Schön, dass Sie (wieder) da sind!

Eintritt und Wiedereintritt in die evangelische Kirche, EKD-Texte 107, 2009

1. Empirie des Kircheneintritts

Statistische Daten und Entwicklungen

Der Eintritt beziehungsweise der Wiedereintritt in die Kirche hat in der öffentlichen und kirchlichen Wahrnehmung lange Zeit ein Schattendasein geführt. Kontinuierlich steigende Austrittszahlen mit phasenweise dramatischen Spitzen haben die Wahrnehmung des Eintritts in die Kirche in den Hintergrund treten lassen. Doch der Blick auf die Entwicklung der Eintrittszahlen lohnt sich durchaus. Seit über drei Jahrzehnten befinden sie sich in einem kontinuierlichen Aufwärtstrend. Zurzeit treten in Deutschland jährlich mehr als 60.000 Menschen in die evangelische Kirche ein. Das entspricht dem evangelischen Bevölkerungsanteil einer kleineren Großstadt. Den größten Anteil daran machen die Wiedereintritte und Erwachsenentaufen mit jeweils etwa zwei Fünftel aus. Die Übertritte belaufen sich auf ein Fünftel des Mitgliederzuwachses. Damit haben die jährlichen Eintrittszahlen eine Höhe erreicht, die den Kircheneintritt für die evangelische Kirche zu einem wichtigen positiven Faktor in der Entwicklung der Mitgliederzahlen macht. Die Zahl der jährlich neu hinzukommenden evangelischen Kirchenmitglieder speist sich nicht nur aus den rund 190.000 Kindertaufen pro Jahr, sondern zu einem gewichtigen Teil auch aus den „Aufnahmen“, das heißt den Erwachsenentaufen, den Wiederaufnahmen und den Übertritten. Dies veranschaulicht die folgende Grafik.

Wie stellt sich die statistische Entwicklung der Eintrittszahlen genau dar? Zunächst zu den westlichen Gliedkirchen. Hier betrug im Jahr 1964 die Zahl der Aufnahmen knapp 48.000. In den Jahren um 1968 ist die Zahl stark gesunken und hat 1974 mit ca. 23.000 den Tiefststand der letzten Jahrzehnte erreicht. Seitdem steigt die Zahl der Aufnahmen in Westdeutschland. Während der 80er Jahre bis Mitte der 90er Jahre lag ihre Zahl um die 40.000 pro Jahr und seit Mitte der 90er Jahre wurde häufig die Zahl 50.000 überschritten. In den vergangenen Jahren strebt die Zahl der Aufnahmen auf rund 54.000 zu. In den östlichen Gliedkirchen erreichten die Aufnahmezahlen 1991 mit rund 26.000 einen einmaligen Höhepunkt. Bis zum Jahr 2000 sind die Eintrittszahlen hier stetig gesunken. Seitdem halten sie sich aber stabil bei gut 9.000 pro Jahr.

Unter den Aufnahmen in die evangelische Kirche sind die Wiedereintritte ehemaliger Mitglieder quantitativ am bedeutsamsten. In den westlichen Gliedkirchen liegt ihre Zahl bei rund 23.000 pro Jahr. Das macht rund zwei Fünftel aller Aufnahmen insgesamt aus. In den östlichen Gliedkirchen bewegt sich die Zahl der Wiederaufnahmen mit rund 3.500 auf einem ebenfalls hohen Niveau. Das entspricht mehr als einem Drittel aller Eintritte in Ostdeutschland.

An quantitativ gesehen zweiter Stelle stehen die Aufnahmen im Rahmen einer so genannten Erwachsenentaufe. In den westlichen Gliedkirchen macht der Anteil an Erwachsenentaufen seit 1964 von der Gesamtheit aller Aufnahmen in die evangelische Kirche durchgehend einen Anteil von ca. einem Drittel aus. In den vergangenen Jahren pendelt sich die Zahl der Erwachsenentaufen bei rund 18.000 ein. Bei den Erwachsenentaufen ist allerdings zu berücksichtigen, dass sie oftmals im Vorfeld der Konfirmation erfolgen, d.h. es werden Jugendliche getauft, die im rechtlichen Sinne noch gar keine Erwachsenen sind. Seit Anfang der 90er Jahre findet mehr als die Hälfte der Erwachsenentaufen im Zusammenhang mit der Konfirmation statt. Im Osten Deutschlands hat sich die Zahl der Erwachsenentaufen in den vergangenen Jahren bei ca. 5.000 eingependelt und macht etwas mehr als die Hälfte aller Aufnahmen aus. Der im Vergleich zu Westdeutschland höhere Anteil von Erwachsenentaufen an der Gesamtheit aller Aufnahmen erklärt sich durch den hohen Anteil konfessionsloser Menschen in Ostdeutschland. Die Aufnahme in die evangelische Kirche erfolgt in vielen Fällen durch die Taufe.

An zahlenmäßig dritter Stelle unter den Aufnahmen stehen die Übertritte ehemaliger Katholiken. In den westlichen Landeskirchen entscheiden sich jährlich zwischen 8.000 und 9.000 Menschen für einen Übertritt aus der katholischen in die evangelische Kirche. Das entspricht etwa einem Fünftel aller Aufnahmen in Westdeutschland. In den östlichen Gliedkirchen gibt es aufgrund der ohnehin sehr niedrigen Mitgliederzahlen der katholischen Kirche kaum Übertritte in die evangelische Kirche.

