Predigt im Festgottesdienst am 25.06.2017 in Augsburg

Der Vorsitzende des Rates der EKD, Heinrich Bedford-Strohm, über die Confessio Augustana

Es gilt das gesprochene Wort

Liebe Gemeinde,

es ist bewegend, am 487. Jahrestagung der Verlesung des Augsburgischen Bekenntnisses hier auf dem Augsburger Rathausplatz  die Worte Jesu über die Herrscher zu hören, die ihre Völker niederhalten, und über die Oberherren, die ihnen Gewalt antun. Es ist bewegend, hier heute auf dem Rathausplatz lauter fröhliche Menschen zu sehen, die Gottesdienst feiern, ohne Angst vor weltlichen Herrschern haben zu müssen. Ganz im Gegenteil, Menschen, die hier politische Verantwortung tragen, gestalten und feiern diesen Gottesdienst mit, und zwar über die Konfessionsgrenzen hinweg!

Die Dankbarkeit für dieses gemeinsame Feiern wird umso größer, wenn wir 487 Jahre zurück schauen. Da waren sie hier in Augsburg versammelt, die Herrscher und die Mächtigen. Kaiser Karl der V. und seine Getreuen zusammen mit der etablierten Kirche, und die Fürsten, die sich der Reformation angeschlossen haben, mit Philipp Melanchthon und all den anderen Theologen der Reformation, die hier um die Zukunft der Kirche, um die Zukunft Deutschlands, ja – so müssen wir im Rückblick sagen – um die Zukunft der Welt rangen.

Wie bedroht dieses Ringen war, wie sehr die Herrscher und Mächtigen bereit waren zur Gewalt, konnte man an dem Menschen sehen, der nicht da war. Martin Luther hatte auf der Veste Coburg zurückbleiben müssen, als der sächsische Kurfürst mit seinem Gefolge kurz hinter Coburg die Grenze nach Bayern überschritt. Er wäre sonst ein toter Mann gewesen, denn er stand unter dem Bann des Kaisers.

Standhaft, mutig, frei sein – das war damals mehr als notwendig, um für den eigenen Glauben einzustehen. Und vielleicht war auch das Klugsein notwendig, um sich nicht dem sicheren Tod auszuliefern.

Ja, ich empfinde eine riesengroße Dankbarkeit, wenn ich darauf schaue, was aus jenem Klima der Angst, der Abgrenzung, was aus religiöser Unterdrückung und religiös motivierter Gewalt heute geworden ist. Wie aus den dann folgenden blutigen Kriegen und den damit verbundenen schmerzlichen Lernerfahrungen ein Gemeinwesen entstanden ist, das trotz aller Bedrohungen, die es immer wieder gibt, von Toleranz geprägt ist und in dem die Glaubens- und Gewissensfreiheit als Grund- und Menschenrecht gilt. Tage wie der heutige sind wichtige Tage der Erinnerung daran, wie wenig selbstverständlich das ist und wie sehr wir immer wieder von neuem dafür einstehen müssen.

Das gilt erst recht, wenn wir in die Welt schauen und sehen, wie die Herrscher an so vielen Orten auch heute noch ihre Völker niederhalten, und die Mächtigen ihnen Gewalt antun. Wie religiöse Fanatiker die Intoleranz zum Programm machen und eine Blutspur hinter sich herziehen. Wie Christen standhaft und mutig und frei ihren Glauben bekennen und dafür mit ihrem Leben bezahlen. An Erinnerungstagen wie diesen sagen wir: Wir werden uns nie damit abfinden, dass Menschen deswegen verfolgt oder sogar umgebracht werden, weil sie einfach nur ihrem Gewissen folgen und ihren Glauben leben wollen. Und ich hoffe und bete, dass es heute, da solche Verfolgung nicht mehr im Namen des Christentums angezettelt wird, sondern viel zu oft im Namen des Islam, ich bete, dass es nicht wieder Jahrhunderte dauert, bis das Blutvergießen endlich aufhört und Menschen zum Innehalten bringt. Bis die Vernunft wieder einkehren kann und religiöse Traditionen so weiterentwickelt werden, dass sie zur Kraft des Friedens und der Versöhnung werden anstatt zu Hass und Gewalt anzustacheln. Ich wünsche mir dass wir Christen, die wir unsere eigenen historischen Erfahrungen mit diesem Thema haben, mit friedenswilligen Muslimen gemeinsam dafür kämpfen, dass diese Hoffnung Realität wird!

