Genitalverstümmelung von Mädchen und Frauen

EKD-Text Nr. 65, 1999

3. Rechtsfragen zu Genitalverstümmelung

1 Genitale Verstümmelung kann eine "politische Verfolgung" im Sinne des Art. 16 a des Grundgesetzes (GG) sein und einen Rechtsanspruch auf Gewährung von Asyl in der Bundesrepublik Deutschland begründen.

1.1 Politisch Verfolgte genießen nach Art. 16 a Abs. 1 GG Asyl.

Das Asylrecht des Grundgesetzes geht auf Erfahrungen im Dritten Reich zurück. Damals konnten politisch verfolgte Deutsche, wenn überhaupt, nur unter erheblichen Schwierigkeiten im Ausland Schutz finden. Mit der Schaffung des ursprünglich vorbehaltlosen Asylgrundrechts sollte allen Menschen, die - in welchem Staat sie auch immer leben - politischer Verfolgung ausgesetzt sind, eine sichere Zuflucht in der Bundesrepublik Deutschland gewährt werden. Das Asylgrundrecht geht auch in seiner durch die Verfassungsänderung von 1993 nun in Art. 16 a Abs. 2 bis 5 des Grundgesetzes (GG) eingeschränkten Form über entsprechende völkerrechtliche Gewährleistungen hinaus.

1.1.1 Der Begriff der "politischen Verfolgung" wird in Anlehnung an die Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) vom 28.07.1951 (BGBl. 1953 II 559) bestimmt(24): Asylrechtlichen Schutz genießt danach jede Person, die wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung Verfolgungsmaßnahmen mit Gefahr für Leib und Leben oder Beschränkungen ihrer persönlichen Freiheit ausgesetzt ist oder solche Verfolgungsmaßnahmen begründet befürchtet. (25)

1.1.1.1 Verfolgung setzt eine Rechtsgutbeeinträchtigung voraus, die von einer gewissen Intensität ist. Bei Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit, wie sie bei der genitalen Verstümmelung erfolgt, ist dies ohne Frage gegeben.

1.1.1.2 Politische Verfolgung ist grundsätzlich staatliche Verfolgung. (26)

Genitale Verstümmelungen erfolgen im allgemeinen nicht gezielt im Auftrage des Staates durch staatliche Organe, sondern sie werden von Privatpersonen an Mädchen und Frauen vorgenommen. Dem Staat können Verfolgungshandlungen Dritter aber nur unter bestimmten engen Voraussetzungen als staatliche politische Verfolgung zugerechnet werden. (27)

Anknüpfungspunkt ist dabei das Verhältnis des Staates zu seinen Bürgerinnen und Bürgern. Nach der allgemeinen Staatsrechtslehre und dem Völkerrecht ist der Staat der Träger der Staatsgewalt. Sie setzt ihn in die Lage, den Frieden im Inneren zu sichern und so dem Individuum ein menschenwürdiges Dasein in der Gemeinschaft mit anderen zu ermöglichen. Dem Staat kommt das Gewaltmonopol zu, auf seinem Territorium eine organisierte Herrschaft über eine sich als Schicksalsgemeinschaft verstehende Bevölkerung effektiv und dauerhaft auszuüben. (28)

Das ihm zustehende Gewaltmonopol darf der Staat aber nicht uneingeschränkt ausüben. Politische Verfolgung ist gleichsam die Kehrseite, der Mißbrauch hoheitlicher Herrschaftsmacht durch Ausgrenzung einzelner aus der übergreifenden Friedensordnung oder die Verweigerung von Menschen- und Grundrechten für einzelne. Das Individuum kann ohne den Schutz einer staatlichen Ordnung nicht menschenwürdig leben und wird zum Spielball der Gewalt. Hiergegen soll ihm das Grundrecht auf Asyl nach Art. 16 a Abs. 1 GG eine sichere Zuflucht bieten. (29)

