Glauben entdecken

Konfirmandenarbeit und Konfirmation im Wandel

Einleitung

Die folgenden Ausführungen richten sich an alle, die in den Ortsgemeinden mit Konfirmanden und Konfirmandinnen arbeiten und die in kirchenleitenden Organen und in der Aus-, Fort- und Weiterbildung den Dienst mitverantworten. Die Zuständigkeit für die Ausgestaltung der Arbeit liegt bei den Landeskirchen. Überlegungen der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) wollen übergreifende Entwicklungen und Grundfragen erhellen sowie Perspektiven aufzeigen.

  1. Konfirmation und Arbeit mit Konfirmanden und Konfirmandinnen sind zentrale kirchliche Handlungsfelder. Zugleich befinden sie sich wie kaum ein anderes Arbeitsfeld an einer Schnittstelle von Kirche und Gesellschaft. Vielschichtige Intentionen von einzelnen, von Gruppen und Institutionen beeinflussen ihre Entwicklung (Kap. 1). So haben sich vier Jahrzehnte der politischen Trennung auf den jetzt im Osten und Westen Deutschlands gegebenen Bedingungsrahmen unübersehbar ausgewirkt; dies wird in dieser Orientierungshilfe in getrennten Abschnitten beschrieben (1.1 und 1.2). Zum erstenmal seit der wiedergewonnenen politischen und der hierdurch ermöglichten kirchlichen Einheit wird dann gewagt, die gegenwärtigen Fragestellungen und Aufgaben der Konfirmandenarbeit und Konfirmation für Ost- und Westdeutschland gemeinsam zu behandeln. Dies muß mit Bedacht geschehen. Was zu tun ist, kann gewiß jeweils nur an Ort und Stelle entschieden und entwickelt, probiert und wieder verändert werden. Aber es haben sich zum einen Einsichten und religionsdidaktische Gemeinsamkeiten herauskristallisiert, die eine übergreifende Rahmenorientierung schaffen (1.3). Zum anderen fällt in Ost und West gleichermaßen eine Mehrdeutigkeit der Konfirmation auf:

  2. Das traditionelle Ziel der Konfirmandenzeit ist die Feier der Konfirmation mit der Zulassung zum Abendmahl und der Erinnerung an die eigene Taufe (Kap. 2.). Da Taufe und Glaube zusammengehören und der Glaube verstandener Glaube sein sollte - unbeschadet dessen, was dem Glauben als Geschenk Gottes immer ein Geheimnis bleiben wird -, hat die Kirche, wenn sie tauft, zu lehren (»taufet ... und lehret«, Mt 28, 19.20). Dies ist die unumstößliche Begründung für den kirchlichen Unterricht; es ist nicht in gleicher Weise bereits eine ebenso zwingende Begründung für die Feier der Konfirmation.

    Die evangelische Konfirmation hat sich geschichtlich entwickelt; sie ist kein Sakrament wie die katholische Firmung und stand zur Zeit der Reformation noch nicht im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Ihr sind historisch nacheinander mehrere Funktionen zugewachsen, auch die der Statuspassage im Lebenslauf und der Familienfeier (2.1 und 2.2). Das Ringen um die angemessene Gestalt der Konfirmation hat schon vor mehr als hundert Jahren zu weitreichenden Vorschlägen zur Veränderung ihrer Struktur geführt, die sich aber nie in der Breite haben durchsetzen können.

    In diesem Jahrhundert griff die DDR-Führung die atheistische Jugendweihetradition auf und setzte der Konfirmation eine entsprechend ausgerichtete Jugendfeier entgegen. Die Tradition dieser Feier lebt trotz des Zusammenbruchs des DDR-Regimes auch nach 1989 in veränderter Form weiter und wird von zahlreichen Eltern und Kindern angenommen. Wie die Jugendweihe nach wie vor quasi-religiöse beziehungsweise ideologische Züge trägt, zeigt umgekehrt die evangelische Konfirmation säkularisierte Merkmale. Doch nimmt ein großer Teil der Jugendlichen an keinem dieser Ereignisse teil.

    In dieser Lage besteht die Gefahr, daß der Sinn der Konfirmation theologisch verwischt und beliebig wird oder aber eine lebensferne theologische Restauration einsetzt. Die bestehende Unsicherheit wächst außerdem dadurch, daß zunehmend nichtgetaufte Jugendliche in der Konfirmandenarbeit mitmachen möchten. Wann sollen sie getauft werden, wenn einerseits die (Säuglings-) Taufe als Grund für den Unterricht, andererseits dieser als Voraussetzung der Taufe im Jugend- oder Erwachsenenalter verstanden werden? Wie der Konfirmandenunterricht wird schließlich ebenso das Verhältnis von Konfirmation und erstem Abendmahlsgang in unserer Zeit dynamischer. Die Feier des Abendmahls wird in vielen Gemeinden bereits in den Konfirmandenunterricht einbezogen (und in nicht wenigen Gemeinden sind schon die Kinder daran beteiligt). Sollen auch die am Abendmahl teilnehmen, die noch nicht getauft sind (2.3 und 2.4)?

