Glauben entdecken

Konfirmandenarbeit und Konfirmation im Wandel

2. Aspekte des Konfirmationsverständnisses

2.1 Schwerpunktverschiebungen

Die evangelische Konfirmation ist seit ihren ersten Ausprägungen im Reformationszeitalter auf unterschiedliche Aufgaben hin gedeutet und ausgestaltet worden: Rechenschaft über empfangene Glaubensunterweisung, Eröffnung des Zugangs zum Altarsakrament (admissio), segnende Bestätigung und Bekräftigung in dem mit der Taufe geschenkten Christsein, persönlich übernommenes Glaubensbekenntnis, Treuegelöbnis inmitten der Glaubensgemeinschaft, Zuerkennung christlicher Mündigkeit und kirchlicher Rechte, Fürbitte für den weiteren Lebensweg. Dabei pflegte eine jeweilige Funktionsbestimmung die übrigen nicht einfach zu verdrängen. Sie setzte sich zu ihnen in ein bestimmtes Verhältnis: Wurde sie einmal als Schwerpunkt empfunden, so ein anderes Mal als neben- oder nur untergeordnete Aufgabe.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und des Nationalsozialismus überwogen im kirchlichen Bewußtsein zunächst diejenigen Aufgaben der Konfirmation, die sich primär theologisch deuten lassen, weil sie mit den Sakramenten, dem kirchlichen Bekenntnis und dem Gemeindeaufbau zusammenhängen. Dagegen haben im weiteren Verlauf der zweiten Hälfte unseres Jahrhunderts - stärker im Westen, zögernder im Osten; deutlicher bei den praktisch-theologischen Experten, weniger deutlich bei den verantwortlichen Personen und Gruppen in der Ortsgemeinde - langsam auch andere Einsichten an Boden gewonnen. Mit der Konfirmation kamen bestimmte anthropologische Daten und soziale Funktionen ins Spiel; sie relativierten ziemlich stark die gemeindlichen Regenerationserwartungen an die Konfirmation. Jedenfalls ließ sich der Einfluß dieser Faktoren zu einem guten Teil auch unabhängig von der ekklesiologisch-pädagogischen Sinngebung des Konfirmationsaktes (Ja zur eigenen Taufe, Eröffnung des selbständigen Zuganges zum Abendmahl, Eingliederung in die Gemeinde mündiger Christen) deuten, wenn man nämlich die überlieferte kirchliche Handlung als einen lebenszyklisch erforderten »Passageritus« verstand: Beim Übergang aus dem Kindesalter in die nächste Etappe des Heranwachsens und Erwachsenwerdens gebe es das tief verwurzelte Bedürfnis der Beteiligten, den Statuswechsel rituell zu markieren und so besser zu bestehen. In unserer Kultur und unter evangelischen Voraussetzungen sei eben diese Aufgabe geschichtlich der Konfirmation zugewachsen. Sie erkläre die erstaunlich beständige Zustimmung zur Konfirmation, ihre Plausibilität und Akzeptanz, mit der sie sich gegen jeden einseitigen theologischen Legitimationsdruck und kerngemeindlichen Eingliederungswillen zu behaupten vermöge.

So konnte man wissen: Konfirmiert wird nicht gegen die latenten Wünsche der Konfirmanden und Konfirmandinnen und ihrer Familien, sondern im verstehenden, deutenden und weiterführenden Eingehen darauf. Die festliche Handlung darf nicht von der ihr öffentlich zuerkannten Funktion getrennt werden. Bei der Konfirmation wird christlicher Glaube also kasusbezogen, biographierelevant, lebenshermeneutisch ins Spiel gebracht.

2.2 Konfirmation als Amtshandlung im Lebenslauf

Ist die Konfirmation eine kirchliche Amtshandlung (»Kasualie«), die durch eine bestimmte Etappe in der Biographie der Heranwachsenden erfordert wird - mit welchen Sinngebungen im einzelnen hat man es dann dabei zu tun? Für wen ist sie erfahrungsgemäß ein »sprechendes Ereignis«?