1.1.2 Beurteilungsmaßstab der Frage einer politischen Verfolgung ist allein das deutsche Verfassungsverständnis.

Die Frage, ob ein Mißbrauch des staatlichen Gewaltmonopols und damit eine politische Verfolgung vorliegt oder nicht, ist nicht danach zu beurteilen, wie der ausländische Staat dies selbst beurteilt. Es kommt also nicht darauf an, ob die genitale Verstümmelung als Ausdruck kultureller Eigenständigkeit verstanden wird und der Staat deshalb hiergegen nicht einschreitet. Ob ein Mißbrauch vorliegt oder nicht ist vielmehr allein aus der Sicht der asylgewährenden Bundesrepublik Deutschland festzustellen. (30) Es kommt also darauf an, ob hierzulande die Rechtsgüterbeeinträchtigung als eine politische Verfolgung angesehen werden würde. Es ist infolgedessen ohne Belang, ob der ausländische Staat den Einsatz seiner ihm hoheitlich zur Verfügung stehenden Mittel aus Rücksicht auf gesellschaftliche Gruppen oder den bestehenden traditionellen Vorstellungen unterläßt. (31)

Das Grundgesetz bekennt sich in Art. 1 Abs. 1 GG zur unverletzbaren Garantie der Menschenwürde. (32) Mit der Menschenwürde ist der allgemeine Wert- und Achtungsanspruch gemeint, der dem Menschen wegen seines Menschseins zukommt. (33) Sie verbietet es, ihn zum bloßen Objekt zu machen oder ihn einer Behandlung auszusetzen, die seine Individualität und Selbstbestimmung prinzipiell in Frage stellt. (34) Nach deutschem Rechtsverständnis obliegt es jedem Staat, seinen Bürgerinnen und Bürgern die Menschenwürde zu garantieren. Das heißt, er muß seine Staatsgewalt auch zum Schutz vor Übergriffen Dritter einsetzen. Er darf den einzelnen Menschen nicht Verletzungen seiner Menschenwürde - durch wen auch immer - preisgeben. Eine gegen den Willen eines Mädchens oder einer Frau durchgeführte Beschneidung erniedrigt die Betroffenen unter Mißachtung ihrer personalen Selbstbestimmung zum Objekt des Geschehens. (35) Damit wird die Menschenwürde im Sinne des Art. 1 Abs. 1 GG und die durch Art. 2 GG geschützte körperliche Integrität verletzt.

Für das hier zu behandelnde Problem der Beschneidung bedeutet dies, daß der Staat nur dann seiner Verantwortung gegenüber den Mädchen und Frauen in seinem Staatsgebiet nachkommt, wenn er zum einen die genitale Verstümmelung verbietet. So ist dies zum Beispiel mit der Verordnung des ägyptischen Gesundheitsministers Nr. 261/1996 vom 08.07.1996 geschehen. (36) Hinzukommen muß zum anderen, daß er auch ernsthafte Anstalten macht, das Verbot durchzusetzen, sei es durch Aufklärung aber auch durch Verfolgung von Verstößen.

1.1.4 Die von Privatpersonen vorgenommenen Beschneidungen müssen dem ausländischen Staat als staatliche und deshalb politische Verfolgung im Sinne des Art. 16 a GG zurechenbar sein.

Ein Staat, der genitale Verstümmelungen wissentlich und willentlich geschehen läßt, obwohl er in der Lage ist, diese Taten zu verhindern, muß sich das Handeln der Beschneiderinnen zurechnen lassen. Seine "Politik des Zulassens" gibt dem Geschehen den Charakter einer politischen Verfolgung der betroffenen Mädchen und Frauen. (37) Der Staat wird zum mittelbaren Mittäter der nach deutschem Strafrecht kriminellen Handlungen. (38)

Damit kommen Mädchen und Frauen in den Genuß des Asylgrundrechts, die aus Staaten kommen, die passiv genitale Verstümmelung dulden.

Kommt der Staat dagegen seiner Schutzpflicht nach, so ist ihm die gleichwohl stattfindende - illegale - Praxis nicht zurechenbar. (39) Ist also die genitale Verstümmelung unter Strafe gestellt und findet eine Strafverfolgung auch tatsächlich statt, scheidet die Furcht vor heimlicher Beschneidung als Asylgrund aus.

Die Frage, ob die Beschneidung einen Asylgrund ergibt oder nicht, hängt somit im Ergebnis von der Staatspraxis im Einzelfall ab.

