Wenn Menschen sterben wollen - Eine Orientierungshilfe zum Problem der ärztlichen Beihilfe zur Selbsttötung

Ein Beitrag des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, EKD-Texte 97, 2008

4. Fazit

Das Problem des assistierten Suizids berührt Grundfragen des Verständnisses von Leben und Sterben des Menschen. Das betrifft immer auch das Verständnis des je eigenen Lebens und Sterbens. In christlicher Perspektive geht es hier um die Frage, ob man dieses im Sinne eines Sich-führen-Lassens begreifen kann, auch im Falle einer schweren, zum Tode führenden Erkrankung mit allem, was sie an Leiden und Abhängigkeit von anderen bedeutet, und ob der assistierte Suizid in dieser Sicht eine mögliche Option sein kann. Das betrifft ebenso die Sicht, die andere auf ihr Leben haben, und den Respekt, der dieser Sicht geschuldet ist. Und es betrifft das gesamtgesellschaftliche Verständnis von Leben und Sterben, das sich nicht zuletzt im Verständnis des ärztlichen Berufs und im ärztlichen Ethos zeigt.

Das Recht hat die Aufgabe, das Zusammenleben von Menschen mit unterschiedlichen Lebensauffassungen zu ordnen. Dabei muss es fundamentalen ethischen Gesichtspunkten Rechnung tragen, die für bestimmte gesellschaftliche Bereiche und Tätigkeiten gelten. Hieraus ergibt sich die schwierige Balance, die das Recht in der Frage der ärztlichen Beihilfe zur Selbsttötung zu wahren hat. Im Falle der expliziten rechtlichen Verankerung der Möglichkeit des ärztlich assistierten Suizids müsste aufgrund der über die Regelung des Einzelfalls hinausgehenden gesellschaftlichen Signalwirkung des Rechts mit erheblichen negativen Auswirkungen auf das ärztliche Ethos und das Verständnis des ärztlichen Berufs gerechnet werden. Dies bliebe nicht ohne Auswirkungen auf das gesellschaftliche Verständnis von Leben und Sterben. Gerade das ärztliche Handeln im Zusammenhang mit dem Sterben ist ein Beispiel dafür, dass es Bereiche gibt, die sich rechtlich nicht regeln lassen, ohne dass damit über die konkrete Regelung des Sachverhalts hinaus allgemeine gesellschaftliche Veränderungen, die mit der Regelung nicht intendiert waren, bewirkt werden. Die gesetzliche Regelung wirkt nicht nur auf das ärztliche Ethos, sondern die Haltung der Gesellschaft zu Leben und Sterben und die Verantwortung der Menschen füreinander im Zusammenhang mit dem Sterben kann sich dadurch grundlegend ändern. Daher sollte von einer solchen Regelung der ärztlichen Suizidbeihilfe abgesehen werden. Hier ist vielmehr die Rechtsprechung gefordert. Nur sie kann den schwerwiegenden Konfliktlagen, in die Ärztinnen und Ärzte geraten können, im konkreten Einzelfall angemessen Rechnung tragen. Einigkeit sollte darüber bestehen, der geschäftsmäßigen Suizidbeihilfe in Gestalt von Sterbehilfeorganisationen, die sich dieser Aufgabe verschrieben haben, möglichst bald einen rechtlichen Riegel vorzuschieben.

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