Umkehr zum Leben

Nachhaltige Entwicklung im Zeichen des Klimawandels, Denkschrift des Rates der EKD, 2009, Hrsg. Gütersloher Verlagshaus, ISBN 978-3-579-05909-9

Leitgedanken der Denkschrift

Der Klimawandel vollzieht sich sehr viel dynamischer, als bis vor Kurzem noch angenommen wurde. Dass unsere Wirtschaftsaktivitäten dabei eine wichtige Rolle spielen, wird heute nur noch von wenigen bezweifelt. Ausschlaggebend sind die Emissionen von Treibhausgasen, vor allem von Kohlendioxid, die bei der Verbrennung von Kohle, Erdöl und Erdgas entstehen, sei es zur Stromerzeugung oder im Verkehr. Aber auch das Abbrennen von Wäldern sowie die Emissionen von Methan in der Viehwirtschaft und im Reisanbau sind von erheblicher Bedeutung. Eine Einschränkung von Treibhausgasemissionen ist daher unerlässlich. Nur wenn es auf diesem Wege gelingt, den mittleren Temperaturanstieg auf 2° C zu begrenzen, bleibt dieser in einem Rahmen, innerhalb dessen Vorkehrungen für eine Anpassung an jetzt schon unvermeidliche Veränderungen der Umweltbedingungen Erfolg versprechen. (Kapitel 2, S. 22ff .) Die Auswirkungen des Klimawandels sind vielfältig. Höhere Temperaturen werden die Niederschlagsmengen und -muster verändern, sie werden zu häufigeren und intensiveren Dürren, Überschwemmungen und Stürmen führen. Insbesondere die tropischen und subtropischen Länder werden von diesen Veränderungen betroff en sein. Ihre landwirtschaftlichen Erträge werden sinken und ihre Bevölkerungen werden vermehrt unter Wasserknappheit leiden. Dadurch wird es in vielen Ländern, insbesondere in Subsahara-Afrika, erheblich schwerer werden, die Armut zu verringern und die Millenniumsziele der Vereinten Nationen zu erreichen. Dies trifft sogar auf Länder wie China und Indien zu, die in den vergangenen zehn Jahren hohe Wachstumsraten erreicht haben und in denen die absolute Zahl der Menschen, die über kein geregeltes oder nur ein geringes Einkommen verfügen, zurückgegangen ist. Denn das Wirtschaftswachstum in diesen Ländern hat ihre Ökosysteme stark belastet; der Klimawandel wird diese Belastung verstärken. (Kapitel 3, S. 52ff .)

Aufgrund der absehbaren, durch den Klimawandel verschärften Verknappung natürlicher Ressourcen ist mit zunehmender Nutzungskonkurrenz und mit einer Ausweitung von Verteilungskonflikten zu rechnen. Dies betrifft fruchtbare Böden und Süßwasservorräte, aber auch die Lebensräume bedrohter Tier- und Pflanzenarten. Eine solche Situation zunehmender Knappheit und Konflikte darf aber in den Industrieländern nicht zum Vorwand für eine auf Besitzstandwahrung und bloße Gefahrenabwehr ausgerichtete Umweltpolitik werden. Schon heute stehen Alternativen für Industrie- wie Entwicklungsländer zur Verfügung: Dazu gehören eine effizientere Energieverwendung, der Ausbau erneuerbarer Energien, eine radikal veränderte Stadt- und Verkehrsplanung und der konsequente Umstieg auf eine nachhaltige Landwirtschaft. So kann der globale Kurswechsel eingeleitet und Armut abgebaut werden. Der Klimawandel wird aufgrund der Erwärmung der Ozeane und des Abschmelzens der Eisschilde in den Polarregionen und Hochgebirgen aber auch zu einem Anstieg des Meeresspiegels führen. Dies wird den Fortbestand der kleinen Inselstaaten bedrohen und Millionen von Menschen, die in tief liegenden Küstengebieten leben, zur Abwanderung zwingen. Deshalb und wegen der wachsenden Zahl von Menschen, die ihren Lebensunterhalt wegen des Klimawandels an ihrem angestammten Ort nicht mehr bestreiten können, besteht die Notwendigkeit einer global ansetzenden, internationalen Migrationspolitik. Heimatlos gewordene Menschen müssen aufgenommen werden; sie müssen Zugang zu Lebens- und Arbeitschancen in Regionen erhalten, die vom Klimawandel weniger stark belastet sind. (Kapitel 4, S. 77ff .)

