„Wir brauchten eine neue Besinnung auf den Kern unseres Auftrags“

Wolfgang Huber über seine Amtszeit als Ratsvorsitzender der EKD

Der Berliner Altbischof und ehemalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Wolfgang Huber, am 21.03.2019

Wolfgang Huber war von 2003 bis 2009 Vorsitzender des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland.

„2003 wurde uns relativ schnell deutlich, dass wir uns als Kirche den Veränderungen stellen mussten, die durch den gesellschaftlichen und religiösen Wandel entstanden“, sagt Prof. Dr. Wolfgang Huber, der von 2003 bis 2009 Vorsitzender des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) war. Nicht nur der Rückgang der Kirchenmitgliedschaft war dabei zu bedenken. Demoskopische Umfragen zeigten vielmehr, dass die Jahrtausendwende ein neues Interesse an Kirche und ihrem Auftrag bewirkt hatte. „Wir brauchten eine neue Besinnung auf den Kern unseres Auftrags und die Bereitschaft, die christliche Botschaft nach außen zu tragen.“

Zu Hubers Amtsantritt stand die Kirche vor einem neuen Zeitalter religiöser und auch konfessioneller Pluralität. Dies kam im Titel des Impulspapiers „Kirche der Freiheit“ (2006) zum Ausdruck. „Das sollte auf keinen Fall ein fertiger Reformfahrplan sein, kein ‚Blueprint‘“, erläutert der damalige Ratsvorsitzende. Vielmehr sollte es den Verantwortlichen in den Landeskirchen, in Gemeinden und Initiativen Impulse zur Weiterentwicklung eigener Reformideen geben. Anfangs sei das nicht überall so angekommen, „erst mit dem Zukunftskongress 2007 in Wittenberg konnten wir die Vertreter der Landeskirchen, der kirchlichen Regionen und Gemeinden verstärkt in die Diskussion über die ‚Kirche der Freiheit‘ einbinden.“ Auf der Ebene der EKD wurde eine paritätisch besetzte Steuerungsgruppe gebildet.

Eine Zwischenbilanz wurde bei der Zukunftswerkstatt im September 2009 in Kassel gezogen, die zeigen sollte, dass eine „Kirche im Aufbruch“ möglich ist. „Damals ist es uns gelungen, eine Galerie der guten Ideen vorzustellen und beispielhafte Projekte hervorzuheben.“ Die Beschreibung dessen, was schon im Gange war, wurde (auch mit digitalen Mitteln) erfolgreich „vermarktet“ – eine Abkehr von der üblichen protestantischen Zurückhaltung. So zieht Huber eine positive Bilanz dieser jahrelangen Arbeit: „45.000 gedruckte Exemplare des Impulspapiers und über 400.000 Downloads sprechen eine klare Sprache.“

Engagement für die Bildungsarbeit

Ein wenig Enttäuschung klingt in der Beobachtung mit, dass um das Jahr 2012 die Vorbereitungen auf das Reformationsjubiläum 2017 die Weiterarbeit an dem Reformprozess überlagerten. „So konnte der Eindruck vom Scheitern oder Erliegen des Prozesses aufkommen. Doch inzwischen steht allen vor Augen, dass Veränderungen unausweichlich sind: Erneut tritt eine dramatische Zuspitzung der Kirchenaustritte und der damit zu erwartenden Kirchensteuer-Ausfälle vor Augen. Ich hoffe, dass das, was mit den elf Leitsätzen für eine aufgeschlossene Kirche begonnen hat, aufgenommen wird und nicht Resignation, sondern Aufbruchsstimmung aufkommt.“

Großes Engagement hat Huber während seiner Amtszeit als Ratsvorsitzender der Bildungsarbeit gewidmet; das Ringen um die Entwicklung und Sicherung des Religionsunterrichts (nicht nur in den östlichen Bundesländern) gehört dazu. „Schon als Bischof von Berlin und Brandenburg hatte ich mich festgelegt, die kirchliche Bildungsarbeit in ihren drei Säulen zu stärken. Da war die Bildungsarbeit in den Gemeinden in der Tradition der Christenlehre, dann die Verantwortung für den Religionsunterricht und schließlich die Schaffung evangelischer Schulen.“ Die EKD habe dieses Konzept in vielfältigen Formen vertieft, unter anderem durch wichtige Grundsatzpapiere und die aktive Unterstützung des Verfahrens vor dem Bundesverfassungsgerichts zum brandenburgischen Unterrichtsfach LER. Freude bereite ihm zudem, dass mit der evangelischen Schulstiftung eine Dachorganisation gegründet wurde, die den Schulen zum Austausch und als ihre politische Vertretung diene.

