Predigt zu Offenbarung 3, 14-22 am Buß- und Bettag

Es ist ein kalter Wintertag, wirklich saukalt,
aber wunderbar klar und frisch.
Die Sonne steht tief und glitzert,
und mein Atem umgibt mich als feiner weißer Nebel.

Das tut gut: Ein Spaziergang im Park,
mein Kopf wird frei, und ich atme tief durch.
Ein wenig durchgefroren, mit roter Nase und klammen Zehen
komme ich zu einem Café, öffne die Tür und trete ein.
Jetzt eine heiße Suppe, die wärmt und stärkt,
wünsche und bestelle ich mir.
Doch als die Suppe serviert wird, dampft und duftet sie nicht,
und die Suppenschale fühlt sich nicht warm an.
Vorsichtig nehme ich einen Löffel und koste:
Nicht heiß und nicht kalt. Höchstens lauwarm.
Lau! Und somit fade. Und lasch. Ohne Geschmack. Ungenießbar.
Keine wohltuende, herzerwärmende Stärkung.
Mit so einer Plörre können weder Seele noch Körper warm werden.
Lau, das Wort klingt genauso, wie meine Suppe schmeckt. Eben „lau“!
Und diese Suppe werde ich nicht auslöffeln!

Sie enttäuscht meine Hoffnung auf Stärkung und Wärme.
Die Zutaten können ihren Geschmack
erst bei einer bestimmten Temperatur entfalten.
Schade, dass hier zu ungeduldig gekocht
und zu schnell serviert wurde.
Ein paar Minuten länger in der Mikrowelle,
(oder besser noch auf einer echten Herdplatte
und mit frischen Zutaten verfeinert),
und die Suppe wäre heiß und lecker gewesen.

Jacob und Wilhelm Grimm beschreiben in ihrem Deutschen Wörterbuch
das Wort „lau“ im Hinblick auf das innere Leben des Menschen so:
Ein lauer Mensch ist „lässig, nicht feurig oder thatkräftig,
ohne rechte theilnahme oder begeisterung“.

Was für eine Suppe gilt,
gilt hier offenbar auch für einen Menschen.
Ein lauer Mensch: leidenschaftslos, nicht heiß,
nicht kalt, nicht Fisch nicht Fleisch.
Undefinierbar, kaum fassbar,
nicht beschreibbar, mittelmäßig und profillos.
Jemanden „lau“ zu nennen, ist ein hartes Urteil.
Du bist lau. Das ist schlimmer noch als: Du bist kalt.

Doch genau solche Lauheit bescheinigt der Auferstandene
der christlichen Gemeinde in Laodizea.
Ich lese aus dem 3. Kapitel der Offenbarung des Johannes:

14 Und dem Engel der Gemeinde in Laodizea schreibe: Das sagt, der Amen heißt, der treue und wahrhaftige Zeuge, der Anfang der Schöpfung Gottes: 15 Ich kenne deine Werke, dass du weder kalt noch warm bist. Ach, dass du kalt oder warm wärest! 16 Weil du aber lau bist und weder warm noch kalt, werde ich dich ausspeien aus meinem Munde.

17 Du sprichst: Ich bin reich und habe genug und brauche nichts!, und weißt nicht, dass du elend und jämmerlich bist, arm, blind und bloß.

18 Ich rate dir, dass du Gold von mir kaufst, das im Feuer geläutert ist, damit du reich werdest, und weiße Kleider, damit du sie anziehst und die Schande deiner Blöße nicht offenbar werde, und Augensalbe, deine Augen zu salben, damit du sehen mögest. 19 Welche ich lieb habe, die weise ich zurecht und züchtige ich. So sei nun eifrig und tue Buße!

20 Siehe, ich stehe vor der Tür und klopfe an. Wenn jemand meine Stimme hören wird und die Tür auftun, zu dem werde ich hineingehen und das Abendmahl mit ihm halten und er mit mir. 21 Wer überwindet, dem will ich geben, mit mir auf meinem Thron zu sitzen, wie auch ich überwunden habe und mich gesetzt habe mit meinem Vater auf seinen Thron.

