Christliche Morgenandacht im Deutschen Bundestag
Liebe Gemeinde,
vorgestern haben Prälat Jüsten und ich an der Einweihung der Bundesgeschäftsstelle des Bundesverbandes der Deutschen Milchviehalter teilgenommen. Wir waren gebeten worden, die Räume der neuen Geschäftsstelle und die Menschen, die in ihr arbeiten, zu segnen. Denjenigen, die uns eingeladen haben, ist an Gottes Segen für ihre Arbeit gelegen.
Arbeit ist wichtig für uns Menschen. Daran hat uns der Feiertag zu Beginn des Monats erinnert. Arbeit wird aber von verschiedenen Menschen ganz unterschiedlich erlebt und bewertet. Wir wissen zudem, dass nicht alle Menschen erwerbstätig sein können; auch wir waren es nicht von Beginn unseres Lebens an und werden es irgendwann wohl nicht mehr sein können.
Zuallererst dient Arbeit zur Sicherung des Lebensunterhaltes. Das Geld für Nahrung und Kleidung, für Wohnraum und Altersvorsorge, für Mobilität und Kultur und hoffentlich auch für Genuss und Wohltätigkeit muss verdient werden. Aber wir wissen auch, dass mit der Arbeit und dem jeweiligen Beruf gesellschaftliches Ansehen einhergeht.
Arbeit, die ein hohes Ansehen genießt, wird oft besser bezahlt als andere Tätigkeiten; umgekehrt wird besser bezahlte Arbeit oft als höherwertig angesehen. Zu arbeiten bedeutet jedoch mehr, als Geldverdienen und Ansehen zu erwirken. Im Idealfall kann sich ein Mensch durch seine Arbeit entfalten, kann die Gaben, die Gott ihm gegeben hat, einbringen. Durch Arbeit gewinnen Menschen einen Platz in der Gesellschaft. Viele soziale Kontakte entstehen am Arbeitsplatz. Das eigene Erzählrepertoire wächst - überlegen Sie doch mal, wie oft Sie sich über Ihre Arbeit unterhalten und wie viele spannende, bemerkenswerte oder auch lustige Begebenheiten Sie aus Ihrem Arbeitsalltag berichten können. Und je mehr sich ein Mensch mit dem was er tut identifiziert, desto zufriedener macht ihn seine Arbeit. Längst haben viele Studien bewiesen: Je zufriedener Menschen an ihren Arbeitsplätzen sind, desto geringer die Krankheitsrate.
Jesus erzählt in zwei Gleichnissen von menschlicher Arbeit und Gottes Segen. Er sagt:
31… Das Himmelreich gleicht einem Senfkorn, das ein Mensch nahm und auf seinen Acker säte;
32 das ist das kleinste unter allen Samenkörnern; wenn es aber gewachsen ist, so ist es größer als alle Kräuter und wird ein Baum, sodass die Vögel unter dem Himmel kommen und wohnen in seinen Zweigen.
33 Ein anderes Gleichnis sagte er ihnen: Das Himmelreich gleicht einem Sauerteig, den eine Frau nahm und unter einen halben Zentner Mehl mengte, bis es ganz durchsäuert war.
34 Das alles redete Jesus in Gleichnissen zu dem Volk, und ohne Gleichnisse redete er nichts zu ihnen,
35 damit erfüllt würde, was gesagt ist durch den Propheten, der da spricht (Psalm 78,2): »Ich will meinen Mund auftun in Gleichnissen und will aussprechen, was verborgen war vom Anfang der Welt an.«
(Mt 13, 31-35)
Die Handlung des Brotbackens wird zu einem Beispiel gelingender Arbeit: Zunächst braucht es Vorbereitung. Sobald die Sonne aufgeht, beginnen die Frauen mit dem Mahlen. Schwere Steinplatten werden dafür übereinandergelegt, dazwischen die Körner zerstoßen, zermahlen. Zwei Frauen arbeiten an den Mahlsteinen, andere sieben das Gemahlene, um Mehl und Kleie zu trennen. Für einen halben Zentner Mehl ist stundenlange Arbeit notwendig. Mühsame Arbeit. Auch das Durchmengen und Kneten des Teiges ist körperlich anstrengend. Anschließend muss der Teig ruhen - und die Bäckerinnen müssen es auch.
Mit dem Abstand zum bäuerlichen Leben ist uns die Erfahrung des unmittelbaren Bezugs zu unserer Ernährung weitgehend verloren gegangen. Dennoch sind uns die Bilder von afrikanischen und asiatischen Frauen, die unter schweren Bedingungen gemeinsam Mehl mahlen und Brot backen vertraut - aus dem Fernsehen oder vielleicht von Entwicklungsdienstreisen.
