Weißbuch interkultureller Dialog

Stellungnahme des EKD-Büros Brüssel zum Konsultationsprozess zur Vorbereitung des „Weißbuches zum interkulturellen Dialog“ des Europarats

Evangelische Kirche in Deutschland (EKD)

Büro Brüssel

Rue Joseph II, 166 ▪ B – 1000 Brüssel

ekd.bruessel@ekd.be

 

Einleitung

Die EKD versteht Kultur als „die Gesamtheit von Sinnhorizonten, in denen Menschen sich selbst und ihre Welt mit Hilfe von Worten, Zeichen und Bildern gestalten und sich über ihre Deutungen verständigen.“[1]

Vor diesem Hintergrund verhält sich die EKD zur folgenden Aussage des Europarats:

„In der internationalen Debatte werden der interkulturelle und der interreligiöse Dialog häufig als zwei verschiedene, aber dennoch verwandte Bereiche angesehen. Andere dagegen, der Europarat beispielsweise, betonen, dass religiöse Glaubensinhalte und Traditionen – genauso wie agnostische, atheistische oder säkulare Überzeugungen – eine Dimension von Kultur darstellen.“[2]

Vom religiösen Selbstverständnis her kann Religion nicht auf “religiöse Glaubensinhalte und Traditionen” reduziert werden, sondern umfasst die Breite der persönlichen Lebens- und Alltagsgestaltung (z.B. karitatives Handeln, künstlerische Ausdrucksformen, gemeinsames Feiern).

Dem Europarat geht es mit der genannten Formulierung jedoch um das Verhältnis von interkulturellem und interreligiösem Dialog. So ist es sicherlich möglich, auf dieser Linie Religion als eine Dimension von Kultur verstehen, wie der Europarat es durch die zitierte Formulierung tut. Dieses Verständnis bietet jedoch keine umfassende Beschreibung des Verhältnisses von Kultur und Religion. Es kann im Gegenteil sogar zu dem Missverständnis führen, dass Religion - gewissermaßen als ein Element von Kultur – gänzlich in Kultur aufginge. Religion als eine Dimension von Kultur zugleich mehr als Kultur. Religion ermöglicht als eine Art Tiefendimension von Kultur immer auch eine Perspektive auf Kultur als Ganzes.[3] Von dieser Verhältnisbestimmung her sieht die EKD das Verhältnis von interkulturellem und interreligiösem Dialog.[4]

 

Die EKD konzentriert sich in Ihrer Stellungnahme auf die Bereiche, zu denen sie bereits gearbeitet und Konzeptionen sowie Erfahrungen vorliegen hat. Die Stellungnahme orientiert sich aus praktischen Gründen an der Reihenfolge der Fragen im Haupttext des Konsultationsdokuments des Europarats. Mit den folgenden Antworten erscheint auch die leicht modifizierte Zusammenstellung der Fragen im Dokument für Religionsgemeinschaften abgedeckt.

 

 

1. Wie dringend sind Bemühungen, den interkulturellen Dialog heute zu fördern? Aus welchen Gründen sind solche Bemühungen dringlich?

Die Förderung des interkulturellen Dialog ist für die EKD aus folgenden Gründen wichtig:

Vor allem durch die Zuwanderung ist die Vielfalt der kulturellen Prägungen, die Vielfalt der in Europa vertretenen Religionen und die Vielfalt innerhalb einzelner Kulturen und Religionen (z.B. die sogenannten Migrationskirchen) deutlich vergrößert worden. Diese größere Vielfalt fordert zu Dialog und Kooperation heraus und stellt für die EKD eine pastorale, theologisch-religiöse und gesellschaftlich-politische Herausforderung dar.

Die EKD versteht den interkulturellen Dialog als ein wichtiges Instrument unter anderen, mit der kulturellen Vielfalt in demokratischen Gesellschaften umzugehen. Interkultureller Dialog sollte deshalb in einem breiten Kontext gesehen werden, der beispielsweise Sozial-, Beschäftigungs- und Bildungspolitik umfasst. Darüber hinaus, sollte man zwischen den verschiedenen Ebenen von interkulturellem Dialog unterscheiden (z.B. lokal, regional, national, europäisch und international).[5]

 

2. Welche Schritte sind möglich, um dem Begriff der “kulturellen Vielfalt” eine positivere Konnotation zu geben, als er heute besitzt? Wie sollte auf intolerante, rassistische und fremdenfeindliche Tendenzen in der öffentlichen Debatte reagiert werden?