Die geschlechterspezifische Differenzierung zeigt, dass tendenziell sowohl in West- als auch in Ostdeutschland etwas häufiger Frauen als Männer in die evangelische Kirche eintreten.

1.2. Der Kircheneintritt im Spiegel empirischer Studien

Wer sind eigentlich diejenigen, die in die Kirche eintreten? Welchen sozialen Status haben sie? Wie alt sind sie? In welchen Kontexten leben sie? Gibt es bestimmte Anlässe und Motive, die hinter dem Eintritt in die Kirche stehen? Und: Lässt sich aus dem Spektrum derjenigen, die in die Kirche eintreten, eine Art Typologie entnehmen? Die empirische Erforschung des Kircheneintritts findet in den vergangenen Jahren zwar stärkere Aufmerksamkeit. Einige den Kircheneintritt charakterisierende Facetten können im Folgenden bereits benannt werden. Das aber mit der Einschränkung, dass es sich dabei allenfalls um Tendenzen und erste Anhaltspunkte handelt. Diese bedürfen der weiteren empirischen Erforschung und Prüfung. Die bisherige Datenlage zum Kircheneintritt ist insgesamt sehr dünn, regional begrenzt und zum Teil veraltet (speziell im Blick auf die Situation in den neuen Bundesländern). Im Folgenden werden zunächst wichtige Erkenntnisse der bisherigen Studien kurz referiert [5], danach einige Ergebnisse der als Anhang angefügten neueren Studie dargelegt.

Wer tritt eigentlich in die Kirche ein?

Für Ostdeutschland zeigen empirische Befunde zur Altersstruktur, dass fast alle Personen, die sich als Erwachsene taufen lassen, Jugendliche und junge Erwachsene zwischen 14 und 30 Jahren sind. Der Altersspiegel der Wiedereingetretenen sieht anders aus. Die große Mehrheit dieses Personenkreises ist über 40 Jahre alt. Man kann vermuten, dass ein Wiedereintritt in die Kirche schwerpunktmäßig in den mittleren und fortgeschrittenen Lebensphasen vorkommt. In Bezug auf die Schichtzugehörigkeit derjenigen, die in die Kirche eintreten, liegt der Schwerpunkt bei den Vertretern der beruflichen Mittel- und Oberschicht. Arbeiter und einfache Angestellte sind kaum vertreten. Das Stadt-Land-Verhältnis weist beim Kircheneintritt einen Schwerpunkt auf dem Land auf. Dabei handelt es sich vor allem um Wiedereintritte [6].

Bezogen auf Westdeutschland liegen bislang nur Daten von Wiedereintritten und Übertritten vor. Hier weist der Altersspiegel einen Schwerpunkt zwischen 30 und 39 Jahren auf. Hinsichtlich des Schulabschlusses bilden Realschüler die größte Gruppe, gefolgt von Befragten mit Hauptschulabschluss. Abiturienten sind seltener vertreten. Bei weitem die meisten Personen, die in die evangelische Kirche eintreten, sind verheiratet [7].

Vergleicht man die Daten für Ost- und Westdeutschland miteinander, zeichnet sich eine tendenzielle Übereinstimmung beim Zeitpunkt des Wiedereintritts in die Kirche ab: Der Schwerpunkt liegt in den mittleren Altersschichten. Bei der Frage nach der schulischen bzw. beruflichen Qualifikation bzw. dem beruflichen Status deutet sich dagegen ein Unterschied an: Ist der Kircheneintritt in Ostdeutschland eher in den mittleren und oberen Gesellschaftsschichten anzutreffen, so ist das in Westdeutschland eher bei den mittleren und unteren Einkommensgruppen der Fall.

Welche Anlässe gibt es für den Kircheneintritt? Welche Motive stehen hinter ihm?

Für viele Menschen, die in den ersten Jahren nach 1989 in Ostdeutschland in die Kirche eingetreten sind, stand der Kircheneintritt in einem Zusammenhang mit der „Wende“. Der Kircheneintritt erfolgte zum Beispiel, weil die „Wende“ als Ermöglichung eines neuen, unverhüllten Verhältnisses zu Religion und Kirche beziehungsweise einer grundsätzlichen lebensgeschichtlichen Umorientierung erfahren wurde.

In der damaligen Untersuchung wurden vier Aspekte erhoben, die die Motivation zum Kircheneintritt fördern:

  • Der positive Einfluss bestimmter Bezugsgruppen (Freunde, Klassenkameraden, Familienangehörige, Kinder, Eltern, Ehepartner). Es ist vor allem das Maß an sozialer Stützung, das über die Quantität und Qualität der Kirchenbindung entscheidet – sowohl zugunsten als auch zuungunsten der Kirchenmitgliedschaft.
  • Das allgemeine politische Klima. In der DDR wurde von staatlicher Seite z.T. massiv gegen eine Kirchenmitgliedschaft agiert.
  • Der Modernitätsgrad der Kirche. Viele der Befragten bescheinigen der Kirche, dass sie sich seit den 50er Jahren positiv gewandelt hat (Lebensnähe und Weltoffenheit).
  • Die kulturelle Funktion der Kirche. Positiv bewertet wird das politische Engagement der Kirche im Zusammenhang mit der Wende und das kirchenmusikalische Engagement [8].