Die Grundlage dafür wird in den Worten Jesu, die uns das Markusevangelium überliefert, kraftvoll beschrieben und mit dem Machtstreben weltlicher Herrschaft kontrastiert: „So ist es unter euch nicht; sondern wer groß sein will unter euch, der soll euer Diener sein; und wer unter euch der Erste sein will, der soll aller Knecht sein.“

Welch eine Vision des Zusammenlebens! Zu schön, um wahr zu sein! – möchte man sagen. Himmelweit entfernt von dem, was wir täglich als Realität kennen! Und leider auch nicht eine Beschreibung des Zusammenlebens der Christen untereinander, wie wir es kennen. Ja, auch unter uns Christen, in unseren Gemeinden, in unseren Kirchenleitungen, unter Christen im Alltag, menschelt es sehr.

Aber man darf angesichts der Worte Jesu ja mal träumen. Wie wäre das, wenn wir das einfach mal ernstnähmen, was Jesus da sagt, dass wir einander dienen, anstatt der Erste sein zu wollen?

Wir würden unsere Angst, zu kurz zu kommen, überwinden und teilen, was wir haben. Wir würden Menschen gegenüber, die neu zu uns stoßen, mit offenen Armen begegnen, unsere liebgewordenen Formen hintanstellen und danach fragen, was sie brauchen, damit die Gemeinde zu ihrer Heimat werden kann. Wir würden die neuen Lieder mit offenem Herzen mitsingen, die den anderen die Freude des Glaubens erschließen. Wir würden mit offenen Augen durch die Welt gehen und die Not der anderen sehen und ihnen beistehen. Wir würden die radikale Liebe, die in Christus Mensch geworden ist, selbst ausstrahlen.

Vielleicht ist das gar keine so weltferne Vision, die hier aufscheint. Vielleicht erleben wir manchmal mehr davon als wir bewusst wahrnehmen. Hier und anderswo auf der Welt. Wir haben eben davon gehört. Tafuteni Luvanda hat eben von Tansania erzählt und wie die Christen da wahrgenommen werden. Wenn du zum Beispiel von einem Beamten gefragt wirst, welche Religion du hast -  hat er gesagt - und du bist ein Christ, dann kannst du wahrnehmen, dass der Beamte sich freut, denn er weiß, dass die Christen die Liebe unter den Menschen leben und die Gemeinschaft als sehr wichtig erachten.

Franziska hat berichtet, dass sie dieses Jahr zum 6. Mal mit auf das KonfiCamp fahren wird und sich auch darüber hinaus ehrenamtlich in der evangelischen Jugend in Augsburg engagiert. Warum? Weil sie die evangelische Jugend als einladende Gemeinschaft erfahren hat, in der sie auch als Nicht-Getaufte willkommen ist.

Und ich könnte jetzt selbst berichten vom gerade zurückliegenden Kirchentag in Berlin, von der Nacht der Lichter mit den Brüdern von Taizé und dem großen Festgottesdienst zum Reformationsjubiläum auf den Elbwiesen von Wittenberg am Morgen danach, wo überall dieser Geist wechselseitiger Achtsamkeit zu spüren war. Wo jeder dem anderen bereitwillig geholfen hat. Wo man die Haltung der Liebe immer wieder spüren konnte, die allem wirklichen Dienen zugrunde liegt. Wo die Polizei kaum etwas zu tun hatte, weil alles so friedlich war.