Einer der wichtigsten Ansätze dazu ist die Förderung persönlicher Begegnungssituationen.

Dies soll kurz am Beispiel der Initiative „Weißt du, wer ich bin?“ (s. Beispiele für gute Praxis) verdeutlicht werden. Mit „Weißt du, wer ich bin?“ leistet die EKD zusammen mit anderen christlichen Kirchen, sowie jüdischen und muslimischen Religionsgemeinschaften und Verbänden einen Beitrag gegen Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Gewalt. Denn das Zusammenleben mit Menschen anderer Herkunft ist an vielen Stellen mit Problemen verbunden und eine Quelle für Konflikte und manchmal sogar lebensbedrohliche Übergriffe. Ebenso deutlich muss erwähnt werden, dass es in vielen Bereichen wenig oder keine Probleme und ein für alle Beteiligten interessantes und bereicherndes Zusammenleben gibt.

Wenn man bedenkt, dass in den Regionen Deutschlands, in denen die geringste Präsenz von Ausländern zu verzeichnen ist, die Ausländerfeindlichkeit häufig am signifikantesten ist, dann wird deutlich, dass das zu Grunde liegende Problem nicht oder nur zum Teil in der Präsenz von Menschen anderer Herkunft an sich zu suchen ist, sondern zu einem hohen Anteil in den Einstellungen, Ängsten und Verhaltensweisen der Einheimischen. Offensichtlich fördert das Zusammenleben einer nennenswerte Anzahl von Menschen anderer Herkunft mit den Einheimischen die Fähigkeit zum Umgang miteinander. Eine größere Nähe schafft nicht nur mehr Vertrautheit und wechselseitiges Verständnis, sondern fördert auch zu Tage, dass manche Probleme gar keine sind. Die anderen, die vermeintlich Fremden werden zu Menschen wie du und ich.

An dieser Stelle setzt die Aktion „Weißt du, wer ich bin?“ an. Sie geht von der erwiesenen Annahme aus, dass persönliche Begegnungssituationen Vorurteile und Einstellungen verändern. Eine persönliche Begegnung schafft nicht Fremdes und Trennendes einfach aus dem Weg - manchmal wird es gerade bestätigt. Aber es kann aus dem angeblich bedrohlich Fremdem zur Auseinandersetzung mit einer anderen Lebensweise kommen, die ihre eigene Tradition, Geschichte und nachvollziehbare - nicht selten auch faszinierende - Gestalten hat. Erst recht werden bei persönlichen Begegnungssituationen die Menschen in ihrer Persönlichkeit und Individualität erkennbar. Der Anteil gemeinsamer Fragen und Gedanken wächst manchmal überraschend und drängt Trennendes in den Hintergrund.

 

Schließlich kann der „symbolische“ Dialog oder die Zusammenarbeit zwischen den Oberhäuptern der Religionsgemeinschaften oder ethnischen Gruppen[6] den interkulturellen Dialog in ein positiveres Licht setzen.

 

3. Welches ist die vielversprechenste Vision für das Zusammenleben in multikulturellen Gemeinschaften? Was ist das am besten geeignete Modell um mit der Vielfalt auf demokratischem Wege umzugehen?

Die EKD sieht sich als Teil der weltweiten Gemeinschaft christlicher Kirchen, in ethnischer, konfessioneller und kultureller Vielgestaltigkeit. Diese Sicht gründet im Glauben an das Evangelium von Jesus Christus, das in seinen verschiedenen Kulturgestalten allen Menschen aller Kulturen gilt.

Die EKD bezieht sich deshalb auf das Konzept der „versöhnten Verschiedenheit“ oder der „Einheit in versöhnter Verschiedenheit.“ Dies bedeutet, dass Gemeinsamkeiten gesucht und zum Ausdruck gebracht werden sollten, ohne dabei die verschiedenen Traditionen und Pofile zu vernachlässigen. Diese Gemeinsamkeiten sollten eher als Bereicherung denn als Hindernis auf dem Weg zu einer lebendigen Einheit gesehen werden. Auf der Basis dieses Konzept entwirft die EKD konkrete Strategien und Politiken in verschiedenen Feldern, z.B. im Prozess der Konsensfindung in theologischen Fragen, in ökumenischen Beziehungen und konkreter Zusammenarbeit mit anderen christlichen Kirchen und schließlich auch im interreligiösen und interkulturellen Dialog.

