Gemeinsame Stellungnahme zu einem Gesetz zur Weiterentwicklung der Fachkräfteeinwanderung

Kommissariat der deutschen Bischöfe – Katholisches Büro in Berlin – und der Bevollmächtigten des Rates der EKD bei der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Union

Gemeinsame Stellungnahme
des Kommissariats der deutschen Bischöfe – Katholisches Büro in Berlin und
der Bevollmächtigten des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland bei der
Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Union

zu den Referentenentwürfen des Bundesministeriums des Innern und für Heimat und des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales zu einer Verordnung und zu einem Gesetz zur Weiterentwicklung der Fachkräfteeinwanderung


Die beiden großen Kirchen in Deutschland danken dem Bundesministerium des Innern und für Heimat und dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales für die Möglichkeit, zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Weiterentwicklung der Fachkräfteeinwanderung und zum Referentenentwurf einer Verordnung zur Weiterentwicklung der Fachkräfteeinwanderung Stellung zu nehmen. Aufgrund der Kürze der für die Stellungnahme zur Verfügung stehenden Zeit verweisen wir auf die Stellungnahme des Deutschen Caritasverbandes und der Diakonie Deutschland. In Ergänzung möchten wir aber auf folgende Punkte gesondert aufmerksam machen:

Allgemeine Anmerkungen

Die Kirchen begrüßen, dass mit den beiden vorgelegten Entwürfen neue, legale Zugangswege nach Deutschland geschaffen werden und für bestehende Wege Hürden bei der Erwerbsmigration abgebaut werden sollen. Mehr Möglichkeiten legal nach Deutschland und in die Europäische Union zu migrieren, müssen unserer Auffassung nach im Zentrum einer am Menschen orientierten Migrationspolitik stehen. Nur so können die Zuwandernden ohne Gefährdung nach Deutschland kommen.[1]

Bei der Fachkräfteeinwanderung stehen naturgemäß zunächst die Interessen des Wirtschaftsstandortes Deutschland im Fokus des Entwurfs. Dies bedeutet aber auch, dass Deutschland seine Attraktivität als Einwanderungsland steigern muss.[2] Es müssten daher mehr Anreize geschaffen werden, damit sich Migrierende entscheiden, nach Deutschland zu kommen. So sollten die Entwürfe die familiären Lebensrealitäten der potenziellen Fachkräfte berücksichtigen und mit einbeziehen: Familienmitglieder sollten von Anfang an mit einwandern können. Sinnvollerweise sollten in diesen Fällen erleichterte Aufnahme-Bedingungen gelten und manch erschwerende Kriterien ─ wie z.B. der Nachweis von ausreichendem Wohnraum ─ entfallen. Außerdem sollte den Familienangehörigen von einwandernden Fachkräften Zugang zum Arbeitsmarkt und zu Integrationsmaßnahmen gewährt werden.[3] Die Kirchen bedauern, dass dies bisher in den Entwürfen nicht vorgesehen ist.

Die Kirchen setzen sich seit langem für den Familiennachzug ein, prinzipiell und grundlegend für alle Migrantinnen und Migranten. Die Einheit der Familie ist ─ auch unabhängig von möglichen wirtschaftlichen Erwägungen zur Migration ─ ein wichtiger christlicher Wert.

Weiterhin weisen die Kirchen darauf hin, dass die Situation in den jeweiligen Herkunftsländern potentieller Zuwanderinnen und Zuwanderer zu berücksichtigen ist, denn die Abwanderung von Fachkräften kann dort Lücken reißen.[4] Abhilfe könnte die sogenannte zirkuläre Migration schaffen, also die Freiheit der angeworbenen (Fach)kräfte, wiederholt zwischen Herkunfts- und Aufnahmeland hin und her zu wandern.[5] Dies würde unter anderem ein Absehen von § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG bedeuten, was in den vorgelegten Entwürfen nicht enthalten ist.

Schließlich möchten die Kirchen lobend hervorheben, dass in den Entwürfen nicht nur Hochqualifizierte, sondern auch Nichtqualifizierte berücksichtigt werden.

