Zum Umgang mit Menschen ohne Aufenthaltspapiere

5. Wie können Gemeinden helfen?

In der Regel treten Menschen ohne Aufenthaltspapiere erst dann mit der Bitte um Unterstützung an Gemeinden oder andere kirchliche Einrichtungen heran, wenn ihre Netzwerke nicht mehr ausreichend tragfähig sind oder wenn sie von konkreten Hilfsmöglichkeiten erfahren haben.

Neben der vom Evangelium gebotenen Beistandspflicht sind Kriterien für kirchliche Hilfeleistung an Einzelne zum einen die Bedürftigkeit der Betroffenen und auf der anderen Seite die zur Verfügung stehenden Hilfsmöglichkeiten der kirchlichen Einrichtungen.

„Illegalität” vermeiden

Die beste Lösung ist, „Illegalität” zu vermeiden. Deshalb ist es ein kirchliches Anliegen, die Ursachen zu bekämpfen, die Menschen in eine illegale Aufenthaltssituation führen, oder ihnen einen Weg aus der Illegalität zu weisen. Dies wird bei dem genannten Personenkreis allerdings nur in Ausnahmefällen gelingen:

Bei Menschen, die einmal einen legalen Aufenthalt oder zumindest eine Duldung besaßen, deren Aufenthalt inzwischen aber illegal geworden ist, ist eine Legalisierung unter Umständen möglich. Das sollte vorrangig in Zusammenarbeit mit einer im Asyl- und Ausländerrecht erfahrenen Rechtsanwaltskanzlei oder einer auf das Ausländerrecht spezialisierten Beratungsstelle geklärt werden. Sofern im Falle einer Abschiebung Gefahr für Leib und Leben oder sonstige schwere Menschenrechtsverletzungen drohen, wäre zu prüfen, ob die Bemühungen um Legalisierung vorübergehend durch ein „Kirchenasyl” unterstützt werden können. „Kirchenasyl” bezeichnet die zeitlich begrenzte Aufnahme von Asylbewerbern und Flüchtlingen in kirchlichen Räumen, bei der durch den Zeitaufschub eine Überprüfung staatlichen Vollzugshandelns humanitären und rechtlichen Bedenken Raum geben soll [13].

In vielen Fällen ist eine Legalisierung jedoch nahezu ausgeschlossen. Doch auch dann kann Hilfe nötig und möglich sein.

Seelsorge, Beratung, Gemeindeleben

Menschen ohne Aufenthaltspapiere, die sich an eine Kirchengemeinde mit der Bitte um Hilfe wenden, können nicht immer einschätzen, welche Hilfsmöglichkeiten einer Gemeinde zur Verfügung stehen. Die Gemeinde mag ein letzter Strohhalm sein, an den sich die Hilfesuchenden klammern. Deshalb ist es wichtig, deutlich die Möglichkeiten und Grenzen der Hilfe aufzuzeigen.

Eine wichtige Form der Hilfe ist die Unterstützung bei der Wahrnehmung von grundlegenden Rechten wie Zugang zu medizinischer Versorgung, Kindergarten- und Schulbesuch der Kinder, Versorgung mit Obdach, Nahrung und Kleidung, Schutz für die Opfer von kriminellen Übergriffen oder Lohnbetrug.

Manche Problemstellungen werden die Kapazitäten einer Gemeinde überfordern. Die Gemeinde kann aber in solchen Situationen dazu beitragen, sachkundige Ansprechpartner zu finden, die ggf. weiterhelfen können, und den Kontakt zu ihnen vermitteln, z.B. zu:

  • Migrationsberatungsstellen der Diakonie oder anderer freier Träger;
  • Rechtsanwälten und Rechtsanwältinnen, die auf ausländerrechtliche Fragen spezialisiert sind;
  • Sozialberatungsstellen und Obdachloseneinrichtungen;
  • Büros für medizinische Flüchtlingshilfe oder andere Initiativen, die medizinische Hilfen für Menschen ohne Aufenthaltspapiere vermitteln;
  • Fachdiensten, die bei psychischen Erkrankungen, Traumatisierungen u. ä. Hilfen anbieten.