Bischof Huber war schon vor seinem Amtsantritt als Ratsvorsitzender intensiv mit Ethik-Fragen beschäftigt – etwa seit 2001 als Vertreter der EKD im Nationalen Ethikrat. „Bio-ethische Fragen beschäftigten den Rat der EKD, aber auch die Kirchenkonferenz in jeder Sitzung. Und wir haben – auch in Zusammenarbeit mit der katholischen Kirche – in wichtigen Themen die weitere Entwicklung mitgeprägt“ Als Beispiel nennt Huber die Forschung an menschlichen Embryonen: „Wir haben mit dem  – durchaus umstrittenen –  Eintreten für eine einmalige Verschiebung des Stichtags zu einem tragfähigen Kompromiss zwischen dem ethisch Vertretbaren und dem pragmatisch Notwendigen beigetragen.“

Bemühen um eine engere Verbindung der gliedkirchlichen Zusammenschlüsse

Ohnehin habe der Rat der EKD immer wieder für Beiträge zur öffentlichen Diskussion mit Langzeitwirkung gesorgt, sagt Huber. Er zählt dazu die Friedensdenkschrift „Aus Gottes Frieden leben – für gerechten Frieden sorgen“ (2007), die bis heute „ein maßgeblicher Bezugspunkt“ sei, ebenso wie die Denkschrift über „Gerechte Teilhabe“ (2006) sowie die Denkschrift über „Unternehmerisches Handeln in evangelischer Perspektive“ (2008). Auf die damalige Weltwirtschafts- und Finanzkrise  reagierte der Rat der EKD mit einer pointierten Stellungnahme („Wie ein Riss in einer hohen Mauer“, 2009). Mit einem persönlichen Appell habe er als Ratsvorsitzender auf die Dringlichkeit der Klimaverantwortung hingewiesen („Es ist nicht zu spät für eine Antwort auf den Klimawandel“, 2007).

Innerkirchlich war Hubers Amtszeit von der Bemühung um eine engere Verbindung der gliedkirchlichen Zusammenschlüsse mit der EKD geprägt. „Die Initiative ging von Eckhart von Vietinghoff aus, dem damaligen Landeskirchenamtspräsidenten in Hannover; es war wichtig, dass der Anstoß zu diesem Vereinigungsprozess von einem Vertreter der lutherischen Kirchen kam“, erinnert sich Huber. „Ich habe meinen Stellvertreter Christoph Kähler, Bischof der ebenfalls lutherischen thüringischen Landeskirche, gebeten, den Prozess zu moderieren – und er hat ihn mit Ausdauer bis zum sogenannten Verbindungsmodell  geführt.“ Aber auch dieses sieht Huber nur als einen „Übergang“ an, dem weitere Schritte folgen müssen. „Wir stehen alle auf einer gemeinsamen Grundlage, wie die Leuenberger Kondordie von 1973 zeigt. Deshalb trägt die EKD den Titel ‚Kirche‘ zu Recht.“

Meilenstein der Ökumene

Die Ökumene mit der katholischen Kirche habe zu einer persönlichen Freundschaft mit dem damaligen Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz Karl Kardinal Lehmann geführt, aber auch ernsthafte Konflikte mit sich gebracht. Sie begannen im Jahr 2000 mit der vatikanischen Erklärung „Dominus Iesus“. Besonders schmerzlich war, dass die EKD sich wegen des Letztentscheidungsrechts vatikanischer Behörden aus der Beteiligung an der Revision der katholischen „Einheitsübersetzung“ der Bibel zurückziehen musste.  Auch in bioethischen Stellungnahmen entwickelten sich unterschiedliche Akzente. Ein Meilenstein von bleibender Bedeutung war die Vereinbarung zur wechselseitigen Anerkennung der Taufe (im Magdeburger Dom 2007). Die sich daran anschließende Frage wechselseitiger eucharistischer Gastbereitschaft sei auch im Vorfeld des dritten Ökumenischen Kirchentags (Frankfurt 2021) leider noch nicht gelöst.

Zu den wichtigen Personen seiner Amtszeit zählt Wolfgang Huber neben Kardinal Lehmann vor allem seine Kollegen im Rat der EKD, die er „als wunderbare Gemeinschaft auf dem Weg“ erlebte. Das Kirchenamt in Hannover mit seinen Präsidenten Valentin Schmidt und Hermann Barth, aber auch wichtigen Mitarbeitern wie Thies Gundlach und Thomas Begrich gehörten zu seinen prägenden Wegbegleitern, erinnert sich Huber. Wichtigen Rückhalt gaben ihm die persönlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Berlin und Hannover – und nicht zuletzt seine Frau.

Michael Eberstein / EKD