Herz und Mund und Tat und Leben

EKD-Denkschrift Nr. 143, 1998

2. Herausforderungen für das diakonische Engagement in einigen Beispielen

(26) Im folgenden sollen einige der Herausforderungen, vor denen die Diakonie gegenwärtig steht, und einige Schwerpunkte der diakonische Arbeit der Kirche geschildert werden. Dabei wird von einem Verständnis von diakonischem Engagement ausgegangen, das die einzelnen Christen, die Gemeinde, die Kirche, die kirchlichen Gruppen und Verbände sowie die Einrichtungen des Diakonischen Werks umfaßt.

2.1 Arbeitslosen Hoffnung geben

(27) Kirchengemeinden, diakonische Einrichtungen und Werke sowie freie Initiativen haben bereits beim Beginn der Massenarbeitslosigkeit in Westdeutschland in den 70er Jahren auf die menschlichen, sozialen und familiären Probleme der Arbeitslosen aufmerksam gemacht und konkrete persönliche Hilfe geleistet. In zahlreichen Städten und Landkreisen sind heute Beratungsstellen, häufig auch Treffpunkte (Cafés, Arbeitslosenzentren etc.) eingerichtet worden, um den von Arbeitslosigkeit Betroffenen konkrete Beratung und Hilfe anzubieten sowie Selbsthilfegruppen zu initiieren und zu begleiten. Hilfe in Einzelfällen leisten Pastoren und Pastorinnen sowie Kirchengemeinden durch Gespräche, Beistand und gelegentliche Geldspenden. Oft kommt es zu seelsorgerlichen Gesprächen mit Arbeitslosen, die deutlich machen, wie sehr Langzeitarbeitslosigkeit die Betroffenen in eine tiefe Sinn- und Lebenskrise stürzen kann. Die Kirche und ihre Diakonie beteiligen sich an Formen öffentlich geförderter Arbeit als Träger von Maßnahmen nach dem Arbeitsförderungsgesetz und wirken mit den Kommunen zusammen, um für ausgewählte Zielgruppen die Hilfe zur Arbeit im Rahmen sozialversicherungspflichtiger Arbeitsverhältnisse auszugestalten. Es gibt eine große Zahl von Initiativen aus dem Bereich der Kirche und ihrer Diakonie für Arbeitslose. Zu ihnen zählen Arbeitslosenfirmen der Diakonie ebenso wie Werkstätten, Sanierungs-, Reparatur- und Recyclingprojekte mit Arbeitslosen. Die sozialen Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaften der Diakonie umfassen derzeit rund 300 Einrichtungen mit ca. 600 Projekten. In etwa ebenso vielen Projekten werden Jugendlichen Qualifizierungschancen geboten. Insbesondere sozial benachteiligte Jugendliche sind auf diese Angebote angewiesen. In diakonischen Stellen und in besonderen Agenturen werden Arbeitslose und Vorruheständler in ehrenamtliche Arbeit in der Kirche und ihrer Diakonie vermittelt.

(28) Die Diakonie darf sich nicht darauf beschränken, Arbeitslose zu begleiten. Sie hat im Blick auf die Hilfe für Menschen ohne Arbeit auch eine gesellschaftspolitsche Aufgabe. Ein wichtiger Teil diakonischen Engagements ist deshalb auch der Versuch, auf diejenigen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft im Interesse der betroffenen Arbeitslosen einzuwirken, die Entscheidung tragen. So sind kirchliche Erklärungen zur Arbeitslosigkeit (unter ihnen besonders die Studie "Solidargemeinschaft von Arbeitenden und Arbeitslosen" von 1982 und die Erklärung der Sozialkammer zur Langzeitarbeitslosigkeit von 1987) ein öffentliches Eintreten der Kirche für die Belange der Arbeitslosen und ein Teil des gesellschaftspolitischen Engagements einer diakonischen Kirche. Auch die bewußtseinbildende Öffentlichkeitsarbeit von kirchlichen Verbänden und Akademien zum Thema Arbeitslosigkeit gehört zu diesem Engagement. Aber auch an "Runden Tischen sozialer Verantwortung" vor Ort suchen Christen mit ihren Gesprächspartnern gemeinsam nach konkreten Maßnahmen zur Verbesserung der Situation von Arbeitslosen. Hier kam es immer wieder zu erfolgversprechenden Kooperationen mit Arbeitsämtern, Kammern, Unternehmen, Gewerkschaften, Sozialämtern, Kommunen und berufsbildenden Schulen.

(29) Diakonie und Kirche tragen als Dienstgeber eine Verantwortung für die Beschäftigung. Sie müssen eigene Beiträge zu mehr Beschäftigung leisten und zugleich neue Beschäftigungsmodelle erproben.

