Predigt im Gottesdienst vor dem DFB-Pokalspiel
Militärbischof Dr. Bernhard Felmberg, Bischof für die evangelische Seelsorge in der Bundeswehr und Pfarrer der Stadionkapelle im Berliner Olympiastadion
(es gilt das gesprochene Wort)
24. Mai.2025, in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche in Berlin
„Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben, wer an mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht.“ (Joh. 15,1-8)
I. Dranbleiben
Liebe Gemeinde,
haben Sie auch eine Sport-App? Ich meine so einen Motivator, der mir beim Blick auf das Handy zuruft: „Hey, Bernhard, Dein Tagesanfang war gut. Du hast mehr Schritte als üblich gemacht. Weiter so!“
Oder so ein Ding, was einem schon beim Aufstehen ein schlechtes Gewissen macht, wenn er einem schon am frühen Morgen zärtlich den Hinweis gibt.
„Gestern hast Du Deinen Bewegungsring nicht geschlossen, versuche ihn heute zu schließen.“
Ja, wenn man etwas sportlich veranlagt ist, wie ich es dem Geiste nach noch immer bin, dann fühlt man sich richtig angefasst oder angestachelt.
So habe ich mich manchmal schon im Winter durchs Wohnzimmer marschieren sehen, um bloß auf meine Schritte zu kommen – und den grünen Bereich zu erlangen.
Dranbleiben. Ja, das gibt es auch beim Fußball. Am Gegner dranbleiben, ihn nicht ziehen, ihm keinen Raum geben, ihn nicht zur Entfaltung kommen lassen.
„Immer dranbleiben“, so höre ich meinen Trainer noch heute auf mich einreden in der Kabine. „Bleib dran, Bernhard!“
Und heute Abend, wo zig Tausende zuschauen, wird der dumm angeschaut und herunterkommentiert, der nicht schnell genug am Ball war – sei es im Sturm oder in der Verteidigung.
Und jeder von uns kennt das Gefühl, wenn das Dranbleiben nicht gelingt. Wenn man einen ziehen lassen muss. Ziehen lassen muss, weil man selbst nicht mehr kann – keine Kraft mehr hat, oder schlichtweg nicht das Vermögen.
Kein Zweifel. Beide Mannschaften werden sich heute Abend reinhängen.
Die Partie ist für jeden wichtig. Es gibt was zu gewinnen. Den Pokal. Der DFB-Pokal ist ja gerade für die Unterklassigen Mannschaften faszinierend.
Er hat ja was Anarchisches. Kleine spielen gegen die Großen, unabhängig von Geld, Tradition, Können und Ligazugehörigkeit.
„Geld schießt keine Tore“, sagt man dann, wenn ein Kleiner einen Großen rauskickt - und jeder weiß, dass dies doch häufig genug der Fall ist.
Aber beim DFB-Pokal sind diese Regeln durchbrochen. Durchbrochen, weil das Dranbleiben, das Alles Geben, einen in die Lage bringt, die Großen zu stürzen oder ihnen ein Bein zu stellen. Das ist doch das Außerordentlich, das Faszinosum, das Fantastische, das die Fußballseelen bewegt.
Ein Drittligist, der normalerweise meilenweit weg ist von dem großen Geschäft der Ersten Liga hat in den letzten Pokalspielen mit Verve gezeigt, dass das Dranbleiben an der Idee, an dem Wunsch, an dem Traum vom Großen Finale in Berlin Wirklichkeit werden kann. Und der scheinbar Große Erstligist darf und muss zeigen, dass er zurecht dort steht, wo er ist, in der Ersten Liga.
Der DFB-Pokal ist ein Zeichen für jeden Einzelnen in der Gesellschaft.
Du kannst was werden, Du kannst was erreichen, wenn Du nur willst, wenn Du dranbleibst, wenn Du dich nicht hängen lässt und wenn Du daran glaubst…
Daran glaubst ... darum geht es gerade hier in der Kirche ... glaube daran.
Woran?
II. Weinstöcke/Reben
Jesus Christus spricht: Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben, wer an mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht.“ (Joh. 15,1-8)
Das Bild, das uns Jesus vom Weinstock gibt, spricht auch vom Dranbleiben. Es hat aber eine andere Stoßrichtung.
