Silbern, hell und strahlend

Silbermann-Orgeln faszinieren noch 300 Jahre nach ihrer Entstehung

Die Orgel ist das Instrument des Jahres 2021. In Sachsen entstand bereits ab dem 17. Jahrhundert eine eigenständige Orgelbautradition. Ein Name ragt dabei heraus.

Silbermannorgel im Freiburger Dom

Die Silbermannorgel im Freiberger Dom ist über 300 Jahre alt. 1714 vollendete Gottfried Silbermann hier sein erstes großes Orgelwerk. Seit Jahrhunderten kaum verändert und original erhalten, gilt es heute als berühmteste Barockorgel der Welt. Seit 1714 erklingt die Orgel fast unverändert zu Konzerten und Gottesdiensten. Mit gerade 27 Jahren hatte Silbermann 1710 den Auftrag für den Bau der Domorgel erhalten. Das Instrument mit drei Manualen, 44 Registern und 2.674 Pfeifen war Silbermanns erste große Orgel und sie ist auch 300 Jahre später eine der am besten erhaltenen Orgeln der Barockzeit. Das Orgelbauhandwerk lernte Gottfried Siolbermann bei seinem Bruder Andreas im elsässischen Straßburg. In seiner Werkstatt am Freiberger Schloßplatz baute er 45 Orgeln.

Freiberg/Dresden (epd). Bevor er sich an die Orgel setzt, wechselt Albrecht Koch die Schuhe. „Manche spielen auch barfuß“, sagt er, aber das bevorzuge er nicht. Zum Orgelspielen trägt er eine Art Tanzschuhe, damit er die riesigen Tasten des Pedals über dem Boden besser erspüren kann. Sein Arbeitsplatz ist die große Domorgel von Gottfried Silbermann (1683-1753) im sächsischen Freiberg - eine der berühmtesten Barockorgeln der Welt.

2.674 Pfeifen, 44 Register, drei Manuale - das sind die technischen Parameter des Instruments von 1714. Im Jahr 1738 hatte Orgelbauer Silbermann, der zu den bedeutendsten deutschen Orgelbauern zählt, sie geringfügig umdisponiert. Danach gab es keine grundlegenden Veränderungen mehr. Das sichert bis heute den authentischen barocken Klang. Nicht nur im Orgeljahr 2021 pilgern Musiker und Liebhaber daher regelmäßig nach Freiberg.

„Hier ist nahezu alles, 97 Prozent, wie es bei Silbermann war“, sagt Domorganist Koch. Der mitteldeutsche Orgelbauer habe ein Werk geschaffen, das eine überaus große technische Haltbarkeit besitze sowie klangliche Perfektion. „Mit unglaublichem handwerklichen Geschick und einem sehr guten Gehör hat er Pfeifen gebaut und intoniert, die einfach immer schön klingen“, sagt Koch. Die Lötnähte an den Pfeifen seien so genau, die würden heute mit einem elektronischen Lötkolben kaum besser gelingen.

Die Orgel für den Freiberger Dom ist nicht nur die erste große, die Silbermann gebaut hat, sie gilt auch als ein Höhepunkt seines Schaffens. „Es ist die am stärksten französisch inspirierte Orgel, die er je gebaut hat“, erklärt Koch, der auch Präsident der Gottfried-Silbermann-Gesellschaft ist. Viel Wissen und Anregung habe der Orgelbauer aus dem Elsass aus der Straßburger Werkstatt seines Bruders Andreas mitgebracht, auch für den Bau anderer Instrumente. Doch nur bei seinem großen Debüt-Werk habe er mit einer „so starken Durchmischung, einen so starken französischen Akzent gebaut“.

Ins Schwärmen kommt auch der Heidelberger Musikwissenschaftler, Organist und Orgelsachverständiger Michael Kaufmann: Er selbst habe schon Tausende Orgeln gespielt - quer durch Europa und Südamerika. „Die sächsischen Silbermann-Orgeln gehören zu den inspirierenden Instrumenten“, sagt der Kirchenmusiker, „vor allem die im Freiberger Dom.“

„Silbern, glänzend, hell und strahlend, gleichzeitig sehr kraftvoll und geerdet“ beschreibt Koch den Klang der Freiberger Domorgel, die Silbermanns Visitenkarte gewesen sei. Alles habe sich für den damals knapp 30-Jährigen glücklich zusammengefügt: Der begabte Orgelbauer, der auch Geschäftsmann war, traf 1709 auf einen gut vernetzten Leipziger Thomaskantor, Johann Kuhnau. Dieser wiederum empfiehlt ihm, nach Freiberg zu gehen.

Von den 50 neu gebauten Silbermann-Orgeln sind noch 31 erhalten - allein 27 in Sachsen, zwei in Thüringen, zwei in Brandenburg. Eines der barocken Instrumente von 1731 steht in Reinhardtsgrimma, knapp 40 Kilometer von Freiberg entfernt. Der frühere Dresdner Kreuzorganist Herbert Collum (1914-1982) nannte es einmal „das kleine Wunder der Orgelbaukunst“.

Vor kurzem war Pier Damiano Peretti, Orgelprofessor in Wien, in der spätmittelalterlichen Dorfkirche zu Gast: „Mich begeistert das Verhältnis zwischen Einfachheit des Konzepts, insbesondere bei kleineren Instrumenten, und maximalem musikalischem Ergebnis“, sagt er.

Silbermann, der seine Werkstatt in Freiberg hatte, musste sich um Aufträge nicht sorgen - als „Sächsischer Hof- und Landorgelbauer“ hatte er das Privileg, über Anfragen zuerst zu entscheiden. Lange Transportwege habe er meist vermieden, sagt Koch, sie hätten ein zu hohes Risiko geborgen. Das erklärt wohl auch die auffallend hohe Dichte seiner Instrumente in der mittelsächsischen Heimat.

Der bodenständige Orgelbauer wuchs in Frauenstein auf, etwa 20 Kilometer von Freiberg entfernt. Dort entsteht derzeit ein neues Museum für Silbermann. Noch in diesem Jahr soll es in einem denkmalgeschützten Gebäude am Markt eröffnet werden. Auch Freiberg erinnert an den Orgelbauer, mit einer Dauerausstellung und Schauwerkstatt am früheren Wohnort und Arbeitsplatz des Meisters.

Silbermanns letzte und größte Orgel steht in der katholischen Kathedrale in Dresden. Sie wurde von seinen Schülern vollendet. Auch hier fallen die französischen Einflüsse auf, wie Johannes Trümpler sagt, bis Juni Organist in der Kathedrale. Daher eigne sich die Orgel sehr gut für französische Barockmusik und für Werke von Olivier Messiaen (1908-1992). Für Johann Sebastian Bachs (1685-1750) Musik fehle es mitunter einfach an Tönen im Pedal.

Domkantor Koch will im September zu den Silbermanntagen in Freiberg wieder Musiker aus aller Welt begrüßen, zu Konzerten und dem internationalen Orgelwettbewerb. Dem Erbe Silbermanns fühlt er sich verpflichtet. Dass er eines von dessen Instrumenten spielen und verwalten darf, ist für ihn Ehre und Glück zugleich: „Herrlich, es gibt fast nichts Schöneres.“ Aber er kennt die Orgel auch von innen, weiß um Schimmel und Trockenheit, die das Holz reißen lässt. Sein Antrieb lautet: „Ich bin dafür zuständig, dieses Instrument so gut wie möglich musikalisch erlebbar zu machen.“