2.2 Armen beistehen

(30) Die Hilfe für Arme zählt zu den originären diakonischen Aufgabenbereichen. Die beiden großen Kirchen in Deutschland haben in ihrem Gemeinsamen Wort "Für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit" zur Armut deutlich Position bezogen: "In den letzten 20 Jahren ist mit dem Reichtum zugleich die Armut in Deutschland gewachsen. (...) Die Armut hat viele Gesichter und viele Ursachen. Sie ist mehr als nur Einkommensarmut." (Ziff. 68) Die Kirche tritt nicht nur für die Rechte der Benachteiligten ein (wie etwa im Bundessozialhilfegesetz als Anspruch des einzelnen verbindlich definiert sind) und macht die Armut zu einem Thema in der Öffentlichkeit, sie hilft auch praktisch. So gibt es zahlreiche Initiativen in der Kirche und ihrer Diakonie, um die ganz elementaren Lebensbedürfnisse befriedigen zu helfen durch Suppenküchen, "Tafeln", Vesperkirchen, Kleiderstuben. Diese Hilfen werden vor allem von Wohnungslosen und Notleidenden in extremen Problemlagen wahrgenommen. So wurden etwa an einigen Kirchen Hamburgs die ersten "Kirchenkaten" für und mit Wohnungslosen aufgestellt. Für einen Nachtdienst und die Mitarbeit in einem Nachtbus haben sich viele Freiwillige gemeldet. Hier entstehen neue Formen gemeinsamer Verantwortung, die auf eine neue Kultur des Helfens hinweisen.

Auch die diakonischen Wohnungsloseneinrichtungen ("Herbergen zur Heimat") sind in den städtischen Zentren noch immer Anlaufstellen für Wohnungslose und Gefährdete, in denen eine erste Hilfe in elementaren Notlagen bis hin zur Krankenversorgung gewährt wird. Es entstehen immer neue Initiativen, die Wohnungslosen zur Seite stehen (betreutes Wohnen) und in Zusammenarbeit mit kommunalen und freigewerblichen Institutionen Sorge dafür tragen, daß die Betroffenen sowohl Arbeit als auch ein Zuhause finden. Kirchengemeinden in den Städten beteiligen sich an Projekten wie Obdachlosenzeitungen und Bürgschaften für Wohnungsuchende.

(31) Ein großer Teil von Personen, die zum Empfang von Sozialhilfe berechtigt wären, erhält diese aus unterschiedlichen Gründen (Unwissenheit, Scheu vor Behörden, Scham u.a.) nicht. Dies führt vor allem bei einkommensschwachen Familien dazu, daß ihre Mittel kaum für das Nötigste ausreichen. Die diakonische Beratung weist solche Bedürftige auf bestehende Hilfen hin und ermutigt sie, ihre Ansprüche geltend zu machen. Die Erfahrungen der allgemeinen Sozialberatung und der Spezialberatungen der Diakonie (Schuldnerberatung, psychologische Krisenberatung u.a.) zeigen, wie sehr diese Menschen Unterstützung brauchen, um ihr Leben eigenverantwortlich zu meistern. Armut fällt häufig mit Krankheit, Alter oder Behinderung, Arbeitslosigkeit, Überschuldung oder instabilen familiären Verhältnissen zusammen. Die diakonischen Beratungsdienste geben hier Hilfen zur Selbsthilfe. Sie versuchen, notleidende Menschen in die Eigenständigkeit zurückzuführen.

(32) Die Kirchengemeinden leisten heute wichtige Beiträge zur Hilfe für Arme im Sprengel und Kirchenkreis. Dies beginnt bei Spendensammlungen in der Gemeinde, bei der unmittelbaren Hilfe für Betroffene in Form von Speisungen oder Nahrungsmittelgeschenken, Partnerschaften, finanziellen Einmalhilfen in besonderen Notfällen und reicht bis zur Betreuung von sozial Ausgegrenzten und Wohnungslosen im Stadtteil durch den gemeindlichen Diakoniearbeitskreis oder Besuchsdienstkreis oder die Beteiligung der Gemeinde an kooperativen Initiativen für Wohnungslose (Wärmestuben, Treffpunkten, Teestuben u.ä.) gemeinsam mit der Kommune und anderen engagierten Stellen. (33) Es ist eine wichtige Aufgabe, die Wahrnehmung für die Armut in den Gemeinden zu schärfen und die Arbeit mit Armen in den Gemeinden zu stärken. Das gemeindliche Engagement für Arme darf sich nicht auf gelegentliche Einzelaktionen oder auf die Weihnachtszeit beschränken. Die Arbeit mit Armen sollte auch nicht ausschließlich bei einem kleinen Kreis von Engagierten in der Gemeinde oder ausschließlich bei den Seelsorgerinnen und Seelsorgern liegen. Es ist wichtig, daß die Arbeit verbreitert wird und die Hilfe für Arme zu einer Angelegenheit der gesamten Gemeinde wird. Es muß Problemnähe und Problembewußtsein sowie eine Kultur der Hilfe wachsen. Notwendig ist auch eine gut funktionierende Zusammenarbeit mit dem Kirchenkreis (bis hin zur finanziellen Unterstützung der Armenarbeit des Kirchenkreises durch die Gemeinden), dem örtlichen Diakonischen Werk sowie der Kommune.

