„Mundart des Glaubens“

Zwölf Fragen und Antworten zur Confessio Augustana, dem Augsburger Bekenntnis

Gedenkblatt zur Confessio Augustana von Johann Dürr.
Gedenkblatt zur Confessio Augustana, nach einem Kupferstich von Johann Dürr 1630.

Confessio Augustana, so nennen Fachleute das Augsburger Bekenntnis, das in jedem Kirchengesangbuch abgedruckt ist. In ihm legte Melanchthon den evangelischen Glauben 1530 vor dem Reichstag zu Augsburg dar. Nur: Versteht jemand diese Erklärung heute noch? Zwölf Fragen, zwölf Antworten. Von Stefan Schaede

  • Was meinte Melanchthon mit „Bekenntnis“?
    Melanchthon schreibt in seiner „Vorrede“, er lege einen Bericht über „Lehre und Kirchenbräuche“ vor. Es stünden in ihr „Hohe Sachen“ zur Debatte. Sie berührten die Seele. Sie befreiten das Gewissen. Das macht bereits etwas klar. Bekenntnisse sind immer dann von Menschen gefordert, wenn etwas unklar ist und unbedingt klargestellt werden muss. Bekenntnisse haben einen persönlichen Zug. In ihnen gibt ein Einzelner oder ein Personenkreis sich selbst oder etwas über sich zu erkennen.
  • Schwingt im Wort „Bekenntnis“ auch so etwas wie „Schuldeingeständnis“ mit?
    Als Melanchthon das Augsburger Bekenntnis zu Papier brachte, dachten seine Zeitgenossen bei dem Ausdruck Bekenntnis tatsächlich als Erstes an die Beichte. In der Beichte war das Bekenntnis eine Art Rechenschaftsbericht. Ihr Adressat war Gott. Vor Gott wurde eine Art Schuldenregister ausgebreitet. Dinge, die nicht in Ordnung gingen, kamen auf den Tisch. Ziel war, von dieser Schuld durch Vergebung Distanz zu nehmen. Im Akt der sogenannten Absolution wurde der Mensch davon freigesprochen. Danach konnte er sagen: Das gehört nicht mehr zu mir. Das kann ich vergessen. Das Augsburger Bekenntnis versteht sich auch als ein Rechenschaftsbericht. Es ist aber kein Zwiegespräch mit Gott. Zwar wird hier etwas in Verantwortung vor Gott bekannt. Aber die Adressaten dieses Bekenntnisses sind die Reichsstände, allen voran der Kaiser. Es hat auch nicht wie in der Beichte die Bitte um Vergebung zum Ziel. Vielmehr will es die Adressaten über die eigene Glaubensüberzeugung ins Bild setzen, von ihnen in diesen Überzeugungen anerkannt werden und sie im glücklichen Falle dafür gewinnen. In dieser Ambition formuliert dieses Bekenntnis eine „Summe der Lehre“ und versucht, die "Gewissen zu trösten".
  • War Melanchthon mit seinem Bekenntnis auf Streit aus?
    Bekenntnisse dieser Art sind nichts für Feiglinge. Denn mit dem Strittigen stand damals unter Umständen die eigene Existenz auf dem Spiel. Melanchthon hatte Mut. Er wagte die Konfrontation. Es war jedoch keine Konfrontation um des Streites, sondern um des Konsenses willen. Das lag in Melanchthons Naturell. Er mochte keine Konflikte. Er war ein friedliebender Mensch. Das Ziel des Bekenntnisses war zugleich sein persönliches Ziel: Religionsfrieden zu stiften und die gestörte kirchliche Einheit zu wahren und wiederherzustellen. Er wollte das Strittige als irriges Vorurteil entkräften. Und er wollte mit dem reformatorischen Besen den religiösen Hausstaub der Gewohnheit und der Tradition auskehren. Solle noch einmal jemand kommen und behaupten in Glaubenssachen zähle ein: „Das haben wir immer schon so gemacht.“ Der bekommt es mit Melanchthon zu tun. Denn es zählt allein, was wahr ist. Das aber zeigt sich in der Bibel. Mit dieser Haltung hat Melanchthon im Augsburger Bekenntnis einen kurzen Abriss gegeben über das, was des Glaubens wert sei - im Ton versöhnlich, zugleich um klare Worte bemüht.
  • Warum bestätigt Melanchthon am Anfang die Lehre von der Dreieinigkeit Gottes? Die war doch gar nicht strittig!