Sehr positiv zu bewerten ist außerdem der weitergehende Wegfall von Zweckwechselverboten zwischen den Aufenthalten zu Bildungs- und Erwerbszwecken. Zugleich regen wir an, dass die Potenziale der bereits in Deutschland befindlichen Zugewanderten noch stärker einbezogen werden: Dies betrifft unter anderem Menschen mit Gestattung, die sich noch im Asylverfahren befinden, und abgelehnte, geduldete Personen. Hier wäre eine Änderung des Verbots aus § 10 Abs. 3 AufenthG wünschenswert, wonach Personen, deren Asylantrag als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, kein anderer Aufenthaltstitel erteilt werden darf (Sperrwirkung). Gleiches gilt für § 10 Abs. 1 AufenthG, wonach Gestattete während des Asylverfahrens i.d.R. keinen anderen Aufenthaltstitel erhalten.

Die Kirchen hätten es begrüßt, wenn bereits in den vorliegenden Entwürfen zur Fachkräfteeinwanderung die Gelegenheit genutzt worden wäre, die bestehenden Arbeitsverbote für gestatte oder geduldete Menschen, wie z.B. im § 60a Abs. 6 AufenthG, § 61 Abs. 1 HS 2 AsylG oder § 32 BeschV, aufzuheben, wie im Koalitionsvertrag vorgesehen.[6] Dasselbe gilt für die angekündigte Schaffung eines Aufenthaltstitels (statt einer Duldung) für Menschen in Ausbildung i.S.d. §60 c AufenthG.

Bei der Gewinnung von Fachkräften geht es sinnvollerweise nicht um die Frage, ob diese Personen (zunächst) aus anderen Gründen eingereist sind. Nach Auffassung der Kirchen liegt ein menschenwürdiger Umgang mit Schutzsuchenden jenseits ökonomischer Nutzenabwägungen ─ zugleich sind aber Handlungspotenziale der Migrantinnen und Migranten zu beachten, mit denen sie zur Entwicklung der Gesellschaften, zum sozialen Zusammenhalt und zum Wohlstand beitragen können.

Sofern der Entwurf aber in manchen Regelungen an eine tarifvertragliche Bindung anknüpft oder diese zur Voraussetzung für die Erteilung einer Arbeitserlaubnis oder eine Zustimmung macht, lässt er den verfassungsrechtlich geschützten Dritten Weg der Kirchen im Arbeitsrecht unberücksichtigt. Wir bitten angesichts seiner verfassungsrechtlichen Gewährleistung ausdrücklich darum, dem abzuhelfen und den Dritten Weg der Kirchen in den entsprechenden Regelungen zu ergänzen.

Zu einigen Regelungen im Einzelnen:

§§18g, h und i AufenthG-E Neuformulierung der „Blue Card“

Bereits bei der Reform der Blue Card auf europäischer Ebene haben wir lobend erwähnt, dass international Schutzberechtigte in den Anwendungsbereich der Blue Card fallen.[7] Insofern begrüßen wir auch die Umsetzung der EU-Richtlinie RL 2021/1883 in deutsches Recht. Insbesondere die generelle Anpassung und Vereinfachung der (immer noch hohen) Voraussetzungen für die potentiellen Begünstigten und die Verbesserung der innereuropäischen Mobilität für Personen mit Blue Card möchten wir erwähnen.