22 Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt!

Die Gemeinde ist zum Ausspucken, ungenießbar.
Ein Jesuswort aus der Bergpredigt klingt mit:
Wenn nun das Salz nicht mehr salzt, womit soll man salzen?
Es ist zu nichts mehr nütze, als dass man es wegschüttet
und lässt es von den Leuten zertreten (Mt 5,13).
Noch so ein Bild aus dem kulinarischen Bereich.
Was lau ist, ist langweilig wie kraftloses Salz.
Es schmeckt nach nichts.
Mit stark gewürzten Worten geht der Anklägergott
seiner Gemeinde in Laodizea ans Eingemachte.

Laodizea lag im Dreieck mit den heißen Thermalquellen von Hierapolis
und den kalten Bergbächen von Kolossäa.
Sie ist im 1. Jahrhundert so etwas wie heute Frankfurt oder Zürich:
Eine Stadt der Banken und Handelshäuser, reich und bedeutend.
Die Goldschmiede schmelzen ein ausgesprochen reines Gold,
Färber bringen ihre berühmte schwarze Wolle auf den Markt,
und die Medizin, speziell die Augenheilkunde,
experimentiert auf hohem Niveau:
Eine Augensalbe aus pulverisiertem Gestein wird erwähnt.
61 Jahre vor Christi Geburt wird Laodizäa
durch ein Erdbeben schwer geschädigt.
Das Hilfsangebot aus Rom zum Wiederaufbau
lehnt der Rat der Stadt jedoch ab mit der Begründung:
Wir haben genug eigene Reserven,
um unsere Stadt innerhalb kürzester Zeit wieder zur Blüte zu führen:
Die Stadt ist reich und hat genug und braucht nichts (vgl. 3,7).

Das Selbstbewusstsein der Stadt Laodizea
hat sich auf die christliche Gemeinde übertragen.
Bei einer christlichen Gemeinde in einer großartigen Stadt
wird es sich doch wohl auch um eine großartige Gemeinde handeln.
Wir sind reich und haben genug und brauchen nichts.

Das Urteil des Auferstandenen über die Gemeinde in Laodizäa
wird in einem drastischen Bild ausgedrückt:
Sie ist zum Ausspeien, um nicht noch Schlimmeres zu sagen.
Satt und scheinbar autark, sich selbst genug und überheblich.
Für den Herrn der Kirche ist wohl kein Platz vorgesehen.
Er steht mit den Wohlstandsverlierern vor verschlossenen Türen
und klopft sich die Fingerknöchel blutig.

Hart nimmt er die Gemeinde ran:
Du glaubst du bist reich, weil bei dir der Handel floriert?
Du bist nicht reich, arm bist du!
Du glaubst, du hast den totalen Durchblick,
weil deine berühmten Augenheilkundigen
allerlei Pillen und Salben herstellen?
Du hast keinen Durchblick, blind bist du!
Du glaubst, du trägst die beste Kleidung, ganz nach der neuesten Mode?
Du bist nicht elegant gekleidet, bloß und nackt bist du!
Die Vorwürfe dringen bis ins Mark:
Du weißt (noch) nicht (einmal),
dass du (vor meinen Augen) elend und jämmerlich bist,
arm, blind und bloß.

Stellen Sie sich das einmal vor, liebe Gemeinde,
über Sie, die Menschen in Mannheim, hieße es:

Mannheim, du rühmst dich,
weil du Daimler und Bombardier beherbergst
und führend bist in der Elektro- und Maschinenbauindustrie?
In Wahrheit gehst du zu Fuß!
Du glaubst, du kannst dir etwas einbilden auf deine Versicherungswirtschaft? Allein und verlassen bist du! Unterversorgt und unterversichert.
Du glaubst, du hast mit dem Duden die Deutungshoheit über die deutsche Sprache?
Eine Analphabetin bist du!