  1. Konfirmation als Kasualie für die Jugendlichen und ihre Bezugsgruppe: Es ist gar nicht so leicht zu bestimmen, inwiefern die Konfirmation aus der Sicht der Jugendlichen ein biographischer Kasus ist. Denn zur Jugend gehört man schon vorher und noch lange danach, das Erwachsenwerden ist keinesfalls auf diesen Zeitpunkt konzentriert; eine Statuspassage liegt also nicht (mehr) vor. Allenfalls finden sich noch rudimentäre Elemente, etwa wenn mit der Konfirmation der Alkoholgenuß in der Familie offiziell legitimiert wird. Ob die Jugendlichen mit der Konfirmation die Ablösung von den Eltern begehen, ist ebenso zu bezweifeln. Eher ist an die anhaltende Erfahrung des Nicht-mehr-Kind-Seins zu denken, an die körperlichen, psychischen und sozialen Veränderungen, die Zeit des Wandels überhaupt. Ist die Konfirmation ein Fest des Wertseins, des Wertzuwachses, des Anerkanntseins? Lebensgeschichtlich ist es einmalig. Für die Gruppe der Konfirmanden und Konfirmandinnen kann es ein Fest der begrenzten Gemeinschaft sein, ein Fest derer, die sich für das Konfirmiert-Werden entschieden haben, eventuell ein Fest dieser »Gemeinde auf Zeit« (vgl. 4.9).

  2. Konfirmation als Kasualie für die Eltern: Den Erwachsenen wird das Heranwachsen ihrer Kinder als ein Wandel, der ihre eigene Person und die Beziehungen zwischen allen Familienangehörigen betrifft, meist in höherem Maße bewußt als den Heranwachsenden selbst. So wird mit der Konfirmation für die Erwachsenen, die den Jugendlichen am nächsten stehen, ein Abschied zum Thema. Es ist der Abschied von den Bedeutungen, die sie bislang für ihre Kinder und diese für sie hatten, sowie von den Beziehungen und Regeln, die bislang für sie und ihre Kinder galten (vgl. 2.3). Konfirmation ist kein häufiges Ereignis in einer Eltern-, Mutter- oder Vaterbiographie, aber doch ein prinzipiell wiederholbares.

  3. Konfirmation als Kasualie für die Verwandtschaft und ihr Umfeld: Andere Erwachsene kommen ebenfalls in den Blick, insbesondere die Großeltern, auch die Paten. Sie verkörpern aus der Sicht der Jugendlichen oft authentische Alternativen zu ihren Eltern. Jedenfalls repräsentieren sie das gestaffelte soziale Umfeld und die historische Herkunft. Erst mit drei Generationen wird eine wiederholte Praxis Tradition. Bislang ist Konfirmation ein stetig wiederkehrendes Ereignis im familien- und verwandtschaftsgeschichtlichen Zusammenhang. Allerdings ist diese Ebene durch Geburtenrückgang und Einzelkindfamilien stark der Veränderung ausgesetzt. Kinder wachsen mit weniger Onkel und Tanten, Cousinen und Cousins als früher auf oder auch ganz ohne sie.

  4. Konfirmation als Kasualie für die Kirchengemeinde: Sie begeht ein (kirchen)jahreszyklisches Fest der Kontinuität, Identität und Weiterexistenz der Kirche. Im Unterschied zu anderen jahreszyklischen Ereignissen (z.B. Kirchweih, Gemeindefest) werden mit der Konfirmation Erwartungen verbunden, die auf die erfolgreiche Weitergabe des Glaubens an die nachwachsende Generation und die Teilnahme an den vorgegebenen Formen des Gemeinde- und Kirchenlebens abzielen. Verglichen mit anderen Kasualien und mit der Taufe sind die Erwartungen und Anforderungen an die Konfirmandinnen und Konfirmanden ungleich höher.

  5. Konfirmation als Kasualie, die eine Öffentlichkeit besitzt: Das weitere soziale Umfeld (Milieu, Stadtviertel, Dorf, Nachbarschaft, Mitschülerinnen und -schüler, Arbeitskollegen und -kolleginnen der Eltern) ist gleichfalls mitbetroffen. Das Fest legt Verhaltensweisen nahe, mit denen man auf eine Kenntnis- und Anteilnahme über den privaten und kirchengemeindlichen Kreis hinaus rechnet (Kleidung, Gaststätten, Befreiung vom Schulunterricht am Folgetag).