2.3 Migranten annehmen

(34) Das Engagement gegen Ausgrenzung von Menschen fremder Herkunft und Ausländerfeindlichkeit ist eine diakonische Aufgabe. Die evangelische Kirche und ihre Diakonie bieten seit langem Hilfen zur Beratung, Unterstützung und Integration von Migranten an und treten für ihren Schutz ein. Neben Angeboten der Sozialberatung, der Rechts- und Verfahrensberatung und der Aus- und Weiterwanderungsberatung zählen hierzu beispielsweise therapeutische Angebote für Flüchtlinge, Hilfen bei der Familienzusammenführung und bei der Rückkehr ins Heimatland, Sprachkurse, Spiel- und Lernhilfen, Gruppenarbeit und stadtteilbezogene Gemeinwesenarbeit, Unterstützung von Selbsthilfegruppen, Patenschaften für einzelne Migrantenfamilien, berufsorientierende Kurse und Ausbildungshilfen. Vielfach sind es gerade die Kirchengemeinden, die sich für Asylsuchende, für Aussiedler und Flüchtlinge einsetzen.

(35) Zentrale Herausforderung für die Kirche und ihre Diakonie ist es, zu einem besseren Zusammenleben von Einheimischen und Fremden, Deutschen und Ausländern und zum Abbau von Fremdenfeindlichkeit und Rassismus beizutragen. Als Fürsprecher der Migrantinnen und Migranten gegenüber Politik und Öffentlichkeit müssen sich die Kirche und ihre Diakonie auch an der Debatte zur Entwicklung einer Gesamtkonzeption für Zuwanderung und Integration beteiligen und zur Versachlichung der Debatte beitragen. Auch in dieser Hinsicht sind verstärkt Integrations- und Begegnungsmöglichkeiten zu entwickeln.

(36) Zum anderen geht es um die Gewährung konkreter Hilfe, um Schutz für Migranten und Angebote zu ihrer Orientierung und Integration in Deutschland. Die gemeindliche Integration der Aussiedler muß als eine wichtige Aufgabe des Gemeindeaufbaus betrachtet werden. Dabei ist zukünftig noch stärker die einheimische Bevölkerung im Rahmen stadtteilorientierter Gemeinwesenarbeit einzubeziehen. Der engen Kooperation zwischen Kirchengemeinden, diakonischen Fachdiensten, ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und Initiativen kommt hier ein großer Stellenwert zu. Eine wichtige Aufgabe ist die Begleitung und Gewinnung weiterer ehrenamtlicher Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie die Unterstützung von Selbstorganisationen der Migrantinnen und Migranten.

2.4 Kinder, Jugendliche und Familien fördern

(37) Die Diakonie hat stets der Kinder- und Jugendhilfe hohe Priorität eingeräumt. Die Wichtigkeit dieses Arbeitsfeldes läßt sich allein daran einschätzen, daß heute von den rund eine Million Betreuungsplätzen in diakonischen Diensten und Einrichtungen jeder zweite Platz in diesem Bereich liegt. Die Kirche und ihre Diakonie haben durch ihre Kindergärten bzw. Tageseinrichtungen seit dem vorigen Jahrhundert eine gemeindenahe Angebotsstruktur für Kinder aufgebaut und wenden dafür bis heute erhebliche Eigenmittel auf. Ein flexibles Angebot an Kindertagesbetreuung, das sich an den Bedürfnissen der Kinder und Eltern orientiert, muß ausgebaut werden. Ziel ist es, weiterführende Konzepte für evangelische Tageseinrichtungen bereitzustellen, die familienübergreifende Erfahrungsräume für Kinder und Eltern eröffnen, und damit der zunehmenden Isolation und Überforderung moderner, meist kleiner Familien entgegenzuwirken. Das kirchengemeindliche Angebot wird so zum zentralen Kommunikationsort für Kinder und Eltern, für Jugendliche und Erwachsene in deren unmittelbarem Wohnumfeld.

(38) Neben den Kindergärten stehen vor allem Angebote der erzieherischen Hilfen für Kinder und Jugendliche, wie zum Beispiel Erziehungsheime und deren Ausbildungsangebote und Formen des betreuten Wohnens für Jugendliche, im Vordergrund. Diakonie und Kirche sind heute in besonderer Weise herausgefordert durch die Zunahme von Aggression und Gewalt unter Jugendlichen, aber auch durch Gewalt gegen Jugendliche. Während in der Vergangenheit die Heimerziehung für viele gefährdete Jugendliche der letzte und hilfreiche Rettungsanker war, gewinnt heute immer mehr die Verknüpfung von stationärer Erziehungshilfe und ambulanten Angeboten und Diensten an Bedeutung, insbesondere Projekte der mobilen Kinder- und Jugendarbeit.

(39) In den vergangenen Jahrzehnten hat die Diakonie an vielen Orten ein Netzwerk von Beratungsstellen und ambulanten Diensten in der Jugend- und Familienhilfe bis hin zur Jugendgerichtshilfe und zur Beratung arbeitsloser Jugendlicher weiterentwickelt.

