Beten im Netz: „Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind“

Glauben im digitalen Raum

Twittergottesdienst in der Walloner Kirche

Twittergottesdienst in der Walloner Kirche.

Die Empörung in der Netzgemeinde ist immer noch groß, seit der Berliner Altbischof Wolfgang Huber vor der Twitter-Falle warnte: Seiner Meinung nach verhindert Twitter Begegnung zwischen Menschen. Kirche aber solle ein Ort sein, an dem sich Menschen begegnen. Der Widerspruch von Twitter-Nutzern, die sich für die digitale Kirche interessieren, ist groß.

„So viele tolle Menschen habe ich gerade durch Twitter kennengelernt – und später auch persönlich getroffen“, erwidert etwa eine Theologin und Bloggerin unter dem Tweet des ehemaligen Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland. Tweet und Reaktionen werfen Fragen auf: Welche Formen christlicher Gemeinschaft gibt es im Netz? Sind sie – im theologischen Sinne – eigenständige Gemeinden?

Auf die Frage, ob es eine digitale Gemeinde gibt, hat die junge Theologin Hanna Jacobs (30) eine klare Antwort: „Ja.“ Aber natürlich komme es darauf an, wie man Gemeinde definiere. „Wenn man nach den Aussagen Jesu im Matthäusevangelium geht, entsteht Gemeinde da, wo zwei oder drei im Namen Jesu versammelt sind“, sagt Jacobs, die für das alternative Gemeindeprojekt raumschiff.ruhr in Essen arbeitet. Das Internet sprenge die klassische Definition der Ortsgemeinde. Seelsorge, Verkündigung, Gemeinschaft – dies alles seien Dinge, die auch online funktionieren. Schwieriger sei es mit den Sakramenten.

Jeden Abend feiert eine Twittergemeinschaft Abendandacht

Deswegen möchte sich die Theologin Birgit Mattausch nicht auf ein klares „Ja“ festlegen. „Unsere Sakramente Taufe und Abendmahl werden in Kohlenstoffform gereicht. Das wird online schwierig.“  Aber dafür könne sich in Zukunft auch noch eine Lösung finden lassen. Dass die Netzgemeinde im Hinblick auf die Bedeutung von Kirchenhierarchien anders funktioniere, könne man an den Reaktionen auf Hubers Tweet sehen. „In der digitalen Gemeinschaft zählt, sich zu öffnen, bereit zu sein, etwas zu teilen und sich beraten zu lassen – darauf kommt es an und nicht auf die Stellung in der Kirche“, sagt die 43-Jährige. In sozialen Netzwerken passierten Dinge, die in Ortsgemeinden weniger vorkämen. „In welcher Gemeinde vor Ort treffen sich Leute jeden Tag, um zu beten?“, sagt Mattausch, die als Referentin am Evangelischen Zentrum für Gottesdienst und Kirchenmusik in Hildesheim arbeitet.

Damit meint Mattausch digitale Formate wie die Twomplet. Jeden Abend um 21 Uhr feiert eine Twittergemeinschaft Abendandacht (lateinisch Komplet). Einer betet vor, die anderen können nach Belieben Fürbitten oder Gebete einbringen. Seit 2014 gibt es die Twomplet. Die Theologin und Pfarrerin Kerstin Söderblom (55) hat damit selbst gute Erfahrungen gemacht. „Ich habe bei Twomplet selbst schon durch das Netz Trost und Seelsorge erfahren“, sagt sie. „So eine Erfahrung ist, was Interaktion und Zwiesprache mit einer Gemeinschaft und mit Gott betrifft, nicht weniger intensiv als in einem analogen Gottesdienst.“

Natürlich gebe es im Digitalen Grenzen. Aber digitale Communitys könnten auch milieubezogene oder orts- und zeitbezogene Grenzen überwinden und seien dadurch barrierefrei. Söderblom wünscht sich in dieser Hinsicht noch mehr landeskirchliches Engagement.

„Die Netzgemeinde ist ein Zusatz, aber kein Ersatz“

Dass auch Landeskirchen in Sachen digitale Kirche einen Treffer landen können, zeigt die neue App „XRCS“ („Exercise“). Sie erhielt kurz nach der Veröffentlichung unter dem Hashtag #digitaleKirche auf Twitter viel positives Feedback. Entwickelt wurde sie im Auftrag der Landeskirche Hannover. Die ersten 30 Tage befinden sich Nutzer im sogenannten Inspirationsmodus. Täglich erhalten sie drei Fragen, die sie zum Innehalten und Nachdenken anregen sollen. „Was hast du heute übersehen?“ oder „Wann warst du das letzte Mal glücklich?“, lauten die kurzen Impulse. Danach kann man mit dem Exerzitien-Modus weitermachen. Die App sei klug gemacht, sagt Mattausch. Sie überzeuge durch ihr schlichtes, aber farbenfrohes Design und die inhaltliche Tiefe der Fragen. „Ich könnte mir vorstellen, die App Menschen zu empfehlen, die sich nicht als Christen bezeichnen“, sagt sie.

Menschen auf ihrem Glaubensweg zu begleiten und Leuten zu begegnen, die bislang wenig mit der Kirche in Kontakt waren, ist das Ziel von Gunnar Engel (31). Der Pastor leitet eine Gemeinde in Schleswig-Holstein und betreibt als Hobby seit einem halben Jahr einen Youtube-Kanal. Er hat bereits 1.300 Abonnenten, was für einen christlichen Account ziemlich erfolgreich ist. Jede Woche veröffentlicht er ein Video. Er macht Themenvideos zur Taufe oder zum Bibelstudium, dreht einen Video-Blog oder räumt in „Frag den Pastor“-Videos mit Klischees über Religion und den Pfarrberuf auf.

Aber auch der Youtube-Pastor hat Zweifel, ob es eine reine Netzgemeinde geben kann. „Ich glaube, gemeinsames Beten oder Bibelarbeit ist kein Problem“, sagt er. „Beim Gottesdienst würde mir etwas fehlen. Die Netzgemeinde ist ein Zusatz, aber kein Ersatz. Die Nähe und die Begegnung würden mir fehlen.“

Franziska Hein (epd)