Der Ankläger kennt die besonders empfindlichen Punkte,
und er legt den Finger in die Wunde.
Er kritisiert einen Glauben, der keine Früchte trägt,
eine zur Schau getragene christliche Existenz,
die eher ein schmückendes Beiwerk für Bürgerstolz ist
als wärmender und stärkender Antrieb für Herz, Mund und Hände.
Es ist die Kritik an einer Gemeinde, die sich eher mit der Leistung
und dem Wohlstand der eigenen Metropole identifiziert
als mit deren Schattenseiten und Abgründen
und mit der Vorläufigkeit, der Ratlosigkeit,
den Problemen in den christlichen Reihen. 

Solche Kritik trifft – und sie trifft auch uns. Denn: Sind wir nicht auch oftmals selbstgewiss wie die Laodizäer?
Unsere Erfolge können sich sehen lassen.

Trotz der in Europa wütenden Krise haben wir eine beachtlich niedrige Arbeitslosenquote.
Die Wirtschaft läuft. Es geht uns gut; jedenfalls besser als 95% der Weltbevölkerung.
Wir schaffen die Praxisgebühr wieder ab, weil die Krankenkassen einen Überschuss erwirtschaftet haben.

Doch unter dieser Oberfläche, hinter dieser Fassade ist ganz und gar nicht alles gut.

Reich sind wir als Gesellschaft, ja, aber mitten unter uns gibt es Menschen, die existenziell ausgrenzt und in bitterer Armut leben.
Unser Gesundheitssystem ist eines der höchstentwickelten der Welt, nur gesund sind wir deshalb noch lange nicht:
Zivilisationskrankheiten nehmen zu – Übergewicht, Burn out – und sich längerfristig auszukurieren,
traut sich kaum noch jemand aus Angst, seinen Job zu verlieren. Gigantische Werbeflächen präsentieren die neue Winterkollektion
der Modeindustrie, wohlig wärmend und ungeheuer sexy; und darunter kauert bereits ein Obdachloser, arm und so garattraktiv, ein mittelloser Mensch,
der zu den ersten Kältetoten dieses Winters gehören wird.

Gott legt den Finger in die Wunde:
Es gibt etwas, das tiefer liegt.
Etwas, das du leicht übersiehst und verdrängst.
Probleme, die du verschweigst oder ignorierst.
Das gilt für unsere gesamte Gesellschaft, und das gilt für unsere individuellen Lebenssituationen.

Was bereitet mir unterschwellig Probleme, wovon möchte ich lieber schweigen?
Eine gescheiterte Beziehung, das schlechte Gewissen, sich kaum um Familie und Freunde zu kümmern, geschweigedenn um den arbeitslosen Nachbarn,
die alten Eltern, die sich im Pflegeheim über jeden Besuch freuen, die Anzeichen des eigenen Alterns, die ich nicht wahrhaben will.

Gott schaut hinter meine Fassade. Nicht um mich zu quälen.
Er sagt: Welche ich lieb habe, die weise ich zurecht und züchtige ich.
Er hätte sich auch enttäuscht abwenden können, als er feststellte, dass ihm die Christen in Laodizea aufstießen wie laue Suppe im kalten Winter. Doch er nimmt einen neuen Anlauf, sie zu erreichen.

Und der Ton in seiner Ansprache verändert sich.
Es geht weiter an die konkreten Probleme der Gemeinde.
Nun jedoch nicht mehr anklagend und aufdeckend,
sondern in helfender und heilender Weise:

Ich rate dir, dass du Gold von mir kaufst, das im Feuer geläutert ist,
damit du reich werdest, und weiße Kleider [von mir],
damit du sie anziehst und die Schande deiner Blöße nicht offenbar werde,
und Augensalbe [von mir], deine Augen zu salben, damit du sehen mögest.

