Andacht im Deutschen Bundestag

am 08. November 2019

Liebe Schwestern und Brüder,

 

lassen Sie uns einige Augenblicke den Bibelvers betrachten, der als Wochenspruch über dieser Woche steht. Im Buch des Propheten Micha heißt es im 6. Kapitel: „Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist und was der Herr von dir fordert: nichts als Gottes Wort halten und Liebe üben und demütig sein vor deinem Gott.“

 

„Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist...“ Du kannst also nicht behaupten, du hättest nicht gewusst, was gut ist und was böse. Du kannst dich auch nicht damit herausreden, dass du sagst, die Welt sei so kompliziert geworden. Da sei es nicht mehr möglich, zwischen gut und böse zu unterscheiden. Es ist dir gesagt, was gut ist. Gott hat es dir gesagt.

 

Und was ist gut?

 

„Gottes Wort halten.“  übersetzt Martin Luther. Die katholische Einheitsübersetzung der Bibel gibt den hebräischen Text präziser wieder: „Recht tun“. Gott ist ein Liebhaber des Rechts. Insbesondere will er, dass das Recht der Schwachen geschützt wird. Dass Menschen, die vor Krieg, Terror und Hunger geflüchtet sind, ein faires Asylverfahren durchlaufen können. Dass Menschen, die in fernen Ländern für uns Kaffee anbauen oder Textilien weben und färben, dabei ihre Gesundheit nicht ruinieren und für ihre Arbeit einen fairen Lohn erhalten. Dass neben dem Selbstbestimmungsrecht von Müttern das Lebensrecht ihrer ungeborenen Kinder wahr- und ernstgenommen wird. Dass sterbende Menschen Zeit und Raum zu einem menschenwürdigen Sterben haben…

 

Das andere ist dies: „Liebe üben“.  Die Liebe fragt beharrlich nach, ob das Recht auch wirklich den Menschen dient. Denn manchmal kommt es vor, dass das nicht der Fall ist. Wie zum Beispiel in der Geschichte vom Ährenraufen am Sabbat. Weil sie hungrig sind, reißen die Jünger Jesu Ähren aus und füllen mit den Getreidekörnern ihre knurrenden Mägen. Das Recht sagt mit guten Gründen: Am Sabbat ist das verboten. Da hat alle Arbeit zu ruhen. Jesus sagt: Der Sabbat ist für den Menschen gemacht und nicht der Mensch für den Sabbat. „Liebe üben.“ So versteht sich heute die Praxis des Kirchenasyls. Die Kirchen stellen sich damit nicht über das Recht, sondern sie melden sich zu Wort, wenn sie glauben: In diesem oder jenem Einzelfall bedeutet das geltende Recht für die Betroffenen eine besondere humanitäre Härte. Und sie bitten den Staat, seine Entscheidung unter diesem Gesichtspunkt noch einmal zu überprüfen…

 

Und schließlich: „Demütig sein vor deinem Gott.“  Auch hier folge ich lieber der katholischen Bibelübersetzung: „achtsam mitgehen mit deinem Gott.“ Es ist gut, achtsam mit unserem Gott mitzugehen. In der Bibel lesen wir, wohin er vorzugsweise geht: zu denen, die leicht übersehen werden; zu denen, denen ihr Leben entglitten ist; zu denen, die sich schuldig gemacht haben; zu den Kranken und Sterbenden. Ihnen soll deshalb auch unsere Aufmerksamkeit gelten und sie sind in besonderer Weise in den Blick zu nehmen, wo Gesetze gemacht werden.

 

„Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist und was der Herr von dir fordert: nichts als Gottes Wort halten und Liebe üben und demütig sein vor deinem Gott.“  Oder: Recht tun, Liebe üben und achtsam mitgehen mit deinem Gott. Wir sind also gut orientiert. Gott sei Dank!

 

Lasst uns beten:

Du, unser Gott, du hast uns wissen lassen, was du von uns erwartest. Dafür danken wir dir. Wir bitten dich um deinen Geist, auf dass wir deinen Willen im Alltag auch tun.

Wir bitten dich für alle, die aus der Bahn geraten sind:

Für die Menschen, die straffällig geworden sind, dass sie zu einem geordneten Leben zurückfinden.

Für alle, die unter einer schweren Erkrankung leiden, dass sie daran nicht verzweifeln.

Für alle, die einen vertrauten Menschen verloren haben, dass sie nicht zerbrechen.

Wir bitten dich für alle, die unter Ungerechtigkeit leiden und alle, die in ihrem Leben keine Güte erfahren:

Für die Menschen, die sich abmühen und keinen gerechten Lohn erhalten, dass sie bekommen, was ihnen zusteht.

Für alle Kinder, die misshandelt und missbraucht werden, dass die Qualen ein Ende nehmen.

Für alle Paare, die einander nur noch ihre Versäumnisse vorhalten, dass sie die Güte neu lernen.

Und wir bitten dich für deine Kirche, in unserem Land und auf der ganzen Welt, dass sie den Menschen unmissverständlich deine Güte und deinen Willen bezeugt.

Darum bitten wir durch Jesus Christus, unsern Herrn und beten mit seinen Worten:

 

Vater unser