    War sie auch nicht. Ein „großer Konsens“ eröffnet die 28 Artikel. Der ist um 1530 keine religionspolitische Nebensache. Die Trinitätslehre war Bestandteil des geltenden Reichsrechtes. Antitrinitarier, die nach dreimaliger Befragung nicht abschworen, wurden im 16. Jahrhundert zum Tode verurteilt - von der weltlichen (!) Obrigkeit. Diese Strafpraxis verstand sich als friedensbildende Maßnahme. Für unsere Tage ist das kaum nachzuvollziehen. Nach damaliger Vorstellung provoziert eine falsche Gotteslehre Gottes Zorn. Den bekommen nicht nur die Individuen ab, die Falsches lehren, sondern auch die Gruppe, die solche Lehre zulässt. Gottes Zorn macht sich dann mit Krieg Luft. Melanchthon verteilt entsprechend in diesem wie in vielen anderen Artikeln Ketzerhüte und verurteilt anderslautende Lehren streng. Das mag für heutige Ohren mit Recht theologisch unsympathisch klingen. Religionspolitisch war es klug erdacht. Der Konsens wird so durch gemeinsame Abgrenzung stark gemacht. Von einem kulturübergreifenden Weichzeichner kann keine Rede sein. Christliche Gegner*innen der Trinitätslehre werden in einem Atemzug mit muslimischen Gläubigen genannt. Schon damals werden staats- und religionspolitische Motive riskant miteinander verknüpft. Eigentlich ging es ja um den Krieg mit den Osmanen, die dann auch noch Muslime waren. Melanchthon aber konnte davon ausgehen, dass das Stichwort „Türkengefahr“ neue Bündnisse stiftete. Das wird den Kaiser zunächst einmal eingenommen haben. Ein konfessionelles Sammelsurium wäre machtpolitisch höchst leichtsinnig und würde sich dieser Gefahr zur leichten Beute machen.

