Statements bei der Pressekonferenz zum Auftakt der Sonntagskampagne der EKD

EKD-Ratsvorsitzender, Präses Manfred Kock

Sehr geehrte Damen und Herren,

 in der Bibel wird erzählt, Gott habe nach sechs Tagen schöpferischer Arbeit am siebten Tag geruht. In den Zehn Geboten heißt es dann im Blick auf den Menschen: "Sechs Tage sollst du arbeiten und alle deine Werke tun. Aber am siebenten Tag ist der Sabbat des Herrn, deines Gottes. Da sollst du keine Arbeit tun, auch nicht dein Sohn, deine Tochter, dein Knecht, deine Magd, dein Vieh, auch nicht der Fremdling, der in deiner Stadt lebt." Der gemeinsame arbeitsfreie Tag ist also eine Wohltat für alle, auch für die, die ihn nicht für den Besuch des Gottesdienstes in Anspruch nehmen. Das hat der christliche Sonntag aus der jüdischen Sabbattradition übernommen. Das ist ein Bestandteil unserer Kultur geworden, der den Schutz des Grundgesetzes erhalten hat. Diese Kultur müssen wir bewahren.

Darum hat die Evangelische Kirche in Deutschland ihre Kampagne für den Schutz des Sonntags beschlossen, die wir mit dieser Pressekonferenz auf den Weg bringen. Mit unserer Kampagne wollen wir ein Nachdenken über den Wert des Sonntages bewirken, zur persönlichen Meinungsbildung herausfordern und zur Auseinandersetzung mit der Position der evangelischen Kirche einladen.

Der Sonntag als besonderer Tag der Woche hat einen hohen sozialen, kulturellen und religiösen Wert. Die Evangelische Kirche in Deutschland tritt als Anwältin der Gesellschaft für diesen Gesamtwert des Sonntags ein. Wir wollen vor Augen führen, wie sich eine fortschreitende Aushöhlung der Sonntagsschutzes durch eine Ausweitung von Sonntagsarbeit auf das eigene Leben auswirken könnte.

Bereits jetzt arbeiten über acht Millionen Menschen in unserem Land mehr oder weniger regelmäßig und mehr oder weniger freiwillig auch sonntags, damit das Leben in dieser Gesellschaft weiterläuft. Darüber hinaus gibt es traditionelle Sonntagsarbeit in der Gastronomie und im Medienbereich. Auch hier ist ein Spielraum genutzt, der das Prinzip des Sonntagsschutzes nicht aushöhlt, sondern es gewährleistet. Den dort arbeitenden Menschen sind wir besonders dankbar. Krankenschwestern und Ärzte, Feuerwehrleute und Polizeibeamte, nehmen die Last der Sonntagsarbeit auf sich, damit wir uns wohl und sicher fühlen können.

Aber inzwischen ist der Schutz des Sonntags in besorgniserregendem Umfang durch allerlei Ausnahmeregelungen vom grundsätzlichen Verbot der Sonntagsarbeit ausgehöhlt worden. Innerhalb von nur sieben Jahren ist die Sonntagsarbeit um die Hälfte angestiegen, zum allergrößten Teil im Handel und im Dienstleistungsbereich. Wenn jetzt aus Teilen des Einzelhandels die Lunte an den Sonntagsschutz gelegt wird, droht ein Flächenbrand. Das würde ein Signal setzen auch für andere Branchen. Warum sollten dann nicht auch regelmäßig Autos am Sonntag produziert, die städtischen Ämter geöffnet sein und Speditions-Brummis die Autobahnen verstopfen? Dann wäre der Sonntag bald wie jeder x-beliebige Wochentag. Deswegen darf es beim Sonntagsschutz keine Kompromisse mehr geben. Der jetzt vom ifo-Institut vorgeschlagenen Geschäftsöffnung an den vier Adventssonntagen und der Übertragung der Entscheidung über die Sonntagsöffnung an die Kommunen widersprechen wir entschieden. Wir brauchen in unserem Land einheitliche Regeln für den Sonntagsschutz.

Wir müssen uns als Gesellschaft insgesamt fragen, was uns der Sonntag wert ist. Dazu gibt es klare gesetzliche Orientierung. Zentral ist die Formulierung im Grundgesetz, die aus der Weimarer Reichsverfassung übernommen ist. Da heißt es: "Der Sonntag ist geschützt als Tag der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung". So hochwertig behandelt unsere Verfassung also den Sonntag. Soll das Grundgesetz an dieser Stelle außer Kraft gesetzt werden? Ich frage mich, welches Rechts- oder besser Unrechtsbewußtsein Kaufhausmanager haben, die im Sommer für ihre Gewinn-Verhältnisse offensichtlich billige Bußgelder in Kauf genommen haben, um ihre Läden verbotenerweise zum Verkauf zu öffnen. Ich frage mich auch, welches Vorbild sie damit der Gesellschaft geben. Es darf doch nicht gelten: Wer zahlen kann, darf sich alles leisten.

Zu den Bestimmungen, die sich aus dem Grundgesetz ableiten, gehören unter anderem das weitgehende Verkaufsverbot an Sonntagen und die gesetzlichen Regelungen der Arbeitszeit, die Sonntagsarbeit zur Ausnahme erklären. Aber zum Sonntag gehören auch eine Menge ungeschriebener Konventionen und es wäre nicht wieder gut zu machen, wenn wir die außer Kraft setzen. Heute kann man noch einigermaßen sicher sein, sich am Sonntag mit Freunden und Bekannten zu gemeinsamen Unternehmungen verabreden zu können. Familien machen zusammen Ausflüge ins Grüne. Vereine laden ihre Mitglieder zu Spiel und Sport ein. Noch hört sich der Sonntag anders an, er ist leiser, noch fühlt er sich anders an, er ist gelassener, noch schmeckt er sogar anders, dadurch, dass wir in Ruhe gemeinsam um den Mittagstisch sitzen. Dieser Tag gibt der Woche und dem ganzen Jahresablauf einen Rhythmus von Arbeit und Ruhe.

In den Kirchen feiern wir am Sonntag Gottesdienst. Das ist der besondere Beitrag der Kirchen zur Sonntagskultur. Unser Kampf für den Erhalt der Sonntagskultur zielt aber nicht auf den Freiraum für den Gottesdienst. Der Sonntag setzt vielmehr ein Signal, dass Leben mehr ist als Arbeiten, Kaufen und Besitzen. Zum Nachdenken darüber will ein Slogan unserer Kampagne anregen: "Ohne Sonntag gibt's nur noch Werktage" steht auf Großflächenplakaten und Autoaufklebern. Die Kampagne der evangelischen Kirche soll verhindern, dass wir den Sonntag als gemeinsamen Ruhetag aufgeben. Es steht viel auf dem Spiel.

Hannover, 19. Oktober 1999
Pressestelle der EKD