Kompetenzen und Standards für den Evangelischen Religionsunterricht in der Sekundarstufe I

Ein Orientierungsrahmen, EKD-Texte 111, 2011

6. Einbettung in die curriculare und religionsdidaktische Arbeit

Im Religionsunterricht besteht ein enger Zusammenhang zwischen den Kompetenzen, die Schülerinnen und Schüler dort erwerben können, und den Inhalten, um die es in diesem Fach geht. Vor dem Hintergrund situativer Herausforderungen kommt es darauf an, die Standards inhaltlich zu konkretisieren und ihnen angemessene Formen des Lernens zu finden. Über die Kompetenzen und Inhalte hinaus sind für die Qualität des Religionsunterrichts in der Sekundarstufe I noch weitere Dimensionen ausschlaggebend, die Lehrerinnen und Lehrer bei der Unterrichtsgestaltung bewusst berücksichtigen sollten: die Jugendlichen in einem spezifischen Entwicklungsalter und einer besonderen Lebenssituation, auf die bereits hingewiesen wurde (vgl. Kap. 2), sowie Kommunikationsund Arbeitsformen, Methoden und Medien, der Umgang mit Raum und Zeit. Der Erwerb von Kompetenzen und das Erreichen der Standards sind in dieses mehrdimensionale Gefüge eingebettet.

6.1 Kompetenzen und curriculare Inhalte

Die beschriebenen grundlegenden Kompetenzen für den Evangelischen Religionsunterricht sind nicht denkbar ohne bestimmte inhaltsbezogene Kenntnisse, die sich zu einem großen Teil auf das Christentum, aber auch auf weitere Themen beziehen. Die vorgeschlagenen Bildungsstandards weisen einen engen Bezug zu theologischen Themenfeldern auf. Das notwendige Pendant zu Kompetenzen und am Outcome orientierten Standards stellt ein Curriculum dar, das am Input ansetzt, bei der Auswahl der Inhalte und Themen. Es benennt grundlegende Inhalte des Faches, die in ihren elementaren Strukturen zu erschließen sind und dabei dem schrittweisen Aufbau der beschriebenen Kompetenzen dienen.

Die curricularen Inhalte sind nicht einfach ein schulbezogenes Abbild der wissenschaftlichen Theologie. Vielmehr zeigt die Formulierung der vorgeschlagenen Standards, dass ihnen eine wechselseitige Erschließung zwischen der Sache und den Schülerinnen und Schülern zugrunde liegt. Bildungsstandards und Inhalte des Evangelischen Religionsunterrichts beruhen darauf, dass Perspektiven des christlichen Glaubens in der Begegnung und Auseinandersetzung mit den Erwartungen und Bedürfnissen von Jugendlichen, der christlichen Überlieferung und Lehre, anderen Religionen und Weltanschauungen sowie kulturellen und gesellschaftlichen Zusammenhängen im globalen Horizont zur Sprache kommen.

Die vorgeschlagenen Bildungsstandards schöpfen die damit angezeigten Möglichkeiten nicht aus, sondern benennen wesentliche Schwerpunkte als Orientierungsrahmen. Die Arbeit an einem Curriculum muss demgegenüber zu weiteren Konkretionen kommen, sei es für den Bereich eines Bundeslandes oder für eine bestimmte Schule (Schulcurriculum).

Bei der Ausarbeitung eines solchen Curriculums sowie beim Einsatz kompetenzorientierter Formen des Unterrichtens muss auch bewusst bleiben, dass die Jugendlichen immer schon über bestimmte Kompetenzen verfügen. Eine allein defizitorientierte Beschreibung würde dem von vornherein nicht gerecht und damit auch die Lern- und Orientierungsbedürfnisse der Jugendlichen verfehlen.

