Predigt zum Ostersonntag 2020

Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm, Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland

Gehalten im Festgottesdienst am Ostersonntag, 12. April 2020, im Berliner Dom

Heinrich Bedford-Strohm

EKD-Ratsvorsitzender Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm predigt im Festgottesdienst zum Ostersonntag am 12. April im Berliner Dom.

1.KOR 15,20-28
20 Nun aber ist Christus auferweckt von den Toten als Erstling unter denen, die entschlafen sind. 21 Denn da durch einen Menschen der Tod gekommen ist, so kommt auch durch einen Menschen die Auferstehung der Toten. 22 Denn wie in Adam alle sterben, so werden in Christus alle lebendig gemacht werden. 23 Ein jeder aber in der für ihn bestimmten Ordnung: als Erstling Christus; danach die Christus angehören, wenn er kommen wird; 24 danach das Ende, wenn er das Reich Gott, dem Vater, übergeben wird, nachdem er vernichtet hat alle Herrschaft und alle Macht und Gewalt. 25 Denn er muss herrschen, bis Gott »alle Feinde unter seine Füße gelegt hat« (Psalm 110,1). 26 Der letzte Feind, der vernichtet wird, ist der Tod. 27 Denn »alles hat er unter seine Füße getan« (Psalm 8,7). Wenn es aber heißt, alles sei ihm unterworfen, so ist offenbar, dass der ausgenommen ist, der ihm alles unterworfen hat. 28 Wenn aber alles ihm untertan sein wird, dann wird auch der Sohn selbst untertan sein dem, der ihm alles unterworfen hat, auf dass Gott sei alles in allem.

 

Liebe Ostergemeinde,

Christus ist auferstanden! Dieser Ruf erklingt an diesem Morgen, seit die Osternacht angebrochen ist, jetzt überall im Land. Und wahrscheinlich ist er noch nie auf so vielen unterschiedlichen Kanälen erklungen wie jetzt. 

Denn Ostern ist im Jahr 2020 nach Christi Geburt anders. Wir sind zu unseren Ostergottesdiensten nicht in unseren vertrauten Kirchen zusammengekommen, sondern wir sind eine große Gemeinde an ganz unterschiedlichen Orten, vereint durch Kommunikationskanäle, wie wir sie noch nie hatten. Wir können nicht zusammen in unseren Kirchen feiern. Denn die Nähe der Gemeinschaft von Schwestern und Brüdern, wie wir sie kennen, mit einem Ostergruß per Handschlag oder einer herzlichen Umarmung, ist zum Feind des Lebens geworden. Würden wir in diesen Tagen trotzdem daran festhalten, würden wir unsere eigene Botschaft dementieren, die ja eine Botschaft des Lebens, eine Botschaft der Liebe ist!

Weil wir das wissen, so schwer es für die Seele ist, dabei nachzukommen, deswegen feiern wir das Osterfest diesmal anders. Aber nicht weniger kraftvoll! Oft habe ich von der Kanzel bei Ihnen im Berliner Dom gepredigt. Heute predige ich zum ersten Mal im Berliner Dom aus meiner Bischofskirche St. Matthäus in München. Und ich spüre, wie wir verbunden sind, obwohl wir geographisch so weit voneinander entfernt sind. Und vielleicht spüren Sie, liebe Gemeinde in den Häusern, das auch: Christus ist auferstanden! Er ist jetzt lebendig unter uns! Und er verbindet uns! Diese Botschaft kennt keine geographischen Grenzen. Und sie erreicht auch über digitale Kanäle unsere Herzen. Sie ist umso glaubwürdiger auf diesen Kanälen, weil sie nur so auszustrahlen vermag, wovon sie spricht. Weil die digitalen Kanäle kein Ansteckungsrisiko bringen und deswegen hier in ganz konkretem Sinne im Dienst des Lebens stehen.