1.2 Allerdings unterliegt die Zuerkennung des Asyls den Beschränkungen des Art. 16 a Abs. 2 GG.

1.2.1 Beschränkungen ergeben sich aus dem Einreiseweg.

1.2.1.1 In aller Regel findet ein Asylverfahren nicht statt, wenn betroffene Frauen oder Mädchen auf dem Landwege in die Bundesrepublik Deutschland einreisen wollen. Vielmehr wird ihnen nach § 18 Abs. 2 Nr. 1 des Asylverfahrensgesetzes (AsylVfG) von vornherein die Einreise verweigert. Damit haben sie keine Möglichkeit, einen Asylantrag zu stellen.

Nach Art. 16 a Abs. 2 GG wird Mädchen und Frauen, die aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaft oder aus einem sogenannten sicheren Drittstaat, in dem die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten sichergestellt ist, einreisen, in Deutschland kein Asyl gewährt. Nach § 26 a Abs. 2 AsylVfG in Verbindung mit der Anlage I sind kraft Gesetzes folgende Staaten zu sicheren Drittstaaten erklärt worden: Finnland, Norwegen, Österreich, Polen, Schweden und die Tschechische Republik. Infolgedessen ist Deutschland lückenlos von Anrainerstaaten umgeben, die entweder der Europäischen Gemeinschaft angehören oder sichere Drittstaaten sind.

Das Versagen eines Asylverfahrens durch Art. 16 a Abs. 2 GG läßt den Fluchtgrund völlig unbeachtet. Die Regelung stellt allein auf den Fluchtweg ab. Entscheidend ist die tatsächliche Möglichkeit, in einem der Anrainerstaaten einen Asylantrag stellen zu können. Ob dabei der Drittstaat die genitale Verstümmelung als Asylgrund anerkennt oder in seiner Rechtspraxis den Begriff des "politischen Flüchtlings" enger interpretiert, ist rechtlich ohne Belang. (40)

1.2.1.2 Die Möglichkeit, Deutschland über den Luftweg direkt zu erreichen, führt in der Praxis nicht dazu, daß damit betroffenen Mädchen und Frauen Schutz vor Beschneidungen verschafft wird. § 18 a AsylVfG enthält für Einreisen, ohne daß eine Zwischenlandung in einem sicheren Drittstaat oder einem Mitgliedsstaat der Europäischen Gemeinschaft stattgefunden hat, besondere Regelungen. (41)

1.2.1.2.1 Voraussetzung der Beförderung mit einer Fluggesellschaft ist, daß die betroffenen Frauen und Mädchen im Besitz gültiger Reisedokumente sind.

Nach § 74 Abs. 1 Satz 1 AuslG darf eine Fluggesellschaft Ausländer und Ausländerinnen nur befördern, wenn sie im Besitz eines erforderlichen Passes oder Visums sind. Die Fluggesellschaft ist verpflichtet, vor dem Transport nicht nur beim Einchecken, sondern auch unmittelbar am Flugzeugeinstieg bei den Passagieren zu überprüfen, ob sie im Besitz der erforderlichen Dokumente sind. (42) Nach internationalem Luftverkehrsrecht haben die Fluggesellschaften kein Recht, ausländische Passagiere ungeachtet nationaler Einreisebestimmungen zu befördern. (43) Verstoßen die Fluggesellschaften hiergegen, können gegen sie Sanktionen verhängt werden (§ 74 Abs. 2 und 3 AuslG).

1.2.1.2.1.1 Bei den hier in Betracht kommenden Herkunftsländern, in denen die genitale Verstümmelung praktiziert wird, ist nach § 3 AuslG in Verbindung mit der dazu ergangenen Durchführungsverordnung - unabhängig von der Aufenthaltsdauer - ein Einreisevisum nötig. (44)

1.2.1.2.1.2 Es sind nur wenige Fälle bekannt geworden, in denen Mädchen und Frauen wegen einer drohenden Beschneidung in die Bundesrepublik einreisen. Dies hängt offenbar damit zusammen, daß sie die genitale Verstümmelung als unerläßlich betrachten und sich nicht aus dem kulturellen Zusammenhang und dem Binnendruck ihrer Familien zu lösen vermögen. (45)

