„2017 war ein wunderbarer Doppelpunkt“

EKD-Ratsvorsitzender schöpft Zuversicht aus dem Reformationsjubiläum

Heinrich Bedford-Strohm
Der bayrische Landesbischof und Vorsitzender des Rates der EKD, Heinrich Bedford Strohm, ist zuversichtlich. Das Festjahr habe für ihn auch gezeigt, wie Jugendliche zu begeistern sind für den christlichen Glauben.

Der Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm leitet aus dem 500. Reformationsjubiläum trotz sinkender Mitgliederzahlen gute Aussichten für die Zukunft der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) ab. Er wolle „einen Grundton überwinden, bei dem alles nur als Verfall und Defizit erschein“, sagte er dem Evangelischen Pressedienst (epd): „Auch wenige Menschen können ausstrahlungsstark Kirche sein.“ Das Festjahr habe gezeigt, wie Jugendliche zu begeistern sind für den christlichen Glauben.

Herr Ratsvorsitzender, ein Jahr lang wurde das Reformationsjubiläum international groß gefeiert. Der 500. Jahrestag des Thesenanschlags durch Martin Luther ist aber erst der diesjährige Reformationstag am 31. Oktober. Ist zum Abschluss des gigantischen Festreigens noch ein Höhepunkt zu erwarten?

Heinrich Bedford-Strohm: Natürlich ist der Jahrestag der Höhepunkt des Jubiläums. Für unsere Generation ist es etwas ganz Besonderes, dieses 500-Jahr-Jubiläum zu erleben. Ich wünsche mir, dass wir in Wittenberg an diesem Tag einen kraftvollen Gottesdienst feiern und von dort auf die vielen evangelischen Christen weltweit blicken, die den Jahrestag ebenfalls mit Gottesdiensten begehen. Denn darum geht es, dass wir die wunderbare Kraft des Evangeliums in den Herzen spüren und sie weitersagen.  

Der Reformationstag ist in diesem Jahr einmalig bundesweit ein Feiertag. In einigen westlichen Bundesländern gibt es politische Bestrebungen, den 31. Oktober dauerhaft als Feiertag zu etablieren, der derzeit nur in den östlichen Flächenländern alljährlich arbeitsfrei ist. Wird es die evangelische Kirche mit dem Schwung des Jubiläumsjahres erreichen, dass künftig am Reformationstag alle Arbeitnehmer frei haben?

Bedford-Strohm: Natürlich bin ich nicht traurig über solche Äußerungen aus der Politik. Dass der Reformationstag im Jubiläumsjahr in allen Bundesländern Feiertag ist, wurde in einem erstaunlich schnellen und unkomplizierten Prozess entschieden. Dafür möchte ich meinen großen Dank aussprechen. Alles Weitere wird man jetzt der Diskussion überlassen müssen. 

Ausgehend von Äußerungen des Bundesinnenministers wird darüber diskutiert, ob in einigen Regionen des Landes ein islamischer Feiertag eingeführt werden sollte. Wäre ein Feiertag für Muslime in Deutschland aus Ihrer Sicht wünschenswert?

Bedford-Strohm: Ich glaube, das ist eine Debatte zur falschen Zeit. Bereits heute gibt es regionale Möglichkeiten für Muslime, ihre Feiertagskultur zu leben. 

Würde die deutliche Forderung nach einem Islam-Feiertag weitere Ressentiments schüren?

Bedford-Strohm: Gegenwärtig ist die Debatte von viel Misstrauen und Emotionen geprägt. Dabei spielt auch eine Rolle, dass Islamisten unter Berufung auf den Islam Gewalttaten begehen und Angst verbreiten. Jetzt ist es dringender denn je, dass die Religionen als Kräfte des Friedens sichtbar werden. Und da hat der Islam im Moment die meisten Hausaufgaben. 

Zurück zum Reformationsjubiläum: Welche zentralen Lehren nehmen Sie aus dem Festjahr mit?

Bedford-Strohm: Als erste Erkenntnis ist zu nennen, dass Jugendliche zu begeistern sind für den christlichen Glauben. Wir haben allein 20.000 junge Menschen bei den Jugend-Projekten in Wittenberg erlebt, die mit großer Begeisterung dabei waren. Wie man dort über den Glauben ins Gespräch gekommen ist, daraus wollen wir auch für die Zukunft lernen.