Darum ist die EKD in praktischer Sicht nicht nur stark engagiert, Dialoge zu führen, sondern auch gemeinsame Projekten interreligiöser oder interkultureller Art durchzuführen (siehe Beispiele für gute Praxis).

 

4. Wie verhalten sich kulturelle Vielfalt und Menschenrechte zu einander?

Nach Überzeugung der EKD bildet die Menschenwürde das Fundament einer christlichen Begründung der Menschenrechte. Menschenwürde als Begründung der Menschrechte bildet ebenso die Basis des deutschen Grundgesetzes wie auch viele anderer nationaler Verfassungen sowie der Grundsätze des Völkerrechts. Die Rede von der Unantastbarkeit der Menschenwürde bringt zum Ausdruck, dass dieser Würde ein Anspruch auf Achtung inhärent ist. Jeder Mensch hat Anspruch darauf, dass seine Würde geachtet wird und steht zugleich unter dem Anspruch, die Würde seiner Mitmenschen zu achten. Diese unantastbare Würde ist nach christlicher Überzeugung jedem Menschen ohne sein Zutun zu eigen, weil Gott ihn zu seinem Ebenbild geschaffen hat. Sie gründet somit in der transzendenten Beziehung Gottes zu ihm und ist deshalb allen menschlichen Relativierungsversuchen enthoben. Dass diese Würde jedem Menschen in gleicher Weise eignet, begründet die grundsätzliche Gleichheit in der Rechtsstellung jedes einzelnen Menschen. Diese Gleichheit schließt die Gleichberechtigung (z.B. von Männern und Frauen), jegliches Diskriminierungsverbot sowie Minderheitenschutz ein. Aus der Gleichheit der in Gott gegründeten Menschenwürde ergeben sich in der theologischen Tradition von Judentum und Christentum Weisungen zum Leben in Freiheit, wie sie in den Zehn Geboten zusammengefasst sind. Das Christentum kennt eine entsprechende Zusammenfassung im Gebot der Gottes- und Nächstenliebe sowie darüber hinaus das Gebot der Feindesliebe. Aus dieser Tradition heraus haben sich in der Rechtsgeschichte – wenn auch zunächst weithin gegen die Kirchen oder in Distanz zu ihnen – die Menschenrechte entwickelt.

 

Die EKD begrüßt, dass Individuen und Gemeinschaften anderer kultureller oder religiöser Prägung eigene Zugänge zu den universalen Menschenrechten (wie sie in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen von 1948 und den beiden Menschenrechtspakten von 1966 festgehalten sind) gewonnen haben. Dabei darf der je eigene Zugang jedoch der Geltung der Menschenrechte nicht vor- oder übergeordnet werden.

Die universalen Menschenrechte schließen den Schutz des kulturellen Ausdrucks und den Schutz der kulturellen Vielfalt solange bedingungslos ein, wie die einzelnen Ausprägungen dieses Ausdrucks und dieser Vielfalt in der individuellen Lebensführung nicht die Menschenrechte eines anderen Individuums verletzen.

 

6. Wie lässt sich “interkultureller Dialog“ am besten definieren?

Der Europarat bietet in seinem Konsultationsdokument die folgende Definition: “Interkultureller Dialog ist ein offener und respektvoller Austausch von Sichtweisen zwischen Individuen und Gruppen, die zu verschiedenen Kulturen gehören, der zu einem tieferen Verständnis der jeweils anderen Wahrnehmung führt.”

 

Die Definition wird von der EKD als ein guter Ausgangspunkt für eine Diskussion verstanden. Dabei sollte aber nicht vergessen werden, das Konzept von Dialog zu klären. Die Bedeutung von „Dialog“ kann in diesem nicht als ein Austausch zwischen zwei einander abwechselnden Sprechern verstanden werden – nicht einmal bei offiziellen Konferenzen. Obwohl mit Sicherheit der „symbolischen Dialog“ zwischen den Oberhäuptern der Institutionen oder den politischen und religiösen Führern hohen Wert hat,[7] ist letztendlich der „Dialog des Lebens“ wichtiger und sollte in Theorie und Praxis ausgebaut werden.