Die deutschen Auslandsvertretungen erteilen in den "flüchtlingsrelevanten" Ländern, zu denen die hier in Betracht kommenden zählen, nur sehr restriktiv Touristenvisa, insbesondere keine Sichtvermerke zur Durchführung eines Asylverfahrens in Deutschland. (46) Visa werden vielmehr nur dann erteilt, wenn die betroffenen Frauen nachweisen können, daß sie ihren Lebensunterhalt in Deutschland einschließlich ausreichender Krankenversorgung selbst bestreiten können (vgl. dazu § 7 Abs. 2 Ziffer 2 AuslG). Begründungen für die Ablehnung der Visaerteilung erfolgen entsprechend den internationalen Gepflogenheiten nicht.

1.2.1.2.1.3 Einen Sonderfall stellen die Fälle dar, in denen von Deutschland aus zu Besuchen der Bundesrepublik eingeladen wird.

Bei bestimmten Herkunftsstaaten wird die Abgabe von Verpflichtungserklärungen der Einladenden nach § 84 AuslG als Voraussetzung der Erteilung eines Visums verlangt. (47) Darin haben sich die Einladenden der Ausländerbehörde oder der jeweiligen Auslandsvertretung gegenüber zu verpflichten, die Kosten zu tragen, die für den Lebensunterhalt der Ausländerin einschließlich der Versorgung mit Wohnraum und der Versorgung im Krankheitsfalle und bei Pflegebedürftigkeit entstehen, für die sonst der Staat aufzukommen hätte. Die Bonität des Antragstellers oder der Antragstellerin wird vor Erteilung des Visums behördlicherseits überprüft.

1.2.1.2.2 Selbst wenn die Frauen oder Mädchen im Besitz gültiger Einreisedokumente sind, kann ihnen die Einreise verweigert werden, wenn sie aus einem der gesetzlich als sicheres Herkunftsland definierten Staat kommen, zu denen u.a. nach Anlage II zu § 29 a AsylVfG Gambia, Ghana und Senegal gehören, und in Deutschland Asyl begehren.

Es steht im Ermessen der Grenzschutzbehörde, ob sie Asylbewerber und -bewerberinnen aus diesen Ländern die Einreise verweigert und sie abschiebt oder an das Bundesamt zur Anerkennung ausländischer Flüchtlinge zur Durchführung eines Asylverfahrens weiterleitet. (48) Der Asylantrag eines Mädchens oder einer Frau aus diesen Herkunftsländern ist nach Art. 16 a Abs. 3 GG in Verbindung mit § 29 a Abs. 1 AsylVfG grundsätzlich als offensichtlich unbegründet abzuweisen, es sei denn, die von ihnen angegebenen Tatsachen und Beweismittel begründen die Annahme, daß ihnen abweichend von der allgemeinen Lage im Herkunftsland politische Verfolgung droht. Gesetzlich wird vermutet, daß es keine politische Verfolgung gibt. (49) Dieser Ausnahmetatbestand dürfte kaum nachweisbar sein. In den sogenannten Flughafenverfahren, in denen innerhalb kürzester Fristen nach der Ankunft der Asylbewerber und -bewerberinnen noch im Transitbereich das Asylverfahren durchgeführt wird, erlangen Sprachunkundigkeit, Fremdheit, physische und psychische Beanspruchung durch die Reise und möglicherweise durch Verfolgung und Flucht ein besonderes Gewicht und wirken sich leicht zu Lasten der Betroffenen aus.

Wird der Asylantrag rechtskräftig abgelehnt und bestehen keine Abschiebehindernisse nach § 52 AuslG, ist den Betroffenen zwingend die Einreise zu verweigern (§ 18 a Abs. 3 AsylVfG) und sind sie notfalls nach §§ 34 ff. AsylVfG abzuschieben. 1.3 Als Zwischenergebnis ist festzustellen, daß die Gefahr genitaler Verstümmelung zwar einen Asylgrund bilden kann, daß aber auf Grund der Restriktionen des Asylverfahrens aus der Einschränkung des Art. 16 a GG in seinem Absatz 2 und den Regelungen des Asylverfahrensgesetzes in der Praxis, Fälle der Anerkennung selten sein werden.

