Nützliche, gefährliche Helfer

Der EKD-Ratsvorsitzende über Chancen und Gefahren der Digitalisierung

Heinrich Bedford-Strohm

Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm.

Es war fast wie ein digitales Pfingst­wunder, was mir junge Leute aus aller Welt in Bossey in der Schweiz vorführten. Wir waren im Ökumenischen Studienzentrum des Weltkirchenrats zusammengekommen. Alle sprachen wie selbstverständlich englisch miteinander. Ich fragte, wie sich Menschen verständigen sollen, wenn sie nicht zu den gut Ausgebildeten gehören, die Englisch wie eine zweite Muttersprache sprechen? Da nahm die junge Frau aus Georgien neben mir ihr Smartphone, rief eine App auf und sprach georgisch hinein. Staunend verfolgte ich, wie auf dem Display das, was sie in ihrer Sprache sagte, nahezu in Echtzeit auf Deutsch erschien.

Hebt die digitale Technik die Sprachverwirrung auf, von der das 1. Buch Mose als Konsequenz des Turmbaus zu Babel berichtet? Überwinden wir zumindest ihre Folgen?

Mit guten Gründen stehen die Gefahren der Digitalisierung im Zentrum der öffentlichen Debatten. Die großen Internetkonzerne sammeln unsere Daten und gewinnen so eine gigantische Macht. Wie kann demokratisch verantwortlich geregelt werden, dass es nicht zu dieser Machtkonzentration kommt? Wie kann man verhindern, dass Algorithmen polarisierende Inhalte im Netz nach oben spülen, die besonders häufig geklickt werden? Hohe Klickzahlen bringen Unternehmen höhere Werbeeinnahmen. Dabei wird in Kauf genommen, dass sich die Gesellschaft weiter spaltet, was die Demokratie gefährdet.

Digitalisierung verantwortlich gestalten

Es ist wichtig, diese Gefahren zu erkennen, um die ­Digitalisierung verantwortlich zu gestalten. Aber man darf auch staunen, wie viel Segensreiches mit digitalen Mitteln möglich ist. Wenn Sprachbarrieren abgebaut werden, hilft das, eine europäische Zivilgesellschaft zu entwickeln. Menschen aus unterschiedlichen Ländern können viel einfacher miteinander kommunizieren, wenn sie nicht immer einen lebendigen Übersetzer bei sich haben müssen.

Im medizinischen Bereich schaffen digitale Techniken völlig neue Möglichkeiten. Der Arzt, der seinen Herzpa­tienten aus der Ferne digital überwacht, kann die Vorzeichen eines Herzinfarkts sofort erkennen, schnell reagieren und Leben retten. Menschen, die mit Behinderungen leben müssen, können mit Hilfe der digitalen Technik einfacher einen ­Beruf ausüben und an der Gesellschaft teilhaben. Dass wir uns blitzschnell Informationen beschaffen, daran haben wir uns ohnehin gewöhnt. Ein Wort in der Suchmaschine ersetzt den Gang in eine Bibliothek oder ein Archiv.

Segnungen und Schattenseiten

Die Schattenseite: Wer diese Segnungen nutzt, liefert Daten. Und wenn diese Daten in die falschen Hände kommen, können sie viel Unheil anrichten. Also muss es darum ­gehen, die Kontrolle über die Daten nicht in die Verfügungsgewalt einiger weniger Datenkonzerne zu geben, sondern selbst zu behalten.

Weil diese Aufgabe immer deutlicher vor Augen trat, hat das Europäische Parlament die „Euro­päische Datenschutz-Grundverordnung“ verabschiedet. Was als Wortungetüm daherkommt, ist eine Pionierleistung der ­europäischen politischen Institutionen. Europa erfährt gerade aus den USA viel Anerkennung, was den Datenschutz und die Marktkontrolle der digitalen Wirtschaft angeht.

Ich bin überzeugt, dass wir die Digitalisierung verantwortlich gestalten können. Es braucht dafür allerdings Politiker und zivilgesellschaftliche Akteure, die die technischen Entwicklungen und die Unternehmen, die davon profitieren, wach und kritisch begleiten.

Und wenn sich Menschen bei der Herabkunft des Heiligen Geistes über Sprachgrenzen hinweg verstehen, dann wird das auch künftig nicht zuerst den Algorithmen geschuldet sein. Wenn neue Beziehungen zwischen Gott, Mensch und unseren Mitmenschen ent­stehen, dann ist Pfingsten. Der Heilige Geist lässt sich dabei gerne helfen. Gelegentlich auch durch digitale Übersetzer.

Heinrich Bedford-Strohm (aus chrismon)