Das Brot ist ein Symbol für alles, was wir zum Leben brauchen – oder wie Luther in seinem kleinem Katechismus zur Erklärung der vierten Bitte des Vater Unser – „Unser täglich Brot gib uns heute“ -- schreibt: „ Was heißt denn tägliches Brot? Alles, was not tut für Leib und Leben, wie Essen, Trinken, Kleider, Schuh, Haus, Hof, Acker, Vieh, Geld, Gut, fromme Eheleute, fromme Kinder, fromme Gehilfen, fromme und treue Oberherren, gute Regierung, gut Wetter, Friede, Gesundheit, Zucht, Ehre, gute Freunde, getreue Nachbarn und desgleichen.“
Luther konnte so viel in der Bitte um das tägliche Brot finden, weil er mit der bildreichen Sprache Jesu vertraut war. Jesu Gleichnisse sind voller Bilder, die es in sich haben. Und sie bringen Verborgenes ans Licht. Die harte Arbeit der Frauen wird sichtbar gemacht. Und nicht nur ihre Arbeit, sondern auch das, was sich noch daraus entwickelt. Deutlich ist dies auch bei dem Senfbaum. Aus einem kleinen Samen wächst etwas Großes, an dem auch andere Geschöpfe, die Vögel, ihre Freude und ihren Nutzen haben. Und beides bringt Jesus mit dem Reich Gottes in Verbindung. Wie beim Baum das Entscheidende, das Wachsen, nach dem Säen geschieht, so geschieht das Entscheidende mit dem Teig, die Durchsäuerung in der Ruhephase, nach der getanen Arbeit.
In ihrer Arbeit als Politikerinnen und Politiker setzen Sie sich für eine gerechtere Welt ein, für Verhältnisse in denen Menschen gut leben und arbeiten können. Aber oft müssen Sie dann, wenn Ihre Arbeit getan ist, wenn die Beratungen abgeschlossen sind oder Ihr Standpunkt gesagt ist, ruhen und abwarten – und darauf vertrauen und hoffen, dass etwas geschieht, dass eine Maßnahme oder ein Gesetz etwas Gutes bewirkt für den einzelnen Menschen und für die Personengruppen, die Sie im Blick hatten.
Aber vorher, vor der Ruhe, steht harte Arbeit. Sie müssen vorbereiten, recherchieren, sich abstimmen, um Formulierungen ringen, Mitparlamentarier überzeugen. Die Mühlen eines Gesetzgebungsverfahrens mahlen langsam, die Widerstände in der eigenen Fraktion und beim politisch Andersdenkenden sind oft nur mit Mühe zu überwinden. Ja, es ist anstrengend, gesellschaftliche Entwicklungen politisch zu führen oder zu begleiten. Oft geht es nur sehr langsam voran, so langsam, dass wir hungrig werden, während wir auf die fertigen Brote warten.
Wenn wir von außen auf einen politischen Prozess wie auf das Fertigen eines Brotes schauen, kann es scheinen, als gebe es nicht genügtend Sauerteig. Dieser Sauerteig, der ein Bild sein könnte für die Sehnsucht nach einer gerechteren Welt, scheint oft zu wenig zu sein. Das Gleichnis macht Mut, den Sauerteig nicht zu unterschätzen. Trauen wir ihm etwas zu! Aus diesem Zutrauen entsteht der Mut, den wir brauchen, um uns selbst dem Leben zu stellen. Es entsteht Vertrauen, das uns befähigt, loslassen zu können und abzuwarten, wenn unsere Aufgabe getan ist.
Wer sich für Gerechtigkeit einsetzt, muss warten können, braucht Geduld. Unser Einsatz für eine gerechtere Welt würde schnell kraftlos, wenn wir Gottes Wirken nichts zutrauen. Eine Mischung aus Zähigkeit und Gelassenheit, aus Ausdauer und Abwarten kommt aus der Kraft des Glaubens. Kein falsches Wegschauen oder Aussitzen, sondern die Weisheit der Erkenntnis des richtigen Augenblickes möge Gott uns schenken. Damit wir dann, wenn es Zeit ist, die Arbeit wieder aufnehmen, wie beim Brotbacken.
Harte Arbeit und das Eintreten für eine gerechtere Welt – beides sind Notwendigkeiten, die nicht aufhören werden. Aber das Gleichnis eröffnet einen Raum, in dem wir lernen, nicht nur unserer Arbeitskraft, sondern ganz wesentlich auch der Kraft Gottes zu vertrauen. Sie wirkt im Verborgenen und schafft Verwandlung.
Sicherlich kennen Sie das Gefühl, die Frucht harter Arbeit zu genießen. Nicht immer haben Sie am Ende ein Brot in der Hand, aber auch an einem gelungenen Gesetz oder an einer vielbeachteten Stellungnahme kann man sich freuen und erkennen: Es war der Mühe wert. Aber: Trotz eigener harter Arbeit und großer Anstrengung lag das Gelingen nicht allein in unserer Hand. Deshalb hoffen wir und bitten darum, dass unsere Arbeit gesegnete Arbeit sei.
Amen