 

2 Abschiebeschutz

Nach der Regelung des § 42 Abs. 1 AuslG ist eine Ausländerin zur Ausreise verpflichtet, wenn sie eine erforderliche Aufenthaltsgenehmigung (Visum) nicht oder nicht mehr besitzt. Kommt sie ihrer Ausreisepflicht nicht freiwillig nach, kann diese zwangsweise im Wege der Abschiebung durchgesetzt werden.

2.1 Abschiebeschutz nach § 51 AuslG(50)

Eine Ausländerin, der in ihrem Heimatland die Gefahr politischer Verfolgung droht, ist nach § 51 Abs. 1 AuslG in besonderem Maße vor einer Abschiebung geschützt. Sie ist zwar nicht von vornherein ausgeschlossen, aber an strenge Voraussetzungen geknüpft. § 51 AuslG enthält ein Abschiebeverbot in solche Staaten, in denen das Leben oder die Freiheit der betroffenen Ausländerin wegen ihrer Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, ihrer Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung bedroht ist. Damit ist eine Abschiebung in den Verfolgerstaat zwar rechtlich ausgeschlossen; (51) möglich bleibt aber eine Abschiebung in einen aufnahmebereiten sicheren Drittstaat. (52)

Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sind die Voraussetzungen des Anspruchs auf Anerkennung als Asylbewerber/Asylbewerberin nach Art. 16 a GG und der des Bestehens eines Abschiebeverbots nach § 51 Abs. 1 AuslG deckungsgleich. (53) Daher kann auf das oben unter 1.1 Dargelegte verwiesen werden. Damit kommen nur Mädchen und Frauen in den Genuß des Abschiebeschutzes, die aus Staaten kommen, die passiv genitale Verstümmelung dulden. Kommt der Staat dagegen seiner Schutzpflicht nach, so ist ihm die gleichwohl stattfindende - illegale - Praxis nicht zurechenbar. (54) Ist also zum Beispiel die genitale Verstümmelung unter Strafe gestellt, scheidet die Furcht vor heimlicher Beschneidung als Grund für einen Abschiebeschutz nach § 51 AuslG aus.

Die Staatspraxis ist im Einzelfall festzustellen.

2 Abschiebeschutz nach § 53 AuslG(55)

§ 53 AuslG schützt vor Folter. Zur Auslegung des Begriffs der Folter kann auf Wortlaut und Zweck von Art. 1 UN-Antifolterkonvention(56) sowie Art. 3 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) und Art. 1 Abs. 1 GG zurückgegriffen werden. (57) Danach liegt eine Folter bei unmenschlicher, erniedrigender und grausamer Behandlung vor, sofern sie eine besondere Intensität und Schwere erreicht. Die genitale Verstümmelung erfüllt danach den Begriff der Folter. (58)

Der Abschiebeschutz nach § 53 AuslG gilt unabhängig von einem politischen Charakter der Maßnahme oder dem Bezug auf eines der in Art. 1 A Nr. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention und in § 51 AuslG erwähnten persönlichen Merkmale. Im Verhältnis zu Art. 16 a GG und § 51 AuslG kommt § 53 AuslG somit eine subsidiäre Schutzfunktion zu, die insbesondere dann eingreift, wenn eine unmenschliche Behandlung als nicht asylrelevant einzustufen ist. (59) Damit gewinnt der Abschiebeschutz aus § 53 AuslG dort an Bedeutung, wo zwar in den Herkunftsländern die Beschneidung staatlich nicht geduldet wird, aber gegen die illegale Praxis ein effektiver staatlicher Schutz nicht gegeben ist.