    Die Aufzählung von Sinnbezügen zeigt, daß die Konfirmation für die Jugendlichen gewiß ein wichtiges Fest ist; sie stehen in dessen Mittelpunkt, umgeben von einer mehrfachen Aufmerksamkeit. Es zeigt sich aber auch, daß ausgerechnet für die Jugendlichen selbst nicht ohne weiteres einzusehen ist, inwiefern die Konfirmation auf etwas ganz Neues, auf eine Schwelle in ihrem Lebenslauf bezogen sein soll, deren Überschreiten sie gerade zu diesem Zeitpunkt erleben. Darüber hinaus tragen tiefgreifende politische und gesellschaftliche Wandlungen dazu bei, daß das Urteil nicht nur über den Zeitpunkt (vgl. 1.3), sondern auch über den Schwerpunkt der Konfirmation unsicher wird. Am Ende dieses Jahrhunderts und nach der institutionellen Wiedervereinigung der östlichen und westlichen Kirchen, die durch Jahrzehnte hin unterschiedlichen Herausforderungen und Erfahrungen ausgesetzt waren, ist der mit dem Stichwort »Passageritus« bezeichnete Konsens über den Sinn der Jahrgangskonfirmation nicht mehr ohne weiteres herzustellen, und dort, wo er schon bestand, läßt er sich nicht mehr unbefragt durchhalten. Das hat vor allem drei Gründe (vgl. 1.3):

    • Die Konfirmation hat im Osten Deutschlands ihre sozialanthropologische Funktion für einen großen Teil der Bevölkerung an die Jugendweihe abgegeben, die auch ohne politischen Druck und sozialistisches Umfeld weiterbesteht. Ebenso findet in den alten Bundesländern die Jugendweihe - nicht zuletzt aufgrund des Zuzugs aus den neuen Bundesländern - mehr Beachtung als früher und wird inzwischen in unterschiedlicher Weise angeboten.
    • Ein ähnlich großer Teil der ostdeutschen Bevölkerung verzichtet sowohl auf die Konfirmation als auch auf die Jugendweihe. Man kommt offenbar ohne ein Ritual aus, das gemeinsam mit den Jahrgangsgleichen begangen wird.
    • In beiden Teilen Deutschlands hat die gesellschaftliche Entwicklung, insbesondere die zunehmende Individualisierung und Pluralisierung der privaten Lebensbereiche, zu einer Diffusion des an die Konfirmation herangetragenen Kasualanliegens geführt. Es ist weniger deutlich als früher, was für ein Übergang für welchen Ausschnitt der Beteiligten und mit welcher Zielsetzung zu unterstützen wäre.

    Für das Verständnis der Konfirmation gibt es also sehr unterschiedliche Bedingungen. Um so mehr müssen die jeweiligen individuellen Sinngebungen in die Konfirmandenarbeit der einzelnen Kirchengemeinde einbezogen werden. Der anthropologische Ansatz in der Erschließung der Handlung darf nicht einfach überblendet werden durch Ziele, die sich scheinbar auch ohne Rücksicht auf die Wandlungen im Erfahrungsfeld Jugend und ohne Rücksicht auf die Wandlungen in der sich ausdifferenzierenden Wertwelt verfolgen lassen. Zugleich aber sind die Exponenten des konfirmierenden Handelns der Gemeinde (vgl. 1.1), vor allem die Pfarrerinnen und Pfarrer und die Verantwortlichen im gemeindepädagogischen Dienst, in ihrer ganzen Person und im Blick auf das gefragt, was mit der Konfirmation vertreten wird (vgl. 4.7). Sie müssen über die Kenntnis der gesellschaftlichen Wandlungen hinaus wissen, was sie selbst dauernd bereit halten und mit eigenem Verständnis einbringen sollten, damit sich die Erfahrungen und Erwartungen der sehr unterschiedlich motivierten Beteiligten eben daran klären können. Es ist dies, summarisch gesprochen, das Licht, das von der erschlossenen Taufe und dem »sprechenden« Abendmahl (vgl. 2.3) her in das komplizierte Leben der jungen Menschen fällt und dort als Segen empfangen werden darf.