Da geht es nicht um anstrengende Sportübungen oder den verzweifelten Wettlauf mit den technischen und digitalen Fortschritten.
Da geht es nicht darum, dass das Dranbleiben Kraft kostet. Das Bild vom Weinstock beschreibt einfach nur, was ist. Die Rebe hängt ganz natürlich am Weinstock. Sie hängt da einfach ab. Und der Weingärtner macht alles dafür, dass es ihr gut geht.
Und was gehört da vor allem dazu? Die Pflege. Vor allem aber: Der Schnitt! Der Weinstock hat die Tendenz ins Laub zu schießen, so dass viel Grün aber wenig Trauben geerntet werden könnten. Fülle kann sich nur dort entwickeln, wo vorher geschnitten wurde.
Unfruchtbares, Untaugliches schneidet der Winzer ab. Fruchtbares schneidet er zurück, damit es noch mehr Frucht bringt.
Gott möchte ideale Bedingungen schaffen, dass sich die Bestimmung unseres Lebens erfüllt. Und deshalb kommt es auch in unserem Leben zu Einschnitten.
Gottes Eingriffe in unser Leben dienen manchmal dazu, dem fruchtlosen Wildwuchs zu wehren.
Das kann schmerzhaft sein. Das kennen wir auch im Sport, zumal in der Entwicklung einer Mannschaft.
Da gibt es auch Einschnitte und Zurückschneidungen. Dies alles geschieht mit dem Ziel, die erfolgreichste Mannschaft aufzustellen, und aus dem Einzelnen, die bestmögliche Version seiner selbst zu machen.
Ja, Jesu Worte sind messerscharf und sie können uns bedrücken, wenn wir aus dem Blick verlieren, was seine Intention ist.
Er sagt nämlich: „Das habe ich euch gesagt, auf dass meine Freude in euch sei und eure Freude vollkommen.“
Jesus fordert uns heraus.
Liebe kommt nicht ohne Klarheit und manchmal auch nicht ohne Schärfe aus.
Wenn wir Frucht in unserer Arbeit bringen wollen, gehört dies dazu.
Wer sich nie etwas sagen lässt, wer sich nie hinterfragt, weil immer alles gut ist, was immer schon gut war und natürlich auch sein wird, der läuft Gefahr ohne Frucht, kraft- und saftlos irgendwann am Weinstock zu baumeln.
Manchmal braucht es des Messers, um alte Zöpfe abzuschneiden, neue Triebe zu festigen. Wachstum zu stärken.
Einschnitte im Arbeitsleben oder auch privat sind rückblickend manchmal diejenigen, die uns biographisch am meisten vorangebracht haben.
Jesu Wort ist also keine Handlungsanweisung in dem Sinne, dass uns gesagt wird, wie wir unseren Erfolg maximieren und auch noch das letzte Quäntchen Anstrengung aus uns herausholen.
Unser heutiges Wort ist stattdessen eine Hilfe, einfach nur zu sein und zu bleiben als von Gott geliebte und gepflegte Menschen.
Aber was ist dann das Problem?
Wir Menschen denken, dass wir als Reben selbständig sein können.
Wir denken, dass wir unsere Kraft und unseren Saft uns selbst verdanken und nicht dem Weinstock, an dem wir hängen.
Erst wenn wir in unserem Leben dahinschrumpeln, im Geist, im Charakter oder sonst wie – kommen manche auf den Gedanken, dass dies mit dem eigenen Abgerissensein von Gott, von Jesus Christus zusammenhängen könnte.
Darum erinnert uns Jesus daran, dass wir uns bei Gott geborgen und geliebt und bestens aufgehoben fühlen dürfen.
Was passiert, wenn wir an Jesus hängen?
Wir, die Reben, wir werden alle durchströmt mit der Lebenskraft, die der Weinstock seinen Reben schenkt, ganz selbstverständlich, ganz automatisch geschieht das.
Wenn die Reben mit dem Weinstock verbunden sind, werden sie versorgt mit allem, was sie zum Leben brauchen.
Verbunden mit Christus wächst uns das zu, was wir zum Leben brauchen:
Widerstandskraft, die Fähigkeit zu lieben, zu verzeihen, die Lebensfreude, der Mut, die Geduld, auch Zeiten der Dürre auszuhalten. Und schließlich Neues zu wagen.
