Predigt am Pfingstsonntag 2025, in der Hauptkirche St. Michaelis in Hamburg
Bischöfin Kirsten Fehrs, Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland
Predigt zu Joh 14
Liebe Geschwister,
so eine zauberhafte Musik wird uns an diesem Festtag geschenkt! Musik, die dank Louis Vierne das mächtige Brausen, feierliche Sausen, das geheimnisvolle Säuseln und verschwebende Schweigen des Heiligen Geistes in grandiose Töne gießt. Großen Dank dafür, liebe Michel- Musiker! Dank dafür, es tut so gut, dass auf diese Weise der Pfingstgeist durch den Michel wirbelt und die erschöpften Seelen ergreift. Über die rauschenden Ohren direkt in unser Innerstes. Wir können das wahrlich gut brauchen. Denn Pfingstgeist, das bedeutet Trost statt Not. Wahrhaftigkeit statt Lüge. Frieden. Meinen Frieden gebe ich euch, sagt Jesus. Euer Herz erschrecke nicht.
Nein. Nicht der Angst und dem Schrecken dieser Tage stattgeben. Heute fassen wir uns ein Herz! Und morgen und übermorgen auch. Zukunft braucht Aufbruch. Birkengrün. Unseren Lebensmut. Vertrauen, dass jeder Mensch die Welt verändern kann. Das ist für mich in diesem Jahr die besondere Kraft der Pfingsten. Nicht abfinden mit dem Schreck über so viel Unfrieden. Sondern beherzt dem Frieden ein Fest bereiten. Mit Pauken und Trompeten.
So wie es einst geschah vor 2000 Jahren, just in diesem damals wie heute so verwundeten
Heiligen Land, in Jerusalem. In furchtbar kritischer Zeit erblickte damals die Kirche der Hoffnung das Licht der Welt. Ehrlich, kein Mensch hatte damit gerechnet. Mit diesem Aufbruch. Und dann auch noch so geistreich und herrlich unverzüglich! Nein, hätten damals Profis gewettet, die Quote wäre eine Million zu eins gewesen, dass Jesu Tod folgenlos bleibt. Dass es keine Kirchen wie diese hier geben würde und Christenmenschen, die in ihnen beten, singen, hoffen für die Welt.
Denn Sie müssen sich vorstellen: Der auferstandene Jesus war just gen Himmel gefahren. Endgültig nicht mehr da. Und so sitzen seine Anhängerinnen verzagt und Jesus-seelenallein da in ihrem kleinen dunklen Haus. Wie soll es jetzt bloß weitergehen, fragen sie sich. Stickig ist es, es riecht nach Schweiß und Traurigkeit. Petrus tut sein Bestes und predigt, was das Zeug hält. Hilft nicht wirklich. Ratlos „sprachen sie einer zum anderen: Was hat das alles zu bedeuten?“ Die Ungewissheit der Zukunft nagt an ihrem eh schon abgestandenen Hoffnungsmut. Als wäre damals schon heute gewesen.
Viele Menschen machen sich Sorgen um die Zukunft. Sie fragen sich, wie es weiter geht mit unserer Welt, kämpfen mit ihrer Traurigkeit, ja Fassungslosigkeit. Angesichts der Gewalt der Kriege und der furchtbaren Menschenrechtsverletzungen an viel zu vielen Orten dieser Welt. Angesichts der brutalen Dominanz der Oligarchen und Diktatoren unserer Tage. Angesichts des steigenden Meeresspiegels, der Dürren und Unwetter. Angesichts der zunehmenden Gereiztheit im gesellschaftlichen Klima und der Gewalt, die unsere demokratische Kultur gefährdet. Die Sorgenliste ist lang. Heute. Damals.