Das, was du für Reichtum hältst, ist längst nicht alles.
Gemessen an dem, was du von mir bekommst, bist du arm.
Ich habe im Feuer geläutertes Gold.
Das, was du für elegante Kleider hältst,
kann deine Blöße nicht wirklich bedecken.
Du hast schwarzes Tuch für deinen Körper,
doch ich habe weiße Kleider, die auch deine Seele wärmen.
Die Augensalbe deiner Heilmeister mag Linderung verschaffen,
doch sie hilft dir nicht, um in die Tiefe zu schauen.
Ich habe Salbe, die dich wahrhaft sehen lässt:
Das Heil der Welt und das Elend der Armen.

Lass dir von mir helfen,
lass dich von mir aufrichten,
sei nicht so schnell mit allem zufrieden,
setze dich nicht zu schnell zur Ruhe,
und hol die Suppe nicht zu früh vom Herd!

Das, liebe Gemeinde, ist die Botschaft Gottes am Buß- und Bettag.
Das schreibt der Auferstandene unserem Engel ins Stammbuch,
das gibt er ihm auf den Weg zu uns mit:
Bei mir findest du die Fülle.
Bei mir findest du, was du brauchst:
Gold, das im Feuer geläutert ist.
Reiches Leben, das dich und andere trägt.
Niemand wird aussortiert, jeder wird mitgetragen
und alles gewinnt im Laufe der Zeit an Bedeutung.
Wer arm ist, bleibt nicht arm,
und wer reich ist, lernt seinen Reichtum neu zu schätzen.
Diese Verheißung lässt uns nicht kalt
und vor allem nicht untätig
angesichts der ungeheuren faktischen Armut in der Welt.

Weiße Kleider, damit die Schande deiner Blöße nicht offenbar werde.
Weiße Kleider tragen Täuflinge.
Sie symbolisieren die Reinheit und die Vergebung der Sünden,
die in der Taufe gewährt wird.
Durch die Taufe beginnt mit Jesus ein neues Leben.
Der Mensch ist befreit zum Leben mit Gott.
Diese Verheißung schmeckt nicht lau.
Sie ist heiß und stark und wärmt Leib und Geist.
Sie macht lebendig und aufmerksam für die eigene Schuld.
Als Einzelne, weil wir andere enttäuschen oder verletzen.
Als Gesellschaft, weil wir es einfach nicht schaffen,
die Schöpfung Gottes wohlbehalten unseren Kindern zu übergeben.

Augensalbe, damit du sehen mögest.
Gott geht es um das Durchschauen.
Das Begreifen der Welt mit allen Sinnen
und das Verstehen ihres tiefsten Grundes und ihrer innersten Bestimmung.
Solchermaßen hellsichtig und einsichtig
lässt uns die schreiende Ungerechtigkeit in unserer eigenen Stadt
und der Blick auf die globalen Märkte nicht kalt.
In Gottes Gesichtsfeld ist jeder Kaffeebauer in Guatemala unser Nächster
und jeder Mensch ohne Obdach ein willkommener Gast
in einer der Suppenküchen und Übernachtungsquartiere der Stadt.

Das sind die Heilsgüter Gottes,
die er den Christen in Laodizea anbietet.
Das soll der Engel verkünden.
Engelsbotschaft, Post aus dem Himmel: 
Gott nimmt sich unserer Probleme an,
Gott sieht mein Leben und verwandelt es heilvoll.

Gott steht selbst vor der Tür. Und er klopft:
Siehe, ich stehe vor der Tür und klopfe an.
Es zieht ihn zu uns.
Und er lässt sich durch verschlossene Türen nicht abhalten.

Hören wir auf sein Klopfen, liebe Gemeinde.
Lassen wir ihn ein und empfangen ihn mit heißer Liebe,
Brennen wir für seine Welt. Sagen wir ihm:
„Uns lässt so schnell nichts kalt.
Lauwarme Suppe, gibt es bei uns nicht.
Denn du, der Auferstandene, sitzt selbst mit am Tisch!“

Amen.