Mir gibt es die Gelegenheit, Ihnen zu zeigen, wie meine Bischofskirche in München heute selbst zur Verkündigerin der Osterbotschaft wird. Wie ich in ganz wörtlicher Weise die Osterbotschaft im Rücken habe. Der Architekt Gustav Gsaenger hat diese Matthäuskirche an Stelle der alten von Hitler gesprengten Kirche gebaut. 1955 war sie fertig. Auf dem großen Mosaik hier hinter mir ist das himmlische Jerusalem zu sehen. Davor der gekreuzigte Christus. Man kann durch das Kreuz, kann durch das Leid hineinschauen in das Licht der Auferstehung. Er ist schon da, der lebendige, von den Toten auferstandene Christus.

Die Kreuze auf dem Bild sind leer - es wird keine Folter mehr geben, keinen Krieg, keine Trauer - „und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein“ (Offenbarung 21). Weil Gott den Tod besiegt hat und alles neu macht.

„Der letzte Feind, der vernichtet wird, ist der Tod.“ So sagt es Paulus in den Worten aus seinem 1. Korintherbrief, die wir eben gehört haben. Und es ist ein Satz, der uns gerade in diesen Tagen in der Seele erreicht. Denn wir sehnen uns danach, dass das Sterben aufhört. Wir sehnen uns danach, dass die Sorge um die zerstörerische Wirkung des Virus, die bis zur Lähmung fast des gesamten öffentlichen Lebens geführt hat, endlich keinen Grund mehr hat - durch einen Impfstoff, durch ein Medikament, das wirkt. Wir sehnen uns danach, dass wir Menschen beim Sterben begleiten können, ohne auf Abstand bleiben zu müssen oder Schutzkleidung zu tragen, dass wir würdig Abschied von ihnen nehmen können, ohne irgendjemanden ausschließen zu müssen, weil die zugelassene Teilnehmerzahl schon erreicht ist.

Ja, als Feind erfahren wir den Tod in diesen Tagen. Denn diese Tage sind nicht geprägt davon, dass Menschen alt und lebenssatt sterben. Sondern sie sind geprägt von erschreckenden Bildern aus Bergamo, Madrid und New York von überquellenden Intensivstationen und immer mehr Toten.

In diese Situation hinein rufen wir nun diese Worte hinein: Christus ist auferstanden! Er ist wahrhaftig auferstanden! Vielleicht ein wenig zaghaft, vielleicht auch umso trotziger, in jedem Falle aber im festen Vertrauen auf das, was Paulus da sagt und was wir in den verschiedenen Berichten der Evangelien überliefert bekommen haben.

Die Botschaft von der Auferstehung ist der Kern der christlichen Botschaft. Paulus hat recht, wenn er sagt: „Ist aber Christus nicht auferweckt worden, so ist unsre Predigt vergeblich, so ist auch euer Glaube vergeblich.“ Ob der Ruf „Christus ist auferstanden“ die fromme Illusion einiger Menschen ist, die den Tod einfach nicht aushalten, oder ob er die tiefe Wahrheit über unser Leben und über unsere Welt sagt, ist keine Nebensache! Es ist die Hauptsache.

Ohne die Botschaft von der Auferstehung wäre Jesus zwar ein eindrucksvoller Mensch gewesen, ein Mensch, der viele seiner Zeitgenossen mit seiner Liebe inspiriert hat. Aber er wäre gescheitert. Er wäre ein gescheiterter Idealist mehr in der Geschichte der Menschheit.

Die neutestamentlichen Evangelien erzählen etwas Anderes. Gerade weil sie die Geschehnisse alle etwas unterschiedlich erzählen, sind sie glaubwürdig. Man hätte das alles ja gut glätten können. Ganz offensichtlich ist damals etwas passiert, was so unfassbar war, dass es sich auf ganz unterschiedlichen Wegen ausgebreitet hat. Die trauernden Frauen am Grab waren die ersten. Sie begegnen dem auferstandenen Jesus. Sie spüren seine Liebe in der Begegnung. Darin erkennen sie ihn wieder. 

Sie laufen zu den Jüngern und erzählen davon. Und es geht ihnen so, wie wir es heute auch manchmal noch hören. Die Jünger halten es für „Weibergeschwätz“. Aber dann begegnen sie selbst Jesus. Spüren seine göttliche Liebesenergie selbst wieder. Und sagen es dann selbst weiter in alle Welt. Ohne all das wären wir heute nicht zwischen München und Berlin hier zusammen, verbunden durch modere digitale Kanäle, von denen damals noch kein Mensch geträumt hätte.