 

7. In welchen politischen, sozialen und kulturellen Kontexten spielt der “interkulturelle Dialog” eine wichtige Rolle?

  • Gesellschaftliche Konflikte: In diesem Bereich hat die EKD große Erfahrung in „Versöhnungsarbeit“ oder „healing of memories“ (s. Beispiele für gute Praxis).
  • Bildung – einschließlich des lebenslangen Lernens: Der Bereich der Bildung ist eines der Haupttätigkeitsfelder der EKD. In ihrem ganzheitlichen Ansatz in Bezug auf Bildung, welcher auf der von Gott verliehenen Würde eines jeden Menschen beruht, versteht die EKD Bildung als einen geschützten Raum für dialogisches Lernen. Interkulturelle Dialog bildet eine fundamentale Dimension jeder Lernerfahrung in der heutigen globalisierten Welt, welche jeden Menschen ständig in Kontakt mit mehr als einer Kultur bringt. Darüber hinaus spielt der interkulturelle Dialog eine wichtige Rolle in spezifischen Lernsituationen, welche durch eine Gruppe von kulturell unterschiedlichen Lernenden und/oder durch ein kulturell differenziertes Lernumfeld (das man als institutionalisierte Dialogsituation verstehen kann) gekennzeichnet sind. In diesen Lernsituation ist es wichtig, dass die verschiedenen Kulturen auch in den Lerninhalten Raum bekommen.
  • Liturgisches Leben: Im liturgischen Leben der EKD – wie in jeder Kirche oder religiösen Gemeinschaft – ist der interkulturelle Dialog inhärent in den vielen kulturellen Formen, die ein liturgisches Ereignis haben kann, z.B. in religiösen Feiern, Feiertagen oder Festen, im regelmäßigen Gottesdienst oder anderen liturgischen Ereignissen (z.B. Beerdigungen, Hochzeiten). So spiegelt das liturgische Leben der EKD die kulturell reiche Geschichte und Gegenwart religiöser Ausdrucksformen verschiedenster Gruppen und Individuen. 

 

8. Welche Maßnahmen sind notwendig um kulturelle Minderheiten wie beispielsweise Migranten und nationale Minderheiten, in Stand zu setzen, ihre kulturelle Identität auszudrücken und zum kulturellen Reichtum der ganzen Gesellschaft beizutragen?

Kulturelle Minderheiten müssen die Möglichkeit zur Selbstorganisation haben und auch Ressourcen, um sich auf einen Dialogprozess mit der Gesamtgesellschaft einzulassen.

 

9. Welche Rolle spielt das Prinzip der Gleichberechtigung von Männern und Frauen im interkulturellen Dialog?

Die EKD hat seit langem besondere interkulturelle und interreligiöse Frauenprogramme und  deren Beteiligung am interkulturellen und interreligösen Dialogs gefördert. Dieses Thema spielt im christlich-muslimischen Dialog eine prominente Rolle (s. Beispiele guter Praxis).

 

10. Gibt es Minimalbedingungen die erfüllt sein müssen, um interkulturellen Dialog überhaupt erst zu ermöglichen?

Der Europarat nennt in seinem Konsultationsdokument die folgenden „ermöglichenden Faktoren“ für interkulturellen Dialog:

·        Gleiche Würde aller Teilnehmenden;

·        Freiwillige Teilnahme am Dialog;

·        Eine auf beiden Seiten durch Offenheit, Neugier und Verbindlichkeit gekennzeichnete Einstellung, ohne das Ziel den Dialog zu „gewinnen“.

·        Die Bereitschaft sowohl kulturelle Gemeinsamkeiten als auch kulturelle Differenzen zu betrachten.

·        Ein minimales Maß an Wissen über die spezifischen Seiten der eigenen sowie der “anderen” Kultur.

·        Die Fähigkeit eine gemeinsame Sprache für das Verständnis und den Respekt vor kulturellen Unterschieden zu finden.

 

Die EKD möchte diese Liste um die folgenden Faktoren erweitern:

·        Religionsfreiheit

·        Akzeptanz von Meinungsvielfalt

·        Gewaltverzicht

 

11. Welche Rolle kommt Religionsgemeinschaften in einer Politik zur Förderung des interkulturellen Dialogs zu? Welche Bedeutung kommt den Dialog unter den Religionsgemeinschaften zu?

