Stellungnahme zum Referentenentwurf eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes und anderer Gesetze

des Bevollmächtigten des Rates der EKD und des Katholischen Büros

 

Gemeinsame Stellungnahme

des Bevollmächtigten des Rates der EKD

bei der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Union und

des Kommissariats der deutschen Bischöfe
– Katholisches Büro in Berlin –

           

zum Referentenentwurf eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes und anderer Gesetze

 

Die beiden Kirchen können das Anliegen des Gesetzgebers, Einbürgerungen nur für Personen zu ermöglichen, deren Identität und Staatsangehörigkeit geklärt ist, grundsätzlich nachvollziehen. Allerdings sehen sie aktuell keinen Regelungsbedarf, die Regelungen des StAG ermöglichen einzelfallabhängige, sachgerechte Lösungen. Bei den in der Gesetzesbegründung zitierten Entscheidungen handelt es sich lediglich um Einzelfälle, in denen darüber hinaus angemessene Lösungen gefunden wurden.

 

Zu den Regelungen im Einzelnen:

Zu Art. 1 Nr. 2a): § 4 Abs. 3 S. 1 StAG-E

Gemäß § 4 Abs. 3 StAG erwirbt ein Kind ausländischer Eltern die deutsche Staatsangehörigkeit durch Geburt im Inland, wenn ein Elternteil seit acht Jahren rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat und er ein unbefristetes Aufenthaltsrecht[1] besitzt. Weitere Voraussetzung soll nun sein, dass die Identität der Eltern und ihre Staatsangehörigkeit geklärt ist. Die Kirchen geben zu bedenken, dass die zwingende Voraussetzung der geklärten Identität und Staatsangehörigkeit beider Elternteile zu erheblichen Schwierigkeiten für die Betroffenen führen kann. Insbesondere für Eltern, die aus Staaten stammen, die kein Meldewesen kennen oder in denen Register aufgrund bewaffneter Konflikte zerstört wurden, kann es unmöglich sein, ihre Identität und Staatsangehörigkeit nachzuweisen. Dies ist zum Beispiel in Somalia der Fall. Ist die Identität des Elternteils, der die Voraussetzungen des § 4 Abs. 3 StAG erfüllt, geklärt und kann die ungeklärte Identität und Staatsangehörigkeit dem anderen Elternteil nicht zugerechnet werden, muss der Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit des Kindes gleichwohl möglich sein.

 

Zu Art. 1 Nr. 8: § 12 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 StAG-E

Nach § 12 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 StAG-E soll Mehrstaatigkeit bei einer Einbürgerung anerkannter Flüchtlinge künftig nur noch dann hinzunehmen sein, wenn es dem Flüchtling nicht zumutbar ist, einen Antrag auf Entlassung aus der Staatsangehörigkeit bei einer Auslandsvertretung seines Herkunftsstaats zu stellen. Ein solcher Antrag soll nicht zumutbar sein, wenn eine Gefährdung des Schutzberechtigten oder seiner im Herkunftsstaat befindlichen Familienangehörigen zu befürchten ist.[2] Die Kirchen weisen darauf hin, dass Art. 34 GFK den Vertragsstaaten vorschreibt, die Einbürgerung von Flüchtlingen zu erleichtern. Die bisherige Regelung, dass Mehrstaatigkeit bei der Einbürgerung von Besitzern eines Flüchtlingspasses ausnahmsweise hingenommen wird, ist sachgemäßer Ausfluss dessen. Die Kirchen können deshalb die Notwendigkeit zu einer Gesetzesänderung nicht erkennen.

Darüber hinaus birgt die nun vorgeschlagene Regelung für anerkannte Flüchtlinge einige Risiken: So obliegt es den für die Einbürgerung zuständigen Stellen zu beurteilen, ob dem Schutzberechtigten oder seinen Familienangehörigen Gefahr droht, wenn Kontakt zur Auslandsvertretung des Herkunftslandes aufgenommen wird. Aus der Anerkennung als Flüchtling nach der Genfer Flüchtlingskonvention folgt aus Sicht der Kirchen allerdings bereits die Vermutung[3], dass dem Schutzberechtigten der Kontakt zu Behörden des Herkunftslandes nicht zuzumuten ist. Eine Bewertung der Gefährlichkeit durch sachferne staatliche Stellen ist nicht angeraten.

Darüber hinaus möchten die Kirchen darauf hinweisen, dass eine eventuelle Entlassung aus der Staatsangehörigkeit immer im – unter Umständen willkürlichen – Einflussbereich des Herkunftslandes steht, so dass eine Mehrstaatigkeit dann ohnehin nach § 12 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 StAG hinzunehmen ist.

 

Zu Art. 3 Nr. 1 a) aa) ccc): § 9 Abs. 2 S. 1 Nr. 10; S. 7 AufenthG-E

Die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis soll künftig davon abhängen, ob die Identität und Staatsangehörigkeit des Betroffenen geklärt sind. Diese Voraussetzung soll gemäß § 26 Abs. 3 AufenthG-E auch für Asylberechtigte und anerkannte Flüchtlinge gelten.