(40) Familien zu fördern heißt in der Kirche und ihrer Diakonie, sie auch durch Angebote und Dienste, wie die Familienpflege, die sozialpädagogische Familienhilfe, die Kur- und Erholungseinrichtungen, zu entlasten. Diese Einrichtungen sind durch die Maßnahmen zur Konsolidierung des Gesundheitswesens und in der Sozialgesetzgebung insgesamt vielfach bedroht. Familien zu fördern bedeutet auch, sich für eine gerechte Lastenverteilung zwischen arm und reich sowie eine sinnvolle Steuerpolitik einzusetzen. Familienentlastende Leistungen wie das Erziehungsgeld und der Erziehungsurlaub sollten so ausgebaut werden, daß eine gesellschaftliche Teilhabe von Familien mit Kindern sichergestellt ist.

2.5 Hilfesuchende beraten

(41) Es besteht eine ungebrochene Nachfrage nach Beratung und Seelsorge. Menschen verlangen nach Orientierung und Hilfestellung in persönlichen und sozialen Krisen in allen Lebenslagen. Die Beratungsarbeit in Diakonie und Kirche hat nach dem Zweiten Weltkrieg eine große Ausbreitung erfahren. Gut ein Drittel aller Beratungsstellen befindet sich in kirchlich-diakonischer Trägerschaft. Beratung ist für alle diakonischen Handlungsfelder konstitutiv. Zu den grundlegenden Aufgabenbereichen zählen Telefonseelsorge und Bahnhofsmission. Zu den wesentlichen Aufgaben der psychosozialen Beratung gehören die Alleinerziehendenberatung, die Ehe-, Familien- und Lebensberatung, die Erziehungsberatung, die Kinder- und Jugendberatung, die Beratung für psychisch Kranke, die Schwangerschafts- und Schwangerschaftskonfliktberatung, die Sozial- und Schuldnerberatung sowie die Suchtberatung. Die Diakonie bietet zahlreichen sozialen Gruppen wie Arbeitslosen, Ausländern, Aussiedlern und Asylbewerbern, Kriegsdienstverweigerern, Wohnungslosen, Menschen mit einer Behinderung und ihren Angehörigen u.a. eine spezialisierte Beratung an. Eine verkündigende Kirche kann sich der Beratungsaufgabe in der Krisenintervention wie im präventiven Bereich nicht entziehen.

(42) Die in Ostdeutschland durchgeführte Lebenslagenuntersuchung "Menschen im Schatten" hat unterstrichen, wie akzeptiert Beratungsdienste selbst in einem säkularen Kontext sind. Allerdings macht die Studie auch deutlich, daß Kirchengemeinden weitgehend ihre Vermittlungsaufgabe bei sozialen Nöten nicht wahrnehmen. Dies dürfte in West- und Ostdeutschland in gleicher Weise gelten. Dabei hätten sie die große Chance, das sich an die Beratungsstellen und ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter richtende Vertrauen von Menschen zu nutzen. Oft scheinen sie nicht einmal die sozialen Probleme ihrer Mitglieder und der Menschen in ihrem Einzugsbereich wahrzunehmen. Es wäre eine große Chance für die Kirche, das Vertrauen der Hilfesuchenden, die kirchliche Beratung in Anspruch nehmen wollen, aufzunehmen. Ebenso muß Beratungsarbeit in diakonischer Trägerschaft den Kontakt zu den Kirchengemeinden suchen und intensivieren. In der Vernetzung beider Seiten kann sich eine kirchengemeindliche Sozialarbeit entwickeln, die den Kontakt zu den Gemeinden verstärkt und mit dem sozialkaritativen Ehrenamt zusammenarbeitet.

2.6 Lebenschancen für Menschen mit Behinderungen entfalten

(43) Soziale Integration von Menschen mit Behinderungen ist ein zentrales Anliegen der Diakonie und ihrer Behindertenhilfe. Menschen mit Behinderungen soll die volle Teilnahme am Leben in der Gesellschaft eröffnet werden. Ihnen soll die Möglichkeit gegeben werden, "dabei zu sein", ein erfülltes Leben zu führen, sich wohlzufühlen, zu kommunizieren und hinzuzulernen.

(44) Die Angebote diakonischer Behindertenhilfe sind differenziert und vielfältig, entsprechend der Bedarfs- und Lebenssituation von Menschen mit Behinderungen und ihrer Angehörigen. Frühförderstellen bieten Beratung, Unterstützung und therapeutische Angebote für Familien mit behinderten Kindern im Vorschulalter. Kindertagestätten und Schulen ermöglichen Erziehung, Bildung, Wissenserwerb und soziales Lernen. Familienentlastende Dienste unterstützen Familienmitglieder mit behinderten Angehörigen. Vielfältiges am individuellen Unterstützungsbedarf orientierte Wohnangebote ermöglichen Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung im Wohnbereich als dem zentralen Lebensmittelpunkt. Mit ihrem ganzheitlichen Hilfeangebot bieten große diakonische Einrichtungen umfassende Unterstützung zur Lebensgestaltung als "Orte zum Leben" für Menschen mit Behinderungen. Junge Menschen mit Behinderungen können durch umfassende Förderung in Berufsbildungswerken einen qualifizierten Berufsabschluß erwerben. Erst dadurch wird ihnen der Zugang zur Arbeitswelt und die Chance eröffnet, durch Erwerbsarbeit ihr Leben eigenverantwortlich zu gestalten. Werkstätten für Behinderte vermitteln berufliche Bildung, Arbeit und Beschäftigung für diejenigen, die nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein können.