2.3 Taufe, Abendmahl, Segen

Taufe und Abendmahl sind in der kirchlichen Unterweisungstradition diejenigen Größen, die der Konfirmation am nächsten stehen. Anders ausgedrückt: Es gibt neben der Konfirmation und der Hinführung zu ihr kein anderes Feld pädagogischen Handelns der Kirche, auf dem so nachdrücklich beide Sakramente gemeinsam zu lebensweltlicher wie biblischer Entfaltung gebracht werden wollen. Zur Taufe gehört, liturgiegeschichtlich gesehen, aber auch die segnende Handauflegung. Sie hat sich nach allgemeiner Einführung der Kindertaufe von dieser zeitlich getrennt und ist dann die relativ selbständige Handlung geworden, die in der katholischen Firmung und in der evangelischen Konfirmation ihre kasuelle Ausprägung gefunden hat. So gehört die lebensweltliche und biblische Entfaltung dessen, was Segen ist, zum Weg zur Konfirmation. Es spricht viel dafür, daß gerade dieses scheinbar Fremde die Jugendlichen in ihrer Situation bewegt und auch die Eltern. Die Eltern sind nämlich innerlich wie äußerlich einerseits mit dem Gewinn beschäftigt, den ihr gegenwärtiges Erwachsenenleben im Vergleich zu den Beschränkungen ihrer vergangenen Kindheit bedeutet, andererseits aber ebenso mit den Verlusten in dieser Gegenwart, noch dazu angesichts der Verunsicherungen und der Zwänge, die für die Zukunft zu befürchten sind.

  1. Die Taufe ist das einzige Sakrament, das alle Kirchen gemeinsam haben; als wahrhaft ökumenisches Sakrament bezeugt sie die Einheit der Kirche, wie sie in ihrer künftigen Fülle verheißen ist. Entsprechend ist die Taufe im Gottesdienst zu feiern. Sie erfolgt im Namen des dreieinigen Gottes und ihm zum dankbaren Lobpreis für diese Gabe. Sie ist eine Handlung, in der Gottes Gnade diesem Kind jeweils persönlich zuteil wird und die einen Lebensweg mit Gott eröffnet. Sie ist zugleich sakramentales Zeichen der Annahme in der Gemeinde. Die Konfirmation erinnert in vergewissernder Absicht an diese vorlaufende Liebe Gottes: Er hat den Menschen in der Taufe in die Gemeinschaft mit sich selbst und seiner Kirche aufgenommen. Die Konfirmation ergänzt also nicht die Taufe und wiederholt sie nicht. Deshalb wird nicht »in die Gemeinde hinein konfirmiert«. Vielmehr ist zu fragen, wie heute für Jugendliche erfahrbar wird, was in der Taufe bereits geschah.

    In Situationen, in denen die Kindertaufe ihre unangefochtene Selbstverständlichkeit verliert und in denen also zusammen mit den Getauften auch Nichtgetaufte eingeladen werden, zeigt sich konfirmierendes auch als taufendes Handeln. Indem die Taufe sich an die einzelnen wendet - die Namensnennung ist signifikanter Ausdruck dafür -, bejaht und erneuert sie das Individuum in seiner geschöpflichen Eigenart und Einmaligkeit. Sie steht gegen jeden Kollektivismus. Zugleich beschenkt sie - gegen alle Erfahrungen, die der junge Mensch in der Konkurrenzgesellschaft machen wird - mit der Zusage, daß Gottes Zuwendung nicht von der eigenen frommen Vorleistung abhängt. Die Konfirmation wie das gesamte Handeln, in das sie eingelagert ist, will dieses bejahende und erneuernde Voraussein Gottes zugunsten des Menschen bewußt und für seine jeweilige Lebenswelt bedeutsam machen.

