Soll es künftig kirchlich geschlossene Ehen geben, die nicht zugleich Ehen im bürgerlichrechtlichen Sinne sind?

Zum evangelischen Verständnis von Ehe und Eheschließung - Eine gutachterliche Äußerung, EKD-Texte 101, 2009, Hg. Kirchenamt der EKD

III. Rechtliche Orientierung

1. Keine evangelische Trauung ohne standesamtliche Eheschließung

Eine Trauung ohne vorangegangene standesamtliche Eheschließung entspricht nach dem in Teil II Ausgeführten nicht dem evangelischen Verständnis. Zudem entfällt in der evangelischen Kirche das für die römisch-katholische Kirche wesentliche theologische Bedürfnis für die Einführung rein innerkirchlicher Trauungen. Zwar hat die Bekennende Kirche im Rahmen des Notrechts, Trauungen ohne standesamtliche Eheschließung zugelassen. Unter den Normalbedingungen einer freiheitlich-parlamentarischen Demokratie aber fehlt es an einem hinreichenden Grund, von der bisherigen Praxis abzuweichen und eine bloß innerkirchliche Eheschließung einzuführen. Gegenstand der Trauung ist nicht die abstrakte Rechtsform der bürgerlich-rechtlichen Ehe – insoweit ist eine Trauung ohne staatliche Eheschließung nicht per se ausgeschlossen –, sondern das Versprechen einer bestimmten gemeinsamen Lebenspraxis, die rechtlich durch das staatliche Zivilrecht ausgeformt ist. Eine solche Lebenspraxis bestimmt und bemisst sich anhand theologisch begründeter, in evangelisch verantworteter Weise aus der Bibel gewonnener Kriterien.

Solange das staatliche Eherecht die Verwirklichung dieser Kriterien ermöglicht, sollte man deshalb von der in der lutherischen Zwei-Regimenten-Theologie angelegten Funktionsteilung zwischen Kirche und Staat nicht abweichen und im kirchlichen Traurecht auf die Voraussetzung einer zivilrechtlichen Eheschließung nicht verzichten. Im Gegenteil – die Erfüllung mancher der genannten ehetheologischen Kriterien wird gerade durch die Schutz- und Ausgleichsordnung des staatlichen Eherechts abgesichert. Diese Funktion des Schutzes und Ausgleichs lässt sich durch ein rechtlich unverbindliches Versprechen materieller Fürsorge nicht ersetzen.

Auch die eingangs beschriebene partielle Annäherung von Ehe einerseits und nichtehelichen Lebensgemeinschaften und weiteren Formen des Zusammenlebens andererseits im staatlichen Recht ist nicht so weit vorangeschritten, dass letztere in ihren Grundtypen nach gegenwärtigem Stand de jure ein Verbindlichkeitsäquivalent darstellen. Gewiss unterliegt die kirchliche Privilegierung der staatlichen Ehe in einer in Bezug auf die Lebensformen dynamischen Rechtsordnung mit Angleichungstendenz in größerem Maße der Rechtfertigung als zu Zeiten eines statischen Verständnisses mit gesichertem Abstand. Aussagen können künftig nur unter Vorbehalt der Änderung der rechtlichen Verhältnisse getroffen werden. Solange aber – und dies kann zumindest aus derzeitiger Sicht konstatiert werden – die Zivilehe wegen des von ihr gewährleisteten größtmöglichen Schutzes letztlich nicht aufhört, Leitbild für alle anderen Lebensformen zu bleiben, und letztere sich mit der Ehe messen, weil sie – welches nicht einer gewissen Inkonsequenz entbehrt – eine rechtliche Angleichung der Vorteile anstreben, ist auch das Festhalten der evangelischen Kirche an diesem Leitbild gerechtfertigt. Die Ehe bedarf der Fürbitte und Segnung, weil sich die Eheleute in ihr umfassend und mit allen Konsequenzen dauerhaft zueinander bekennen und einander verpflichten und diesen Schutz auch den in ihr aufwachsenden Kindern angedeihen lassen möchten. Besteht ein Mindestmaß an Konvergenz zwischen staatlichem Eherecht und kirchlicher Ehevorstellung, ist die evangelische Kirche gut beraten, an dem innerkirchlichen Verbot der kirchlichen Voraustrauung festzuhalten.