Aktuell spielt in Interviews mit Eingetretenen im Osten der Bezug auf die „Wende“ keine primäre Rolle mehr (s.u.). Dagegen wird das diakonisch-soziale Engagement der Kirche als ein Faktor bedeutsamer.

Wie ist der Kircheneintritt in Westdeutschland motiviert? [9] Nach Darstellung der diesbezüglichen Studien stehen mit großem Abstand an erster Stelle keine konkreten Anlässe oder biografischen Ereignisse, sondern der allgemeine Wunsch, wieder zur Kirche dazuzugehören, und die Auffassung, dass das Leben in einer evangelischen Kirchengemeinde überzeugend sei. Eine zweite, in mittlerem Maße relevante Gruppe aus der Liste möglicher Eintrittsanlässe richtet sich auf biografisch-persönliche Anliegen und Ereignisse wie zum Beispiel den Wunsch nach kirchlicher Bestattung, eine überzeugende Begegnung mit einer Pfarrerin oder einem Pfarrer sowie das Erlebnis einer ansprechenden Amtshandlung. Am seltensten werden Eintrittsanlässe aus einer dritten Gruppe genannt. Diese Anlässe kreisen wiederum um biografisch bedeutsame Ereignisse, allerdings solche mit besonders hoher persönlicher Relevanz. Beispiele dafür sind der Wunsch nach kirchlicher Trauung und die Übernahme einer Taufpatenschaft.

Mit Blick auf die empirischen Befunde aus Ostdeutschland Anfang der neunziger Jahre, bei denen der Eintritt einen Zusammenhang mit der „Wende“ aufweist, ist es auffällig, dass in Westdeutschland ein öffentliches Ereignis so gut wie nie als Anlass für den Kircheneintritt genannt wird [10].

Typologie des Kircheneintritts

Die Vielzahl von Anlässen und Motiven für den Kircheneintritt wirft die Frage nach einer Typologie des Kircheneintritts auf. Gibt es unterscheidbare soziale Gruppen, die zwar durch das Faktum des Kircheneintritts geeint sind, sich in anderer Hinsicht jedoch klar voneinander abheben? Auf diese Frage bietet bisher nur die Studie von Hartmann und Pollack einen Antwortvorschlag. Das Kriterium, mit dem hier eine Typologie des Kircheneintritts konstruiert wird, ist die Religiosität der Befragten. Insgesamt werden fünf Typen der Religiosität bei den Personen, die in die Kirche eintreten, bestimmt: Dabei sind alle Religiositäts- und Kirchlichkeitstypen vertreten, die auch bei der Gesamtheit aller Kirchenmitglieder nachweisbar wären. Die Typologie weist so darauf hin, dass der Kircheneintritt nicht an einen bestimmten Religiositäts- oder Kirchlichkeitstypus gebunden ist [11].

1.3. Beobachtungen der EKD-Kircheneintrittsstudie 2009

Um über die bisherigen empirischen Befunde zum Kirchen(wieder)eintritt hinaus weitere Informationen zu diesem Phänomen zu erhalten, hat die EKD im Jahr 2009 eine eigene explorative Studie in Auftrag gegeben [12]. Inwieweit lassen sich die bisherigen empirischen Befunde zum Kircheneintritt durch die EKD-Studie exemplarisch weiterführen, wo können sie vertieft werden? Wo bietet die EKD-Studie neue Erkenntnisse?

Biographische Kontexte

Menschen treten in unterschiedlichen Phasen ihres Lebens (wieder) in der Kirche ein. Besonders im mittleren Altersbereich sind – vor allem im Westen – der Wiedereintritt in die Kirche, aber auch – in Ost wie auch in West – Taufen anzutreffen. Eine Verschiebung von Werten in der Lebensmitte und andere Zielsetzungen können in dieser Lebensphase beispielsweise ausschlaggebend sein.

Doch auch ab einem Altersspektrum von ca. 60 Jahren stellt sich die Frage nach dem Verhältnis zur Kirche im Sinn eines Wiedereintrittes neu. Dabei spielen Faktoren wie Berufsende, Krankheit und ein allgemeiner Eindruck der Endlichkeit des Lebens, implizit vielleicht auch die Frage nach einer kirchlichen Bestattung eine Rolle. Nicht selten entsteht der Wunsch, Ordnung in das Leben zu bringen. Ferner sind junge Erwachsene zu erwähnen. Eine (erneute) Beschäftigung mit dem Verhältnis zur Kirche kann in einer jüngeren Lebensphase z.B. im Zusammenhang mit Fragen von Partnerschaft, Familie und im Freundeskreis entstehen.

In allen Lebensphasen zeigt sich, dass Krisen ein wichtiger biographischer Kontext sind, in dem Menschen wieder in die Kirche eintreten. Dazu gehören z.B. Krankheit, Verlust des Arbeitsplatzes oder Trennung vom Partner bzw. der Partnerin. Sie lassen unter anderem die Frage nach dem Sinn des Lebens und den eigenen Zielen aufkommen.

Darüber hinaus können in allen Altersstufen Familie und andere soziale Netzwerke hinsichtlich des (Wieder-)Eintrittes eine Bedeutung haben. Dabei sind besonders Partnerschaft, Heirat, Geburt und Taufe, aber auch die Elternzeit oder der Wunsch der Übernahme eines Patenamtes zu nennen. Ferner kann eine neue Rolle als Groß- oder Schwiegereltern vor allem die Frage eines Wiedereintrittes in neuem Licht erscheinen lassen. Ähnliche Auswirkungen kann auch ein Freundeskreis mit dem Bezugspunkt Kirchengemeinde haben. Diese Anlässe stützen die Vermutungen, die bislang für die dritte im vorangegangenen Text genannte Gruppe von Eintrittsanlässen (biografisch bedeutsame Ereignisse mit besonders hoher persönlicher Relevanz) angenommen wurden – lassen sich aber nicht nur in West-, sondern auch in Ostdeutschland finden.