6.2 Kompetenzen und Standards im weiteren religionsdidaktischen Horizont

Bei den Fähigkeiten, die Schülerinnen und Schüler im Religionsunterricht erwerben sollen, kann man auch von Zielen sprechen, die dieser Unterricht verfolgt. Insofern ist die Frage nach Kompetenzen religionsdidaktisch nicht etwas völlig Neues, sondern sie macht einen Aspekt bewusst, der im Unterricht immer schon eine Rolle spielte. Im Zusammenhang der gegenwärtigen Diskussion über Qualitätsfragen verdient dieser Aspekt aber besondere Aufmerksamkeit. Man blickt stärker auf den Output von Unterricht, also auf Standards, mit deren Hilfe sich Lernergebnisse messen lassen, und zwar für alle Jugendlichen – im vorliegenden Falle am Ende der 10. Klasse – in einem national und international vergleichbaren Rahmen. Hinsichtlich der Lehrpläne ist damit ein Perspektivenwechsel verbunden, denn notwendig sind relativ übersichtliche kompetenzorientierte Kernlehrpläne. Sie haben den "Outcome" im Blick und beschreiben nicht mehr so stark wie bisherige Lehrpläne den Input von Inhalten und Gestaltungsformen. Aus dieser Perspektive ergeben sich für die Fachkonferenzen vor Ort, also auch die Religionslehrerinnen und Religionslehrer, ein Freiheitsgewinn und neue Herausforderungen. Mit welchen Themen und Gestaltungsformen des Unterrichts sie die angezielten Kompetenzen erreichen wollen, können die Fachkonferenzen bzw. die einzelnen Lehrerinnen und Lehrer in stärkerem Maße als bisher selbst entscheiden. Damit sind auch Chancen der besonderen Profilierung des Evangelischen Religionsunterrichts in der jeweiligen Schule verbunden. Es wird darauf ankommen, dass schulinterne Lehrpläne die gewonnenen religionspädagogischen Gestaltungsfreiräume und die grundlegenden Kompetenzen und Standards in eine didaktisch sinnvolle Beziehung setzen.

Aus fachdidaktischer Sicht stellen die beschriebenen Kompetenzen unerlässliche Ziele dar (Produktqualität), aber die Wege, auf denen sich diese Ziele erreichen lassen, sind für die Qualität des Religionsunterrichts von ebenso großer Bedeutung (Prozessqualität). In pädagogischen Prozessen sind Mittel und Zwecke, Wege und Ziele nicht voneinander zu trennen. Damit erweitert sich der didaktische Horizont und bezieht die Qualität der Lernprozesse ein, die im Religionsunterricht zu erreichen ist. Die beschriebenen grundlegenden Kompetenzen erwerben Schülerinnen und Schüler langfristig, im Verlauf der gesamten Schulzeit und – im Blick auf die Bildungsstandards für das Ende der 10. Klasse – besonders in der Sekundarstufe I. Dazu sind systematisch geplante kumulative Lernprozesse nötig (Sequenzialität). Daher empfiehlt es sich, bei der didaktischen Entfaltung von Inhalten und Themen des Religionsunterrichts die von ihnen berührten Kompetenzen und Standards jeweils auszuweisen. Hier wird es sich immer um Schwerpunkte handeln, die Teilaspekte der grundlegenden Kompetenzen darstellen. Verteilt über die gesamte Sekundarstufe I ergibt sich daraus aber ein spiralförmiger Verlauf von Anbahnung, Aufbau, Einübung, Festigung und Internalisierung der Kompetenzen. Unerlässliche Voraussetzung dafür ist, dass der Religionsunterricht regelmäßig stattfindet.

Sorgfältige Beachtung verdienen darüber hinaus die Lernformen. Denn auch für guten Religionsunterricht gilt: Nur die eigene Aktivität der Schülerinnen und Schüler beim Lernen fördert Kompetenzen. Gerade im Bereich von Religion und Glaube ist Lernen dann besonders fruchtbar, wenn es auf eigenes Entdecken zurückgeht und auf eine aktive Auseinandersetzung mit Fragen und Widersprüchen. Dazu brauchen die Schülerinnen und Schüler Anregungen von außen, etwa komplexere Lernaufgaben, deren Bewältigung möglichst mehrere Kompetenzen berührt. Dem entspricht ein Religionsunterricht, der verschiedene Formen des Lernens mit vielfältigen Methoden berücksichtigt und über unterschiedliche Medien Zugänge zu religiösen Fragen eröffnet. Nicht zuletzt ist ein projektorientierter Religionsunterricht, der die Rahmenbedingungen des Lernens in räumlicher, zeitlicher und sozialer Hinsicht erweitert, für den Erwerb der grundlegenden Kompetenzen förderlich. Dies setzt nicht nur auf der Seite der Unterrichtenden kritisches Methodenbewusstsein und methodische Handlungskompetenz voraus. Auch bei den Schülerinnen und Schülern sollte der Religionsunterricht auf Methodenbewusstsein und Methodenkompetenz hinarbeiten, damit die eigenen Aktivitäten tatsächlich zu selbstständigem und selbstbestimmtem Lernen führen.

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