Als zweites ist bemerkenswert, dass die vielen tausend Veranstaltungen, die es überall in Deutschland gab, besonders erfolgreich waren, bei denen die evangelische Kirche mit Partnern zusammengearbeitet hat. Beispiele sind Kooperationen mit Theatern oder Schulen vor Ort, so dass Themen in einen größeren Kreis getragen wurden, die sonst in den inneren Kreisen der Kirchengemeinden behandelt werden. Das Reformationsjubiläum war so buchstäblich in jeder Stadt und in jedem Dorf präsent.

„Das Reformationsjubiläum war buchstäblich in jeder Stadt und in jedem Dorf präsent.“

Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm (l.). ueberreicht die Martin-Luther-Medaille der EKD an Kardinal Karl Lehmann.
Heinrich Bedford-Strohm Bayrischer Landesbischof und Vorsitzender des Rates der EKD

Lassen Sie uns den Blick auf die Lutherstadt Wittenberg richten: Angesichts von 294.000 Eintritten bei der 16 Wochen dauernden Weltausstellung Reformation hat der Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland, Manfred Rekowski, die Planungen als „wohl überdimensioniert und zu ambitioniert“ bezeichnet. Teilen Sie diese Einschätzung?

Bedford-Strohm: Da muss man sehr differenziert hinschauen. Es gab zentrale Projekte in Wittenberg, die waren echte Publikumsmagneten. Alleine das Asisi-Panorama hat 400.000 Menschen angezogen. Aber es ist auch richtig, dass für einige Großveranstaltungen die Besuchererwartungen zu hoch waren. Ich freue mich aber über 120.000 Menschen, die im Mai von Berlin noch nach Wittenberg zum Abschlussgottesdienst des Kirchentages gekommen sind. Selbst 100.000 Menschen wären noch ungeheuer viel. 

Die Organisatoren waren von doppelt so vielen Gottesdienstbesuchern ausgegangen.

Bedford-Strohm: Es ist sicher so, dass man manches zu groß geplant hat. Aber hinterher ist man immer klüger. Und ich habe großen Respekt vor denen, die die Organisation der vielen Großveranstaltungen so gut bewältigt haben. Dass die hohen Zahlen Manchen jetzt als niedrig erscheinen, hat auch damit zu tun, dass man vorher für einen Maximalrahmen planen musste, um auch für diesen Fall vorbereitet zu sein. 

Ich kann mit dieser Zahlendiskussion nur wenig anfangen, denn das verdeckt den Blick auf die Qualität der am Ende ja doch von sehr vielen wahrgenommenen Angebote bei der Weltausstellung. Mich haben sehr viele begeisterte Rückmeldungen erreicht.

Ihre Stellvertreterin im EKD-Ratsvorsitz, die westfälische Präses Annette Kurschus, bedauert rückblickend die starke Fokussierung des Jubiläums auf die Person Martin Luthers. Das „genuin Protestantische“ sei dadurch zu kurz gekommen. Sehen Sie das auch so?

Bedford-Strohm: Das kann man sehr unterschiedlich bewerten. Manche sagen ja auch, Martin Luther sei nicht ausreichend ins Zentrum gestellt worden. Das zeigt, dass es am Ende vielleicht genau richtig war, einen Weg zwischen einer starken Personalisierung auf Luther, die etwa für die Tourismusbranche wichtig war, und dem Blick auch auf die anderen Reformatorinnen und Reformatoren zu beschreiten. Aber klar ist auch: Wenn es um 1517, das Jahr des Thesenanschlags, geht, steht naturgemäß Martin Luther im Zentrum.

Im Jubiläumsjahr hat die evangelische Kirche eine außergewöhnliche Aufmerksamkeit in Deutschland gehabt. War das angesichts der schwindenden öffentlichen Bedeutung von Christentum und Kirche ein letztes Aufbäumen in einer pluralen Gesellschaft, die sich zunehmend säkularisiert?

