Kompetenzen und Standards für den Evangelischen Religionsunterricht in der Sekundarstufe I

Ein Orientierungsrahmen, EKD-Texte 111, 2011

5. Entfaltung der Kompetenzen als Weg zu Bildungsstandards für den Evangelischen Religionsunterricht

Bildungsstandards haben die Funktion zu messen, in welchem Maße eine bestimmte Kompetenz erworben worden ist. Sie geben eine Norm auf unterschiedlichen Niveaustufen vor. Es gibt Mindeststandards, die von allen Schülerinnen und Schülern erreicht werden sollen, Regelstandards, die im Durchschnitt erreicht werden sollen, und Maximalstandards, deren Erreichen nur für wenige erwartet wird – in allen drei Fällen bezogen auf einen bestimmten Zeitpunkt wie etwa das Ende von Klasse 10 (vgl. "Konzeption der Kultusministerkonferenz zur Nutzung der Bildungsstandards für die Unterrichtsentwicklung" vom 10.12.2009). Da für den Religionsunterricht noch keine empirischen Erhebungen zum Kompetenzerwerb verfügbar sind, fallen präzise Einschätzungen zu den im Folgenden vorgeschlagenen Standards naturgemäß schwer. Daher legt es sich nahe, zunächst von Regelstandards auszugehen, deren genauere Bestimmung aber der künftigen Arbeit vorbehalten bleiben muss.

Es besteht heute weithin Einigkeit darüber, dass sich Standards auf bestimmte Kompetenzen beziehen müssen, die ihrerseits aus Bildungszielen resultieren. Weiterhin gilt, dass sich Standards nicht allein theoretisch festlegen lassen, weil sie sonst ihrer Funktion des Messens nicht gerecht werden können. Schließlich bedingt die Funktion von Standards auch ihre Operationalisierbarkeit, weil sonst empirische Prüfungen ausgeschlossen wären.

Für den Evangelischen Religionsunterricht fehlt es bislang weithin an den entsprechenden wissenschaftlichen Voraussetzungen für Bildungsstandards, insbesondere im Blick auf empirische Grundlagen. Da trotzdem zumindest in einem Teil der Bundesländer Bildungsstandards auch für den Evangelischen Religionsunterricht formuliert werden sollen oder sogar formuliert werden müssen, soll im Folgenden zumindest der Weg beschrieben werden, auf dem im Ausgang von den acht genannten Kompetenzen (vgl. Kap 4) Bildungsstandards formuliert werden können. Dabei soll auch der für den Evangelischen Religionsunterricht kennzeichnende Bezug auf bestimmte Inhalte oder Inhaltsbereiche deutlich gemacht werden.

Im Folgenden werden zu jeder der acht Kompetenzen mögliche Standards genannt. Als ein offener Orientierungsrahmen ermöglichen sie ein flexibles Eingehen auf unterschiedliche schulische Zusammenhänge. Allgemein werden mit der Formulierung von Kompetenzerwartungen in den Bildungsstandards für die Länder wie für jede Schule Verbindlichkeiten festgelegt und zugleich Freiräume eröffnet. In der Weiterarbeit müssen die hier gewählten Formulierungen präzisiert und operationalisierbar gemacht werden. Ferner wollen und können die angebotenen Bildungsstandards keineswegs den gesamten Religionsunterricht abdecken. Sie benennen vielmehr nur das, was Schülerinnen und Schüler zu einem bestimmten Zeitpunkt – im vorliegenden Fall: nach zehn Jahren Religionsunterricht – können sollen und was zugleich messbar ist.