2. Sollen Geistliche die standesamtliche Aufgabe wahrnehmen können?

Schon bei der Einführung des heutigen Systems der Eheschließung, in der allein der Standesbeamte die Erklärung des Ehekonsenses entgegennehmen kann, war in der evangelischen Kirche ausgesprochen umstritten, ob nicht ein Modell der Eheschließung, in der auch Geistliche bevollmächtigt werden können, die standesamtliche Aufgabe wahrzunehmen, eine bessere Alternative darstellt. Diese Frage gewinnt nach Wegfall des Verbots der Ziviltrauung erneut Aktualität. Zugleich wären übereilte Reaktionen verfehlt. Denn grundlegende Aspekte des evangelischen Eheverständnisses sowie der gebotenen Unterscheidung von weltlicher und kirchlicher Verantwortung und damit der Trennung von Staat und Kirche sind bei einer Entscheidung über Handlungsalternativen angemessen zu berücksichtigen.

Für die Möglichkeit der Eheschließung, bei der der Ehekonsens mit bürgerlich-rechtlicher Wirkung vor Geistlichen erklärt und von diesen in der Funktion als Standesbeamten notiert werden kann, werden vor allem vier Gründe geltend gemacht:

  • Die Verbindungsoption führt zu einem Ausgleich zwischen Religionsfreiheit und rechtlichem Schutz der Ehe. Die Möglichkeit für Geistliche, bei der Eheschließung funktional als Standesbeamte in Erscheinung zu treten, berücksichtigt beide Interessen. Der verfassungsrechtliche Typus der Ehe behält seine Alleinstellung im Kontext der Ehebegründung. Staatliche Eheschließungsvoraussetzungen, die vor allem dem Schutz der Eheschließenden dienen, entfalten ihre volle Wirksamkeit; die Schutz- und Ausgleichsfunktion des staatlichen Familienrechts greift.

  • Die Verbindungsoption fügt sich – nach dieser Sicht – in das deutsche, d. h. freiheitlich-kooperative Verständnis des Verhältnisses von Staat und Kirche ein. Die freiheitlich geschützte öffentliche Dimension der Religion wird hervorgehoben. Einem laizistischen System wie in Frankreich oder Belgien wird eine klare Absage erteilt. Das deutsche Staatskirchenrecht verpflichtet den Staat auf die Offenheit für die Religionen seiner Bürger. Es liegt in der Konsequenz dieses ja grundsätzlich bewährten Systems, punktuelles Zusammenwirken zwischen Staat und Religionsgemeinschaften auch im Bereich der Eheschließung zu ermöglichen. Die Kirche bleibt dabei frei, eigene, interne Trauungsvoraussetzungen aufzustellen und ggf. eine Trauung abzulehnen. Ebenso bleibt es jedem Bürger überlassen zu entscheiden, ob er die Ehe vor dem Standesbeamten oder einem Geistlichen eingehen will.

  • Die Verbindungsoption ist darüber hinaus eine gute Gelegenheit, die missverständliche Verdopplung von Eheversprechen auf dem Standesamt und in der Kirche zu beseitigen. Dies zeigt auch die entsprechende Praxis eines solchen Modells etwa in England, Schottland und Finnland. Die bisherige eherechtliche Einbettung der Trauung mit der Doppelung des Trauversprechens und Ringtausches hat nach dieser Auffassung die Vermittlung der Bedeutung der Trauung nicht unerheblich erschwert. Mit Luthers Traubüchlein ist eine Form der Eheschließung überliefert, die die Doppelstellung der Ehe als weltlich Ding und göttlichen Stand liturgisch konsequent abbildet. Dieser Tradition verpflichtet, könnte die Trauung als eine Möglichkeit der rechtswirksamen Eheschließung durch Ritualkompetenz, situative Sensibilität und theologische Klarheit unter Bedingungen forcierter religiös-weltanschaulicher Pluralität in der Gesellschaft neu profiliert werden.

  • Von römisch-katholischer Seite gibt es Signale, wonach für sie die Übernahme der standesamtlichen Funktion durch Geistliche die Einführung einer kirchlich geschlossenen Ehe ohne Anbindung an die Zivilehe erübrigen würde. Sollten sich diese Signale bestätigen und gleichzeitig von staatlicher Seite die Bereitschaft bekundet werden, die Übernahme der standesamtlichen Funktion durch Geistliche rechtlich möglich zu machen, dann bestünde die Chance, die Traupraxis der Kirchen beieinander zu halten und das verwirrende Nebeneinander mehrerer Eheschließungsmodelle für diejenigen, die eine kirchliche Trauung wünschen, wieder zu beseitigen.