(45) In den vergangenen Jahren haben sich in den Einrichtungen der Behindertenhilfe tiefgreifende Veränderungen ergeben. Bei den Bewohnerinnen und Bewohnern handelt es sich in zunehmendem Maße um schwer mehrfachbehinderte Menschen. Neben körperlicher und geistiger Behinderung treten weitere schwere Erkrankungen oder ein Fortschreiten der Grundbehinderung hinzu. Diesem Personenkreis stehen heute häufig nur die Einrichtungen der diakonischen Behindertenhilfe offen.

(46) Eine besondere Herausforderung diakonischer Behindertenhilfe ist gegenwärtig die Ausgestaltung bedarfsgerechter Angebote für die seit einigen Jahren zunehmende Zahl älterer und alter Menschen mit geistiger Behinderung. Es gilt nun, zusammen mit diesen Personen Möglichkeiten der altersgerechten Lebensgestaltung zu entwickeln und zu sichern.

(47) Mit der Entwicklung regional orientierter, differenzierter, wohnortnaher Hilfeangebote versucht die Diakonie, die Forderung nach möglichst selbstbestimmter Lebensführung von Menschen mit Behinderungen aufzunehmen und in Konzepte der Hilfe umzusetzen, die an der angestammten Lebenswelt der Betroffenen orientiert sind. Diese Angebote müssen der Individualität und dem Selbstbestimmungsrecht der Menschen mit Behinderungen gerecht werden und damit dem christlichen Bild des Menschen entsprechen. Das Wahl- und Selbstbestimmungsrecht von Menschen mit Behinderungen kann erst verwirklicht werden, wenn der Anspruch auf notwendige Leistungen im Sozialrecht verankert ist. Wo Menschen wegen ihrer Behinderung auf Almosen angewiesen sind, wird ihre Würde verletzt. Das Diakonische Werk der EKD hat sich deshalb für die Ausgestaltung und Fortentwicklung des sozialen Leistungsrechtsfür Menschen mit Behinderungen eingesetzt und den Tendenzen der letzten Jahre, diese Rechtsansprüche zu reduzieren, entschieden widersprochen.

(48) In die Gestaltung von Hilfen für Menschen mit Behinderungen unter dem Aspekt der Regionalisierung müssen sowohl die jeweiligen Kirchengemeinden wie auch die diakonischen Einrichtungen einbezogen werden. Große diakonische Träger bieten mit ihren Erfahrungen, ihrer Fachkompetenz, ihren personellen und sächlichen Ressourcen eine geeignete Basis für die Umsetzung von regionalisierten Hilfeangeboten. Regionalisierung, die ausgeht vom Bürger mit Hilfebedarf, erfordert von Kirchengemeinden und diakonischen Einrichtungen und Diensten die Akzeptanz und das Eingehen auf den Hilfebedarf derjenigen, die in den Gemeinden leben. Als Aufgabe der Gemeinde kann die Sorge dafür angesehen werden, daß Menschen mit Behinderungen alle lebensweltlichen Hilfen erhalten, die die praktische Integration in das Gemeindeleben als Bestandteil der Lebenswelt fördern.

2.7 Alte Menschen unterstützen

(49) Begleitung von alten Menschen und Hilfe ist ein wichtiger Teil der Altenarbeit der Kirchengemeinden. Hier bestehen Seniorenkreise und Lebensbegleitung von alten Gemeindegliedern (etwa durch ehrenamtliche engagierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Besuchsdienstkreises) ebenso wie die Förderung von Eigen- und Selbsthilfe. In vielen Fällen werden sogar demente oder anders erkrankte ältere Menschen durch die Gemeinde in ihrer angestammten Lebenswelt versorgt. Wichtig ist in diesem Zusammenhang die Zusammenarbeit der Gemeinde mit ortsnahen Pflegeheimen und Einrichtungen "betreuten Wohnens". Solche Einrichtungen können ihrer Aufgabe nicht ohne ein sorgendes Umfeld nachkommen, in denen die Ressourcen der Ortsgemeinde, des Stadtteils, des gewohnten Lebensumfeldes gezielt aktiviert und zum Wohle der Betroffenen eingesetzt werden. In diesem Sinne kann sich die Gemeinde als therapeutische und seelsorgliche Gemeinschaft bewähren.