Solche Fachberatungsstellen sind jedoch häufig nicht in der Lage, längerfristig eine individuelle Betreuung einzelner Personen oder Familien zu leisten. An dieser Stelle können wiederum Ehrenamtliche in den Gemeinden wichtige Aufgaben in Absprache mit den Fachberatungsstellen übernehmen. Wie die Zusammenarbeit im Einzelfall aussieht, sollte zuvor konkret abgesprochen werden.

Sowohl Pfarrer und Pfarrerinnen als auch Gemeindemitglieder können zu Personen des Vertrauens für Menschen ohne Aufenthaltspapiere werden. Sie können den seelsorglichen Auftrag der Gemeinde wahrnehmen, indem sie die Sorgen, Nöte, Erfahrungen und Geschichten der Menschen anhören, mit ihnen über realistische Perspektiven nachdenken, ihre Selbstverantwortung achten und ihnen mit Nächstenliebe und Respekt begegnen. Zur Erarbeitung einer realistischen Perspektive kann auch gehören, die Chancen für eine Rückkehr zu prüfen und zu klären, ob eine legale Ausreise möglich ist.

Menschen ohne Aufenthaltspapiere sollten nicht auf die Rolle als Hilfebedürftige beschränkt werden. Häufig verfügen sie über fachliche Qualifikationen und reiche Lebenserfahrung. Sie können eine Bereicherung für das Gemeindeleben sein, wenn ihnen Gelegenheiten gegeben wird, ihrerseits etwas für die Gemeinde zu tun, z. B. bei Begegnungen mit Gemeindegliedern, an thematischen Gemeindeabenden, in ökumenischen Gottesdiensten, bei internationalem Kochen, Musik und vielem mehr.

Zugang zu medizinischer Versorgung

Kirchengemeinden können - nach Möglichkeit gemeinsam mit der Diakonie - bei der Sicherstellung von medizinischer Hilfe vermittelnd tätig werden. Als erstes sollte von einer Beratungsstelle geprüft werden, ob Ansprüche an Kostenträger bestehen. Ist dies nicht der Fall, können Ärzte im Umfeld der Gemeinde angesprochen werden, ob sie bereit sind, ohne Versicherungskarte zu behandeln. In manchen Städten gibt es auch Initiativen der medizinischen Flüchtlingshilfe, die in solchen Fällen eine Behandlung organisieren.

Behilflich sein können auch Krankenhausseelsorger und Krankenhausseelsorgerinnen. Oft kennen sie Ärzte, die zu einer Kooperation bereit sind und Rat geben können, wenn die anonyme Einweisung in ein Krankenhaus erforderlich ist. Ein Problem besteht dann, wenn die Kostenübernahme nicht gesichert ist. Manche Krankenhäuser versuchen, selbst in solchen Situationen zu helfen. Insbesondere konfessionelle Krankenhäuser sollten dies als Anfrage an ihr christliches Selbstverständnis verstehen. Bei akuten Fällen wird kein Krankenhaus die Aufnahme verweigern. Allerdings muss dann u. U. die Anonymität des Patienten aufgehoben werden.

Schulbesuch der Kinder ermöglichen

Häufig scheuen sich Eltern ohne Aufenthaltspapiere, ihre Kinder in der Schule anzumelden, weil sie befürchten, dass die Schulleitung, wenn sie davon Kenntnis erhält, dies an die Ausländerbehörde weitermeldet. Gemeinden sollten in solchen Fällen behilflich sein, den Kontakt zu einer Schule über Eltern oder Mitglieder des Kollegiums aufzunehmen, um die Möglichkeit einer Einschulung zu prüfen. In der Regel sollte es möglich sein, eine Schule zu finden, in der ein regulärer Unterrichtsbesuch stattfinden kann. Falls dies nicht zu erreichen ist, sollte überlegt werden, ob vorübergehend eine Unterrichtung der Kinder durch Gemeindeglieder privat organisiert werden kann.

Finanzielle Nothilfe, temporäre Unterbringung, Gästewohnung

Häufig nehmen Menschen ohne Aufenthaltspapiere erst in existentieller Not Kontakt zur Kirche und zum deutschen Hilfssystem auf. Mitunter genügt bereits eine geringe finanzielle Unterstützung, um den Alltag bewältigen zu können.