§ 15d BeschV-E „Kurzzeitig kontingentierte Beschäftigung“

Mit einer kontingentierten kurzzeitigen Beschäftigung wird für Arbeitskräfte unabhängig von der jeweiligen Qualifikation ein Arbeitsmarktzugang eingeführt (§ 15 d BeschV-E). Er lässt eine Beschäftigung für die Dauer von sechs Monaten zu. Die Regelung soll im Gegensatz zu § 15a BeschV nicht auf Beschäftigungssektoren beschränkt sein, die nur saisonabhängige Tätigkeiten umfassen. Voraussetzung für die Zustimmung oder Arbeitserlaubnis soll nach den Entwurfsverfassern u.a. sein, dass die Beschäftigung bei einem Arbeitgeber erfolgt, der gemäß § 3 oder § 5 Tarifvertragsgesetz an einen Tarifvertrag gebunden ist, der die Entlohnung für die angestrebte Tätigkeit der Ausländerin oder des Ausländers regelt und der Arbeitgeber die Ausländerin bzw. den Ausländer zu den bei ihm geltenden tariflichen Arbeitsbedingungen beschäftigt. Wir begrüßen grundsätzlich eine Anknüpfung an eine Tarifbindung ─ wie auch die nach dem Entwurf zudem erwartete Übernahme von 50 % der Reisekosten durch den Arbeitgeber ─ zum Schutz der Arbeitskräfte vor unangemessenen Arbeitsbedingungen.

Wir bitten aber darum, hier auch den verfassungsrechtlich geschützten Dritten Weg der Kirchen im Arbeitsrecht als Ausprägung des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts zu berücksichtigen und die Vorschrift um die von paritätisch besetzten Kommissionen festgelegten Arbeitsrechtsregelungen zu ergänzen. § 15d Absatz 2 Nr. 1 und Nr. 2 würde dann lauten:

  1. der Arbeitgeber qemäß § 3 oder § 5 Tarifvertragsgesetz an einen Tarifvertrag oder eine kirchliche Arbeitsrechtsregelung gebunden ist, der oder die die Entlohnung für die angestrebte Tätigkeit der Ausländerin oder des Ausländers regelt,
  2. die Ausländerin oder den Ausländer zu den geltenden tariflichen Arbeitsbedingungen beziehungsweise kirchlichen Arbeitsrechtsregelungen beschäftigt und…

Darüber hinaus möchten wir auch anregen, dass Übergänge in andere Aufenthaltstitel grundsätzlich ermöglicht werden.

§ 39 Abs. 2a AufenthG-E „(globale) Zustimmung zur Beschäftigung“

Die Bundesagentur für Arbeit kann gem. § 39 Abs. 1 AufenthG zu ausgewählten Beschäftigungen eine Globalzustimmung erteilen. § 39 Abs. 2a AufenthG-E sieht nun eine zusätzliche Möglichkeit einer Globalzustimmung der Bundesagentur vor, und zwar dann, wenn die Bundesagentur für Arbeit für einzelne Berufe oder Beschäftigungen festgestellt hat, dass die Besetzung offener Stellen für einen befristeten Zeitraum mit den durch Tarifvertrag oder durch die Bundesagentur für Arbeit festgelegten Arbeitsbedingungen arbeitsmarkt- und integrationspolitisch verantwortbar ist, und der Arbeitgeber ihre Einhaltung zusichert. Auch dieser Regelung stimmen wir zu, erwarten aber vor dem Hintergrund des verfassungsrechtlich garantierten kirchlichen Selbstbestimmungsrechts die Ergänzung der Regelung um die kirchlichen Arbeitsrechtsregelungen. Dafür ist § 39 Abs. 2a AufenthG-E nach den Worten „durch Tarifvertrag oder“ um die Worte „kirchliche Arbeitsrechtsregelungen“ zu ergänzen.

§ 6 Abs. 1 S. 2 BeschV-E „Beschäftigung bei ausgeprägter berufspraktischer Erfahrung“

Insgesamt sieht § 6 BeschV-E vor, die Bedeutung der Berufserfahrung zu stärken; vorausgesetzt ist, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer einen ausländischen Abschluss haben, in den letzten fünf Jahren eine mindestens zwei Jahre Berufserfahrung auf dem Niveau einer Fachkraft mitbringen sowie einen Arbeitsvertrag in Aussicht haben. Das Arbeitsplatzangebot muss zudem eine bestimmte Mindest-Gehaltshöhe enthalten. Von dieser Gehaltsgrenze kann abgewichen werden, wenn die Beschäftigung bei einem Arbeitgeber erfolgt, der – so insbesondere in der Begründung ─ im Sinne des § 3 Abs. 1 Tarifvertragsgesetz tarifgebunden ist. Der Arbeitgeber muss die Ausländerin bzw. den Ausländer zu den bei ihm geltenden tariflichen Arbeitsbedingungen beschäftigen. Auch hier fehlen in der Regelung die kirchlichen Arbeitsrechtsregelungen, um deren Ergänzung wir in Anpassung von § 6 Abs. 1 Satz 2 BeschV-E ausdrücklich wie folgt bitten: „Ist der Arbeitgeber an einen Tarifvertrag oder eine kirchliche Arbeitsrechtsregelung gebunden, kann von der Gehaltsschwelle nach Satz 1 Nummer 2 abgewichen werden.“