  2. Während die Taufe dem einzelnen seinen Weg unter der Verheißung Gottes eröffnet, ist das Abendmahl das Sakrament derer, die gemeinsam unterwegs sind und denen im Abendmahl zusammen mit Jesus Christus selbst die Vergebung der Sünden nicht nur als Zeichen vergegenwärtigt, sondern als »das Gut selber« zu eigen wird (M. Luther, Großer Katechismus). Sie bedürfen dieses Gutes immer neu zur Stärkung auf ihrem Weg. Schon im gegenseitigen Wahrnehmen und gemeinsamen Teilen scheint wider, wie Gott selbst ihre Stärke wird. Deshalb ist es angemessen, Abendmahlsfeiern schon in den Prozeß des konfirmierenden Handelns einzubeziehen, also die inhaltliche Erschließung des Abendmahls nicht von seiner Praktizierung zu trennen. Es ist zu hoffen, daß die von den Jugendlichen mitgestalteten und auch als Zuwendung zueinander erlebten Abendmahlsfeiern im Vollzug ihren Inhalt selbst auslegen; daß sie zum »sprechenden Zeichen« werden und die Feier insgesamt das predigt, was das Sakrament meint.

    Beide Sakramente betreffen als »sprechende Zeichen« das volle Menschsein - die Taufe dessen Individualität, das Abendmahl dessen Sozialität - und weisen zugleich auf das, was ein Leben vor Gott und in der Kirche ausmacht. Die Symbole Wasser, Brot und Wein sind durchscheinend für das, was in unserer Welt lebenswichtig bleibt. Verbunden mit dem wirkenden Wort sind sie Selbstvergegenwärtigung und Selbstgabe Jesu Christi, der allem kreatürlichen Empfangen, Gestalten und Bewahren entgegenkommt, ihm aber dennoch heilvoll überlegen ist.

  3. Konfirmation heißt in manchen Gegenden auch Einsegnung. Der unter Auflegung der Hände gesprochene Segen ist für viele Erwachsene nicht zu Unrecht der Kernpunkt des Konfirmationsgottesdienstes. Von zentraler Bedeutung ist ferner der Konfirmationsspruch. In ihm konzentriert sich die in der Konfirmandenarbeit praktizierte Beschäftigung mit der Bibel, und die meisten Konfirmandinnen und Konfirmanden suchen ihn selbst und sehr bewußt aus. Die im biblischen Konfirmationsvers aufgenommene Glaubenserfahrung wird wie der Segen als Zuspruch für das vor einem liegende Leben empfunden. In dem persönlich zugedachten Wort und in der Zeichenhandlung des Segens rückt Gottes Beistand sinnfällig nahe.

    Ist heute der Segen für die Jugendlichen eine ferne, nur schwer vermittelbare Größe? Von der prallen Lebensfülle her gesehen, mit der die Segensvorstellung uns über das Alte Testament erreicht, müßte das nicht so sein. Im übrigen ist die Lebenswelt heutiger Jugendlicher auch eine Zeichenwelt. Sie ist auf eine Weise angefüllt mit jugendspezifisch kodierten Heils- und Unheilszeichen, mit symbolischen Vollzügen, mit Erkennungsmerkmalen für Zugehörigkeit und Abgrenzung, daß es nicht schwer sein sollte, die Segensgebärde der Konfirmation zu erschließen. Die klassische evangelische Segensformel zur Konfirmation (aus der Kasseler Kirchenordnung von 1539) lautet: »Nimm hin den Heiligen Geist, Schutz und Schirm vor allem Argen, Stärke und Hilfe zu allem Guten von der gnädigen Hand Gottes des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.« Auch dort, wo diese Formel heute als sperrig oder altertümlich empfunden wird, eignet sie sich nach wie vor zur Interpretation des Gemeinten inmitten religiös aufgeladener Zeichensysteme jugendlicher Lebensräume. Allerdings darf nicht verkannt werden, daß der Konfirmationssegen (ähnlich wie Ordinations- und Trausegen) an Voraussetzungen gebunden wird.