Dass damals etwas Ungeheures passiert ist, daran kann kein Zweifel bestehen. Darauf, dass das Grab nach jenem Morgen des dritten Tages tatsächlich leer war, deuten allein schon die Gerüchte hin, von denen die Bibel berichtet, das Gerücht, man habe den Leichnam Jesu gestohlen. Die Historiker oder die Naturwissenschaftler werden das Geheimnis nie lüften, das hinter dem Stein des Grabes verborgen, geschah und ihn weggesprengt hat. Die Wahrheit wirklich erfassen, können wir nur im Vertrauen.

Es ist eine riesengroße Gemeinschaft von vielen Milliarden Menschen, die uns in dieses Vertrauen mit hineinnehmen. Die über viele Jahrhunderte der Botschaft der Frauen, der Botschaft der Jünger, geglaubt haben und Realität dieser Botschaft mit dem eigenen Leben bezeugt haben. Diese riesengroße Gemeinschaft des Vertrauens durch die Jahrhunderte hindurch ist es, die uns jetzt auch trägt in diesen Tagen der Angst, des Zweifels, vielleicht sogar der Gottverlassenheit.

„Denn wie in Adam alle sterben, so werden in Christus alle lebendig gemacht werden.“ Der Ursprung dieser großen Gemeinschaft des Vertrauens ist Jesus selbst. Am Kreuz hat er geschrien: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Hat die Dunkelheit des Todes selbst erfahren. Und hat dann erfahren, dass die Dunkelheit nicht das letzte Wort war. Gott hat Jesus auferweckt zum Leben. Er ist den Menschen begegnet und hat ihnen Worte mit auf den Weg gegeben, die uns bis heute begleiten: „Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende“.

Seitdem sagen wir in dieser großen Gemeinschaft des Vertrauens, in der wir uns gegenseitig stärken können: Nichts kann uns mehr trennen von der Liebe Gottes, die in Christus ist. Noch nicht einmal der Tod kann uns von dieser Liebe trennen.

„Denn wie in Adam alle sterben, so werden in Christus alle lebendig gemacht werden.“ Es ist eine universale Vision von der Überwindung des Todes, die Paulus uns hier vor Augen malt. Sie mündet in das, was ich hier als die große stärkende Botschaft in den Tagen von Corona im Rücken habe: Das Kreuz wird leer sein. Das Licht wird alles durchfluten, in München, in Berlin und auch in den Slums und Flüchtlingslagern der Welt, wo die Verzweiflung jetzt so groß ist. 

Wer auf diese Botschaft vertraut, der bezeugt sie schon jetzt mit seinem Herzen und mit seinen Händen. Indem wir einander jetzt beistehen, indem wir aufeinander achten, indem wir mit anderen zusammen ihr Leiden aushalten, indem wir denen helfen, deren materielle Existenz wegzubrechen droht, indem wir Menschen aus Flüchtlingslagern endlich herausholen, in denen eine humanitäre Katastrophe droht, indem wir weltweite Solidarität mit den Ärmsten und Verletzlichsten zeigen.

Die Botschaft von der Auferstehung ist für uns Christen die feste Basis eines Lebens aus Glaube, Liebe und Hoffnung. Aus dem Glauben als dem festen Vertrauen, dass Gott uns auch durch schwere Zeiten tragen wird. Aus der Liebe, weil Christus uns in den Geringsten unserer Schwestern und Brüder selbst begegnet. Und aus der Hoffnung, weil wir wissen: wir gehen zu auf das neue Jerusalem, das hier hinter mir sichtbar ist, auf einen neuen Himmel und eine neue Erde, in der alle Tränen abgewischt sind und alles neu wird.

Weil wir das wissen und darauf vertrauen, deswegen rufen wir an diesem Ostermorgen aus ganzem Herzen in die Corona-Schwere hinein: „Christus ist auferstanden! Er ist wahrhaftig auferstanden!“

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre Eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.

AMEN