Predigt im hORA-Gottesdienst am Palmsonntag, 2. April 2023, 18 Uhr, St. Matthäus-Kirche, Berlin-Tiergarten

Prälatin Anne Gidion, Bevollmächtigte des Rates der EKD bei der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Union

Anne Gidion

Prälatin Anne Gidion, Bevollmächtigte des Rates der EKD bei der Bundesrepublik Deutschland und der  Europäischen Union

Durch Glauben

Predigt zu Hebräer 11,1-2.8-12.39-40; 12,1-3

Es ist aber…

der Glaube eine feste Zuversicht dessen, was man hofft, und ein Nichtzweifeln an dem, was man nicht sieht.

I

Ein furioser Einstieg in das furiose elfte Kapitel eines der ungewöhnlichsten Teile des neuen Testaments. Der Verfasser ist nicht klar, die Sprache und Bildwelt sind anders als bei Paulus, die Adressaten sind nicht wirklich klar, wohl Christen, die vorher Juden waren, in der zweiten oder dritten Generation. Die Lage ist vermutlich angespannt, es braucht große Ermutigung und kleine Hoffnungsmünzen zum Einwechseln im Alltag. Und es braucht den großen Bogen der Geschichte – gerade für solche, die sich mit dem Tempelkult und der Thora gut auskennen.

In diesem Glauben haben die Alten Gottes Zeugnis empfangen.

Im Hebräerbrief geht es an dieser Stelle noch verselang weiter (das lese ich nur kursorisch –

immer nur „durch Glauben“ und dann den Namen):

3 Durch Glauben erkennen wir, dass die Welt durch Gottes Wort geschaffen ist, dass alles, was man sieht, aus nichts geworden ist.

Durch Glauben hat Abel Gott ein besseres Opfer dargebracht als Kain;(…)

Durch Glauben wurde Henoch entrückt, dass er den Tod nicht sehe, und wurde nicht mehr gefunden, weil Gott ihn entrückt hatte; denn vor seiner Entrückung ist ihm bezeugt worden, dass er Gott gefallen habe. (...)

Durch Glauben hat Noah Gott geehrt und die Arche gebaut zur Rettung seines Hauses, (...)

17 Durch Glauben hat Abraham den Isaak dargebracht, als er versucht wurde, und gab den einzigen Sohn dahin (…)

20 Durch Glauben segnete Isaak den Jakob und den Esau auf die zukünftigen Dinge hin.

21 Durch Glauben segnete Jakob, als er starb, die beiden Söhne Josefs und neigte sich über die Spitze seines Stabes.

22 Durch Glauben redete Josef, als er starb, vom Auszug der Israeliten und befahl, was mit seinen Gebeinen geschehen sollte.

23 Durch Glauben wurde Mose, als er geboren war, drei Monate verborgen von seinen Eltern, (…)

24 Durch Glauben wollte Mose, als er groß geworden war, nicht mehr Sohn der Tochter Pharaos heißen, (…)

30 Durch den Glauben fielen die Mauern Jerichos, als Israel sieben Tage um sie herum gezogen war. 31 Durch den Glauben kam die Hure Rahab nicht mit den Ungehorsamen um, weil sie die Kundschafter in Frieden aufgenommen hatte.

32 Und was soll ich noch mehr sagen? Die Zeit würde mir zu kurz, wenn ich erzählen sollte von Gideon und Barak und Simson und Jeftah und David und Samuel und den Propheten.

33 Diese haben durch Glauben Königreiche bezwungen, Gerechtigkeit geübt, Verheißungen erlangt und Löwen den Rachen gestopft (…)

39 Diese alle haben durch Glauben Gottes Zeugnis empfangen und doch nicht die Verheißung erlangt,

40 weil Gott etwas Besseres für uns vorgesehen hat:

dass sie nicht ohne uns vollenden würden.

Durch den Glauben. Diese alle. Abraham, Sara, Moses, Henoch, Jakob, Josef, Rahab, Gideon, David, Samuel.

Und wir?

II

Dies Kapitel ist einzigartig in der ganzen urchristlichen Literatur. An keiner anderen Stelle der Bibel werden so viele Glaubenszeugen auf einmal aufgefahren. Diese alle sind zusammen sind die Wolke der Zeugen. Und die werden eingerahmt mit dem Glauben derer, die jetzt hier direkt angesprochen werden. 18 Mal. Pistei. Durch Glauben. Oder: Aus Glauben. In dieser Häufung ohne Beispiel. Ein Monumentalgemälde.

Erzväter und Erzmütter. Alle sind aus Glauben weitergegangen und haben sich hineingestürzt in das Abenteuer Leben.

Haben vertraut, geliebt, gelebt – aus Glauben.

Was ist der Glaube?

Eine gewisse Zuversicht auf das, was man nicht sieht - so übersetzt das Luther, aber das ist noch zu schwach für das griechische Hypostasis.

Wörtlich am Griechisch entlang: Es ist aber der Glaube ein unbeirrbares Feststehen beim Erhofften.

Ein Überführtsein von der Realität der Dinge, die man nicht sieht.

Das Wichtigste aus Sicht des Hebräerbriefschreibers: Der Glaube ist Festhalten am Hoffen. Festhalten an dem, was versprochen ist. Ein sich Unterstellen hypo-stasis wie unter einen Schutz gegen Wind und Wetter.

Dieser Glaube zieht den Bogen zwischen dem, was war, was versprochen ist, was erzählt worden ist an den Lagerfeuern und in den Tempeln der Jahrhunderte und Jahrtausende zum JETZT des Briefs.

