht werden.


3.3. Sind Sie der Ansicht, dass Ziele bei der Definition einer Mobilitätsstrategie helfen können?

Im Bewusstsein, dass bildungspolitische Maßnahmen mitgliedstaatlicher Kompetenz bzw. in Deutschland der Kompetenz der Bundesländer unterliegen, ist die EKD dennoch der Auffassung, dass eine Vereinbarung von Zielvorgaben bei der Definition einer Mobilitätsstrategie nützlich ist. Sie könnte Richtwerte zur Umsetzung in den Mitgliedsstaaten darstellen. Die Orientierung an der „Europäischen Qualitätscharta für Mobilität“ kann dafür eine Grundlage sein.

Die Chancen aller jungen Menschen auf Mobilitätserfahrungen nachhaltig zu steigern, ist eine komplexe Herausforderung, die nur durch eine bessere Abstimmung der Strukturen erfolgreich verfolgt werden kann. Die Verantwortungsübernahme durch und die Zusammenarbeit der unterschiedlichen politischen Ressorts auf allen Ebenen der Mitgliedstaaten stellt dafür eine wichtige Voraussetzung dar.

 

Brüssel, den 15. Dezember 2009


Evangelische Kirche in Deutschland (EKD)
Bevollmächtigten - Büro Brüssel
166, rue Joseph II
B - 1000 Bruxelles
Leitung: OKR´in Katrin Hatzinger

Ansprechpartnerin zur Stellungnahme:
Solveig Müller
Sondervikarin
www.solveig.mueller@ekd.be