Theologe und Ex-Manager Easthill: Kirche muss im Dorf bleiben
Frankfurt a.M. (epd). Christopher Easthill ist seit März Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland (ACK). In dem kirchlichen Dachverband haben sich 25 Kirchen und Konfessionen zusammengeschlossen. Ziel ist, die ökumenische Zusammenarbeit zu fördern. Der 65-Jährige ist britisch-deutscher Theologe und Anglikaner. Im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) erklärt er, warum er die Kirchensteuer kritisch sieht und wie er zum Vorwurf der Apartheid gegen Israel steht.
Herr Easthill, Sie sind in Singapur geboren, haben als Versicherungsmanager gearbeitet, in den USA Theologie studiert und sind nun Pfarrer einer anglikanischen Gemeinde in Wiesbaden - wie blicken Sie auf die deutsche Kirchenlandschaft?
Christopher Easthill: Viele Menschen außerhalb von Deutschland wissen gar nicht, wie vielfältig die Kirchenlandschaft hier ist. Protestanten glauben oft, die protestantische Kirche in Deutschland sei rein lutherisch. Dabei ist das Luthertum außerhalb von Deutschland fast stärker. Im Vergleich dazu ist das Glaubensspektrum innerhalb der anglikanischen Kirche breiter gestreut. Es gibt eine sehr katholische Strömung bis hin zu einer fast pfingstkirchlichen Strömung. Diese Breite finde ich so nicht innerhalb einer Kirche in Deutschland.
Wo würden Sie sich denn innerhalb der von Ihnen geschilderten Breite verorten?
Easthill: Ich verorte mich auf dem liberal-katholischen Flügel. Das bedeutet, die Sakramente, die Kommunion und die formelle Liturgie sind mir sehr wichtig. Aber wir sind eben auch offen für die Ordination von Frauen und die Rechte von queeren Menschen.
Sie gehören einer Minderheitenkirche in Deutschland an, ihre Gemeinde in Wiesbaden hat ein großes Einzugsgebiet. Hat das Prinzip der Ortskirche für Sie eine Zukunft, oder geht es nicht eher in die Richtung, dass Menschen sich ihre Gemeinde selbst aussuchen und dafür auch weitere Wege in Kauf nehmen?
Easthill: Ich halte es für wichtig, dass die Kirche buchstäblich im Dorf bleibt. Aber das muss meiner Meinung nach nicht immer eine evangelische oder eine katholische Kirchengemeinde mit einem Ortspfarrer sein. Vielleicht reicht die Präsenz einer christlichen Gemeinschaft, die dann in ihrer Kirche auch Gottesdienste anderer Denominationen zulässt.
Das setzt auf jeden Fall eine entsprechende Offenheit in den Kirchen voraus, sodass Menschen sich auch in den kirchlichen Strukturen beteiligen können. Die vollständige Teilhabe muss möglich sein. Die Vorsitzende des Kirchenvorstands in meiner Gemeinde ist zum Beispiel katholisch. Mein Schriftführer ist Presbyterianer. und der Schatzmeister ist tatsächlich Anglikaner.
Was denken Sie über die Kirchensteuer?
Easthill: Ich komme aus einer Kirche, die ihr Budget auf freiwilligen Spenden aufbaut. Und mir ist das Prinzip der freien Entscheidung auch näher. Aber natürlich ist der Übergang vom deutschen System der Kirchensteuer, die an die Lohn- und Einkommenssteuer gekoppelt ist, hin zu einem freiwilligen System schwierig und müsste über Jahrzehnte organisiert werden. Es bräuchte alternative Finanzkonzepte, etwa für die gesellschaftlichen Angebote und die soziale Daseinsfürsorge, die Kirchen auch über die Kirchensteuer mitfinanzieren.
Was halten Sie von dieser Art der Definition von Kirchenmitgliedschaft?