Man spricht oft davon, dass in den modernen Gesellschaften die sozialen Bindungen an Familie, Verwandtschaft und Wohnumfeld schwächer werden oder verloren gehen und die Individualisierung zunimmt. Neben den positiven Folgen von größerer persönlicher Freiheit und Mobilität schafft diese Entwicklung aber auch mehr Anonymität, Vereinzelung und Entwurzelung. Dass Menschen zu einem glücklichen Leben ein gutes soziales Umfeld brauchen, ist unbestritten. Es scheint jedoch heute mehr als je zuvor bewusst gestaltet werden zu müssen. Minderheiten in unserer Gesellschaft und Menschen, die von ihrer Herkunft her weniger von moderner Individualisierung geprägt sind, stehen hier vor besonderen Herausforderungen. Ein positives soziales Klima in unserer Gesellschaft zu gestalten ist eine wichtige Aufgabe für alle - und für alle von Nutzen. Ohne Zweifel dürfte dies auch Konflikte und die Bereitschaft zu Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Gewalt mindern.

Als christliche Kirche gehört die EKD zu den - möglicherweise wenigen - Institutionen in unserer Gesellschaft, die zu einem solchen sozialen Klima und einem positiv zu gestaltenden Zusammenleben einen wesentlichen Beitrag leisten können. Sie sind im Lebens- und Wohnbereich präsent und tätig und verfolgen von ihrem Auftrag her nicht das Interesse einer bestimmten sozialen Gruppe. Der christliche Glaube hat in besonderer Weise die Fragen der Verankerung des Menschen sowohl in seinem materiellen und sozialen Lebensraum als auch seine geistige und seelische Beheimatung zum Thema. Das Verhältnis zum anderen, Offenheit, Zuwendung und Verpflichtung für Hilfsbedürftige und Benachteiligte ist ein zentraler Inhalt des christlichen Glaubens und zugleich Spiegelbild der Beziehung zu Gott. Das schließt gerade auch den Blick über den Horizont der eigenen Gemeinschaft ein oder - wie es theologisch formuliert werden kann - die Bereitschaft zu ökumenischer Offenheit und Weltverantwortung. Dadurch bieten gerade die Kirchen wie einzelne Christen in ihrem Engagement sehr gute Anknüpfungsmöglichkeiten für die Gestaltung des Zusammenlebens im Quartierbereich, auch und besonders von Menschen unterschiedlicher kultureller und religiöser Prägung.

Die EKD hat sich mit zahlreichen Aktivitäten vor allem seit den 70er Jahren intensiv mit diesen Herausforderungen befasst und ist in Deutschland einem der Hauptakteure des interkulturellen und interreligiösen Dialogs geworden. So finden allein im Rahmen der Interkulturellen Woche, die die EKD zusammen mit der Deutschen Bischofskonferenz und  der Griechisch-Orthodoxen Metropolie verantwortet, jedes Jahr 3000 Veranstaltungen an 200 Orten statt.[8]

 

12. Sollte der Europarat einen Dialog mit den religiösen Gemeinschaften führen? Wenn ja: wie?

Die EKD begrüßt das Interesse des Europarats am interreligiösen Dialog und die Unterscheidung, die der Rat zwischen dem „Dialog zwischen Religionsgemeinschaften“ und dem „Dialog (des Europarats) mit Religionsgemeinschaften“ trifft.

Die EKD unterstreicht diese Unterscheidung durch ihre Meinung, dass interreligiöser Dialog (im Sinne des Dialogs zwischen Religionen oder Religionsgemeinschaften), in der alleinigen Verantwortung der Religionsgemeinschaften bleiben muss.

 

Darüber hinaus, ermutigt die EKD den Europarat, sich noch aktiver in einen Dialog mit den Religionsgemeinschaften zu begeben. Ein wichtiger Schritt könnte es sein, dass der Europarat beginnt, mit Kirchen und Religionsgemeinschaften in Anerkennung ihrer Identität und ihres besonderen Beitrags einen offenen, transparenten und regelmäßigen Dialog zu pflegen. Der Status, den Kirchen und religiöse Vereinigungen oder Gemeinschaften in den Mitgliedstaaten nach deren Rechtsvorschriften genießen, wird dabei nicht beeinträchtigt.

 

13. Wie kann die Fähigkeit von Individuen, Gruppen und Institutionen zum interkulturellen Dialog vergrößert werden?

Aus Sicht der EKD sind hier vor allem Fortbildung und Öffentlichkeitsarbeit zu nennen.