Anlässe

Für Menschen, die zeitnah nach 1989 in die Kirche eintraten, war ein Zusammenhang zur „Wende“ vorhanden. Diese Annahme lässt sich zwanzig Jahre nach der Wiedervereinigung für Personen, die in der Regel zwischen 2006 und 2008 in Ostdeutschland wieder in die Kirche eintraten oder sich als Erwachsene taufen ließen, nicht mehr wahrnehmen. Hier haben sich die Hintergründe verändert: Sie lassen sich vor allem in den Bereich biographisch-persönlicher Anliegen einordnen. Impulse können überzeugende Begegnungen mit Pfarrern/Pfarrerinnen, Theologiedozenten und engagierten Gemeindegliedern ebenso wie die Erfahrung von Alter, Krankheit oder der Wunsch zur Übernahme eines Patenamtes sein.

Umgekehrt finden sich die für Ostdeutschland erhobenen Aspekte des positiven Einflusses bestimmter Bezugsgruppen wie z.B. Partner und Freunde sowie der Modernitätsgrad der Kirche auch im Westen. Kirche wird als offener und zugänglicher erlebt als früher. Demgegenüber wird das politische Engagement der Kirche – vor allem auch in den siebziger Jahren – zumindest teilweise kritisch wahrgenommen und nicht in direkten Zusammenhang mit dem Wiedereintritt gebracht. Positiv betont und als ein (Wieder-)Eintrittsgrund gedeutet wird eher ihr soziales Engagement und die Funktion der Kirche als eine „Werteträgerin“ der Gesellschaft, die Werte bewahrt und erneuert.

Der Wunsch „dazuzugehören“ zeigt sich wie in der Badischen Studie besonders in Westdeutschland als eine Deutung. Sie kommt vor allem als ein Teilaspekt im Verbund mit anderen Deutungen vor. Diese lassen sich biografisch verorten und können in einer kirchlichen Heirat ebenso bestehen wie im Bedürfnis, im Alter „sein Gewissen zu beruhigen“ und „reinen Tisch“ zu machen. Demgegenüber lässt sich die Auffassung, dass das Leben in einer evangelischen Kirchengemeinde überzeugend sei, in den Interviews nicht vertiefen. Vor allem ein mobiler Teil der Gesellschaft ist in den ortsgemeindlichen Strukturen nicht beheimatet, was aber nicht heißt, dass Gemeindebezug für ihn irrelevant wäre. Der Fokus richtet sich hier eher auf kirchliche Orte, auf die Kirchengemeinde als eine Anlaufstelle in der Not – z.B. in Form von Angeboten der Seelsorge und des Gesprächs – oder als eine Geborgenheit stiftende Gemeinschaft. Wiedereintritt kann aber auch als ein persönliches Zeichen gegen den Mitgliederschwund und für den Erhalt der Kirche verstanden werden. Darüber hinaus finden sich Deutungen wie beispielsweise „Geborgenheit finden“, „nach Hause kommen“ oder „die Ordnung wiederherstellen“.

Neue Erkenntnisse: Sensibilisierungen für die kirchliche Praxis

Neue Erkenntnisse ergeben sich aus dem Interview-Material im Sinn von Sensibilisierungen für die kirchliche Praxis. Diese können Ansatzpunkte für kirchliches Handeln sein und mit dazu beitragen, die Zielgruppe der (Wieder-)Eintretenden besser zu verstehen. Welche Fragen beschäftigen Menschen, die wieder in die Kirche eintreten oder sich taufen lassen wollen? Welche Ängste und Missverständnisse gibt es? Was hemmt bei der Umsetzung, was fördert die Entscheidung?

Oft lassen sich im Zuge von Wiedereintritt und Taufe drei aufeinander folgende Phasen feststellen. Dabei können die Übergänge fließend sein und nicht immer müssen alle Phasen vorkommen.

Auf dem Weg zum (Wieder-)Eintritt können sich Interessierte zunächst in einer Phase der Orientierung befinden. Deren Dauer ist individuell verschieden, sie erstreckte sich bei den Interviewpartnerinnen und -partnern über wenige Wochen, einige Monate, aber auch einige Jahre. Die Interessierten begannen, sich (wieder) intensiver mit ihrem Verhältnis zu Kirche zu beschäftigen. Dazu wurde im Fall der Taufe etwa der zunächst ergebnisoffene Besuch eines Taufkurses genannt. Mit Blick auf Taufe und Wiedereintritt konnte auch der Besuch eines Gottesdienstes oder die Wahrnehmung niedrigschwelliger Angebote – wie z.B. ein Literaturkurs oder Kirchenkonzerte – eine weitgehend unverbindliche Kontaktstelle bieten. Neben diesem direkten Weg wurden aus den Interviews auch indirekte Wege einer Annäherung deutlich, so etwa die Begleitung der eigenen Kinder zu Veranstaltungen eines kirchlichen Kindergartens, zur Bibelwoche oder der gemeinsame Besuch von Veranstaltungen der Kirchengemeinde mit Freunden. Im Zuge der Annäherung wurde vom Wunsch und der Erwartung nach Begleitung berichtet – z.B. durch den Pfarrer oder die Pfarrerin. Begleitende Personen sollten individuell ansprechbar sein, sich aber nicht aufdrängen und Zeit zur Reife der Entscheidung lassen.