3. Argumente für die Beibehaltung der Trennung von standesamtlicher Eheschließung und kirchlicher Trauung

  • „Die Trennung von Zivilstandsehe und kirchlicher Trauung hat ihre Gründe in der modernen Unterscheidung von Kirche und Staat“ (Trutz Rendtorff). Eines der wesentlichen Argumente für die Beibehaltung der bisherigen Regelung und Praxis ist, dass die evangelische Kirche diese Unterscheidung von Religion und Politik, Kirche und Staat als elementare Voraussetzung eines demokratischen Gemeinwesens bejaht und unterstützt. Auch wenn die Theologische Erklärung von Barmen vor 75 Jahren mit gänzlich anderen Herausforderungen zu ringen hatte, bleibt die Einsicht unter gegenwärtigen Fragestellungen zu beachten: „Wir verwerfen die falsche Lehre, als solle und könne sich die Kirche über ihren besonderen Auftrag hinaus staatliche Art, staatliche Aufgaben und staatliche Würde aneignen und damit selbst zu einem Organ des Staates werden“ (V. These). Die Kirche erinnert in diesem Sinne an die Zuständigkeit der demokratisch legitimierten politischen Verantwortung dafür, durch Recht und Gesetz konstruktive und verlässliche Rahmenbedingungen menschlichen (Zusammen-) Lebens für alle Bürgerinnen und Bürger zu gewährleisten. Dies gilt insbesondere im Blick auf existentielle Lebensstationen wie Geburt, Eheschließung und Todesfall: Der rechtliche Status, in den menschliches Leben eintritt, wenn eine Person geboren wird, wenn sie sich mit einem Partner/einer Partnerin ehelich verbindet oder wenn sie verstirbt, bedarf klarer und unmissverständlicher rechtlicher Regelungen durch die öffentliche Hand. Religiöse Deutungen können hinzutreten, müssen aber von Aufgabe und Zuständigkeitssphäre des Staates unterschieden bleiben.

  • Nach evangelischem Verständnis bringt der Gottesdienst anlässlich einer Eheschließung – was die rechtliche Gültigkeit der Ehe anbelangt – gegenüber einer bloß standesamtlichen Eheschließung keinen rechtlichen „Mehrwert“. Gleichwohl legt es die evangelische Kirche den Eheleuten ans Herz, ihre Ehe nach und neben der standesamtlichen Eheschließung mit der kirchlichen Trauung zu beginnen. Denn der Beitrag der Kirche zum Schutz und möglichen Gelingen der Ehe besteht in dieser gottesdienstlichen Begleitung der bereits vollzogenen Eheschließung – hier vor allem in der Fürbitte für das Ehepaar und in der Bezeugung des Segens Gottes. Die Feier des Gottesdienstes unterstreicht zudem – da dieser als öffentliches Ereignis zu verstehen ist – die Ernsthaftigkeit der Entscheidung eines Ehepaares, das in der Mitte der Gemeinde sein Vertrauen auf die Treue und den Beistand Gottes erbittet und bekräftigt.

  • Die klare Unterscheidung von Eheschließung und Gottesdienst anlässlich der Eheschließung (kirchliche Trauung), mithin die Unterscheidung von Standesamt und Kirche, Standesbeamtem und Geistlichem, ist Ausdruck nicht allein für die Unterscheidung von staatlicher und kirchlicher Zuständigkeit. Vielmehr wird darin auch deutlich, dass Horizont und inhaltlicher Fokus von staatlichem und kirchlichem Handeln zwar aufeinander bezogen, zugleich aber je eigens qualifiziert und definiert sind. Auf dem Standesamt bringen Mann und Frau ihren Ehewillen zum Ausdruck und schließen die Ehe, die ganz bestimmte, staatlich festgelegte Rechte und Pflichten impliziert. Konstituiert und vom Standesbeamten beglaubigt wird hier die Verbindlichkeit einer bestimmten Rechtsform für das Zusammenleben zweier Menschen. Pfarrer oder Pfarrerin repräsentieren im Unterschied dazu nicht die staatliche Sorge für die Geltung der Rechtsform, sondern den Zuspruch des Evangeliums für zwei Menschen (und ihre Familien sowie Angehörige, Freunde und die ganze Gemeinde), die sich zum Leben in der vom Staat gewährleisteten Rechtsform entschieden haben und dafür Gottes Segen erbitten.

  • Eine Form der Eheschließung, bei der der Ehekonsens mit bürgerlich-rechtlicher Wirkung vor dem Pfarrer erklärt werden kann, verunklart – in dieser Sicht der Dinge – die notwendige Unterscheidung zwischen standesamtlichen und pfarr-amtlichen Funktionen. Derselbe Pfarrer, dem im vorlaufenden Traugespräch die (künftigen) Ehepartner ihre spezifische Lebenssituation anvertraut haben, tritt ihnen als Standesbeamter gegenüber, wenn er ihre Zustimmung zu einer bestimmten Rechtsform abfragt und damit nolens volens zum Repräsentanten dieser Rechtsform wird. Letztlich würde also über die beschriebenen Wahrnehmungsprobleme hinaus die Freiheit der Kirche, eine bestimmte rechtliche Ausgestaltung der Ehe als Rechtsinstitut für richtig oder problematisch zu halten und entsprechende Forderungen an den Staat als Zuständigen zu stellen, de facto durch die Identifikation von Geistlichem und Standesbeamtem berührt und möglicherweise eingeschränkt. Nur angedeutet sei, dass bei diesem Modell zudem die Frage geklärt werden müsste, welche Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaften vom Staat mit der Möglichkeit der Konstituierung einer Zivilehe bevollmächtigt werden könnten und welche nicht.