Die Gesetzesbegründung legt dar, dass es Inhabern eines humanitären Aufenthaltstitels möglich und zumutbar ist, sich im Rahmen der Erteilung einer Niederlassungserlaubnis an Familienangehörige, Verwandte oder Bekannte im Herkunftsland zu wenden, einen Rechtsanwalt bzw. Vertrauensanwalt im Herkunftsstaat einzuschalten und/oder selbst oder durch einen Rechtsanwalt die Auslandsvertretung seines Herkunftsstaates aufzusuchen, um geeignete Nachweise für die Identität oder Staatsangehörigkeit zu beschaffen.[4] Diese Annahme verkennt aus Sicht der Kirchen die vielfältige rechtliche und politische Situation in den Herkunftsstaaten von Asylberechtigten und Flüchtlingen. Nicht überall ist es möglich, Dokumente durch Dritte zu beschaffen. In Ländern, in denen dies durch Verwandte erfolgen könnte, ist zu berücksichtigen, dass nicht jeder Betroffene Verwandte hat, die er kontaktieren kann oder dass die Kontaktaufnahme eine Gefahr für die Verwandten darstellen kann. Darüber hinaus wird die Frage der beschaffbaren Dokumente nicht beachtet. So erkennt die Bundesrepublik die Reisedokumente und Geburtsurkunden einiger Staaten nicht als Identitätsnachweise an. In Fällen wie diesen, in denen die Aussichtlosigkeit bereits von Beginn an feststeht, ist es nicht gerechtfertigt, dem Schutzberechtigten die Beweislast der Unmöglichkeit aufzuerlegen.

Auch den vom Gesetzgeber angesprochenen Änderungsbedarf, aufgrund ansonsten auftretender Wertungswiedersprüche zu den avisierten Regelungen des StAG, liegt aus Sicht der Kirchen nicht vor. Da es sich bei der Erteilung einer Niederlassungserlaubnis und der Einbürgerung um unterschiedliche Rechtsakte handelt, können – ohne auftretende Wertungswidersprüche – unterschiedliche Maßstäbe angelegt werden.

 

Zu Art. 3 Nr. 1 b): § 9 Abs. 4 S. 2 AufenthG-E

Nach § 9 Abs. 4 S. 2 AufenthG-E werden Zeiten des Aufenthalts in Deutschland, die mit formal rechtmäßigem Aufenthaltstitel aber unter einer falschen Identität oder Staatsangehörigkeit verbracht wurden, nicht als für die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis erforderliche Zeiten des Besitzes einer Aufenthaltserlaubnis angerechnet. Mit dieser Regelung soll ein Anreiz zu rechtstreuem Verhalten geschaffen und erreicht werden, dass die Erteilung von Aufenthaltsrechten im Interesse materiell richtiger Entscheidungen gegenüber Falschangaben abgesichert wird.[5] Die Zielrichtung dieser Regelung ist aus Sicht der Kirchen legitim. Allerdings ist zu bedenken, dass die betroffene Person nicht zwangsläufig die Verantwortung für die unrichtigen Angaben hinsichtlich Identität oder Staatsangehörigkeit trägt. Dies gilt speziell bei Minderjährigen, wenn die Angaben über die Identität oder Staatsangehörigkeit von anderen Personen getätigt werden. Besonders deutlich wird dies in einem Fall, der am 15. Oktober 2019 vor dem Amtsgericht Augsburg verhandelt wurde. Eine junge Äthiopierin wurde als Mädchen mit falschen Papieren aus Äthiopien als Haushaltshilfe nach Dubai vermittelt. Dort wurde sie von einer Familie beschäftigt und auch misshandelt. Mit einem falschen Ausweis, den sie selbst nie gesehen hatte, kam sie nach Bayern, konnte sich schließlich befreien und offenbarte sich den Behörden.[6] Auch bei traumatisierten oder psychisch kranken Personen kann die Zurechnung entfallen. Schließlich wird immer wieder berichtet, dass Opfer von Menschenhandel unter falscher Identität eingeschleust werden oder nachdem sie sich befreien konnten zunächst eine andere Identität bzw. Staatsangehörigkeit angeben, um von den Tätern nicht aufgespürt zu werden.

Die Kirchen regen an, in der Regelung Ausnahmen für derartige Fälle vorzusehen.

 

Berlin, den 14. November 2019

 

[1] Gleiches gilt, wenn er selbst oder ein Familienangehöriger als Staatsangehöriger der Schweiz eine Aufenthaltserlaubnis auf Grund des Abkommens vom 21. Juni 1999 zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits über die Freizügigkeit (BGBl 2001 II S. 810) besitzt.

[2] Gesetzesbegründung S. 25.

[3] Vgl. Art. 25 GFK.

[4] Gesetzesbegründung S. 34.

[5] Gesetzesbegründung S. 33.

[6] Siehe etwa https://www.sueddeutsche.de/bayern/augsburg-aethiopierin-freigesprochen-1.4642985.