Easthill: Ich habe da ein philosophisch-theologisches Grundsatzproblem. Denn für mich ist die Taufe eine Sache für die Ewigkeit. Getauft ist getauft. Die Frage der Kirchenmitgliedschaft hängt bei den beiden großen Kirchen in Deutschland zu sehr davon ab, ob jemand auf einer Liste der Behörden eingetragen ist.
Die anglikanischen Gemeinden in Deutschland haben traditionell eine enge Bindung zur alt-katholischen Kirche, die wiederum Kirchensteuern einzieht. Für unsere Gemeinden würde das aber nicht funktionieren. Denn bei uns würden diejenigen, die in die Gemeinde kommen, auch Kirchensteuer zahlen. Das wären eins zu eins dieselben Menschen, während es in anderen Gemeinden oft viel mehr kirchensteuerzahlende Mitglieder gibt als Menschen, die in die Kirche kommen. Unsere Gemeindemitglieder geben uns freiwillig mehr Geld, als wir durch die acht oder neun Prozent Kirchensteuer bekommen würden.

Vor welchen Herausforderungen stehen ihre Mitgliedskirchen?
Easthill: Zurzeit begeistern sich noch viele Menschen für die Ökumene, doch prägen vor allem die älteren Generationen das Bild. Die große Herausforderung der kommenden Jahre ist es, auch die nächste Generation dafür zu gewinnen und dafür zu sorgen, dass die Begeisterung weiterlebt. Und daran arbeiten wir auch als ACK.
Die ACK scheint eher zurückhaltend, was Stellungnahmen zu brisanten politischen Themen angeht, wie etwa Gentechnik oder Schwangerschaftsabbruch. Hat das einen Grund?
Easthill: Ja, da ist eine gewisse Zurückhaltung notwendig. Die ACK ist ein Zusammenschluss vieler unterschiedlicher Kirchen mit teils sehr verschiedenen Überzeugungen. Auch innerhalb der einzelnen Kirchen gibt es bei bestimmten Themen unterschiedliche Meinungen. Das ist also keineswegs nur eine Frage zwischen den Konfessionen, sondern betrifft auch die Diskussionen innerhalb der einzelnen Kirchen.
Das betrifft wohl auch die jüngste Erklärung des Weltkirchenrats, in der Israel wegen der Behandlung der Palästinenser Apartheid vorgeworfen wird. Wie ist Ihre persönliche Meinung?
Easthill: Ich war nicht überzeugt von der Verwendung des Begriffs „Apartheid“, auch wenn ich viele Inhalte des Papiers hätte unterschreiben können. Die Auswirkungen des Konflikts erleben wir sehr unmittelbar, etwa durch die wiederholten Angriffe auf das anglikanische Al-Ahli-Arab Hospital in Gaza-Stadt. Zugleich verurteile ich den Überfall der Hamas am 7. Oktober 2023 uneingeschränkt. Es steht für mich außer Frage, dass die Welt ohne diese Organisation besser wäre. Genauso halte ich das aktuelle Vorgehen der israelischen Armee in Gaza für unverhältnismäßig. Doch ist fraglich, ob es hilfreich ist, eine einseitige Erklärung abzugeben, in der Israel als alleiniger Aggressor dargestellt wird und die Hamas gar nicht erwähnt wird.
Wie wirkt sich die besondere historische Verantwortung Deutschlands auf den kirchlichen Umgang mit dem Nahost-Konflikt aus?
Easthill: Insgesamt sind wir meiner Ansicht nach in eine Entweder-oder-Logik geraten - vielleicht sogar noch stärker in Deutschland. Deutschland steht mit seiner Haltung, auch im kirchlichen Bereich, recht isoliert da. In anderen Ländern sind Kirchen oftmals eher bereit, Israels Regierungspolitik deutlicher zu kritisieren als hier. Dafür gibt es, wie ich gut nachvollziehen kann, historisch gewachsene Gründe. Ich habe ja inzwischen auch einen deutschen Pass und damit die deutsche Geschichte gewissermaßen adoptiert.
epd-Gespräch: Franziska Hein und Stephan Cezanne