    Die Konfirmationspraxis ist nach vielen Hinsichten offen. Darum ist es auch hier dringend notwendig, neben den parallel laufenden Bemühungen um agendarische Neuordnung in den Landeskirchen eine grundsätzliche Orientierung zu erarbeiten.

  3. In einem weiteren Kapitel wird den Beziehungen zwischen Kirche, Konfirmanden und Konfirmandinnen und Gottesdienst nachgegangen (Kap. 3.). Die evangelische Kirche hat in diesem Jahrhundert mit Recht neu gelernt, von der Gemeinde her zu denken; »Kirche« ist von »Gemeinde« her interpretiert worden. Gleichzeitig hat sich im Laufe der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts die Kritik an der Kirche verstärkt, weil unter diesem Ausdruck, anders als bei dem Wort Gemeinde, vor allem die Institution assoziiert wird, die sogenannte »Amtskirche«. So ist die Rede von Kirche schwierig, die Sache selbst jedoch immer dringlicher geworden ist. Gegen Ende dieses Jahrhunderts ist zudem eine neue Diskussion über den Weg der Kirche entbrannt. Die Ansichten darüber, ob sich die Kirche der Zukunft noch als Volkskirche verstehen kann, sind geteilt. Für die Konfirmandenarbeit und die Konfirmation, die als eine ausgesprochen volkskirchliche Sitte gilt, ist diese Diskussion unmittelbar einschlägig.

    Wie nun erleben Konfirmandinnen und Konfirmanden die Kirche? Die Erfahrungen, die heute die heranwachsenden Gemeindeglieder mit dem sonntäglichen Gemeindegottesdienst machen, prägen ihr Bild von der Kirche (3.1 und 3.2) nachhaltiger, als wir annehmen. Für sie ist »Kirche« das Kirchgebäude am Ort, der Kirchgang und eben der in der Kirche stattfindende Gottesdienst; und dieser Gottesdienst enttäuscht (3.3 und 3.4). Vermutlich führen schon ganz wenige Erfahrungen mit dem Sonntagsgottesdienst zu einem negativen Urteil; der Zugang zur kirchlichen Wirklichkeit wird bleibend verstellt. Da aber der Gottesdienst zentral die Kirche repräsentiert - für das Erleben der jungen Leute und nach dem eigenen Selbstverständnis der Kirche -, erhält die Analyse nach dieser Seite ein besonderes Gewicht. Daraus ergeben sich Konsequenzen für Predigt (3.5), Liturgie (3.6) und die Gestaltung des Gottesdienstes insgesamt (3.7).

  4. Die jungen Kirchenglieder von heute werden die erwachsenen Glieder der Kirche von morgen sein. Deshalb ist die Perspektive der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) 1994 in Halle auf die Konfirmandenarbeit zu übertragen (Kap. 4.). In Halle ist bewußt doppeldeutig die Frage aufgeworfen worden: »Welche Kirche braucht das Kind?« Sie muß erweitert werden: »Welche Kirche braucht die junge Generation?« Das heißt für die Konfirmandenarbeit: Wie muß die Kirche beschaffen sein, damit sich die jungen Menschen gern zu ihr halten und sie aktiv mitgestalten? Die Frage ist insbesondere aber so zu lesen: Weiß die Kirche, wissen die erwachsenen Christen, daß sie die junge Generation, die Konfirmandinnen und Konfirmanden auch für sich selbst brauchen, ihre positiven Erfahrungen und Erwartungen wie ihre Enttäuschungen? Sieht die Kirche, daß sie auf dem Prüfstand steht (4.2)?

    Auf dem Hintergrund dieser Fragen hat sich der Konfirmandenunterricht nach zwei Seiten hin geöffnet. Es handelt sich zum einen um die Öffnung zu den Konfirmandinnen und Konfirmanden und eine entsprechende Dynamisierung des Unterrichts . Die neuen Perspektiven heißen in diesem Zusammenhang: Subjekt-, Lebenswelt-, Gruppen- und Erlebnisbezug (4.5). Zum anderen vollzieht sich, oft leider noch viel zu schwach, eine Öffnung zu Gemeinde, Kirche und Welt und eine entsprechende Prozessualisierung und Vernetzung des Unterrichts . Die neuen Perspektiven lauten hierbei: Ortsbestimmung des Konfirmandenunterrichts im größeren Rahmen einer Gemeindepädagogik (4.11), wechselseitige Durchlässigkeit zur Jugendarbeit (4.10), Verwandlung der einen, begrenzten Veranstaltung von Konfirmandenunterricht in ein »konfirmierendes Handeln der Gemeinde« (4.7).

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