III. Das Bleiben in Jesus gibt mir Saft und Kraft
Das Bleiben in Jesus hat nichts Statisches.
Wenn wir bei Jesus bleiben, begegnen wir einem Gott, der uns auf den Weg in die Zukunft nimmt.
Unser Gott, ist ein Gott der Bewegung und des Neuanfangs.
Ein Gott, der sich treu bleibt, indem er Menschen durch alle Veränderungen des Lebens hindurch begleitet.
Verbunden mit dem Weinstock werden wir als Reben immer wieder die Kraft bekommen, die wir brauchen.
Verbunden zu bleiben mit dem auferstanden Christus, im Hören auf sein Wort, im Gebet, in der Stille, im Gespräch mit anderen, das wird etwas mit uns machen, das wird uns verändern, ganz selbstverständlich, das geht gar nicht anders.
Und das macht mir bewusst: „Ich bin nicht die einzige Rebe am Weinstock des Herrn!“
Die Reben sind untereinander verbunden.
Wir merken in diesen Tagen wie wichtig es ist, die Verbundenheit aufrecht zu erhalten mit den Menschen, die uns brauchen, die wir lieben, die auf uns angewiesen sind, oder wir auf sie.
Wir Menschen brauchen einander, wir brauchen die Gemeinschaft.
Wir können allein nicht überleben.
Das gilt gerade und besonders im Sport und natürlich in ganz besonderer Weise im Fußball.
Hier stehen die Fußballspieler füreinander ein. Dürfen und können sich aufeinander verlassen.
Und wenn Du als Sportler, ja als Fußballer Christ bist, dann weißt du, dass dir der christliche Glaube, das Bleiben in Jesus diese Resilienz, die Widerstandsfähigkeit gibt, das Böse mit dem Guten zu überwinden.
IV. Die Sportseelsorge
Als Sportseelsorge, als Menschen, die Kirche und Sport verbunden sind, begleiten wir Sportlerinnen und Sportler in ihrem Sport – bei den Aufs und Abs.
Wir feiern mit ihnen Gottesdienste, auf der Tartanbahn, bei Turnieren und auch hier in der Kaiser Wilhelm Gedächtniskirche zum DFB-Pokalfinale.
Wir sind in der Seelsorge ansprechbar, wenn das Leben einmal Kapriolen schießt.
Wir trauen und taufen – und wenn das Leben an sein Ende kommt, begleiten wir auch in dunklen Stunden.
Zugewandtheit, Verschwiegenheit und Gottvertrauen - das sind die Markzeichen der Sportseelsorge.
Warum sind wir das?
Weil wir in unserem Herzen, in unserer Seele begriffen haben, dass das Bleiben in Christus uns Frucht sein und Frucht bringen lässt.
Aus diesem Grund nehmen wir die Zukunft, die Gott für uns bereithält, in die Hand – bekommen wir den Draht zu denen, die uns anvertraut sind – zu Ihnen, den Fußballfans und denen, die diesen wunderbaren Sport ausüben und in ihm Verantwortung tragen.
An Gottes Weinstock zu hängen, schenkt uns allen Frieden, Trost und Gelassenheit. Was am Weinstock reift, hat Zukunft. Wenn wir in Jesus bleiben, dann trägt unser Leben eine Frucht, die bleibt.
Was ist diese Frucht?
Der Apostel Paulus nennt die Frucht des Geistes: Liebe, Freude, Frieden, Geduld, Güte, Rechtschaffenheit und Treue.
Diese Treue Gottes empfangen und erleben wir Tag für Tag. Wir schmecken und sehen in Gemeinschaft mit ihm wie freundlich er ist. Von ihm strömt uns Lebenskraft zu.
Und wenn Sie wieder einmal einer auffordert, dranzubleiben, nicht abreißen zu lassen und jetzt das Letzte zu geben. Dann atmen sie durch. Denn sie wissen. Ich bin dran. Der Weinstock, Jesus Christus hält mich. Er versorgt mich. Er gibt mir Kraft und Saft. An ihm und mit ihm bestehe ich die Herausforderungen in meinem Leben.
Daran lasst uns feste bleiben und glauben. Uns zur Freude und Gott zur Ehre.
Amen.