 

14. Wie kann die gleiche Teilnahme von Männern und Frauen am interkulturellen Dialog gesichert werden?

Zusätzlich zu Angeboten mit gleichberechtigtem Zugang für Männer und Frauen sollten besondere Angebote für Frauen angeboten werden, um deren Beteiligung zu fördern (s. Antwort zur Frage 9 und Beispiele für gute Praxis).

 

15. Welche Methoden der Dialogführung sind speziell geeignet, um das interkulturelle Verständnis zu fördern?

Da der Platz nicht ausreicht, um die Vielfalt der geeigneten didaktischen Szenarien im Detail zu beschreiben, welche die EKD in der Praxis erfolgreich erprobt hat, soll nur ein Beispiel für den „Symbolischen Dialog“ und den „Dialog des Lebens“ wie sie in der Antwort zu Frage 6 dargestellt werden, hier angeführt werden.

In Bezug auf den „symbolischen Dialog“ hat sich die dialogische Konferenzstruktur als besonders geeignet dafür erwiesen, diese Art von interkulturellem Dialog zu fördern. Die dialogische Konferenzstruktur ist eine Methode, welche das Gleichgewicht und die dialogische Struktur des Austausches zwischen zwei Kulturen betont, indem sie sicherstellt, dass auf jeden Beitrag eines Vertreters der einen Kultur eine direkte Reaktion eines Vertreters der anderen Kultur folgt. Nach dieser Erwiderung wird jede Austauschrunde durch eine Reflexion und Auswertung abgeschlossen.

Für den „Dialog des Lebens“ ist durch viele Beispiele guter Praxis deutlich geworden, dass handlungsorientierte Initiativen eine wichtige Rolle spielen.

 

16. Was ist notwendig, um vom interkulturellen Dialog zum gemeinsamen Handeln überzugehen?

Die wichtigsten Voraussetzungen sind:

-         gegenseitiges Vertrauen

-         stabile Strukturen der Zusammenarbeit, die nicht nur auf eine kurzfristige, sondern auf eine langandauernde und zuverlässige Form der Zusammenarbeit abzielen

-         eine gemeinsame Verantwortlichkeit dafür, das Leben gemeinsam zu gestalten.

Manchmal kann es hilfreich sein, diese Voraussetzungen noch einmal durch gemeinsame Stellungnahmen an die Öffentlichkeit oder durch ein formelles Übereinkommen bezüglich der Zusammenarbeit zu unterstreichen.

 

17. Was sind die erwarteten politischen und individuellen “Ergebnisse” des interkulturellen Dialogs? Wie kann man diese „messen“?

Man könnte die Auswertung darin zusammenfassen, welchen „Ort“ die jeweils andere Kultur im eigenen Denken und Handeln vor Beginn des Dialogs hatte und ob und wie sich dieser „Ort“ bis zur Auswertung des Dialogs verändert hat.

Dazu ist umfangreiche Befragung und Auswertung nötig,  - wie es dem heutigen Standart entspricht - Projekte und deren Vorhaben nach deren Abschluss wissenschaftlich zu evaluieren und die Qualitätsstandards dadurch kontinuierlich weiter zu entwickeln.

 

18. Welche zugrundeliegenden Werte sind wichtig für die Förderung des interkulturellen Dialoges? Bedarf es dafür „neuer“ Werte?

Die benötigten Werte können nicht einfach „erfunden“ oder „beigebracht“ werden. Vielmehr müssen sie gelebt und in der Gemeinschaft mit anderen ausgeübt werden. Außerdem erscheint es schwierig, Werte ohne weltanschauliche Grundeinstellungen zu haben. Glaube und Wissen sind sich gegenseitig ergänzende Bereiche, die enger verbunden werden müssen, um Prozesse gegenseitigen Lernens zu fördern.

Vor diesem Hintergrund, glaubt die EKD, dass die Akzeptanz der Pluralität ein wichtiger „Wert“ in dieser Beziehung ist. Zusätzlich sollte in diesem Kontext „Toleranz“ genannt werden – insbesondere das Konzept der aktiven im Gegensatz zur passiven Toleranz. Diese aktive Toleranz hat drei Aspekte: Sie beginnt mit der persönlichen, überzeugten Toleranz - die aus der Gewissensfreiheit kommt - als Freiheit zur Bildung eigener Überzeugungen und zur Bindung an sie. Die gesellschaftliche Toleranz, die sich aus der persönlichen Toleranz ergibt, zielt auf eine wechselseitige Achtung von Überzeugungen und Lebensformen, nicht auf den Verzicht darauf. Die politische Toleranz schließlich ermöglicht gesellschaftliche Toleranz und schafft so einen Raum, in dem sich Überzeugungen bilden und entfalten können.

