Ernährungssicherung und Nachhaltige Entwicklung

III. Gefährdungen der Zukunftsfähigkeit in der Landwirtschaft

Die Landwirtschaft unterliegt einer dynamischen Entwicklung. Seit Jahrtausenden werden Tiere und Pflanzen durch züchterische Bemühungen laufend neuen Anforderungen angepasst. Mit den Pflanzen und Tieren verändern sich auch Anbaumethoden und Haltungsbedingungen. Durch Zucht und Fortentwicklung der Betriebsmittel, wie Dünger und Pflanzenschutz, konnten in der Vergangenheit die Erträge um ein Vielfaches gesteigert werden. Dabei traten jedoch als negative Begleiterscheinungen die bekannten ökologischen Probleme auf: Bodendegradation und Erosion, Versalzung, Belastung der Gewässer mit Betriebsmitteln und Beiträge zu klimarelevanten Gasen wie Methan und Kohlendioxid.

Heute setzt sich zunehmend die Erkenntnis durch, dass diese Probleme nicht durch „end-of-pipe"-Technologien, das heißt, durch nachsorgende technische Reinigung, gelöst werden können. Vielmehr gilt es, durch vorsorgende Anbau-, Tierhaltungs- und Zuchtmethoden das Auftreten dieser Probleme weitestgehend zu vermeiden.

In diesem Abschnitt soll auf drei Problemfelder vertiefend eingegangen werden, die von besonderer Bedeutung für die Sicherung der Ernährung sind: Der Verlust von Regionalität, die Gefährdung der biologischen Vielfalt und die Gentechnik in der Landwirtschaft. Die angeführten Beispiele stammen aus dem Bereich des Landbaus; für den Bereich der Tierzucht und Tierhaltung gibt es an sehr vielen Stellen Parallelen.

4. Verlust von Regionalität

Seit Menschen sesshaft wurden und begannen, ihre Umgebung nach ihren Wünschen zu verändern, schwand die unberührte Natur und wich einer Kulturlandschaft, die aufgrund unterschiedlicher naturräumlicher Gegebenheiten, klimatischer Bedingungen und Lebensweisen der Menschen regional sehr unterschiedlich ist. Gemeinsam ist allen Menschen, die in ländlichen Räumen leben und arbeiten, dass ihre Tätigkeiten und Aktivitäten noch sehr unmittelbar mit der landwirtschaftlichen Produktion verknüpft sind. Diese Verknüpfung ist in Ländern mit stark von industriellen Produktionsweisen geprägten großflächigen Bewirtschaftungsmethoden in den Hintergrund getreten.

Aufgrund der kulturellen Vielfalt unterscheiden sich die Lebensweisen in den ländlichen Räumen in der Welt sehr grundlegend: Es werden unterschiedliche Nahrungsmittel bevorzugt und daher verschiedene Tiere gehalten, andere Pflanzen für den eigenen Bedarf angebaut. So wurden regionale Nahrungsmittel und Heilkräuter entdeckt, angebaut und durch Zucht verändert, die in anderen Regionen unbekannt sind und dort auch nicht gedeihen würden. In den Ländern des Südens hat die Pflege dieses kulturellen Erbes noch eine sehr unmittelbare Bedeutung für das Wohlergehen der ländlichen Bevölkerung, da eine ausgewogene Ernährung und die Behandlung von Krankheiten auf dem Wissen um die verschiedenen Pflanzen basieren.

In den Ländern des Nordens ist diese unmittelbare Verknüpfung zwischen Ernährungssicherung und der Kulturlandschaft weitgehend verloren gegangen, da die Ernährung zu einem großen Teil überregional gesichert und die Versorgung mit Medikamenten von der Pharmaindustrie geleistet wird. Die Produktion von Pflanzen und Tieren erfolgt in steigendem Maße für den Weltmarkt und nicht mehr nur für die Region. Je größer die Anbauflächen werden, desto monotoner erscheint die Landschaft. Anbau, Tiermast und die Weiterverarbeitung erfolgen oft nicht mehr in der Region, sondern sind teilweise mit weiten Transportwegen verbunden.

In Europa wird der Wert der Kulturlandschaft heute häufig primär unter ökologischen und ästhetischen Gesichtspunkten gesehen. Zum einen trägt eine strukturreiche, biologisch vielfältige und naturräumlich typische Landschaft zum Erhalt der biologischen Vielfalt bei. Zum anderen besitzt eine reich strukturierte Landschaft aber auch einen hohen Erholungswert.