    So zeigt sich ebenso von der Segenshandlung her: Eine überzogene Gegenüberstellung von anthropologisch-sozialem und theologisch-ekklesialem Ansatz der Konfimandenarbeit ist unangemessen. Es handelt sich um eine falsche Alternative. Eine auf das Heil Gottes konzentrierte Theologie, die Schöpfung, Inkarnation und Erneuerung zu thematisieren weiß, wird immer versuchen, den Menschen auch in ihren realen Lebensbedingungen gerecht zu werden - in Bekräftigung und Korrektur ihrer Hoffnungen, in Annahme und Überbietung ihrer Antworten. Von dieser Weite empfängt auch der Konfirmationsgottesdienst, den die Jugendlichen zusammen mit ihren Familien und der Gemeinde feiern, seine Eigenart.

2.4 Aktuelle Fragen zur Ordnung der Konfirmation

Wenn Taufe und Abendmahl für die Konfirmation ihre Schlüsselstellung behalten sollen, sind nicht zuletzt bestimmte Schwierigkeiten in den Blick zu nehmen, die sich daraus ergeben.

  1. Getaufte und Ungetaufte in einer Gruppe: Hier handelt es sich durchaus nicht nur um ein Problem der östlichen Gliedkirchen. Auch im westlichen Teil Deutschlands stellen sich immer wieder Heranwachsende in den Konfirmandengruppen ein, die nicht getauft sind. Zwei Lösungen für die Taufe von Konfirmandinnen und Konfirmanden sind problematisch:

    • Das eine Verfahren entspricht der nach wie vor weit verbreiteten Vorstellung von der Konfirmation als der aus sich selbst heraus sinnvollen Jugendkasualie, die allerdings kirchlicherseits an den Vollzug der Taufe gebunden ist. So werden die Nichtgetauften kurz vor der Konfirmation getauft, damit auch sie daran teilnehmen können. Dabei gerät die Taufe in eine theologisch unerträgliche Um-zu-Position: Man muß die Taufe empfangen, um konfirmiert werden zu können. Ähnlich ist es bei der Taufe im Konfirmationsgottesdienst selbst, sofern sie dabei ihren Platz nur am Fuße des Gipfels zugewiesen bekommt, der, durch die Dramaturgie des Gottesdienstes für alle erlebbar gemacht, in der Konfirmation besteht.
    • Nach dem anderen Verfahren könnte die Taufe unmittelbar vor oder in der Anfangsphase des Konfirmandenunterrichts erfolgen. Dabei würde man allerdings darüber hinweggehen, daß die Taufe bei Heranwachsenden und Erwachsenen an Unterweisung gebunden ist und daß die ganze Konfirmandenzeit geschichtlich gesehen die Analogie zum Taufkatechumenat darstellt. Der Vorteil scheint allerdings zu sein, daß nun alle Gruppenteilnehmer und -teilnehmerinnen schon während der Konfirmandenzeit das Abendmahl feiern können, das ja seinerseits die Taufe voraussetzt.

    Eine für alle Situationen passende Lösung läßt sich nicht vorschreiben. Entscheidend wird, zunächst negativ ausgedrückt, zweierlei sein: daß nichts geschieht, wodurch die Taufe in den Rang einer Vorstufe gerät, und daß dennoch niemandem der Eindruck vermittelt wird, es handele sich um zwei Sorten von Konfirmanden. Einerseits ist die Taufe immer und unüberbietbar die Sache selbst. Andererseits wurde, wie D. Bonhoeffer in den 30er Jahren wieder herausgestellt hat, man im altkirchlichen Katechumenat nicht erst durch die Taufe Christ, sondern schon durch die frei gewollte und aufrechterhaltene Teilnahme an den Unterweisungen und Riten der Katechumenatszeit (was sich gerade unter DDR-Verhältnissen gut verstehen ließ). Das positive Kriterium: Wenn Nichtgetaufte zur Konfirmandengruppe gehören, hat das von Anfang an Einfluß auf die Planung des gemeinsamen Weges. Zusammen mit der Gruppe selbst (und auch nicht ohne die Einbeziehung der Eltern) ist diese Konstellation als besondere Chance zum Verstehen des Grundlegenden wahrzunehmen, das ausnahmslos alle betrifft. Wie die Taufe schließlich gefeiert wird, ist von der Situation abhängig. Auf jeden Fall sollten alle aus der Konfirmandengruppe daran verstehend beteiligt sein. Dabei kann die Taufe entweder in der Mitte der gemeinsamen Konfirmandenzeit stattfinden, oder sie wird in den abschließenden Konfirmationsgottesdienst als gemeinsamer Festakt einbezogen: Die einen werden getauft, die anderen in Erinnerung an ihre Kindertaufe konfirmiert, und in beide Handlungen ist damit für alle die Segnung eingeschlossen. Entsprechende Ordnungen sollten in beiden Fällen vorhanden sein. Sie der Gruppenlage anzupassen und mit der Gruppe sorgfältig durchzugehen, ist eine besonders lohnende Mühe.