Selbstverständlich müssen diese Werte, in jedem einzelnen Dialogszenario wieder neu gemeinsam gelebt und ausgeübt werden. Dabei dienen diese Werte in unserem Zusammenhang dem Ziel, dass sich eine reife und flexible Identität entwickeln kann.

 

19. Gibt es “natürliche” Grenzen dafür, was durch interkulturellen Dialog erreicht werden kann? Welche Möglichkeiten für den Dialog gibt es für diejenigen, die unsere Weltsicht nicht teilen, eine unterschiedliche Interpretation gemeinsamer Werte haben oder sich dem Dialog verweigern?

Siehe Antworten zu Fragen 1, 2 und 10.

 

20. Wie kann formelle, informelle und nicht-formelle Bildung interkulturellen Dialog fördern und den Einzelnen für das Leben in einer multikulturellen Gesellschaft vorbereiten?

Gelingender interkultureller Dialog ist auf Beiträge sowohl von formeller als auch von nicht-formeller Bildung angewiesen, die einander ergänzen können.

Demokratisch organisierte Bildungssysteme und dialogorientierte Erziehung, welche die Situation des Lernenden und seine aktive Fähigkeit zur Lösungsorientierung und Sinnerschließung betonen, sollten gefördert werden.

Bildungsaktivitäten sollten interkulturelle Kompetenz fördern, die Folgendes  beinhaltet:

-         Kommunikation auf der Basis von interkulturellem Wissen und Einstellungen

-         Die Fähigkeit zur Selbstreflexion, welche den Einzelnen in Stand setzt seinen gedanklichen Bezugsrahmen zu verändern.

-         Empathie, die auf kulturbasierte Handlungsweisen erkennt und eine flexible Reaktion ermöglicht.

-         Einen Perspektivwechsel, der Verständnis der anderen Kultur und Akzeptanz von Unterschieden und Meinungsverschiedenheiten ermöglicht.

 

Die Entwicklung interkultureller Kompetenz sollte bereits am Anfang von formeller Bildung stehen. Der Bildungsprozess sollte den Sinn fördern für eine reflexive Identität, für bewusste Wahrnehmung der Anderen und für die Entwicklung von Einstellungen, die das gesellschaftliche Zusammenleben unterstützen. Die Entwicklung von interkultureller Kompetenz zu fördern ist Aufgabe des gesamten Bildungs- und Erziehungssystems, nicht etwa nur der Lerninhalte oder der Lehrenden.

In religiösen Gemeinschaften sollten Erziehungs- und Bildungsaktivitäten den Dialog mit Andersgläubigen ermutigen. Sie sollten auf Fähigkeit zur Darstellung der eigenen Position, das Offenheit von Anderen zu lernen, Respekt vor anderen Lebenseinstellungen und auf Verantwortungsübernahme für das gemeinsame Leben in der Gesellschaft hinwirken.  

Engagement im interkulturellen Dialog bedarf eines Mindestverständnis von Religion. Menschen Gläubige und Nichtgläubige sollten den Beitrag unterschiedlicher Traditionen respektieren.

 

21. Wie kann die Wahrnehmung dafür gestärkt werden, dass interkultureller Dialog nicht nur ein “kulturelles” Anliegen ist, sondern die systematische Unterstützung in anderen Politikbereichen braucht?

Siehe Antwort zu Frage 1.

 

22. Welcher institutioneller Arrangements bedarf es, um eine besser Koordination der verschiedenen Politikbereiche auf internationaler, nationaler und lokaler Ebene zu erreichen?

Siehe Antwort zu Frage 1.

 

23. Wo sollte die Politik des “Mainstreaming” in Bezug auf den interkulturellen Dialog beginnen, welche Politik sollte Priorität dabei haben?

Siehe Antwort zu Frage 1.

 

24. Wie kann interkultureller Dialog auf der lokalen Ebene gefördert werden?

Nach den Erfahrungen der EKD sind viele Menschen grundsätzlich bereit, sich gerade auf lokaler Ebene für den Interkulturellen Dialog zu engagieren. Leider werden sie häufig durch fehlende unterstützende Rahmenbedingungen entmutigt.