Mit der stärkeren Ausrichtung der Landwirtschaft auf überregionale Märkte hat sich das soziale Gefüge der ländlichen Räume verändert: Betriebsgrößen steigen, die Zahl der Haupterwerbslandwirte sinkt, die der Nebenerwerbslandwirte steigt. Leben und Arbeiten sind häufig räumlich voneinander getrennt, die Bewohner des ländlichen Raumes pendeln zwischen Wohnort und Arbeitsplatz über weite Distanzen. Aufgrund der Attraktivität der Landschaft siedeln zunehmend Menschen im ländlichen Raum, deren Tätigkeiten keinen Bezug mehr zu Landwirtschaft und ländlichem Gewerbe besitzen. Dies führt zu neuen Strukturen in dörflichen Gemeinschaften.

Zur Zeit findet jedoch eine Wiederentdeckung der Regionalität der Ernährung statt, die der Landwirtschaft neue Impulse und der Bevölkerung eine stärkere Identifizierung mit ihrer Region vermittelt. Nicht zuletzt die Nahrungsmittelskandale und die Diskussion um gentechnisch veränderte Lebensmittel haben dazu geführt, dass das Vertrauen in die Gesundheit der Nahrung mit dem Vertrauen in die regionale Erzeugung verknüpft wird. Zunehmend wird erkannt, welche Bedeutung die Agrarkultur, das heißt die Verknüpfung von Pflege der Kulturlandschaft, Bewahrung der Vielfalt der Natur und landwirtschaftlicher Produktion für die Gesellschaft hat.

Die Eichstettener Saatgutinitiative

Eichstetten ist eine landwirtschaftlich geprägte Gemeinde im Kaiserstuhl. Die im Mai 1998 entstandene Saatgutinitiative will auf der Gemarkung Eichstetten ein Projekt zur Erhaltung von Kulturpflanzensorten, zur Zucht regionaler Sorten und zur theoretisch-wissenschaftlichen Erarbeitung von Pflanzenzuchtmethoden einrichten. Dabei wird sie von Gemeinderat, Bauern, Gärtnern und Winzern der Region unterstützt. Hier sind sowohl konventionell wirtschaftende, als auch integriert und biologisch wirtschaftende Landwirte beteiligt. Auch die wissenschaftliche Begleitung ist durch vielfältige Kontakte im In- und Ausland gesichert.

Die Initiative konzentriert sich im Obst- und Weinbau auf einen Erhaltungszuchtgarten und einen Kulturpflanzenlehrpfad. Dabei sollen regionale Sorten auch in größerem Stil auf den Höfen nachgebaut werden. Im Gemüsebereich, der den wichtigsten Teil der Eichstettenerr Saatgutinitiative darstellt, wird es um die Vermehrung, Erhaltung und Auslese sowie um die Vermarktung von Saatgut und Endprodukten gehen.

Dieses Projekt ist ein wichtiger Schritt zur Erhaltung der Kulturpflanzenvielfalt, zur Stärkung von regionalen Strukturen und zur Sicherung der bäuerlichen Landwirtschaft. Durch neue Einkommensmöglichkeiten in Landwirtschaft, Tourismus, Gastronomie und Verarbeitung sowie durch den Erhalt der lokalen genetischen Vielfalt werden die Ziele der Eichstettener Saatgutinitiative mittelfristig der Eichstettener Bevölkerung zugute kommen. Dem Trend, dass einzelne Gemeinden im Rahmen der Europäischen Vereinigung und der Globalisierung ihre Bedeutung und Einflussmöglichkeiten verlieren, wird so entgegengewirkt.


In den Ländern des Südens findet häufig die umgekehrte Entwicklung statt: Durch den Anbau von Pflanzen für den Verkauf wird der Anbau regionaler Nahrungspflanzen vernachlässigt oder ganz aufgegeben, die Vielfalt der Ernährung in den dörflichen Gemeinschaften nimmt ab. Durch den Kauf von Hochleistungssaatgut sind die Bauern zusätzlich auf ausreichende Bewässerung und Produktionsmittel angewiesen, was weitere Kosten und Belastungen der Umwelt und Gesundheit verursacht. Bei schlechten Ernten oder einem Sinken des Weltmarktpreises ist aufgrund des geringeren Verkaufserlöses die Ernährung der Familien gefährdet.

5. Gefährdung der biologischen Vielfalt

Leider werden die Gründe, weswegen das Welternährungssystem in keiner Weise nachhaltig ist, von den meisten Menschen weitgehend ignoriert. Viele Umweltgefährdungen – von der Atomkraft bis zum sauren Regen, vom Ozonloch bis zu den Müll-Altlasten – sind mittlerweile im Bewusstsein der meisten Menschen; nur wenige Menschen sehen jedoch, dass auch die genetische Vielfalt der natürlichen Umwelt bedroht ist und das Welternährungssystem daher kollabieren kann – mit dann völlig unkalkulierbaren politischen Folgen. Die Stärkung regionaler, gemeinwesenorientierter Agrarsysteme kann helfen, dieses Problem zumindest ein wenig zu entschärfen. Dabei ist es wichtig, die genetische Vielfalt der Nutzpflanzen und -tiere „in situ" zu erhalten, das heißt vor Ort und eingebettet in die spezifischen Ökosysteme und die sozialen Strukturen.