Und mitten da hinein, in all die lähmende Hoffnungsarmut fegt ein Wind durch die Tür und wirbelt alle durch- und zueinander. Endlich Luft! Licht! Ja, der Geist der Wahrheit! Klar doch! Auf einmal erkennen die verzagten Hinterbliebenen: Christus ist nicht im Himmel, fort, abgetaucht in irgendeiner Cloud. Er ist mitten unter uns. Tiefe Freude ergreift sie – und Lebendigkeit. All das, was der Trauer- und Sorgenberg verschüttet hat, lebt auf. Jesus hat sie nicht im Stich gelassen wie Waisen. Ich komme zu euch, hat er jüngst gesagt, als er seine Abschiedsworte an sie richtete. Der Evangelist Johannes hat´s aufgeschrieben, wir haben es eben gehört. Und tatsächlich: Er ist da. In ihrem Glauben, ihren Erinnerungen! Hier im Herzen sind seine Worte. Seine Wärme. Sein Vertrauen. Wie heilsam hat er sie doch alle berührt! Mit seinen Händen und seinem Frieden. Brannte nicht unser Herz? fragen sie einander. Von dieser seiner Liebe, die niemals aufhört?! Und so erzählen sie es sich gegenseitig, predigen quasi, aufgeregt, alle reden gleichzeitig, begeistert, eine Gemeinschaftspredigt! Das wäre was hier im Michel!
Und dann, dann verstehen sie sich auch noch! In all ihren Muttersprachen. Arabisch, aramäisch, syrisch, plattdeusch! Universal haben sich die Grenzen zwischen Galiläern und Arabern, Parthern und Medern buchstäblich in Luft, in Geistwind aufgelöst. Völkerverständigung in Windeseile. Liebessturm statt Hasswüten. Großartig. Sie erleben tatsächlich das Glück von friedlichem Miteinander, das die Unterschiede in dieser bunten Gesellschaft würdigt und nicht zum Trennungsgrund erklärt. So also gebe ich euch meinen Frieden, sagt Christus. Nicht gebe ich euch wie die Welt gibt! Und deshalb: Euer Herz erschrecke nicht!
Pfingsten, liebe Geschwister, erzählt davon, dass Menschen frei werden. Dass sie aufatmen und ihr Herz weit wird. Ergriffen von geistreichem Liebesmut, der der Dummheit des Hasses den Marsch bläst. Und ergriffen, ja getröstet von dieser Friedensvision, die höher ist als alle weltliche Vernunft. Deshalb suchen sie alle gemeinsam eine Sprache dafür. Kein flaches Geplapper, nein: Worte mit Tiefe, die verstehen, was Menschen bewegt. Eine Sprache für unwürdige Verhältnisse. Zärtliche Gefühle. Und für die Ehrlichkeit. Eine Sprache, in der die Liebe das Wort ergreift. Für Feindschaft ist da kein Platz. Für Intoleranz kein Verständnis. Für die Faust kein Grund. Für Fakenews kein Ohr. Für Hetze keine Stimme.
Man stelle sich vor: eine gemeinsame Sprache der Liebe, des Trostes und der Wahrheit, die Frieden schafft und die alle verstehen: die aus Jerusalem und die aus Damaskus, aus Beirut, Ankara und Addis-Abeba, die Syrer, Russinnen, Ukrainer und Deutschen, die Italienerinnen, Äthiopier, Amerikaner, Israelis und Palästinenserinnen, alle verstehen einander über die Grenzen ihrer Herkunft und Religion hinweg. Denn wir werden ja nicht als Feinde geboren, sondern aus Liebe. Friedensbewegt vom Ursprung her, schlicht, weil jeder Mensch geachtet werden will und geliebt. Und weil jeder Mensch lieben und achtvoll sein kann. Jeder Mensch kann die Welt verändern. Und dafür braucht es Pfingstgeschichten. Visionen. Für unseren Glauben an das Mögliche. Ja, es ist möglich, vielstimmig und friedlich, respektvoll und gewaltfrei miteinander umzugehen.
Vor Kurzem durfte ich dabei sein, als die interkulturelle Woche 50. Geburtstag in Berlin feierte. Und da ist mir noch einmal klar geworden, was für eine lange, begeisternde, ja, pfingstliche Geschichte das ist: Menschen aller Nationen, Konfessionen und Religionen treffen sich seit einem halben Jahrhundert friedenswillig auf der Suche nach Gemeinsamkeit an unzähligen Orten in diesem Land. Seit Mitte der 70-er. Wenn ich bedenke, dass in meiner norddeutschen Kinder- und Jugendzeit die herausragendste interkulturelle Errungenschaft der Hot Dog an der dänischen
Grenze war! Und dann der erste Besuch als Dithmarscherin im diversen Hamburg – eine andere Welt! Und genau diese Welt als Reichtum zu erkennen, in ihrer ganz Vielfalt an Sprachen, Religionen und Lebensformen, dazu ist man seit 1975 konsequent aufeinander zugegangen, inspiriert von einem Geist der Verständigung, der dem gegenseitig Fremden offen begegnet, um sich mit dem Unterschied zu befreunden. 5000 Veranstaltungen an 750 Orten jedes Jahr mal fünfzig– so kommt der Heilige Geist auf die Welt.