Für kirchliche Angebote und die Möglichkeit einer Begleitung erwies sich für manche Personen eine ortsnahe Präsenz von Kirche hilfreich, die einen unmittelbaren Zugang ermöglicht.

In dieser ersten, orientierenden Phase erweisen sich des Weiteren Informationen als wichtiger Faktoren. So wurden beispielsweise das Internet, aber auch die lokale Presse gezielt durchsucht: Wann findet der nächste Taufkurs statt? Zu welcher Gemeinde gehöre ich, wann beginnen die Gottesdienste? Wenn ich den Entschluss zum Eintritt fassen würde, was müsste ich alles beachten? Müsste ich meinen Taufspruch kennen? Könnte ich im Internet wieder eintreten? Müsste ich, wie beim Austritt, zum Amtsgericht gehen?

Mit solchen Überlegungen verbanden sich bei einigen Personen aber auch Bedenken, die sich hemmend auswirkten: Wenn ich wieder eintreten sollte, muss ich dann eine Glaubensprüfung ablegen? Wird von mir ein regelmäßiger Gottesdienstbesuch erwartet? Werde ich im Detail nach meinen Gründen für Austritt und Wiedereintritt gefragt und mich rechtfertigen müssen? Für einige Menschen – aber längst nicht für alle – spielte außerdem die Frage nach der Kirchensteuer eine Rolle: Was kostet das? Muss ich etwa den „Zehnten“ von meinem Bruttoverdienst abgeben?

Auf eine solche Orientierungsphase folgt die Phase der Realisierung. Der Entschluss zur Taufe oder zum Wiedereintritt ist gefasst, das Ortspfarramt oder die Wiedereintrittsstelle gefunden, vielleicht auch Terminvorstellungen entwickelt. Jetzt geht es darum, den Entschluss in die Tat umzusetzen.

Bei der Taufe sind das vor allem Fragen der Ausgestaltung. Mehrfach erwähnt wurde etwa der Wunsch nach einem individuellen Rahmen – z.B. in Form eines besonderen Zeitpunktes bzw. eines besonderen Gottesdienstes wie der Osternacht. Andererseits wurde ein öffentlicher Gottesdienst als unpersönlich empfunden, und der Wunsch nach einem privateren Rahmen der Taufe geäußert. Sofern die Taufe nicht zusammen mit der des eigenen Kindes stattfand, wurde teilweise eine Kombination von Säuglings- und Erwachsenentaufe vom Täufling als schwierig empfunden, weil es sich um unterschiedliche Lebenswelten handelt. Weitere Aspekte waren die Wahl einer besonderen Kirche oder eines bestimmten Pfarrers bzw. einer bestimmten Pfarrerin.

Bei einem Wiedereintritt können kirchliche Sichtweisen des Geschehens und die Vorstellungen der Interessierten voneinander abweichen. Während bei einem Wiedereintritt über ein Ortspfarramt u. U. der Kirchenvorstand entscheiden muss, und zumindest über die Möglichkeit nachgedacht wird, den Wiedereintritt abzukündigen, konnten solche Abläufe bei Außenstehenden für Irritation sorgen: Warum stimmen „Fremde“ über meinen Wiedereintritt ab, für den ich doch ganz private Gründe habe? Warum wird meine ganz persönliche Entscheidung im Gottesdienst öffentlich vor Menschen mitgeteilt, die sie aus meiner Sicht nichts angeht? Auch in der Frage nach einer rituellen Ausgestaltung des Wiedereintrittes oder zumindest einem ausführlicheren Gespräch können sich die Sichtweisen unterscheiden. Einige Menschen – darunter auch solche, die wieder in die Kirche eintreten, um ein Patenamt übernehmen zu können und in der Regel auch keine Orientierungsphase brauchen – wollten einfach nur möglichst schnell wiedereintreten. Sie waren weder an einem Gespräch, noch an einem Ritual interessiert – andere dagegen erwarteten einen feierlichen Rahmen, z.B. mit Segen und einem Foto danach. Der Umgang mit Interessierten in der Phase der Realisierung erfordert also Fingerspitzengefühl für die individuellen Bedürfnisse und Vorstellungen sowie Diskretion.

Sind Wiedereintritt bzw. Taufe vollzogen, schließt sich eine Phase des „Danach“ an. Besonders für einen Wiedereintritt über eine Kircheneintrittsstelle, bei dem in der Regel – im Gegensatz zu einem Wiedereintritt im Pfarramt oder der Taufe – kein unmittelbarer Kontakt zur Ortsgemeinde besteht, erwarteten Interessierte zum Teil eine Reaktion von der Kirche. Diese wurde sowohl in einem Willkommensbrief als auch in einem Anruf gesehen. Sie musste auf Seiten des Wiedereingetretenen keine Antwort hervorrufen – der seinen Wiedereintritt aber wahrgenommen sehen wollte oder sich über eine nicht erwartete Reaktion freute. Grundsätzlich scheint wichtig zu sein, den (wieder) eingetretenen Personen die Möglichkeit zu geben, die Intensität des Kontaktes und das Verhältnis zu Kirche selbst zu gestalten. Dazu gehört auch die Freiheit, keinen Kontakt aufzubauen, die für mehrere Interviewpartnerinnen und -partner wichtig war. Eher abschreckend wirkte dagegen der Versuch seitens der Kirchengemeinde, diese Personen gleich für die Mitarbeit in der Kirchengemeinde – in welcher Form auch immer – gewinnen zu wollen.