  1. Den eigenen Glauben und die eigenen Erfahrungen wahrnehmen und zum Ausdruck bringen sowie vor dem Hintergrund christlicher und anderer religiöser Deutungen reflektieren.
    • Die Schülerinnen und Schüler können die grundlegende Bedeutung des Glaubens für ihr eigenes Leben und für das Leben anderer wahrnehmen und darüber kommunizieren.
    • Die Schülerinnen und Schüler können ihre persönlichen Vorstellungen von Gott und von Jesus Christus zum Ausdruck bringen und können die eigenen Vorstellungen mit anderen Gottes- und Christusbildern vergleichen.
    • Die Schülerinnen und Schüler können positive und negative Erfahrungen im eigenen Leben wahrnehmen und beschreiben.
    • Die Schülerinnen und Schüler können ihren Glauben und ihre Erfahrungen vor dem Hintergrund christlicher und anderer religiöser Deutungen reflektieren.
  2. Grundformen biblischer Überlieferung und religiöser Sprache verstehen.
    • Die Schülerinnen und Schüler können mit der Bibel umgehen und zentrale biblische Überlieferungen vor dem Hintergrund historischer Zusammenhänge deuten.
    • Die Schülerinnen und Schüler können biblische und religiöse Sprachformen im Unterschied zu anderen Formen des sprachlichen Ausdrucks erkennen, deuten und gebrauchen.
  3. Individuelle und kirchliche Formen der Praxis von Religion kennen und daran teilhaben können.
    • Die Schülerinnen und Schüler kennen Möglichkeiten der Gestaltung religiöser Praxis im Leben einzelner Menschen.
    • Die Schülerinnen und Schüler können die kirchlichen Praxi von Religion, besonders bei der gottesdienstlichen Gestaltung von Festen im Kirchenjahr, verstehen und sich daran beteiligen.
  4. Über das evangelische Verständnis des Christentums Auskunft geben.
    • Die Schülerinnen und Schüler können die Grundlagen des christlichen Glaubens verstehen und im Gespräch interpretieren.
    • Die Schülerinnen und Schüler können Brennpunkte der Christentumsgeschichte darstellen und dazu einen begründeten eigenen Standpunkt einnehmen.
    • Die Schülerinnen und Schüler können das ökumenische Selbstverständnis der evangelischen Kirche erläutern.
    • Die Schülerinnen und Schüler können zwischen Aussagen des Glaubens und der Naturwissenschaft unterscheiden und sie zueinander ins Verhältnis setzen.
  5. Ethische Entscheidungssituationen im individuellen und gesellschaftlichen Leben wahrnehmen, die christliche Grundlegung von Werten und Normen verstehen und begründet handeln können.
    • Die Schülerinnen und Schüler können Situationen im individuellen und gesellschaftlichen Leben in ihrer ethischen Bedeutung wahrnehmen und eigene Entscheidungen ethisch begründen.
    • Die Schülerinnen und Schüler können die Bedeutung der Gottebenbildlichkeit als Begründung von Menschenwürde erläutern und sie auf aktuelle gesellschaftliche Kontroversen beziehen.
    • Die Schülerinnen und Schüler können Ursachen und Formen von Aggression, Gewalt und zerstörerischem Handeln erläutern, die christliche Friedens- und Umweltethik darauf beziehen und ein begründetes ethisches Urteil formulieren.
    • Die Schülerinnen und Schüler können erläutern, wie Christen Verantwortung für sich und andere wahrnehmen (Diakonie) und sich im Widerstand gegen Unrecht politisch engagieren.
  6. Sich mit anderen religiösen Glaubensweisen und nicht-religiösen Weltanschauungen begründet auseinandersetzen, mit Kritik an Religion umgehen sowie die Berechtigung von Glaube aufzeigen.
    • Die Schülerinnen und Schüler können zwischen religiösen Glaubensweisen und nicht-religiösen Weltanschauungen unterscheiden und sie beurteilen.
    • Die Schülerinnen und Schüler können Gemeinsamkeiten und Unterschiede im Blick auf Kirchen und Konfessionen, das Verhältnis zwischen Christentum, Judentum und Islam sowie, nach Möglichkeit, hinsichtlich weiterer Religionen benennen und ihre Bedeutung einschätzen.
    • Die Schülerinnen und Schüler können Hoffnung und Vertrauen aus christlichem Glauben unterscheiden von konsumorientierten Glücksverheißungen, esoterischen Sinnangeboten und neo-religiösen Erlösungspraktiken und können ihre Bedeutung für das individuelle und gesellschaftliche Leben beurteilen.
    • Die Schülerinnen und Schüler können sich mit religionskritischen Anfragen an den Glauben und mit alltäglicher Ablehnung von Religion auseinandersetzen.
  7. Mit Angehörigen anderer Religionen sowie mit Menschen mit anderen Weltanschauungen respektvoll kommunizieren und kooperieren.
    • Die Schülerinnen und Schüler können sich bei Begegnungen mit Angehörigen anderer Religionen oder mit anderen weltanschaulichen Überzeugungen tolerant, respektvoll sowie dialogisch verhalten.
    • Die Schülerinnen und Schüler können die Forderung nach religiöser Toleranz als Folge des christlichen Glaubens begründen.
  8. Religiöse Motive und Elemente in der Kultur identifizieren, kritisch reflektieren sowie ihre Herkunft und Bedeutung erklären.
    • Die Schülerinnen und Schüler können den Einfluss der christlichen und jüdischen Tradition auf das individuelle und gesellschaftliche Leben identifizieren und an Beispielen erläutern.
    • Die Schülerinnen und Schüler können Motive aus Bibel und christlicher Tradition in Musik, darstellender Kunst, Film, Literatur oder populärer Kultur entdecken und ihre Bedeutung erklären.
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