Der Abschiebeschutz setzt die konkrete Gefahr einer Bedrohung mit Folter voraus. Das Merkmal der "Konkretheit" ist für die jeweilige Frau oder das jeweilige Mädchen einzelfallbezogen, also individuell festzustellen. Es genügt nicht, daß die Betroffenen aus einem Land kommen, in dem die Beschneidung praktiziert wird. Eine rein quantitative oder statistische Betrachtung ist nicht entscheidend. (60) Die einzelne Betroffene muß vielmehr durch nachprüfbare Tatsachen nachweisen, daß und aus welchen Gründen ihr infolge der staatlichen Untätigkeit durch Dritte die genitale Verstümmelung droht. Ob hinsichtlich des Wahrscheinlichkeitsmaßstabes der Überprüfbarkeit der Tatsachen auch die ernsthafte Möglichkeit der Beschneidung genügt, ist umstritten. (61) Nach einer Entscheidung des Verwaltungsgerichts Trier vom 4. Mai 1999(62) kann ein zweijähriges Mädchen nach Nigeria abgeschoben werden, obwohl ihm nach Ansicht ihrer Eltern die genitale Verstümmelung dort droht. Das Gericht verneint eine konkrete Gefahr, weil Beschneidungen in der Regel unmittelbar nach der Geburt ausgeführt würden. Für ein zweijähriges Mädchen sei deshalb die Gefahr nicht mehr so groß.

Soweit die Mißhandlungen von nichtstaatlichen Kräften ausgeht, kommt es auch beim Abschiebeschutz nach § 53 AuslG darauf an, ob sie dem Staat zurechenbar ist. (63) Dies ist der Fall, wenn der Staat die Beschneidungen bewußt veranlaßt, duldet oder ihnen gegenüber keinen Schutz gewährt, obwohl er dazu in der Lage wäre (siehe oben unter 1.1).

 

3 Strafrechtlicher Schutz

3.1 Die Beschneidung erfüllt den Straftatbestand der gefährlichen Körperverletzung nach § 223 a StGB(64), da sie mittels eines Messers durchgeführt wird. Strafbar machen sich hier die die Beschneidung Vornehmenden selbst, aber auch die Eltern, die sie zulassen. (65) Als Strafrahmen sieht das Gesetz eine Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren vor. Sofern ein Arzt die Beschneidung vornimmt, kommt auch ein Berufsverbot nach § 70 StGB in Betracht.

Die Körperverletzung ist auch dann nicht nach § 224 StGB gerechtfertigt, wenn das Mädchen oder die Frau in sie einwilligt.

3.2 Darüber hinaus können sich die Eltern nach § 170 d StGB wegen der Verletzung der Fürsorgepflicht gegenüber ihren Töchtern strafbar machen. Als Strafrahmen kommt eine Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder eine Geldstrafe in Betracht.

3.3 Schließlich können sich diejenigen, die zu einer Beschneidung auffordern, wegen Anstiftung nach § 26 StGB oder die dabei behilflich sind wegen Beihilfe nach § 27 StGB strafbar machen.

3.4 Es handelt sich sowohl bei der gefährlichen Körperverletzung als auch bei der Verletzung der Fürsorgepflicht um Delikte, die die Staatsanwaltschaften von Amts wegen zu verfolgen haben. Das heißt, es kommt nicht darauf an, ob eine der betroffenen Mädchen oder Frauen einen Strafantrag stellt oder eine Strafanzeige erstattet. Vielmehr können auch andere Personen, die von den strafbaren Handlungen Kenntnis haben, sich an die Polizei oder Staatsanwaltschaft wenden.

4 Nehmen Ausländer oder Ausländerinnen die Beschneidungen vor, können sie - sofern sie hierfür rechtskräftig verurteilt worden sind - nach den jeweils in Betracht kommenden ausländerrechtlichen Vorschriften aus Deutschland ausgewiesen und gegebenenfalls abgeschoben werden. (66) Zusammenfassung:

1. Genitale Verstümmelung kann eine politische Verfolgung i.S.d. Art. 16a GG sein und einen Rechtsanspruch auf Gewährung von Asyl in der Bundesrepublik Deutschland begründen. Praktische Bedeutung wird das Recht auf Asyl jedoch kaum erlangen, da zum einen für die meisten betroffenen Länder für die Einreise in die Bundesrepublik Deutschland ein Visum erforderlich ist. Die deutschen Auslandsvertretungen erteilen jedoch keine Visa zum Zwecke der Beantragung politischen Asyls.