(50) Um Selbständigkeit und Autonomie geht es vor allem auch im Bereich der ambulanten Hilfe. Schwestern und Pfleger sind gemeinsam mit einer Vielzahl anderer Dienste darauf vorbereitet, Hilfebedürftige in einer eigenen Wohnung zu pflegen und ihnen ein Leben zu Hause zu ermöglichen. Eine Vielzahl von haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern hilft durch kontinuierliche Betreuung. Die Diakonie- bzw. Sozialstation ist nicht "nur" eine ambulante Pflegestation, sondern auch Beratungs-, Anlauf-, Kontakt-, Vermittlungs- und Koordinierungsstelle. Manchmal ist die Pflege gerade nicht gefordert, sondern es geht um Hilfe in alltäglichen Situationen. Hier gibt es die Möglichkeit, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der mobilen ambulanten Dienste in Anspruch zu nehmen. Sie helfen bei Notsituationen in Familien, leisten Unterstützung im Haushalt, erledigen Einkäufe, begleiten zu Ämtern und Behörden oder unterstützen auch teilweise bei der Körperpflege.

(51) Unter dem Stichwort "Alte Menschen helfen sich selbst" entstanden überall in Deutschland Selbsthilfeorganisationen und -initiativen auch im Bereich der Diakonischen Werke, die sich bestimmten Themen (z.B. alterstypische Gesundheitsbeeinträchtigungen), der gegenseitigen Hilfe im Alltag oder der gemeinsamen Freizeitgestaltung zur Vermeidung von Alterseinsamkeit widmen. Ehrenamtlich Mitarbeitende werden als Vermittler geschult, d.h. sie fördern das Selbsthilfepotential alter Menschen, sprechen sie an und aktivieren sie. Jede und jeder soll sich in die entstehende Gruppe mit seinen bzw. ihren eigenen Fähigkeiten einbringen. Seniorengenossenschaften, Selbsthilfeinitiativen und Selbsthilfeberatung können einen wesentlichen Teil der Hilfe für alte Menschen übernehmen und zusätzlich zur Errichtung von Beratungs- und Kontaktzentren, zur Unterhaltung von Tageszentren und Seniorenrestaurants beitragen.

(52) Der Verbleib in der eigenen Wohnung ist der Wunsch der meisten älteren Menschen. Zum einen, weil damit zumeist ein hohes Maß an Selbständigkeit erhalten bleibt, zum anderen, weil das Bedürfnis nach Kontinuität und Heimat befriedigt werden kann. Diesem Anliegen dient die offene Altenarbeit. Ihr Schwerpunkt liegt auf dem Erhalt der möglichst selbständigen und eigenverantwortlichen Lebensführung. Die offene Altenarbeit ist in hohem Maße auf die Mitarbeit von Ehrenamtlichen aus dem engeren oder weiteren Lebensumfeld der Betroffenen angewiesen. Besonders hilfreich ist auch hier die Mithilfe von ehrenamtlichen Alten, die aus eigener Betroffenheit in ihren jeweiligen (Kirchen-) Gemeinden und Bezirken nach dem Grundsatz mitgestalten möchten: "Altenarbeit nicht für Alte, sondern mit den Alten."

(53) Das Gewicht der kirchlichen Altenarbeit liegt heute zumeist bei den Einrichtungen der verfaßten Diakonie. Ihre Arbeit umfaßt stationäre Altenarbeit ebenso wie die offene Altenarbeit, die ambulante Hilfe und die Unterstützung von Selbsthilfeorganisationen. In dieser Hinsicht hat sich die Altenarbeit in der Kirche und ihrer Diakonie grundlegend geändert. Einhergehend mit diesen konzeptionellen Veränderungen hat sich auch ein neues Pflegeverständnis entwickelt, das geprägt ist von dem Grundgedanken einer aktivierenden und auf die Individualität des Bewohners zugeschnittenen Pflege. Dabei stehen nicht die "Versorgung", sondern Unterstützung und Förderung einer größtmöglichen Selbständigkeit und Autonomie des älteren Menschen im Vordergrund.

(54) Im Bereich der stationären Altenarbeit ist das Angebot inzwischen auf die verschiedensten Bedürfnisse und Vorstellungen des älteren Menschen hin ausgebaut worden. So gibt es nicht mehr "Das Altenheim" oder "Das Pflegeheim", sondern unterschiedliche Häuser und Konzepte, die zukunftsweisend sind für ein Leben in einer Einrichtung. Das Angebot umfaßt Altenwohnungen mit altersgerechter Ausstattung, betreutes Wohnen, Kurzzeitpflege, Tagespflege, Altenheime und Pflegeeinrichtungen. Letztere spielen eine zunehmende Rolle, denn die Zahl der Schwerstpflegebedürftigen ist in den letzten Jahren erheblich gestiegen. Sicher ist die Anzahl der Plätze noch nicht ausreichend, jedoch bemühen sich die verschiedenen Träger seit Jahren um einen weiteren Ausbau. Altenwohnheime und Einrichtungen für Altenwohnungen entwickeln sich tendenziell zu Stätten des "betreuten Wohnens", in denen differenzierte Angebote zur Versorgung und Pflege in Anspruch genommen werden können.