Man hat beim Kirchentag – wie zu vielen anderen Gelegenheiten im Reformationsjubiläumsjahr – übrigens auch spüren können, dass der Rangstreit der Konfessionen überwunden ist und wir uns alle neu ausrichten an dem, nach dem wir uns den Namen „Christen“ gegeben haben. Wir haben erfahren, dass Christus wirklich im Zentrum stand und uns zusammenführte und immer mehr zusammenführen wird.

Die biblische Geschichte erzählt, dass zwei der Jünger, zu denen Jesus spricht, unbedingt neben ihm sitzen wollen in Gottes Herrlichkeit, An sich nichts Verkehrtes, sondern verständlich, menschlich,  gut! Darüber, dass sie ihm nahe sein wollen, kann man sich ja nur freuen! Doch sie machen einen Wettbewerb daraus: wer bekommt die Ehrenplätze. Und so mutet ihnen Jesus zu, dass sie dazulernen und verstehen, dass nicht der Wettbewerb um die ersten Plätze, sondern der Dienst am anderen Ausdruck der Nähe zu Christus ist.

Sollten wir im 500. Jahr der Reformation nicht genau das auch lernen? Sollten wir uns nicht genau dadurch neu nahe kommen und an die Stelle der wechselseitigen Konkurrenz den Dienst aneinander und den gemeinsamen Dienst für anderen treten lassen, dass wir ihn selbst, unseren Herrn Jesus Christus, neu entdecken?

Wir können das nicht von uns aus. Wir können nur unsere Herzen öffnen und empfangen. Von Gott empfangen. Von Gott den Geist empfangen, der Freiheit wirkt und der Einheit wirkt.

Philipp Melanchthon hat in der 18. These des Augsburgischen Bekenntnisses formuliert: „Über die Freiheit des Willens lehren sie: Der menschliche Wille hat eine gewisse Freiheit, bürgerliche Gerechtigkeit zu wirken und unter den der Vernunft unterworfenen Dingen frei zu wählen. Aber er hat nicht die Kraft, ohne den Heiligen Geist die Gerechtigkeit Gottes, also die geistliche Gerechtigkeit zu wirken... Sondern sie entsteht in den Herzen, wenn durch das Wort der Heilige Geist empfangen wird.“

Die Gerechtigkeit aus dem Geist, die wir nicht machen, sondern nur empfangen können, ist die Grundlage dafür, dass wir ohne Angst vor äußeren Autoritäten unserem Gewissen folgen können. Dass wir standhaft und mutig und frei für unseren Glauben einstehen. Und genau aus dieser inneren Kraft für die Mitmenschen da sind. Wir brauchen die Kraft des Heiligen Geistes, um dem Leben zu dienen.

Das ist die Perspektive, um die es Philipp Melanchthon und seinen Mitstreitern gegangen ist, die vor 483 Jahren hier in Augsburg die Confessio Augustana geschrieben und dann laut verlesen haben. Wir haben heute verstanden, dass sie uns als christliche Konfessionen nicht mehr trennt, sondern verbindet. Und wir sind gemeinsam der Überzeugung, dass eine Welt, die gekennzeichnet ist von Konflikten und Spaltungen, die genährt sind von Hass und daraus erwachsender Gewalt, genau dieses Zeugnis der Christen jetzt braucht.

Lasst uns der Welt dieses Zeugnis nicht vorenthalten! Lasst uns als Christen zeigen, dass eine andere Welt möglich ist! Lasst uns für alle sichtbar machen, dass ein Leben in der Liebe und im wechselseitigen Dienst aneinander nicht ein Opfer ist, sondern den Zugang zur Fülle des Lebens eröffnet! Lasst uns gemeinsam erfahren, dass die Liebe größer wird, wenn wir sie teilen!

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.

AMEN