Die Reis-Vielfalt in Asien

Über 90 Prozent der Weltreisproduktion wird in Asien auf fast 150 Millionen Hektar Land angebaut. Reis stellt 50 Prozent der landwirtschaftlichen Einkommen und fast 80 Prozent der Ernährung in dieser Weltregion. Aufgrund dieser hohen Bedeutung für Landwirtschaft und Ernährungssicherung haben asiatische Bauern über Jahrtausende hinweg eine große Vielfalt an Reissorten entwickelt. Wissenschaftler schätzen, dass in Asien mehr als 140.000 Reissorten entwickelt wurden. 80.000 Sorten befinden sich in der weltweit größten Genbank für Reis im International Rice Research Institute (IRRI) auf den Philippinen.

In den letzten 30 Jahren ist diese Vielfalt im Anbau jedoch verloren gegangen. Durch die Förderung von Hochleistungssorten durch IRRI und die staatlichen Behörden im Zuge der „Grünen Revolution" wurden zwar auf einigen stark bewässerten Gunststandorten die Erträge wesentlich gesteigert. Gleichzeitig stieg aber auch die Gefahr von Ernteverlusten durch Schädlinge und Krankheiten an. Die Einführung der industrialisierten Landwirtschaft führte zu einer stärkeren Abhängigkeit der Landbevölkerung von kostspieligen Produktionsmitteln, zu einer Abnahme der Bodenfruchtbarkeit und zu einer Abnahme der biologischen Vielfalt. Zum einen werden nur noch wenige Reissorten angebaut: In Thailand und Burma machen 5 Sorten 40 Prozent der Fläche aus, in Pakistan beherrschen 5 Sorten 80 Prozent der Fläche, in Kambodscha wird in der Trockenzeit auf 84 Prozent der Fläche nur eine Reissorte gepflanzt. Zum anderen führt die intensive Bewirtschaftung der Felder zu einer starken Abnahme der Beikräuter, die wichtige Ergänzungen der Ernährung für die ärmere Landbevölkerung lieferten. Um vom Reisanbau leben zu können, wird der Anbau regional typischer anderer Pflanzen vernachlässigt, was zum Verlust von wichtigen Nebeneinkünften, aber auch zu Mangelerscheinungen in der Ernährung führt. Reis ist zwar reich an Kohlenhydraten, enthält aber wenige weitere Nährstoffe.

In Indien führte das staatlich geführte Nahrungsmittelprogramm für die Armen dazu, dass in Gebieten mit schlechteren Böden Grundnahrungsmittel nicht mehr in ausreichendem Maße angebaut wurden, da die Ernährung auf die subventionierten Reisgaben durch die Regierung umgestellt wurde. Die Folgen waren eine einseitige Ernährung, die zu Mangelerscheinungen führte, und eine weitere Abnahme fruchtbarer Böden, da die weniger ertragreichen Äcker vielfach brach fielen.

Diese Situation wird zukünftig noch verstärkt durch patentierte Reissorten, die von multinationalen Unternehmen auf den Markt gebracht werden. Patente auf indischen Basmati-Reis und thailändischen Jasmin-Reis führten zu heftigen Protesten in den Herkunftsländern, da die Entwicklung dieser aromatischen Reissorten in Asien erfolgte. Die durch das US-amerikanische Unternehmen RiceTec durchgeführte und zum Patent angemeldete gentechnische Veränderung wird in den Herkunftsländern im Vergleich zu der zuvor über Hunderte von Jahren geleisteten Züchtungsleistung asiatischer Bauern als geringfügig erachtet.

Weltweit existieren bereits 160 Patente auf Reis, die meisten werden in den USA oder Japan gehalten. Es handelt sich dabei meist um herbizid- oder insektenresistente Pflanzen. Hinzu kommen konventionell erzeugte Hybridsorten, die die Bauern dazu nötigen, jedes Jahr neues Saatgut zu kaufen. Vor allem die ärmere Landbevölkerung ist jedoch darauf angewiesen, einen Teil der Ernte für die kommende Aussaat zurückzulegen. Dies verdeutlicht, warum das sogenannte Terminator-Patent in dieser Region auf besonders heftige Proteste stößt. Bei diesem Patent führt eine gentechnische Veränderung bei Pflanzen dazu, dass die geernteten Samen nicht mehr keimen.