  2. Abendmahl in der Gruppe und bei der Konfirmation: Daß das Abendmahl nicht erst bei der abschließenden Konfirmation gefeiert werden darf, sondern schon auf der Wegstrecke davor, und daß es dort ein Gottesdienst ist, in dem man tut, was man begreifen möchte, und ergreift, was zum weiteren Bedenken ansteht, ist fast unbestrittenes Gemeingut unserer Kirche geworden. Längst wird auch bereits mit Kindern das Abendmahl gefeiert. Um so schwerer wiegt der Entschluß, mit dem gemeinsamen Abendmahl zu warten, solange es Ungetaufte oder dazu nicht bereite Jugendliche in der Gruppe gibt. Die Freiheit zu diesem Entschluß sollte von keiner Seite in Frage gestellt werden. Sonst wäre die Einsicht verraten, daß gerade das Mahl des auferstandenen Gekreuzigten die Gemeinschaft zum Maßstab macht, die es seinerseits ermöglicht und besiegelt. Käme es zum Verzicht auf das Konfirmandenabendmahl vor der Konfirmation, so bedeutete das keineswegs, daß das Abendmahl nur kognitiv behandelt werden müßte. Gerade der Gemeinschaftsaspekt, der auch sozialanthropologisch bedeutsam ist, legt es nahe, im Medium von Agapefeiern das Füreinanderaufkommen in der Vorbereitung, das Einanderzuvorkommen in der Aufmerksamkeit und das Miteinanderteilen in der Gemeinschaft wahrzunehmen und zu thematisieren. Die Aktualität dieses Themas kann angesichts der Kultivierung von Härte und der Anpassung an Aggressionsnormen in unserer Gesellschaft gar nicht hoch genug gewertet werden. Im übrigen wird damit die gemeinsame Gestaltung der späteren Abendmahlsfeier vorbereitet. Insgesamt sind bei diesem Thema, bei dem noch vieles in der Schwebe ist, die Entwicklungen in den Landeskirchen zu berücksichtigen.

    Wenn das Abendmahl aber schon in der Konfirmandenzeit oder noch früher gefeiert wird - was bleibt dann in dieser Sache für die Konfirmation selbst übrig? Die Konfirmation ist oft nicht mehr admissio im strengen kirchenrechtlichen Sinne, auch nicht im Sinne der Ersteinladung. Wohl aber ist sie der hervorgehobene Ausgangspunkt für die von nun an eigenverantwortete Abendmahlsteilnahme im Gottesdienst der jeweiligen Gesamtgemeinde. Diese Teilnahme hängt aber erfahrungsgemäß entscheidend davon ab, wie die Gemeinde das Abendmahl begeht, wie einladend ihre im Namen Jesu gehaltene Tischgemeinschaft ist. Insofern wird es wichtig, daß in der Abendmahlsfeier, die mit der Konfirmation verbunden ist (werde sie nun am Konfirmationstag selbst oder in unmittelbarem Zusammenhang mit diesem Termin gehalten), die Erwartungen der Konfirmandengruppe und die Bereitschaft der Erwachsenengemeinde symbolisch aufeinandertreffen.

  3. Konfirmation und Teilnahme an der Jugendweihe: Das Verhältnis beider Feiern zueinander könnte inzwischen relativ entspannt sein. Beide wollen die Heranwachsenden in einer für sie schwierigen Lebensphase rituell stützen - die Konfirmation mit dem, was sie aus der christlichen Überlieferung und mit dem Erfahrungsraum Gemeinde beitragen kann, die Jugendweihe mit einer jetzt vermeintlich entideologisierten, weltlich gemeinten Feierhandlung, in die alle Teilnehmenden das eintragen können, was ihnen zu diesem Termin selbst wichtig ist. Dennoch ist die Jugendweihe nicht einfach bekenntnisneutral - weder die »gewendete« aus der östlichen sozialistischen Tradition noch die »humanistische« aus der westlichen Tradition. Die Auseinandersetzung mit der Jugendweihe wird darum weitergehen, und nicht nur um eines verlorengegangenen oder bedrohten kirchlichen Terrains willen.