„Kirchenbindung“ – Ein Schlüsselbegriff für die theologische Wahrnehmung des Kircheneintritts

Der Eintritt in die Kirche ist ein vielgestaltiges Phänomen. Den Eintritt in die Kirche gibt es nicht. Doch wie kann man ein solches Phänomen, das durch ganz unterschiedliche Motivationen, biografische Anlässe und gesellschaftliche Kontexte bestimmt wird, theoretisch greifen? Wie kann das dynamische Beziehungsgeschehen zwischen Menschen, die sich auf dem Weg zum Kircheneintritt befinden, einerseits und der Institution Kirche, in die hinein der Eintritt schließlich erfolgt, andererseits begrifflich so gefasst werden, dass der empirischen Weite des Phänomens Rechnung getragen wird?

Die rechtliche Kategorie der Kirchenmitgliedschaft kann das nur bedingt leisten. In einem formal rechtlichen Sinn bezieht sie sich auf Verfahren der Aufnahme in die Kirche und auf Rechte und Pflichten, die aus der Kirchenmitgliedschaft sowohl für das Kirchenmitglied als auch die Institution Kirche resultieren. Fragen der Vorgeschichte eines Kircheneintritts, der individuellen Motivation zum Kircheneintritt und der beabsichtigten künftigen Ausgestaltung des Kirchenverhältnisses nach erfolgtem Eintritt spielen bei der Kategorie Kirchenmitgliedschaft faktisch keine Rolle.

Anders ist das mit dem Begriff der Kirchenbindung. Er steht für ein Kirchenverhältnis, das sich zwischen den Polen der sozialen Distanz und der sozialen Nähe zur Kirche aufspannt. Dann ist auch ein distanziertes Verhältnis zur Kirche, das sich zum Beispiel durch die Wertschätzung gesellschaftspolitischer Stellungnahmen durch die Kirche, nicht aber durch die Teilnahme an Gottesdienst, Gruppen und Kreisen auszeichnet, eine Form der Kirchenbindung. Schließlich stehen Menschen, die nicht am engeren gemeinschaftlichen Leben einer Kirchengemeinde teilnehmen, keineswegs zwingend in einem negativen Verhältnis zur Kirche. Im Gegenteil: Wer sich in einer biografischen Phase befindet, in der zum Beispiel die gemeinschaftlichen Angebote einer Kirchengemeinde gerade nicht passend sind, kann sich der Kirche trotzdem sehr verbunden fühlen und sich als treues Kirchenmitglied sehen. Nicht zuletzt die oben vorgestellte Typologie des Kircheneintritts zeigt das breite Spektrum diverser Formen der Kirchenbindung vom Bezug auf kirchlich vertretene Werte über das Interesse an Kirchenmusik und Kirchenbauten bis hin zur Teilhabe an einer gemeindlichen Gruppe. Auch die von den EKD-Mitgliedschaftsuntersuchungen der vergangenen Jahrzehnte geprägten Formulierungen von den „treuen Kirchenfernen“, der „Fremden Heimat Kirche“ oder der „Kirche in der Vielfalt der Lebensbezüge“ versuchen nichtgemeinschaftsorientierte Bindungsformen zu greifen und theologisch zu würdigen.

In Bezug auf den Kircheneintritt ist der Begriff der Kirchenbindung deshalb besonders tragfähig, da er das Verhältnis, in dem Menschen zur Kirche stehen, nicht erst im Modus der Kirchenmitgliedschaft wahrnimmt. Er bezieht sich schon auf das Vorfeld einer gegebenenfalls irgendwann einmal erfolgenden Kirchenmitgliedschaft. Auch wenn jemand nicht Mitglied in der Kirche ist, sich aber zum Beispiel im örtlichen Kirchbauverein engagiert, kirchliche Äußerungen zu gesellschaftlichen und politischen Themen in den Medien interessiert wahrnimmt und gerne kirchenmusikalische Veranstaltungen besucht, pflegt er eine Form der Kirchenbindung – aber eben keine Kirchenmitgliedschaft.

Doch was leistet der Begriff Kirchenbindung für die theologische Wahrnehmung des Kircheneintritts? In theologischer Hinsicht steht der Begriff Kirchenbindung für die herausragende Bedeutung, die im evangelischen Verständnis dem Glauben des je einzelnen Menschen zukommt. Dieser Glaube realisiert sich immer auf der Basis eines konkreten gelebten Lebens und vollzieht sich immer in Beziehung zu anderen. Die unmittelbare Beziehung zwischen Gott und Mensch steht dabei an erster Stelle, zugleich ist das Christentum seinem Wesen nach eine Gemeinschaftsreligion. Die Kirche erinnert an diese unmittelbare Gottesbeziehung und den Gemeinschaftsbezug des persönlichen Glaubens und bietet Unterstützung für dessen je individuelle Ausgestaltung – sei es im Rahmen gemeinschaftlicher und gottesdienstlicher Aktivitäten in den Gemeinden oder durch ihre öffentliche und kulturelle Präsenz. Die Formen, in denen Menschen die Unterstützung der Kirche in Anspruch nehmen, sind vielgestaltig. Der Begriff Kirchenbindung setzt die Dynamik des Kirchenverhältnisses, die die Praxis gelebten Glaubens mit sich bringt, voraus und unterstreicht die theologische Legitimation dieser Dynamik.