Bedford-Strohm: Ganz bestimmt nicht. 2017 war ein wunderbarer Doppelpunkt. Denn es ist deutlich geworden, dass auf mehreren Ebenen Gespräche angestoßen wurden: Gemeinsam haben Staat und Kirche auf die historisch-kulturelle Bedeutung der Reformation für die Gesamtgesellschaft hingewiesen. Die zweite Ebene ist die Ansprache von Menschen, die nach Gott suchen, aber unsicher sind, ob dieses Wort Gott für sie eine Bedeutung hat. Diese Ansprache ist vielfach gelungen, etwa bei der Weltausstellung, wo es viele Gespräche gab, auch mit Menschen, die erstmal wenig mit Kirche anfangen können.

Der innerste Kern des Reformationsjubiläums war für mich das, was wir Christusfest genannt haben, der Glaube an Jesus Christus als Gottes Sohn. Das hat uns ökumenisch mit den katholischen Glaubensgeschwistern in einer Weise zusammengebracht, die vor drei, vier Jahren noch keiner für möglich gehalten hätte. Das wird nicht verpuffen.

Doch der von vielen Gläubigen ersehnte Fortschritt hin zu einem gemeinsamen Abendmahl beider Konfessionen ist ausgeblieben. Betrübt Sie das?

Bedford-Strohm: In der katholischen Bischofskonferenz wird dazu gerade ein Papier diskutiert. Wird es angenommen, könnte es dazu führen, dass sich Eheleute unterschiedlicher Konfession dazu ermutigt fühlen dürfen, gemeinsam zur Eucharistie zu gehen. Ich kann von außen keine Kommentare dazu abgeben. Die Hoffnung auf eine entsprechende Entscheidung habe ich gleichwohl. Ich möchte in meinem Leben das gemeinsame Abendmahl noch feiern dürfen.

Wäre der Ökumenische Kirchentag 2021 in Frankfurt am Main nicht ein Ziel?

Bedford-Strohm: Ich glaube, man kann und sollte jetzt kein Datum setzen. Das schadet der Sache.

Muss sich auch die evangelische Kirche in der Abendmahlsfrage bewegen?

Bedford-Strohm: Wir sollten überlegen: Wie sorgsam gehen wir mit dem Abendmahl um? Wie wichtig ist es in unseren Gottesdiensten? Die Katholiken können uns Mut machen, dem Abendmahl einen höheren Stellenwert zu geben. Auch die Achtsamkeit mit Brot und Wein gehört dazu. Dass Reste vom Abendmahlswein in den Ausguss gekippt werden und angebrochene Oblaten im Abfall landen, ist für Katholiken undenkbar.

Rund 21,9 Millionen Protestanten gibt es derzeit in Deutschland, bis 2040 wird ihre Zahl Prognosen zufolge auf etwa 16 Millionen sinken. Ist die evangelische Kirche ausreichend darauf vorbereit?

Bedford-Strohm: Die Landeskirchen sind seit Jahren in Reformprozessen, und auch die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) hat viel über Veränderungen nachgedacht. Sie hat vor allem eine koordinierende Funktion und gibt Impulse – ohne zentralistische Bevormundung. Es ist wirklich stark, was in den Landeskirchen da geleistet wird. Wichtig ist aus meiner Sicht, theologisch eine Vision von Kirche für die Zukunft zu entwickeln und erst dann zu sagen, welche Strukturen dafür notwendig sind. Und dabei ist natürlich zu berücksichtigen, dass wir weniger Mitglieder haben werden und mit weniger Geld auskommen müssen.

Aber die Einschnitte werden deutlich sein, wenn die Prognosen zutreffen.

Bedford-Strohm: Ich will einen Grundton überwinden, bei dem alles nur als Verfall und Defizit erscheint. Auch wenige Menschen können ausstrahlungsstark Kirche sein, das zeigt der Blick nach Ostdeutschland, wo in vielen Regionen nur 10 bis 20 Prozent der Bevölkerung Christen sind. Da gibt es viele inspirierende Beispiele für eine kraftvolle Kirche. Wer sie wahrnimmt, merkt: Es gibt überhaupt keinen Grund zu verzagen, die Bedeutung von Kirche ist nicht nur eine Frage von Zahlen.

Das Interview führten Corinna Buschow und Karsten Frerichs (epd)