Gemeinsame Stellungnahme des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz und des Vorsitzenden des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland zum Konvent zur Zukunft Europas, 2002
Gemeinsame Stellungnahme des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz und des Vorsitzenden des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland zum Konvent zur Zukunft Europas, 2002
Der Konvent zur Zukunft Europas hat die bedeutende Aufgabe, der wichtigsten gemeinschaftsbildenden und friedenschaffenden Institution unseres Kontinents, der Europäischen Union, eine neue rechtliche Basis zu geben.
Die Kirchen unterstützen in Wahrnehmung ihres eigenen Öffentlichkeitsauftrags die Einigung Europas nachdrücklich und bringen dabei grundlegende Orientierungen ein. Sie äußern sich u. a. zu Fragen der Struktur- und Funktionsweise der EU, der Demokratie in der EU, der Aufnahme von neuen Mitgliedstaaten, des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts, der Zuwanderungs- und Asylproblematik, der Rolle Europas in der Welt, einer gemeinsamen Währung, der Biopolitik, der Stellung der Familie und zu vielen anderen Fragen. Die Kirchen leisten eine wesentliche Integrationsfunktion auch für die zukünftigen Mitgliedstaaten.
Die dem Konvent aufgegebene Vertragsreform sollte aus unserer Sicht die Union nicht nur strukturell und institutionell in die Lage versetzen, die Herausforderungen zu bewältigen, die der Beitritt der mittel- und osteuropäischen Staaten mit sich bringen wird, sondern auch dazu führen, dass sich die Bürgerinnen und Bürger besser mit dieser Ordnung identifizieren. Die Verantwortungsebenen innerhalb der Union müssen klar und verständlich sein. Dies erfordert ein hohes Maß an Transparenz der Entscheidungswege und -ebenen.
Wertgebundenheit der Europäischen Union
Die Europäische Union ist ein Werk des Friedens und stellt sich der Aufgabe, auch weltweit Verantwortung zu übernehmen. Leitbild sollte ein Gesellschaftsmodell sein, in dem Eigenverantwortung und Solidarität gerecht austariert werden. Die Entwicklung einer sozialen Identität der Europäischen Union muss ein wichtiges Ziel sein.
Wir halten es daher für angebracht, bei der Überarbeitung des europäischen Vertragswerks die Wertgebundenheit der Europäischen Union deutlich zu unterstreichen. Im Zuge dessen sollte die Grundrechte-Charta in einen neuen Verfassungstext integriert und damit rechtsverbindlich gemacht werden. Sie trägt im Grundsatz dem christlichen Menschenbild Rechnung, auch wenn aus kirchlicher Sicht bei einigen Bestimmungen der Charta (etwa solchen zur Bioethik oder zur Familie) deutlich klarere Formulierungen nötig gewesen wären. Mit der Grundrechte-Charta darf die Wertfundierung der Europäischen Union nicht als abgeschlossen angesehen werden.
Verhältnis von Staat und Kirche in den Mitgliedstaaten
Die Europäische Union hat sich in der Erklärung Nr. 11 zur Schlussakte des Vertrages von Amsterdam bereits dazu verpflichtet, den Status, den Kirchen und religiöse Vereinigungen oder Gemeinschaften in den Mitgliedstaaten nach deren Rechtsvorschriften einnehmen, zu achten und nicht zu beeinträchtigen. Der Konvent wird sich mit der Frage befassen, wie eine dem Subsidiaritätsprinzip entsprechende Abgrenzung der Zuständigkeiten zwischen der Europäischen Union und den Mitgliedstaaten hergestellt und danach aufrecht erhalten werden kann. In diesem Zusammenhang sollte der Inhalt der Erklärung Nr. 11 in den vorgesehenen neuen Vertragstext aufgenommen werden.
Selbstbestimmungsrecht der Kirchen auf europäischer Ebene
Die Religionsfreiheit ist in allen Rechtsordnungen innerhalb der Union garantiert. Als Ausdruck dieser Religionsfreiheit ist das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen und Religionsgemeinschaften ein wesentliches Merkmal der Freiheit im Verhältnis zum Staat. Es ist in den nationalen Rechtsordnungen unterschiedlich ausgestaltet, historisch gewachsen und als Teil des geregelten Verhältnisses von Staat und Kirchen ein Element der jeweiligen nationalen Identität. Bei einer Verankerung des Inhalts der Erklärung Nr. 11 zum Amsterdamer Vertrag im europäischen Vertragsrecht ist die Garantie des Selbstbestimmungsrechts nach jeweiligem nationalen Recht jedenfalls für den nationalen Bereich gesichert. Darüber hinaus muss aber das Selbstbestimmungsrecht grundsätzlich auch auf europäischer Ebene gewährleistet sein, da sonst das Handeln der Union Kirchen und Religionsgemeinschaften beeinträchtigen könnte.
Weitere Elemente der Religionsfreiheit
Mit der zunehmenden Vertiefung der Europäischen Union, die sich durch einen möglichen Verfassungstext verstärken wird, nehmen die Bereiche des gemeinsamen Interesses und der Zusammenarbeit zwischen Europäischer Union und den Kirchen zu. Die Kirchen sind ein bedeutender Faktor für das Leben in der Europäischen Union. Es sollten deshalb Ansätze für ein positives europäisches Religionsrecht formuliert werden, die das kirchliche Wirken in europäischen Institutionen ermöglichen (z.B. mit Blick auf europäische Hochschulen oder eine mögliche zukünftige europäische Armee und Polizei), das soziale und kulturelle Wirken der Kirchen gewährleisten (z.B. die caritativen bzw. diakonischen Dienste als eines Bereichs der Daseinsvorsorge) und religiöse Feiertage innerhalb der Europäischen Union respektieren.
Partnerschaftlicher Dialog
Die besondere Rolle und die positive Bedeutung von Religion und Kirche für die Integration Europas insgesamt sollten auch in einem möglichen europäischen Verfassungstext ausdrücklich anerkannt werden. Auf dieser Basis sollte ein partnerschaftlicher Dialog zwischen den Kirchen und Religionsgemeinschaften und den Gemeinschaftsorganen in der Europäischen Union ermöglicht werden, zu dem die Kirchen bereit sind, sofern sichergestellt ist, dass die vorgesehene Partizipation dem jeweiligen Selbstverständnis der Kirchen und Religionsgemeinschaften entspricht und ihre Rechte wahrt. Ein erster Ansatz findet sich in dem Weißbuch "Europäisches Regieren", das die besondere Rolle würdigt, die Kirchen und Religionsgemeinschaften dabei haben, den Belangen der Bürgerinnen und Bürger eine Stimme zu verleihen.
Verankerung der christlichen Prägung Europas in einer Präambel
Die Europäische Union, die als ein Werk des Friedens gegründet wurde , beruht auf Voraussetzungen, die sie selbst nicht unmittelbar hervorbringen kann. Das europäische Verständnis vom Menschen und die Wertbasis, auf die sich die Europäische Union als Wertegemeinschaft stützt, sind wesentlich geprägt durch die Religion, insbesondere durch das Christentum. Die Europäische Union sollte sich daher in einer Präambel zu ihren religiösen Wurzeln bekennen. Das religiöse Erbe Europas und die Absage an eine Verabsolutierung der politischen Ordnung der Europäischen Union sollten zudem durch einen Gottesbezug einen Platz in der Präambel des zu verfassenden Textes finden.