Diese Aufgaben, vor die der Klimawandel Regierungen, Gesellschaften, Familien und jeden einzelnen Menschen stellt, sind gewaltig. Um sie zu bewältigen, brauchen wir Zuversicht und Beistand. Gott, der Schöpfer und Erhalter des Lebens, hat im Noahbund sein gnädiges und lebenserhaltendes Ja zu seiner Schöpfung auch angesichts von Sünde und Bosheit der Menschen bekräftigt. Der versöhnende Gott befreit in Jesus Christus zu einem Leben, das sich an den Schönheiten der Schöpfung freut, das Lebensrecht aller Menschen und den Eigenwert der nichtmenschlichen Natur achtet und sich einer Ethik der Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit verpflichtet weiß. (Kapitel 5, S. 105ff .)

Am Lebensrecht aller Menschen und dem Eigenwert der nichtmenschlichen Natur orientiert sich das Leitbild einer nachhaltigen und gerechten Entwicklung. Das Entwicklungskonzept einer wachstumsorientierten nachholenden Industrialisierung ist nicht zukunftsfähig. Im Zeitalter des Klimawandels muss der Begriff der Entwicklung erneut überdacht werden. Eine gerechte Klimapolitik ist gefordert, um die Lasten des Klimaschutzes und der Anpassung an die kommenden Veränderungen gemäß der unterschiedlichen Verantwortung von Industrie- und Entwicklungsländern für den Klimawandel zu verteilen. Ausgangspunkt müssen gleiche Emissionsrechte für alle sein, die durch das Maximum an Treibhaus gasen begrenzt werden, das die Erdatmosphäre aufnehmen kann, ohne dass sich das Erdklima über den gegenwärtig angenommenen Grenzwert hinaus (2° C) ändert. Auf dieser Berechnungsgrundlage kann ein internationaler Handel mit Emissionsrechten eingeführt werden, der die großen Emittenten zu Minderungen zwingt. Durch die Versteigerung von Emissionslizenzen in den Industrieländern können Finanzmittel bereitgestellt werden, die in den Ländern des Südens für die notwendige Anpassung und für eine nachhaltige Entwicklung eingesetzt werden sollten. (Kapitel 6, S. 115ff .)

Kirchen werden ihrem Auftrag gerecht, wenn sie selbst zu einem Leben umkehren, das sich an den Leitwerten der Gerechtigkeit und der Nachhaltigkeit orientiert. Unser Ruf nach Gerechtigkeit ist auch an uns selbst gerichtet. Den Kirchen als Teil der Gesellschaft obliegt es aber auch, im Sinne der hier formulierten Leitwerte auf andere gesellschaftliche Kräfte und auf die Politik einzuwirken. Die Kirchen müssen die Beschlüsse der Kundgebung der 10. Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland 2008 zum Thema "Klimawandel ¬ Wasserwandel ¬ Lebenswandel" zügig umsetzen, d. h. ihre klimawirksamen Emissionen bis 2015 um 25 % senken. Der Ruf nach Gerechtigkeit nimmt aber auch jeden Einzelnen in die Pflicht, das eigene Handeln an einem ökologisch vertretbaren Lebensstil auszurichten. Die Kirchen müssen darüber hinaus ihre Partner in den Entwicklungsländern bei ihren praktischen und politischen Anstrengungen für eine nachhaltige Entwicklung und bei der Bewältigung des Klimawandels in einer Weise unterstützen, die auch anderen Akteuren als Maßstab und Anreiz für einen konstruktiven Umgang mit dem Klimawandel dienen kann. (Kapitel 7, S. 146ff .)

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