    Allerdings entsteht in dieser Auseinandersetzung die Gefahr, das Gesamtthema Konfirmieren auf die Bekenntnisthematik zu konzentrieren. Um solche Engführung zu vermeiden, muß man zunächst wahrnehmen, daß das Bekennen sich nicht lediglich im liturgischen Akt vor dem Konfirmationsaltar zeigt. Es wird auch darin sichtbar, wie Konfirmandinnen und Konfirmanden auf den konfirmierenden Prozeß eingehen, ihn mitgestalten und bejahen. Besonders in einer Minderheitensituation hat es bereits Bekenntnisqualität, wenn man vor den Augen der anders ausgerichteten Mehrheit mitmacht (vgl. 1.1). Es wird dadurch nicht überflüssig, die gewonnenen Einsichten in Anlehnung an den Glauben der Christenheit eigenständig zu begründen und zu vertreten, es ist aber erst eine nachgeordnete Art des Bekenntnisses.

    Der Konfirmationsgottesdienst ist Station in einem Prozeß gemeinsamen Erfahrens und Lernens. Von der Gemeinde aus gesehen ist er Darstellung von getauften Jugendlichen, Fürbitte und Segensmitteilung. Er bezeichnet und durchleuchtet eine lebensgeschichtliche Phase der Teilnehmer und Teilnehmerinnen, mit der sie aus der frühen Jugend in die mittlere Jugend eingetreten sind. Das tut er mit einem auf ihn zulaufenden Weg, der (im Sinne des durch die EKD-Synode 1994 in Halle geforderten Perspektivenwechsels) den Jugendlichen selbst ermöglichen soll, ihre »eigene Sicht von Leben und Welt« einzubringen. Möglicherweise kann die Konfirmation konkurrierende Ersatzriten nicht schlagen. Aber sie braucht sie auch nicht zu fürchten. Gewiß wird man mit der Konfirmation im Eingehen auf neue Situationen flexibel sein müssen. Aber wenn man die neuen Herausforderungen annimmt, kann es angstfrei geschehen. Es besteht kein Anlaß, sich nur reaktiv zu verhalten oder sich gar angesichts der neuen Ritenkonkurrenzen lähmen zu lassen. Die Konfirmation muß das Verhältnis zur Jugendweihe aus den Möglichkeiten heraus gestalten, die sie seit je in sich selbst trägt.

    Taufe und Abendmahl sind unaustauschbare Gaben, mit denen Gott Heil zueignet. Aber sie führen als solche auch ein kritisches Element mit sich, sie beurteilen Mensch und Welt. Auf diese Weise decken sie das kritische Vermögen junger Menschen nicht zu, sondern fordern es an - in einer religiösen Gesamtsituation, die Auswahl und Synthese, Freizügigkeit und Vermischung befördert. Es gehört zur Qualität des konfirmierenden Handelns, daß ihm mit den Sakramenten auch ein unterscheidendes Ja und Nein innewohnt. So ist den getauften Jugendlichen mit Argumenten abzuraten, an einer Jugendweihe teilzunehmen. Und nichtgetauften Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Jugendweihe wird man ganz entsprechend abraten, neben der Jugendweihe die Konfirmation »mitzunehmen«. Gottes Heil schließt niemanden aus, aber es deckt aller Herzen auf. Unsere Aufgabe ist es, den unvergleichlichen Sinn der Konfirmation klar zu vergegenwärtigen. Allerdings hängt die Entscheidung für das eine oder andere nicht zuletzt von der Qualität des jeweiligen Angebots ab. Damit liegt es auch an der Gestaltung der Konfirmandenarbeit, ob Jugendliche sich für die Konfirmation entscheiden oder nicht.

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