2.8 Kranken helfen

(55) Krankheit, gesundheitliche Beschwerden und Siechtum sind ein Teil der Lebensrealität und damit ein Schicksal, das jeden treffen kann und trifft. Selbst der Begriff Gesundheit schließt die Einschränkung und die Belastung mit ein. Pflege, Seelsorge und heilendes Handeln prägen sowohl die nachbarschaftliche und gemeindenahe Krankenpflege als auch die kirchlichen Krankenhäuser. Ein Drittel aller Krankenhäuser in Deutschland ist heute in kirchlicher Trägerschaft. Mehr als ein Viertel der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Diakonie arbeiten in evangelischen Krankenhäusern. In diesen Krankenhäusern wird versucht, den Charakter einer kirchlichen Krankenversorgung deutlich zu machen. Aufgrund der oft schwierigen Arbeitsbedingungen in den Krankenhäusern fällt es nicht immer leicht, diesem Selbstanspruch gerecht zu werden.

(56) Auch in der zeitgemäßen Form gemeindenaher, ambulanter Krankenversorgung, d.h. bei den flächendeckend eingeführten Sozialstationen, ist eine hohe Zahl in kirchlicher Trägerschaft. In vielen Gemeinden haben sich die Gemeinde-Krankenpflege oder Besuchsdienste auf ehrenamtlicher Basis als eine wichtige Stütze dieser Versorgungseinrichtungen erwiesen. Ziel der Diakoniestationen ist es, eine personennahe Krankenpflege ambulant sicherzustellen und die Verzahnung mit der stationären Versorgung einerseits und dem diakonischen Handeln der Kirchengemeinden andererseits zu erreichen.

(57) Für die nachstationäre Behandlung gibt es inzwischen auch in der Diakonie ein breit gefächertes Angebot: Die chronisch Kranken, auch Menschen mit Altersbeschwerden, werden nach einer genauen Diagnostik mit klaren Anweisungen an die Sozialstationen verwiesen. Rehabilitationseinrichtungen und Kurkliniken bieten spezielle Hilfen an.

(58) Häufig durch Klinikseelsorge angeregt und durch sie unterstützt, finden sich mehr und mehr Selbsthilfegruppen etwa von Krebskranken, psychisch Kranken, Suchtkranken u.a. zusammen. Sie haben in den letzten Jahrzehnten mit Recht einen immer höheren Stellenwert bekommen. Es ist wünschenswert, wenn Kirchengemeinden solchen Selbsthilfegruppen Räume zur Begegnung und materielle Unterstützung geben. Hier wird die Mündigkeit von Patienten gestärkt und zu stabilem Umgang mit dem bleibenden Leiden angeleitet. Was in den Familien und Nachbarschaften an freiwilliger Pflege täglich geleistet wird, entzieht sich der statistischen Erfassung. Die Verkündigung und Seelsorge evangelischer Gemeinden wird es als eine ihrer Aufgaben ansehen, die Bereitschaft dafür zu wecken und, wo eine andauernde Beanspruchung entsteht, zu stärken.

(59) Die guten Erfahrungen mit Ethikkomitees bieten christlichen Krankenhäusern die Chance für profilierte, eigenständige, wertgebundene Arbeit. Diese Komitees haben das Ziel, das Anliegen einer tieferen und expliziten Integration der Ethik in den Alltag des Krankenhauses für alle Betroffenen und Beteiligten sichtbar, spürbar und sinnvoll mitvollziehbar werden zu lassen. Mit diesen Ethikkomitees wird nach innen und außen dokumentiert, daß Diakonie ethisch qualifizierbare Dienstleistungen erbringt und von ihrem Grundanliegen her sich jeder Art der Reduktion und Bevormundung widersetzt. Jede Handlung und Behandlung muß sich in diesem Sinne hinterfragen lassen, ob und wieweit sie wirklich dem Interesse des Kranken dient.

(60) Eine wichtige Bedeutung für das christliche Krankenhaus spielt die Seelsorge. Sie vermag Fesseln der Krankheit zu lockern, oft auch zu lösen. Sie ist nicht nur seelsorgerliches Gespräch mit Patienten, sondern auch Hilfe für Ärzte in Entscheidungsfragen von ethischer Relevanz und Hilfe für Therapeuten und Pflegekräfte, die ihren Dienst als "Seelsorge ohne Worte" verstehen. Auch viele Ehrenamtliche begleiten in diesem Sinn Kranke und versuchen, ihnen beizustehen. Gegenwärtig besteht die Schwierigkeit, daß immer weniger Seelsorger für immer mehr Patienten zuständig sind. Dabei müßten nicht allein Theologinnen und Theologen diesen Dienst der christlichen Gemeinde übernehmen. Die Gemeinden könnten bereits vorhandene Modelle auswerten und übernehmen und phantasiereiche Formen aktiver Laienseelsorge anregen und entwickeln. Hier können auch neue Gottesdienst- und Kommunikationsformen eine wichtige Rolle spielen, in die Angehörige und Freunde einbezogen werden. Die Bereitschaft des ärztlichen und pflegerischen Personals zur Beteiligung an der Seelsorge kann gefördert und integriert werden.