Beteiligungsformen

Menschen beteiligen sich auf unterschiedlichste Weise am kirchlichen Leben, ohne dass sie Kirchenmitglieder sind. Sie drücken auf diese Weise ihre Bindung zur Kirche aus. Das geschieht über ein Kirchengebäude, über Personen, durch Beteiligung an Kirchenmusiken oder anderen Veranstaltungen oder auch über andere fest gefügte inhaltliche Arbeitsgebiete der Kirche. Ihre punktuellen oder längerfristigen Verbundenheiten sind zu würdigende Beiträge an den vielfältigen Aufgaben der Kirche vor Ort.

Bei denen, die nicht Mitglieder der Kirche sind, wird zwischen „erworbener“ und von den Eltern übernommener, sog. „zugeschriebener“ Konfessionslosigkeit unterschieden. Im Begriff der Konfessionslosigkeit sind ehemalige Kirchenmitglieder, die aus der Kirche ausgetreten sind, ebenso erfasst wie Menschen, die nie getauft worden sind oder die nie einer Kirche oder Religionsgemeinschaft angehört haben. Die Unterschiede zwischen den westlichen und den östlichen Bundesländern sind deutlich: In ersteren besteht Konfessionslosigkeit zu 75% in der ersten Generation, in den östlichen Bundesländern bezeichnen sich 66,3% als „schon immer konfessionslos“ [13]. Hier geht man von der zweiten bis vierten Generation Konfessionslosigkeit aus, die traditionell zugeschrieben ist. Unter diesen Konfessionslosen antworten nur 3% mit „Ja“ auf die Frage, ob sie bereit wären (wieder) in die Kirche einzutreten. 8% haben über diese Frage überhaupt nachgedacht, den Gedanken aber wieder verworfen.

Die Überzeugung, dass man auch ohne Kirchenmitgliedschaft Christ sein kann, wird verschieden begründet:

  • ablehnende Haltung gegen die verfasste Kirche mit ihren Rechten und Pflichten
  • Kirchensteuern sparen
  • Unglaubwürdigkeit der Kirche
  • Unkenntnis der Ordnungen.

Die Ansicht, auch ohne Kirche religiös oder Christ sein zu können, bedeutet nicht gleichzeitig den Abschied vom Christentum.

Auch wenn Religion und Kirche sich aus dem Familien- und Lebenszyklus lösen [14], nimmt die Zahl religiöser Fragen zu und wächst das Interesse an Antworten für Lebens- und Glaubensfragen in Deutschland. Kontakte zu kirchlichen Gruppen, Personen oder Räumen werden gesucht. Es gibt (Wieder)Anknüpfungen durch organisierte und nicht organisierte Beteiligungsmöglichkeiten.

Anknüpfungspunkte sind neben Glaubensfragen auch Ereignisse in Natur, Politik und Gesellschaft. Ereignisse im Heimatort, soziale Kontakte, familiäre Bindungen, prägnantes kirchliches Handeln und auch die gesellschaftspolitische Rolle, die eine Gemeinde vor Ort einnimmt, beeinflussen die Art der Kirchenbindung. Kontakt zur Kirche kommt auch über kirchenmusikalische Arbeit, über Kirchengebäude oder Bildungsarbeit der Gemeinden zustande. Die Verknüpfung der religiösen Funktion von Kirche mit sozialer Plausibilität erweitert offenkundig die Kontaktflächen zwischen Kirche und Gesellschaft [15].

Themenbezogene oder punktuelle Interessen sind für Nichtkirchenmitglieder Motive, kirchliche Arbeit zu unterstützen. Sie beteiligen sich bewusst in Fördervereinen, an Aktionen oder durch Einzelspenden. Die kulturelle Funktion, die der Kirche zugesprochen wird, lässt sich mit der eigenen religiösen Ästhetik oder der politisch-religiösen Aktivität verbinden.

Kirchenmusik als Vermittlerin und Bewahrerin von Glauben und Kultur ist in diesem Zusammenhang ein prägnanter Bereich. Fördervereine für Kirchenmusik werden von Nichtkirchenmitgliedern gern unterstützt. Sie drücken so ihre Nähe zu einer Gestaltungsform der Kirche vor Ort aus, ohne sich der Institution verpflichten zu müssen. Chormitgliedschaften richten sich nicht nach Kirchenmitgliedschaft. Prägend sind das Gemeinschaftsgefühl, die individuelle und gruppenbezogene Kompetenz und das sinnstiftende kulturelle Niveau. Chorsänger haben in missionarisch wichtiger Weise am Verkündigungsdienst der Kirche teil.

Kirchengebäude als Zeichen von christlicher Tradition und Bürgersinn sind in Ost und West gleichermaßen Bindeglieder zwischen Kirchenmitgliedern und Nichtmitgliedern. 40% aller Kirchbauten der EKD befinden sich in den östlichen Gliedkirchen, aber nur 8% aller Mitglieder der Kirchen leben im Osten. Im Folgenden werden deswegen exemplarisch für den Osten die Bindekraft von Kirchgebäuden und daraus folgende Beteiligungsformen in den Blick genommen.