Diese alle, Abraham Sara Jakob Josef Henoch Rahab und Gideon, sind die Wolke der Zeugen. Sie sind nicht mehr da und doch noch da. Sie scheinen hindurch – wie in der Kunst, wie wenn ein Bild „Abendmahl“ heißt, aber die Menschen sind nicht abgebildet, die Stühle leer. Sie laden die Betrachtenden ein, Platz zu nehmen. Darum auch wir.

III
Darum auch wir:

Weil wir eine solche Wolke von Zeugen um uns haben,

lasst uns ablegen alles, was uns beschwert, und die Sünde, die uns umstrickt.

Lass uns laufen mit Geduld in dem Kampf, der uns bestimmt ist,

und aufsehen zu Jesus,

dem Anfänger und Vollender des Glaubens,

der, obwohl er hätte Freude hätte haben können,

das Kreuz erduldete und die Schande gering achtete

und sich gesetzt hat zur Rechten des Thrones Gottes.

Gedenkt an den, der so viel Widerspruch gegen sich von den Sündern erduldet hat,

dass ihr nicht matt werden und den Mut nicht sinken lasst.

Darum auch wir.

Ihr seid mit auf dem großen Gemälde durch die Zeit, schreibt der Hebräerbriefschreiber. Ihr gehört dazu, auch wenn Eure Namen nicht geschrieben stehen. Ihr auch. Glauben ist hier ein Sehnen nach der Zugehörigkeit. Wie in dem Lied „There is a longing“ - da wohnt ein Sehnen tief in uns, o Gott, nach dir, dich zu sehn, dir nah zu sein, heißt es da. Es ist ein Sehnen, ist ein Durst nach Glück, nach Liebe wie nur du sie gibst.“

Für den Hebräerbriefschreiber ist das ein Sehnen nach dem Versprochenen. Nach der himmlischen Welt, dem verheißenen Land, dem ewigen Sabbat. Nach dem, was sicher kommen wird. Kommen muss. Wenn man gut genug hinsieht, durch all das Sichtbare hindurch. Glaube als tieferes Sehen in der Sichtbarkeitswelt.

Diese Sehnsucht hat auch Christus auch gehabt, schreibt der Autor. Der war auch ein Glaubenszeuge, Teil der Wolke. Der Hebräerbrief zeichnet Christus mit auf das große Glaubenspanorama der Zeit: Christus war auch so ein Glaubender wie Abraham und Sara, Josef und Rahab.

Es geht ihm nicht um den Glauben an diesen Christus, sondern um einen Glauben wie dieser Christus.

IV

Wer ist diese Wolke der Glaubenszeugen? Auf gedanklichen Gemälde des Hebräerbriefs sind das sind alle, die vorangegangen sind. Aus dem Alten Bund. Und aus dem Bund der Christusleute.  Daraus wird ein Volk Gottes, eine Wolke der Glaubenden.

Manche haben solche Wolken durch die Corona-Zeit getragen. Als physische Menschenmengen nicht sein durften. Wolken aus kleinen Kacheln am Bildschirm zum Beispiel. Sozialitäten jenseits von Zeit und Raum.

Wer sind Ihre und Eure Glaubenszeuginnen, Eure Wolke?

Wer ist Ihnen vorangegangen und das Unfassbare vermittelt: dass es etwas zum Vertrauen gibt?

Welche Großmutter, welcher Religionslehrer, welche Patentante, welches Buch, welcher Film, welche Passion hat Sie so gepackt, dass Sie heute hier seid und weiterglauben?
(Pause)

V

Darum auch wir hier. Auch wir hier heute sind Teil dieses Monumentalgemäldes. Teil dieser Wolke.

Der Hebräerbrief spricht vom Kampf, der uns bestimmt ist. Wir kämpfen mit Ungeheuern, von denen wir nichts wussten. Und das mit dem Laufen in Geduld ist so eine Sache. In beiden Welten, in denen ich unterwegs bin – in der Kirche und in der Politik – erlebe ich ein verdichtetes, dünnhäutiges, teils erschöpftes Ringen um das, was richtig ist. Wir haben doch die Wahrheit, warum tut ihr nichts? Sagte neulich ein empörter Berlinreisender einer Besuchergruppe im Bundestag zum Thema Klimaschutz.

Können wir das haben – die Wahrheit in Glaubensdingen? Können wir das auch, wie die Glaubenszeuginnen und -zeugen: Königreiche bezwingen, Gerechtigkeit üben und Löwen den Rachen stopfen?

Für mich ist der Glaube weniger ein Feststehen, eher ein Weitergehen und sich zwischendurch Unterstellen.

Mir ist Glaube fremd, der in eindeutig erkennbaren Skulpturen festmeißelt, wer dazu gehört und wer nicht.

Glaube umgeben von all den Wolkenzeuginnen und Zeugen guckt zurück, vergewissert sich, und guckt zugleich nach vorn.

Der Glaube braucht dieses „Weißt Du noch“ – er braucht die Lagerfeuer der Kindheit, die hineinragen in den Frühlingsfeuerkorb von heute.

Darum auch wir. Glaube ist Sehnsucht in einer nicht erlösten Welt. Am Ende braucht es einen, der mich hält. Und eine Gemeinschaft, die zusammenhält – auch wenn das Grab leer ist.

In diese Woche gehen wir jetzt hinein.

Stellen uns unter das große Versprechen und mitten in das große Bild der Glaubenden in der Zuversicht:

Dass nach dem Tod etwas kommt, dass nach dem Winter die Knospen wieder sprießen, dass die Sonne sich über den Gräbern erhebt. Dass da jemand ist, wenn ich rufe.

Amen

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