Nach Art. 16a Abs. 2 GG ist das Recht auf Asyl ausgeschlossen, wenn die Einreise aus einem Mitgliedsstaat der Europäischen Gemeinschaft oder aus einem sogenannten sicheren Drittstaat erfolgt. Deutschland ist, was seine Landgrenzen anlangt, von Staaten der Europäischen Gemeinschaft oder solchen sicheren Drittstaaten umgeben.

2. Sofern sich Mädchen und Frauen in Deutschland aufhalten und ihre Aufenthaltserlaubnis abgelaufen ist, steht ihnen nach den ausländerrechtlichen Vorschriften ein Abschiebeschutz zu, wenn insbesondere die konkrete Gefahr besteht, daß sie für den Fall der Rückreise genital verstümmelt werden würden. In der Beratung von Betroffenen kommt es daher darauf an, solche konkreten Umstände zu ermitteln und den zuständigen Ausländerbehörden zur Kenntnis zu bringen.

3. Eine Beschneidung in Deutschland ist strafbar. Soweit sie durch zugelassene Ärzte vorgenommen wird, kann dies zum Verlust der Approbation führen. Nehmen Ausländerinnen oder Ausländer die Beschneidung vor, so können sie nach rechtskräftiger strafrechtlicher Verurteilung nach den in Betracht kommenden ausländerrechtlichen Vorschriften aus Deutschland ausgewiesen und ggf. abgeschoben werden.

Anmerkungen

24: Der Schutzbereich des Art. 16 a GG geht aber über den der GFK hinaus: siehe u.a. Jarass/Pieroth, GG, 3. Aufl. 1995, Art. 16 a Rdnr. 2, 9; BVerwGE 79, 143, 146 f.

25: St. Rspr., vgl. u.a. BVerwGE 49, 202, 204 f.; 67, 184, 186; 68, 172, 173.

26: St. Rspr., vgl. u.a. BVerfGE 9, 174, 180; 54, 341, 356 ff.; 76, 143, 157; 80, 315, 334.

27: siehe u.a. Jarass/Pieroth, a.a.O., Art. 16 a Rdnr. 6 f.

28: Herzog, Allgemeine Staatslehre, S. 102 ff; Geiger, GG und Völkerrecht, 3. Aufl. 1984, S. 201; BVerwG NVwZ 1997, 195,195.

29: BVerwG NVwZ 1997, 194,195; BVerwGE 95, 42.

30: vgl. dazu die Rechtsprechung zu der staatlichen Verfolgung von strafbaren Handlungen, die aus politischer Überzeugung begangen werden: BVerfGE 80, 315, 337; 81, 142, 149 f.

31: BVerwG NVwZ 1996, 85, 86; Lünsmann, Streit 1998, 176, 177.

32: Siehe auch Art. 79 Abs. 3 GG.

33: BVerfGE 87, 209, 228.

34: BVerfGE 50, 166, 175; 87, 209, 228.

35: VGH Mannheim, DVBl. 1992, 829; VG Magdeburg, NVwZ-Beilage 2/1998, S. 18.

36: EuGRZ 1998, 24.

37: a.A. im Ergebnis VG Oldenburg Streit 1998, 173, das diesen Gesichtspunkt übersieht; wie hier Lünsmann, Streit 1998, 176 ff.; Göbel-Zimmermann, Asyl- und Flüchtlingsrecht, 1999, Rdnr. 106; VG Magdeburg, NVwZ-Beilage 2/1998, S. 18.

38: vgl. § 25 StGB, danach ist als Täter einer Straftat zu bestrafen, wer zwar die Tat nicht eigenhändig begeht, sondern einen Dritten als Werkzeug benutzt, sie also durch einen Dritten begehen läßt.

39: vgl. dazu auch BVerfGE 80, 315, 336.

40: Göbel-Zimmermann, a.a.O., Rdnr. 109.

41: BVerfG, NVwZ 1996, 678, 681. Dies stellt keine unzulässige Freiheitsbeschränkung nach Art. 104 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 2 Satz 2GG dar. Die Asylsuchenden verbleiben während des Verfahrens in den für ihre Unterbringung vorgesehenen Aufenthaltsräume.

42: Göbel-Zimmermann, a.a.O., Rdnr. 207.

43: BVerfG, NVwZ 1998, 606, 607.

44: dazu Dollinger/Speckmeier, a.a.O., Rdnr. 23 ff.