Im Allgemeinen entspricht die Berücksichtigung von berufspraktischer Erfahrung der Realität vieler ausländischer Beschäftigten. Daher halten wir diesen Schritt grundsätzlich für zielführend.

§ 2a BeschV-E „Anerkennungspartnerschaften“ / § 16d Abs. 3a AufenthG-E

Mit den Anerkennungspartnerschaften wird ein neuer Aufenthaltstitel geschaffen, mit dem ein Anerkennungsverfahren für die ausländische Berufsqualifikation erst im Inland durchgeführt werden muss und der Antragstellende dabei schon einer qualifizierten Beschäftigung in Deutschland nachgehen kann. Ein Arbeitsvertrag bzw. ein konkretes Arbeitsplatzangebot muss für die Erteilung des Titels vorliegen und der potentielle Arbeitgeber und der Beschäftigte sind verpflichtet, das Anerkennungsverfahren des ausländischen Abschlusses aktiv voranzutreiben. Die Bundesagentur für Arbeit muss der Beschäftigung allerdings laut § 2a BeschV-E gemäß § 39 AufenthG zustimmen. An dieser Stelle möchten wir erneut darauf hinweisen, dass § 39 Abs. 2a AufenthG-E nach den Worten „durch Tarifvertrag oder“ um die Worte „kirchliche Arbeitsrechtsregelungen“ zu ergänzen ist. Im Allgemeinen begrüßen wir den neuen Aufenthaltstitel, weil er das Ziel hat, die Fachkraft gleich einzusetzen, und nicht erst ein langwieriges Anerkennungsverfahren durchlaufen werden muss. Im Übrigen verweisen wir aber auf die Vorschläge von unseren Werken Diakonie Deutschland und Caritas, wonach im Handwerk und anderen qualifizierten, nicht reglementierten Berufen auf das ausländerrechtliche Erfordernis zur Durchführung eines Anerkennungsverfahrens verzichtet werden sollte.

Berlin, den 8. März 2023

 

Fußnoten:

[1] Vgl. S. 211 “Migration menschenwürdig gestalten”; Gemeinsames Wort der Kirchen.

[2] „Deutschland gehört nicht zu den zehn OECD-Staaten mit den attraktivsten Rahmenbedingungen für hochqualifizierte Fachkräfte, Unternehmer:innen und Start-up-Gründer:innen aus dem Ausland“, so eine aktuelle Studie der OECD in Zusammenarbeit mit der Bertelsmann Stiftung. (https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/themen/aktuelle-meldungen/2023/maerz/deutschland-faellt-zurueck-im-internationalen-wettbewerb-um-top-talente).

[3] So auch S. 1 Gemeinsame Stellungnahme zum Entwurf eines Fachkräfteeinwanderungsgesetzes, vom 7.12.2018.

[4] Vgl. S. 189 “Migration menschenwürdig gestalten”; Gemeinsames Wort der Kirchen.

[5] Jenseits von dem Vorschlag aus §15d BeschV-E.

[6] Vgl. S. 110 des Koalitionsvertrages 2021-2025 „Mehr Fortschritt wagen“.

[7] Christian Group – Consultation on legal Migration 15.09.2017, S. 3, (https://www.comece.eu/christian-group-consultation-legal-migration-en/)

Gemeinsame Stellungnahme zur Weiterentwicklung der Fachkräfteeinwanderung zum Download