4. Folgerungen

Die Argumente für beide Positionen sind gewichtig und bedenkenswert. Das spiegelt sich auch darin, dass es in der vom Rat eingerichteten Arbeitsgruppe Befürworterinnen und Befürworter beider Standpunkte gibt. Gleichwohl sprechen zwei Gesichtspunkte dafür, die Praxis bis auf weiteres an der unter 3. dargestellten Position auszurichten. In den Argumenten, die für die unter 2. dargestellte Position geltend gemacht werden, spielen nämlich zwei gravierende Vorbehalte eine Rolle: Ist es wirklich sicher, dass sich für die römisch-katholische Seite die Einführung einer kirchlich geschlossenen Ehe ohne Anbindung an die Zivilehe erübrigen würde, wenn es die Möglichkeit gäbe, dass der Priester die standesamtliche Funktion wahrnehmen dürfte? Und gibt es überhaupt Anhaltspunkte dafür, dass von staatlicher Seite die Bereitschaft besteht, durch Änderung geltender rechtlicher Bestimmungen die Möglichkeit zu schaffen, dass Geistliche der unterschiedlichen Religionen und religiösen Gemeinschaften standesamtliche Funktionen wahrnehmen können? Beide Fragen können nach dem aktuellen Kenntnisstand nicht mit Ja beantwortet werden. Insofern ist die unter 2. dargestellte Position unter den obwaltenden Umständen eher eine theoretische Möglichkeit. Dieser Umstand erlaubt es der Arbeitsgruppe, bei differenten grundsätzlichen Positionen in der Frage der Möglichkeit, dass Geistliche standesamtliche Funktionen wahrnehmen, praktisch zu einem gemeinsamen Ergebnis zu gelangen:

Die Arbeitsgruppe hält einmütig daran fest, dass es auch künftig in den Gliedkirchen der Evangelischen Kirche in Deutschland keine rein kirchlich geschlossenen Ehen geben soll. Dem hier vorgetragenen evangelischen Verständnis von Ehe und Eheschließung entspricht es vielmehr, dass die Ehe als bürgerlich-rechtliche geschlossen und ihr in einem Gottesdienst Gottes Segen zugesprochen wird.

5. Die Bitte um kirchliche Begleitung eines dauerhaften Zusammenlebens ohne Ehe

Bei Menschen, die sich in einer erneuten Partnerschaft dauerhaft verbinden, aber aus finanziellen Gründen, mit Rücksicht auf die Kinder oder aus anderen persönlichen Motiven keine rechtlich verpflichtende Ehe mehr eingehen wollen, kann aufgrund der veränderten Rechtslage der Wunsch nach einem Traugottesdienst ohne vorherige Eheschließung entstehen. Dieser Wunsch darf in der Kirche nicht überhört werden, auch wenn an der rechtlich bindenden Eheschließung als Voraussetzung einer kirchlichen Trauung festgehalten wird.

Besondere Schwierigkeiten und Fragen ergeben sich häufig bei den „Rentnerehen“, also in Fällen, wo mehrere Versorgungsansprüche bestehen und bei einer Wiederverheiratung Einbußen entstehen können. Das Interesse eines Paares, keine unbilligen materiellen Einbußen hinnehmen zu müssen, ist durchaus nachvollziehbar. Zugleich aber muss es sich die Frage vorlegen und vorlegen lassen, ob – in Relation zu der Höhe des gemeinsamen Einkommens – die allgemein geltenden Solidarpflichten nicht auch maßvolle Einbußen rechtfertigen. Dies ist freilich nur die eine, individuelle Seite der Sache. Im Blick auf die andere, politische Seite der Sache ist der Frage nachzugehen, ob die geltenden Regelungen zu den Versorgungsansprüchen im Falle der Wiederverheiratung einen fairen Ausgleich zwischen individuellem Anspruch und Solidarpflichten darstellen oder ob Reformbedarf besteht.

Der Bitte um kirchliche Begleitung eines dauerhaften Zusammenlebens, für das die Form der bürgerlich-rechtlichen Ehe bewusst gemieden wird, kann in keinem Fall so entsprochen werden, dass ein Traugottesdienst gefeiert wird. Es ist jedoch erwägenswert, dafür andere gottesdienstliche Formen zu entwickeln. Sie müssen sich von der kirchlichen Trauung klar unterscheiden.

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