45: vgl. dazu näher Lipka, EFD-mitteilungen 403/Dezember 1997, S. 20.

46: Göbel-Zimmermann, a.a.O., Rdnr. 209.

47: hierzu gehören u.a.: Algerien, Ägypten, Äthiopien, Burundi, Ghana, Kamerun, Liberia, Lybien, Marokko, Nigeria, Ruanda, Somalia, Sudan, Togo, Tunesien, Zaire.

48: Sie muß Gelegenheit zur Stellung des Asylantrages geben, wenn die oder der Asylsuchende substantiiert einen der Ausnahmefälle der Drittstaatenregelung darlegt, also, daß entgegen der gesetzlichen Vermutung eine individuelle politische Verfolgung besteht.

49: Es ist davon auszugehen, daß bei der Einstufung eines Herkunftslandes als sicheres Herkunftsland die besondere Problematik der genitalen Verstümmelung nicht in den Blick genommen wurde.

50: § 51 AuslG lautet: "(1) Ein Ausländer, darf nicht in seinen Heimatstaat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. (2) Die Voraussetzungen des Absatzes 1 liegen vor bei 1. Asylberechtigten und 2. sonstigen Ausländern, die im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebietes als ausländische Flüchtlinge im Sinne des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. In den sonstigen Fällen, in denen sich der Ausländer auf politische Verfolgung beruft, stellt das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge in einem Asylverfahren nach den Vorschriften des Asylverfahrensgesetzes fest, ob die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen ..."

51: BVerwGE 102, 248, 253.

52: Göbel-Zimmermann, a.a.O., Rdnr. 513.

53: BVerwG, DVBl. 1992, 843. Der Abschiebeschutz nach § 51 AuslG hat für solche Ausländerinnen Bedeutung, die deshalb keinen Asylantrag stellen können, weil sie aus einem sicheren Drittstaat in die Bundesrepublik Deutschland eingereist sind (vgl. Art. 16 a Abs. 2 GG, § 26 a AsylVfG) oder in einem Drittstaat vor politischer Verfolgung sicher waren (§ 27 AsylVfG) oder weil die Gefahr politischer Verfolgung bei der Einreise noch nicht vorgelegen hat und erst nach der Flucht entstanden ist. Solche Nachfluchtgründe können nach § 28 AsylVfG eine Asylberechtigung ausschließen.

54: vgl. dazu auch BVerfGE 80, 315, 336.

55: § 53 AuslG lautet: "(1) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem für diesen Ausländer die konkrete Gefahr besteht, der Folter unterworfen zu sein ..."

56: BGBl. II, 1990, S. 246, 491.

57: Göbel-Zimmermann, a.a.O., Rdnr. 559.

58: Göbel Zimmermann, a.a.O., Rdnr. 625, 107.

59: Göbel-Zimmermann, a.a.O., Rdnr. 529.

60: Göbel-Zimmermann, a.a.O., Rdnr. 563; BVerwG NVwZ 1995, 391.

61: vgl. allgemein zu dem Problem der Anforderungen: einerseits für geringe Anforderungen Göbel-Zimmermann, a.a.O., Rdnr. 563; BVerwGE 89, 162, andererseits BVerwG, DVBl. 1986, 102.

62: Aktenzeichen: - 4 K 1157/98 TR -, mitgeteilt in FAZ vom 5. Mai 1999, S. 14.

63: Göbel-Zimmermann, a.a.O., Rdnr. 565, 602; BVerwGE 99, 331, 335.

64: Der Tatbestand der besonders schweren Körperverletzung nach §§ 224, 225 StGB, der mit einer Freiheitsstrafe von zwei bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe geahndet wird, wird durch die Beschneidung nicht erfüllt, da der Körper der Mädchen oder Frauen zwar auf Dauer entstellt wird, die Entstellung aber nicht für jedermann sichtbar ist.

65: Bei ihnen liegt eine sogenannte mittelbare Täterschaft im Sinne des § 25 Abs. 1 StGB vor.

66: So nach §§ 47, 51 Abs. 3 AuslG, sieh dazu näher Göbel-Zimmermann, a.a.O., Rdnr. 493 ff.; 522.

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