Ermutigung könnten sie durch Maßnahmen in den folgenden Bereichen  erfahren:

  • Fortbildungen für Engagierte,
  • Einbindung von interkulturellem Dialog in Ausbildungsprogramme von entsprechenden. Berufen,
  • Förderung von Begegnung und Angebote entsprechender finanzieller Förderung.

 

25. Wie kann der interkulturelle Dialog durch Maßnahmen auf nationaler Ebene gefördert werden?

Auf der nationalen Ebene könnte interkultureller Dialog durch verstärkte institutionelle Kooperation der bereits engagierten Institutionen und Förderung von deren Qualitätsverbesserung gestärkt werden.

 

26. Wie können internationale Organisationen wie der Europarat lokale und nationale Initiativen für die Förderung des interkulturellen Dialogs unterstützen?

Der Europarat könnte durch Förderung des Austauschs von Erfahrungen und Beispielen für gute Praxis lokale und nationale Initiative für den interkulturellen Dialog stärken.

 

27. Wie kann die Zivilgesellschaft ermutigt werden, ihr Engagement im interkulturellen Dialog auf internationaler, nationaler und lokaler Ebene zu stärken?

Organisationen der Zivilgesellschaft, aber auch Kirchen und Religionsgemeinschaften könnten durch verstärkte finanzielle Förderung von Aktivitäten des interkulturellen Dialogs in ihrem diesbezüglichen Engagement gestärkt werden. Die Beantragung von Fördermitteln sollte zudem stark vereinfacht werden.

 

28. Wodurch wird ein praktisches Beispiel des interkulturellen Dialogs ein “Beispiel für gute Praxis”?

  • Bewertung der Lernziele und Lernschritte
  • Qualität der Inhalte
  • Qualifizierte Evaluation und selbstkritische Fortentwicklung der "guten Praxis".

 

Als Kirche mit langer Erfahrung in der Auswertung und Begutachtung von Projekten in den Bereichen von interreligiösem und interkulturellem Dialog findet die EKD es überraschend, dass in den diesbezüglichen Ausführungen des Konsultationsdokuments des Europarats kein Bezug auf Inhalte genommen wird.

 

31. Wie können Beispiele für gute Praxis (im Bereich des interkulturellen Dialoges) auf dem besten Weg publik gemacht werden?

Einige der Methoden, welche die EKD bisher verwendet hat sind:

-         Publikation auf Webseiten

-         Publikation in Broschüren

-         Organisation von Treffen, um Kontakt zwischen Mitarbeitenden an verschiedenen Beispielen für gute Praxis herzustellen

-         Preisverleihung für Beispiele guter Praxis

 

Brüssel, 4. Juni 2007

 

 

Anhang

-Beispiele für gute Praxis

-Publikationen der EKD zu verwandten Gebieten:

- Demokratie braucht Tugenden. Gemeinsames Wort des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Deutschen Bischofskonferenz zur Zukunft unseres demokratischen Gemeinwesens, Gemeinsame Text Nr. 19, hg. v. Kirchenamt der EKD und Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, 2006.

- Klarheit und gute Nachbarschaft. Christen und Muslime in Deutschland. Eine Handreichung des Rates der EKD, EKD Texte 86, 2006.

-  Zusammenleben gestalten. Ein Beitrag des Rates der EKD zu Fragen der Integration und des Zusammenlebens mit Menschen anderer Herkunft, Sprache oder Religion, EKD-Texte 76, 2002.

- Räume der Begegnung. Religion und Kultur in evangelischer Perspektive. Eine Denkschrift der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Vereinigung Evangelischer Freikirchen, Gütersloh 2002.


 


[1] S. Räume der Begegnung. Religion und Kultur in evangelischer Perspektive. Eine Denkschrift der EKD und der VEF, Gütersloh 2002, S. 11.

[2] S. Konsultationsdokument, S. 7.

[3] Vgl. Räume, S. 19-21.

[4] Vgl. zu interreligösem Dialog auch die Differenzierung in der Antwort auf Frage 12.

[5] Vgl. Antwort zu Frage 6.

[6] Vgl. die Antwort zu Frage 2.

[7] Vgl. die Antwort zu Frage 2.

[8] S. Beispiele für gute Praxis.