  • Im zweiten Artikel „Von der Erbsünde“ schreibt Melanchthon: Alle Menschen seien „von Mutterleib an voll böser Lust und Neigung“. Ist er da übertrieben negativ?
    Es kommt darauf an, was man unter Sünde versteht. Wer sie - wie die Theologie vor und jenseits der reformatorischen Bewegung - als Schuldsumme mieser Taten und Fehlverhaltens bestimmt, verharmlost die Sünde. Denn Menschen, die in ihrer Lebensgestaltung auf sich selbst gestellt bleiben, verfehlen sich radikal selbst. Sie bleiben sich Gott, ihren Menschen und sich selbst schuldig. Das ist das Elend.
  • Und was kann man gegen diese sogenannte Erbsünde tun?
    Auf dieses Elend gibt es nur eine Antwort. Die Reformatoren hatten es auf die provokativen Formeln: „Christus allein“, „allein aus Glauben“, „allein aus Gnade“ und „allein durch das Wort“ gebracht. Melanchthon referiert diese Kurzformeln. Er baut sie jedoch klug in den Subtext der Bekenntnisartikel ein. „Von Jesus Christus“ lautet die Überschrift zum dritten Artikel. Was Jesus Christus gesagt und getan hat - sein entschiedenes Eintreten für Entrechtete, sein Votum gegen behäbige Gleichgültigkeit, gegen Lebenslügen, seine Konsequenz, für das Leben anderer den eigenen Tod zu wagen - all das ist Versöhnung. In der Auseinandersetzung mit diesem Jesus Christus kann ein Mensch Abstand von verfehlten Lebensperspektiven gewinnen. Natürlich wird man nie so entschieden für andere, so engagiert, so wahrhaftig und so konsequent wie Jesus sein. Das erklärt der vierte Artikel unter der Überschrift „Von der Rechtfertigung“ - wobei Rechtfertigung nicht heißt, sich selbst vor Gott und anderen für sein Tun und Lassen zu rechtfertigen. Sondern es geht darum, wie ein Mensch sich selbst, Gott und anderen gerecht werden kann. Im Augsburger Bekenntnis behauptet Melanchthon: Man wird sich, Gott und anderen gerecht, in dem man an Jesus Christus glaubt, auf ihn vertraut. Es kommt auf den Glauben an, auf das Vertrauen, nicht auf fromme Geschaftelhuberei, mit der man vor Gott Eindruck schinden will. Wir müssen Gott nicht erst beeindrucken, um von ihm geliebt zu werden. Gott hat uns versprochen, uns gern zu haben, schlicht und einfach, weil wir da sind. Das genügt. Wer das begreift, gewinnt einen versöhnlicheren Blick auf all die Unvollkommenheiten, mit denen sich Menschen nun einmal ein Leben lang herumschlagen müssen. Wie Menschen Vertrauen in Christus fassen können? Dazu der fünfte Artikel: „Allein durch das Wort.“ Also indem es klar und verständlich gesagt wird - in der Predigt und durch Taufe und Abendmahl. Gottes Geist erzeuge Vertrauen durch Evangelium und Sakramente.
  • Heißt das: Gott macht alles, der Gläubige muss gar nichts tun?
    Nein, es bedeutet: Der Gläubige wird anders leben. Melanchthon verhandelt das in Artikel sechs unter dem Titel „Vom neuen Gehorsam“. Wer neu Vertrauen in Gott fasst, werde eine neue Kreatur. Dieses Vertrauen in Gott mobilisiere ihn zu guten Handlungen und mache feinsinnig. Wer selbst den Lebensgewinn des Glaubens wahrnimmt, hat Lust, für entsprechenden Gewinn in seiner Umgebung zu sorgen. Niemals wird er selbstzufrieden herumhängen und das Wohl und Wehe seiner Mitmenschen ignorieren.
  • Theologinnen und Theologen zitieren gerne den siebten Artikel der CA: Kirche ist, wo das Evangelium rein gepredigt und die Sakramente sachgerecht gereicht werden. Warum ist er so wichtig?
    Hier hat Melanchthon mit wenigen Worten die Grundsubstanz einer christlichen Kirchenlehre in Stein gemeißelt. Er ist seinem Anspruch nach „katholisch“, also „alles umfassend“, indem er evangelischen Geist der Freiheit einatmet. Was da steht, bleibt aktuell. Es ist ein Skandal, dass dem einen Haupt Jesus Christus eine Vielzahl von konfessionell miteinander in Konflikt stehenden Kirchentümern ins Angesicht widerspricht. „Ein Leib, ein Geist ... ein Herr, ein Glaube, eine Taufe“, heißt es im Epheserbrief. Das ist keine Forderung. Das ist eine Feststellung. Die zitiert Melanchthon, nachdem er notiert hat, Kirche sei „die Versammlung aller Glaubenden, in der das Evangelium rein gepredigt und die Sakramente sachgerecht gereicht“ werden. Wo das der Fall ist, sei die eine Kirche. Allein darauf komme es an. Die rituelle Verpackung sei Nebensache. Die Kirchenorganisation könne so oder auch anders gestaltet sein. Eine klügere ökumenische Formel für die eine Kirche Jesu Christi lässt sich kaum denken.
  • Kommen in seiner Lehre von der Kirche gar keine Pfarrer vor?
    Zunächst einmal müssen die Feiern der Sakramente, die Gottesdienste, die Verkündigung intakt sein - nicht diejenigen, die sie gestalten (8. Artikel). Das ist eine Lektion, die noch heute in einer in Wahrhaftigkeit verliebte Kirchenwelt provoziert. In aufrichtiger Wahrhaftigkeit kann jede Menge fataler Unsinn zelebriert und verkündet werden. In der Sorge um besonders redlich integre Geistliche liegt zudem ein Einfallstor für doppelmoralische Unredlichkeit. Deshalb formuliert Melanchthon einen Artikel 13 „Vom Ehestand der Priester“: Priestern die Ehe zu untersagen, sei unmenschlich und gefährde die Integrität.
  • Was für Grundideen ziehen sich durch alle Artikel?
    Ins Zentrum gehört die Frage nach der Wahrheit dessen, was da gesagt und gefeiert wird. Darauf kommt es in der Taufe an (9. Artikel). Sie zu wiederholen, weil sie an Kindern vollzogen wurde, wäre spirituell überheblich. Darauf kommt es auch im Abendmahl an (10. Artikel). In ihm den Kelch den „Laien vorzuenthalten“ würde von geistlicher Arroganz und biblischer Ignoranz zeugen (Art. 22). Darauf kommt es auch in der Beichte an (9. Artikel). Denn der Beichtstuhl darf nicht zu einer geistlichen Wechselstube (Art. 25) verkommen, in der Sündenregister gegen Spenden, Beten im Akkord und Selbstkasteiungen der schönen Art wie Pilgerfahrten ausgetauscht werden. Das ist das eine. Das andere ist: In einer noch nicht erlösten Welt braucht man zugleich Ordnungen, die angemessene Vollzüge in der Kirche (14. und 15. Artikel) und in der Welt (Art. 16) regeln. Sie sind dann angemessen, wenn die Kirche als eine Institution erkennbar wird, in der die Wahrheit Menschen frei macht. In diesem Geist, dem Melanchthon Ausdruck verliehen hat, haben damals schon Fürsten wie Johann von Sachsen oder Reichsstädte wie Nürnberg die CA unterzeichnet. Es lohnt sich also, nicht nur den Bücherrücken mit der Aufschrift „Bekenntnisschrift“ zu bestaunen, sondern genauer nachzulesen.
  • Ist das Augsburger Bekenntnis heute noch wichtig für die evangelische Christenheit oder in Wirklichkeit doch nur ein Kompromisspapier von früher?
    Die einen haben das Augsburger Bekenntnis das „Haupt- und Meisterwerk“ Melanchthons genannt. Melanchthon sei dort mit diesem Text zum "Mund unserer Kirche" geworden und habe Wort für Wort die „Mundart des Heiligen Geistes“ gesprochen. Die anderen finden, die Sprache sei spröde und trocken. Kaum jemand wisse, was in diesen Texten stehe. Tatsächlich sind die Artikel des Augsburger Bekenntnisses Miniaturen von großem theologischem Gewicht. Die entscheidenden Artikel kommen mit wenigen Zeilen aus.
  • Wie nahm die Gegenpartei damals das Augsburger Bekenntnis auf?
    Deren Einschätzungen schwankten. Einige sagen, in der Augsburgischen Konfession zeige sich eine charakterschwache Theologie. Einander widersprechende Standpunkte würden in einer höheren Einheit zu höherer Unwahrheit synthetisiert. Doch bereits 1532 notieren andere im Blick auf das Augsburger Bekenntnis: Den wütenden Angriffen eines Martin Luther sei leichter standzuhalten als der hinterlistigen Kunst des Redners Melanchthon. Eine Respektsbezeugung!