Theologe Huber für „Spurwechsel“ nach klaren Kriterien
Ehemaliger EKD-Ratsvorsitzender hält Finanzkrise wie 2008 erneut für vorstellbar

Der ehemalige EKD-Ratsvorsitzende Bischof Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Wolfgang Huber.
Berlin (epd). Der ehemalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Wolfgang Huber, plädiert für die Möglichkeit zum „Spurwechsel“ von einem Asylverfahren zu einer Zuwanderung. „Spurwechsel“ bedeute, dass das Bleiben im Interesse des aufnehmenden Landes liegt, sagte Huber dem Evangelischen Pressedienst (epd): „Die vorgeschlagene Verbindung mit einer Stichtagsregelung macht Sinn, weil man dann nicht zukünftige Zuwanderer mit der Erwartung anlockt, es zunächst über den Flüchtlingsstatus zu versuchen und dann in den Einwanderungsstatus überzuwechseln.“
Spurwechseln nach nachweisbarer Integration
Für einen Spurwechsel müsse die Integration nachgewiesen werden. „Das ist anhand der konkreten Anforderungen in einem Beruf ja auch möglich“, sagte der Berliner Altbischof. „Wenn man nach fünf Jahren nicht weiß, ob jemand diese Anforderungen tatsächlich erfüllt, dann wird man es wohl nie wissen.“
Klar sei aber auch, dass es immer eine Härte bedeute, wenn Menschen nach fünf Jahren das Land wieder verlassen müssen. Man müsse die Menschen auf die Rückkehr vorbereiten und darauf schauen, wie die Lage in den Herkunftsländern ist, sagte der Sozialethiker.
Wenn man alle willkommen heiße und keinen vor die Erwartung der Rückkehr stelle, dann sei das Land sicherlich überfordert. „Das müssen wir vermeiden, damit wir auch in Zukunft zur Hilfe für bedrängte Menschen bereit und in der Lage sind“, sagte er.
Huber hob den Zusammenhang zwischen Problemen in der Weltwirtschaft und der Migrationskrise hervor. „Es ergibt doch überhaupt keinen Sinn, Menschen, die vor der Not im eigenen Land fliehen, als Wirtschaftsflüchtlinge zu beschimpfen“, sagte der Theologe in dem Gespräch aus Anlass der Eskalation der weltweiten Finanzkrise vor zehn Jahren: „Man muss zur Kenntnis nehmen, dass unser Nachbarkontinent Afrika das größte Armutsgebiet der Welt ist.“ Da könne man doch nicht aus deutscher Perspektive sagen, „dass wir in wirtschaftlich guten und gesunden Zeiten leben“.
„Rückzug auf nationale Egoismen“
Einen Zusammenbruch der weltweiten Finanzmärkte ähnlich wie 2008 hält Huber auch heute für möglich. „Eine derartige Krise ist erneut vorstellbar“, sagte der Sozialethiker dem epd. Leider habe sich seitdem nicht sehr viel geändert.
Nur ganz allmählich und vereinzelt würden neben kurzfristigen Renditen auch andere Ziele wirtschaftlichen Handelns in den Blick genommen. „Wenn ich auf die Managergehälter schaue, sind wir von einem Kurswechsel noch weit entfernt“, sagte Huber.
Nach 2008 sei es versäumt worden, eine international verantwortete soziale Marktwirtschaft zu entwickeln. „Damit meine ich nicht, das deutsche Modell auf die ganze Welt auszudehnen“, sagte der Theologe. Schon die politische Debatte darüber, wie man mehr Transparenz und Verbindlichkeit schaffen kann, sei ausgeblieben. „Dem stand der Rückzug auf nationale Egoismen entgegen, wie er vor allem im Slogan „America first“ deutlich wird“, sagt Huber, der zudem deutliche Kritik an den Wirtschaftswissenschaften äußerte.
Prognosekapazitäten verbessern
Diese seien aus seiner Sicht nicht ausreichend bemüht, ihre eigene Prognosekapazität zu verbessern. „Eine verantwortliche, ethisch basierte Wissenschaft muss sich dieser Aufgabe stellen“, sagt der Berliner Altbischof: „Weit entfernt sind wir von einem Vorsichtsprinzip, um Einbrüchen wie 2008 vorzubeugen. Im Umweltschutz existiert so etwas inzwischen.“
Mit der Insolvenz der US-amerikanischen Investmenbank Lehman Brothers am 15. September 2008 war das Platzen einer Immobilienblase in den USA zu einer weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise eskaliert. Die Auswirkungen der darauf folgenden Rezession reichen bis heute.
Karsten Frerichs und Jens Büttner (epd)