Fördervereine für die eigene Kirche im Ort sind in den östlichen Gliedkirchen vor allem in den ländlichen Gebieten die prägenden, gemeinwohlorientierten Bindeglieder zwischen Christengemeinde und Bürgergemeinde. So gibt es z.B. in der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz über 220 Kirchbauvereine und in der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland über 250 Fördervereine und Initiativgruppen. Die kulturelle Verbundenheit mit der Kirche als Identifikationspunkt für den Ort wächst stetig. Im ländlichen Raum scheint dies umso stärker, je mehr kommunale Strukturen und Orte der Begegnung abgebaut werden. Kirchengebäude als Zeugnisse des Glaubens vermitteln grundlegende christliche Aussagen und können als Bildungs- und Kontaktbereiche gelten. Die Möglichkeiten des Engagements z.B. durch Spenden, durch eigene praktische Tätigkeiten oder durch besondere Einsätze lassen unterschiedliche Beteiligungsmöglichkeiten zu.

Evangelische Bildungseinrichtungen als Institutionen der christlichen Wertevermittlung stellen bei Nichtmitgliedern Bindungen an die Kirche her und fördern Kenntnisse über den christlichen Glauben. Im Jahr 2002 hielten 68% der Befragten religiöse Erziehung für wichtig. Neben dem Religionsunterricht wird der Kirche die verantwortliche umfassende Wertebildung zugetraut. Evangelische Kindertagesstätten, Horteinrichtungen und Schulen werden von Eltern als Alternativen zu staatlichen Einrichtungen angesehen. In den Fördervereinen sind Christen und Nichtkirchenmitglieder, Kirchgemeinden und Unternehmen. An vielen Orten entstehen neue Initiativen, die die Gründung von Schulen zum Ziel haben.

Die religiöse Pluralität in Fördervereinen entspricht der gesellschaftlichen, wobei religiöse Bildung und Wertevermittlung gemeinsame Grundvorstellungen sind. Ein evangelisches bzw. christliches Schulprofil wird auch von Nichtkirchenmitgliedern erwartet. Dies stellt eine Bindungsvariante ohne Mitgliedschaft dar, die in der Bildungsarbeit mit Eltern und Familien aufgenommen wird.

Die gesellschaftliche Akzeptanz des diakonisch-helfenden Handelns der Kirche ist ausgeprägt. Die Erwartungen der Kirchenmitglieder und der Konfessionslosen an diakonische Hilfen im Besonderen für Alte, Kranke und Behinderte sind deutschlandweit vergleichbar hoch [16]. In diakonischen Einrichtungen, Fördervereinen und Projekten beteiligen sich Nichtkirchenmitglieder an den unterschiedlichsten diakonischen Aufgaben.

Neben den beschriebenen Beteiligungsformen, die eher organisierten und bindenden Charakter haben, gibt es Beteiligungen am kirchlichen Leben in nicht organisierten Formen. Dazu können für einzelne Nichtmitglieder die punktuellen, zeitlich befristeten Verbundenheiten gerechnet werden, die sich beispielhaft in folgenden Bereichen der Gemeinde vor Ort zeigen: Teilhabe an gemeindlicher Aufgabenerfüllung, z.B. Öffentlichkeitsarbeit der Gemeinde, Beratertätigkeiten, technische Dienste, Übernahme ehrenamtlicher Mitarbeit in handwerklich-praktischen Bereichen oder anlassbezogene Verbundenheit, z.B. bei gesellschaftspolitischen Aktionen, die von einer Kirchgemeinde ausgehen, Beteiligung an Kirchweihfesten und Sponsoring. Für Menschen, die konfessionslos sind, gibt es verschiedene Motive, sich an der Gestaltung kirchlicher Aufgaben zu beteiligen. Einige Motive aus der Sicht von Konfessionslosen sind durch die vierte EKD-Erhebung zur Mitgliedschaft ansatzweise benannt worden. Daneben stellen Umfragen einen deutlichen Trend zu verstärktem ehrenamtlichen Engagement fest, das sich mit Sinnstiftung, Erfüllung von Idealen und religiösen Interessen verbindet. Ob die vielfältigen Beteiligungsformen Kirchenbindungen stärken, wäre durch gesonderte Untersuchungen zu analysieren.

Die Partizipation an gemeinwohlorientierten Aufgaben kann auch kirchenverbundenes Engagement einschließen. In den verschiedenen Bindungsformen sind Nichtmitglieder nicht nur Förderinnen und Förderer der Kirche, sondern aktiv Mitgestaltende in je einem Bereich der kirchlichen Lebensäußerungen. Aus kirchlicher Sicht gehört ehrenamtliches Engagement grundsätzlich zu den Schätzen der Kirche in Bezug auf ihre Dienste. Die Aktivität von Nichtmitgliedern ist als Chance zu begreifen. Aktive kirchennahe Nichtmitglieder tragen zum Wachstum bei [17]. Die verschiedenen Beteiligungsmöglichkeiten werden durch die Kirche zudem als missionarische Gelegenheiten angesehen.

Die genannten Beziehungsformen zur Kirche sind für die Frage nach kirchlichen Handlungsspielräumen zur Förderung des Kircheneintritts von hoher Bedeutung. Schließlich stehen sie für das Faktum eines positiven Kirchenbezugs, der gegebenenfalls zum Kircheneintritt führen kann.

EKD-Text 107 (pdf)

Nächstes Kapitel