2.9 Sterbende begleiten

(61) Im Angesicht des Todes wollen Menschen in Würde sterben. Christen können in solchen Augenblicken erkennen, daß es möglich ist, dem schweren Augenblick standzuhalten und ihren Freunden oder Angehörigen in ihren schwersten Stunden beizustehen. In kleinen Handreichungen, in schlichter Anwesenheit und schon im Zuhören drückt sich Zuwendung aus. In aufmerksamer und behutsam begleitender Nähe können sie etwas von der Liebe Gottes vermitteln und zugleich von den Sterbenden selbst Stärkung erfahren. In vielen christlichen Familien wird Beistand für sterbende Angehörige oder Freunde als Ausdruck gelebten Glaubens praktiziert. Es gibt Traditionen des Abschiednehmens in liebevoller und feierlicher Atmosphäre, in der das "Heimgehen in die Ewigkeit" für alle Angehörigen wie für den Sterbenden zum selbstverständlichen Teil des Lebens gehört. Das Gebet wird als eine Quelle des Trostes und der Kraft erfahren.

(62) Sterbebegleitung hat es in der Kirche bereits seit ihren frühen Anfängen gegeben. Diese Arbeit hat in der Geschichte von Diakonie und Kirche eine lange Tradition. Es ist erfreulich, daß sich ganz selbstverständlich Gemeindeglieder bereit finden, an dieser Aufgabe mitzuwirken. Dies geschieht in Besuchen, in Hilfe für die pflegenden Angehörigen und durch Zeichen des Beistandes. Gerade in solchen Fällen ist es wichtig, daß sich die Gemeinde als "Koinonia", als Gemeinschaft versteht, die Beheimatung ihrer Glieder in der Gemeinde durch Hilfen deutlich macht und in Verkündigung, Gottesdienst, Seelsorge und Begleitung dem Sterben in der eigenen Gemeinde Raum gibt.

(63) In den Krankenhäusern und Hospizen geht es neben guter schmerztherapeutischer Behandlung durch medizinisches Fachpersonal um die seelsorgerliche Begleitung Sterbender, den Beistand für trauernde Angehörige und Freunde und persönliche Nähe und Hilfe, die sich unmittelbar aus dem christlichen Verständnis des Lebens und Sterbens herleiten. Aber es geht auch darum, in der Gesellschaft das Bewußtsein für Begrenztheit und Vergänglichkeit des Lebens zu wecken und so zu einer Ethik der Endlichkeit, der Selbstbegrenzung und der Solidarität beizutragen. Bei der Begleitung Sterbender geht es darum, Formen gemeinschaftlicher und alltäglicher Problembewältigung zu entwickeln, die Notwendigkeit ehrenamtlichen Engagements bewußt zu machen und die Frage nach verpflichtender Sozialzeit zu stellen. Im Christentum ist die Überzeugung verankert, daß die Würde jedes, also auch des kranken, hinfälligen und sterbenden Menschen unbedingt zu achten und zu schützen ist. Diese Würde muß im Leben und im Sterben zu ihrem Recht kommen. Fragen der finalen Medizin müssen in christlichen Krankenhäusern anders behandelt werden. Dies ist ein Stück ihrer Legitimität. Damit können sie Zeichen setzen.

(64) Die Begleitung Schwerkranker und Sterbender geschieht nicht nur in Krankenhäusern und Pflegeheimen der Diakonie. Darüber hinaus bieten bundesweit ambulante Dienste für Sterbebegleitung, teilstationäre Einrichtungen, Hospize (Pflegeeinrichtungen für Sterbende) und Palliativstationen (Pflegeeinrichtungen für zumeist sterbende Schmerzpatienten) ihre Hilfe an. Die Arbeit wird weithin durch ehrenamtliche Hospizhelferinnen und Hospizhelfer getragen. Sie ermöglichen die Integration der Sterbenden und ihrer Angehörigen in ein sie tragendes Umfeld. Der Großteil der Hospizdienste arbeitet in ökumenischer Ausrichtung zusammen. Spenden kommen von Freundeskreisen oder Fördervereinen und aus evangelischen und katholischen Kirchengemeinden. Den Kern der Hospizarbeit bildet ein interdisziplinär arbeitendes Team (Krankenschwester, Sozialarbeiterin, Geistlicher, Ärztin u.a.). Das Team verfügt über spezielle Kenntnisse und Erfahrungen in der medizinischen und pflegerischen Beeinflussung der das Sterben oftmals belastenden Symptome, insbesondere der Schmerzen. Die "Hospizbewegung" als eine Selbsthilfebewegung ist weit überwiegend im kirchlich-diakonischen Raum verankert. In ihr hat sich ein eindrucksvolles Zusammenwirken von ambulanter und stationärer Sterbebegleitung entwickelt.

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