„Das Domstift stürzte tief“

Militärbischof Sigurd Rink spricht über die Rolle des Domstifts Brandenburg im Nationalsozialismus

Dom St.Peter und Paul Brandenburg, Außenansicht Turm

Der 850 Jahre alte Dom St. Peter und Paul ist ein religiöses und kulturelles Zentrum in der Region östlich der Elbe.

Brandenburg. Die Aufarbeitung der Zeit des Nationalsozialismus ab 1933 ist für das Domstift Brandenburg längst nicht abgeschlossen. Einige Schlaglichter aus den Quellen des Domstiftarchivs warf Militärbischof Sigurd Rink mit seinem Vortrag „Drahtseilakt zwischen Himmel und Hölle“ im Sommerrefektorium. Sein Persönlicher Referent, Militärdekan Klaus Beckmann, leitete als Moderator die Ausführungen mit der Feststellung zur Situation vor über 80 Jahren ein: „Das war die Regierungsform, die sich die Deutschen selbst gegeben hatten.“ Und er fragte, warum sich die Menschen damals so verhalten hätten.

Rink machte deutlich, dass Urteile heute leicht zu fällen seien, aber jeder und jede sich auch fragen solle, wie man selbst einer national aufgeheizten Zeit begegnet wäre. Der Bischof ließ aber keinen Zweifel daran: „Im Verlauf der zwölf Jahre des NS-Regimes stürzte das Domstift tief.“ 1940 waren im sogenannten Euthanasieprogramm „T4“ im Alten Zuchthaus der Stadt 9.772 behinderte Menschen ermordet worden. Die Auflösung der Brandenburger Euthanasie-Anstalt im Herbst 1940 sei vermutlich nur deshalb erfolgt, weil die Geheimhaltung vor Ort einfach nicht mehr möglich war.

Deutsche Christen im Domkapitel

Aus dem Domstift ist zu dieser Zeit Widerstand nicht erkennbar. Nicht zuletzt auch deshalb, weil das Domkapitel unter Leitung von Domdechant Adolf von Trotha mit Domherren besetzt wurde, die in kirchlichen Ämtern der Deutschen Christen (DC) gescheitert waren, etwa Friedrich Peter als DC-Bischof von Magdeburg. Ein anderer Domherr war NSDAP-Kreisleiter oder Ludwig Ziehen, der Direktor der Ritterakademie. Rink nannte das mit den Worten des Historikers Manfred Gailus die „deutsch-christliche Eroberung“ des Doms. Innergemeindliche Konflikte im Sinne des „Kirchenkampfs“ gab es im Dom in Brandenburg nicht, in anderen Brandenburger Stadtgemeinden aber sehr wohl.

Rink nutzte die historische Folie, um für heute Lehren zu ziehen: So könne – wie bei der Seelsorge in der Bundeswehr – es zwar ein Zusammenwirken von Kirche und Staat geben, doch müsse das Selbstbestimmungsrecht der Kirche dabei gewahrt werden. Zum Wächteramt der Kirche gehöre, so der Militärbischof der EKD, in Gesellschaft und Politik nicht zu Dingen zu schweigen, die von moderner Inhumanität gekennzeichnet seien. „Wo die Kirche nichts Eigenes zu sagen vermag, erübrigt sich das Hören“, so ein Fazit Rinks.

In einer anschließenden Diskussion fragten Zuhörer nach der Rolle der Deutschen Christen und der Pfarrer der Bekennenden Kirche. Woran lag es, dass in der Stadt Brandenburg kein Kirchenkampf stattfand? Offensichtlich suchte die nationalsozialistische Politik im Domstift Positionen zu besetzen, mied aber kirchlich-theologische Auseinandersetzungen. An den Grenzen zwischen Staat und Kirche sind Schwierigkeiten bis heute nicht zu übersehen.

Der Dom Sankt Peter und Paul zu Brandenburg an der Havel, gegründet im Jahr 1165, hatte hohe Bedeutung für die Christianisierung und Kultivierung des Landes östlich der Elbe. Die evangelische Domgemeinde gehört heute zur Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz. Dem 16-köpfigen Domkapitel steht heute der frühere Landesbischof und EKD-Ratsvorsitzende Wolfgang Huber vor.

Roger Töpelmann