Leider ist dieser Geist auf allen Ebenen gerade in höchster Gefahr. Grenzen werden unaufhörlich gezogen, statt überwunden. Umso wichtiger, als Christenmenschen interkulturelle Pfingstoffenheit zu behalten. So wie Kirche von Anfang an war – wichtig, sich in diesen Zeiten daran zu erinnern! Und mit so vielen Engagierten, auch in Hamburg, dafür einzustehen. DAFÜR, so lautet das kluge Motto für die diesjährige interkulturelle Woche. Derzeit können wir gegen Vieles sein, doch das „Dafür“ verstärkt unbedingt die Friedensperspektive. Dafür brennen wir doch in Jesu Namen - für eine Gesellschaft, die die Würde des Menschen verteidigt, gleich woher er kommt, wie sie aussieht, was er leistet?
Für unser Land, in das fast jeder dritte Mensch eine Migrationsgeschichte einbringt und das dadurch vor allem stark geworden ist.
Für unsere Demokratie, die wir noch immer als die beste Staatsform verstehen, und für die wir uns gerade jetzt mit aller Kraft, die uns zur Verfügung steht, einsetzen müssen.
Für das Grundrecht auf Asyl, das niemals zur Disposition stehen darf, gerade in unserem Land nicht. Ein Grundrecht der Menschlichkeit, schon aus biblischer Tradition nicht verhandelbar. Dafür – das möchten wir doch sein, Menschenfreunde, die um Gottes Willen den Mut haben, begeistert verschieden und tapfer versöhnt zu sein.
Danke dafür, liebe Geschwister, dass so viele von euch heute - wie damals in Jerusalem - Grenzen überwinden, weil ihr die Gemeinschaft wollt. Wir reisen halt gemeinsam durch diese Welt. Alle sind wir aufeinander angewiesen. Wissend: neben der großen Welt und ihren Sorgen gibt es bei uns selbst auch so manches Ach unterm Dach. Da gibt es kranke Eltern und anstrengende Kinder, Rückenschmerzen und zu viel Arbeit, Eigenbedarfskündigungen und Einsamkeit oder das Unglück, einen geliebten Menschen verloren zu haben. Pfingsten ist eben auch dies: Das Fest der Vergewisserung, dass Jesus Christus diese Welt und ihre Menschen nicht verlassen hat, sondern bei uns bleibt, auch in den dunklen Tälern. Seit über 2000 Jahren gibt diese Kirche davon Zeugnis und Millionen Menschen Trost und Halt. Als Gottes geliebte, vielfältige Menschheitsfamilie.
Apropos – die Liebe zur Vielfalt. Die ja wie gesagt seit Pfingsten das Normale ist. Wenn man so will: Gottes Migrationsgesellschaft….Gab es bei besagtem 50. Geburtstag der interkulturellen Woche auch einen Migrationsforscher, selbst in zweiter Generation in Deutschland aus der Türkei. Der war äußerst temperament- und humorvoll. Und kam damit um die Ecke, dass bei all den interkulturellen Wochen das gemeinsame Essen unerhört verbindend ist. Und er jammerte dabei ein bisschen und sagte: Ehrlich, immer gibt es Falafel und Couscous, gibt es syrisches, türkisches, vietnamesisches, arabisches, gewiss wunderbares Essen, aber niemals ordentliche Thüringer Rindsrouladen oder Steckrüben. Niemals leckere deutsche Küche. Dabei gehört doch Deutschland genauso dazu? Zu all den Kulturen? Deutschland gehört doch zu uns!?
Ich wünsche Ihnen fröhliche Pfingsten, liebe Geschwister – in seinem Frieden, den Christus uns schenkt. Höher als alle Vernunft. Er bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.
Amen