Nicht selten sind Menschen ohne Aufenthaltspapiere, die bei Gemeinden um Unterstützung nachsuchen, obdachlos und benötigen zunächst für eine begrenzte Zeit eine Unterkunft. Dort können sie zur Ruhe kommen, und zusammen mit ihnen kann überlegt werden, welche Probleme genau bestehen und welche konkreten Hilfen in ihrem Fall nötig und möglich sind. Kirchengemeinden sollten daher erwägen, ob sie für solche Fälle ein Gästezimmer oder eine Gästewohnung zur Verfügung stellen können. Es empfiehlt sich, eine kleine Betreuergruppe zu bilden, die sich um die aufgenommenen Personen kümmert und als Ansprechpartner zur Verfügung steht. Oft müssen finanzielle Mittel zur Versorgung der Aufgenommenen eingeworben werden. Auch dies kann Aufgabe einer Betreuergruppe sein. Um Begleitung und Kosten auf mehrere Schultern zu verteilen, sollte die Zusammenarbeit mit anderen Gemeinden und dem Kirchenkreis gesucht werden. Auch mit Einrichtungen der Diakonie können Absprachen über befristete Notaufnahmen getroffen werden.

Zugang zu Rechts- und Opferschutz

Wenn Menschen ohne Aufenthaltspapiere Opfer krimineller Übergriffe werden, wenn ihnen der Arbeitgeber den vereinbarten Lohn vorenthält, wenn sie nach einem Arbeitsunfall die zustehenden Versicherungsleistungen nicht erhalten, können sie sich zwar grundsätzlich an Polizei und Gerichte wenden, die ihnen ggf. auch zum Recht verhelfen werden. Möglicherweise riskieren sie aber damit, dass ihr illegaler Aufenthalt aufgedeckt wird. Dies muss jedoch nicht in jedem Fall geschehen. Insbesondere Zivil- und Arbeitsgerichte sind nicht verpflichtet, den Aufenthaltsstatus zu erheben. Bei Arbeitsgerichtsprozessen wird häufig auch der Prozessgegner daran interessiert sein, ungenannt zu bleiben. Auch sind die Ansprüche auf Lohn und auf Leistungen aus der gesetzlichen Kranken- und Unfallversicherung lediglich davon abhängig, ob ein Beschäftigungsverhältnis tatsächlich besteht, selbst wenn das Beschäftigungsverhältnis illegal ist. Besonders schwierig ist die Situation für Opfer von Menschenhandel und Zwangsprostitution. Sie stehen in der Regel unter dem Einfluss krimineller Organisationen, die von ihrer Ausbeutung profitieren. Wollen sie sich daraus lösen, können sie nur dann in Deutschland bleiben und Opferschutz in Anspruch nehmen, wenn sie bereit und in der Lage sind, in einem Strafverfahren als Zeugen auszusagen. Allerdings erhalten sie meist nur eine Duldung bzw. Aufenthaltserlaubnis für die Zeit des Strafverfahrens. Nach Ende des Prozesses können sie ausgewiesen und damit erneut einer Verfolgung durch die Täter ausgesetzt werden. Ihr Status orientiert sich noch immer nicht an ihrem persönlichen Bedürfnis nach Schutz, Beratung und sozialer Hilfe. Hier müsste dringend eine rechtliche Verbesserung geschaffen werden.

Gemeinden sollten in solchen Situationen mit Einverständnis der Betroffenen und unter Einbeziehung eines Rechtsanwalts vorab anonym zu klären versuchen, ob Rechtsansprüche bestehen, ob Strafanzeigen erstattet werden und unter welchen Bedingungen die Betroffenen Rechtsschutz erhalten können [14]. Auch auf diese Weise können Gemeinden dazu beitragen, dass Menschen ohne Aufenthaltspapiere zumindest in einem gewissen Umfang die ihnen zustehenden Rechte wahrnehmen können und nicht hilflos jeder Form von Ausbeutung, Misshandlung und Unterdrückung ausgesetzt bleiben.

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