Als fragwürdige Entwicklung erscheint der von der Industrie als besonders zukunftsträchtig dargestellte Reis, in dem Vitamin A angereichert wird. Damit soll den Mangel-erkrankungen abgeholfen werden, die bei der armen Bevölkerung durch die einseitige Ernährung mit geschältem Reis entstehen. Hier stellt sich die Frage, ob es nicht sinnvoller wäre, die traditionellen ausgewogenen Ernährungsgewohnheiten der Menschen durch gezielte Unterstützung vor Ort wiederherzustellen, die durch den Herbizideinsatz auf den Feldern der Grünen Revolution gestört worden sind, und damit das Auskommen der Familien und ihre Gesundheit zu verbessern.

Ein anerkennenswertes Beispiel gibt hier das Projekt der Deccan Development Society (DDS) in Indien, der Frauen der niedrigsten Kaste der Dalit angehören. Die Frauen bauten ein regionales System der Eigenversorgung mit traditionellen Lebensmitteln auf, das das staatliche Zentralprogramm der Reisversorgung ersetzen soll. Das Projekt stärkt nicht nur das soziale Gefüge in den Dörfern der armen Bevölkerung und stellt eine gewisse wirtschaftliche Autonomie der Familien her. Es führt auch zum Erhalt der biologischen Vielfalt und der Fruchtbarkeit der Böden.


Die Erfahrungen der Grünen Revolution haben gezeigt, dass die natürlichen Resistenzen von Pflanzen nur sehr unvollkommen durch den Einsatz chemischer Wirkstoffe ersetzt werden können. Ohne eine größtmögliche genetische Vielfalt bei Nutzpflanzen wird es unmöglich sein, die Ernährungssicherung langfristig zu gewährleisten. Der Übergang zu einer nachhaltigen, standortgerechten Form der Landwirtschaft gelingt nur dann, wenn die alten Saatgutsorten erhalten bleiben, die in der Vergangenheit eine Landwirtschaft ohne die Verwendung von künstlichen Schädlingsbekämpfungsmitteln ermöglicht haben. In entsprechender Weise kann dies für alte Nutztierrassen gelten.

Für die Zukunftsfähigkeit des Agrarsystems ist die Beachtung weiterer Wechselwirkungen von ausschlaggebender Bedeutung: Je größer die klimatischen Veränderungen sind, die sich im nächsten Jahrhundert auf der Erde einstellen werden, desto schneller müssen auch die jeweiligen regionalen Agrarsysteme reagieren, und desto stärker sind diese dann wiederum auf Biodiversität angewiesen.

Im System der industriellen Landwirtschaft gibt es ein nicht endendes Rennen zwischen Pflanzenzüchtern auf der einen und Schädlingen und Pflanzenkrankheiten auf der anderen Seite. Sollten die Pflanzenzüchter einmal verlieren, sind die Folgen in einem Agrarsystem, das auf Monokulturen oder nur wenige Sorten im Anbau setzt, völlig unkalkulierbar:
  • Der von der Pflanzenzüchtung zunehmend erfüllte Wunsch nach sortenreinem Saatgut hat auch das Schädlingsproblem verstärkt. Nur am Rande sei auf die gesundheitlichen Auswirkungen des zunehmenden Herbizid-Einsatzes hingewiesen. Auf einem Feld, das mit einer Landsorte – eine natürliche Mischung von Saatgut-sorten, die an die lokalen Bedingungen gut angepasst sind – bepflanzt ist, wandert ein Schädling, der eine Pflanze findet, die ihm nicht schmeckt, zu einer anderen Pflanze, die ihm besser zusagt. Aufgrund eines bescheidenen, aber stetigen Nahrungsmittelangebotes gibt es für den Schädling keinen Druck, sich zu verändern. Wenn jedoch Tausende von Hektar mit einem sortenreinen Saatgut bepflanzt sind, müssen Schädlinge und auch Krankheitserreger – um nicht selbst auszusterben – sich anpassen und die verschiedenen Resistenzen überwinden, die das gleichförmige Saatgut vielleicht aufweisen mag. Dies geschieht bemerkenswert schnell.

  • Um aus dem ursprünglichen genetischen Material neue Resistenzen in weiterentwickelte Sorten hineinzuzüchten, können Pflanzenzüchter nur zu den Landsorten und den Wildpflanzen zurückgehen, aus denen ihre Züchtungen von Nutzpflanzen einmal entwickelt worden waren. Unglücklicherweise haben jedoch mehrere Faktoren dazu geführt, dass nur sehr wenige Landsorten überhaupt noch angebaut werden, und dies nur in sehr abgelegenen Gegenden. Dazu hat der Siegeszug der industriellen Landwirtschaft weltweit beigetragen, der Erfolg internationaler Saatgutunternehmen, die ihre neuen Sorten überall auf dem Globus verkaufen, und schließlich der Niedergang vieler Formen der traditionellen Landwirtschaft.

  • Die Bewahrung der genetischen Vielfalt der Nutzpflanzen durch Genbanken ist hoch problematisch und immer eine „second-best-Lösung", auf die aber derzeit nicht verzichtet werden kann. „Man kann nicht hoffen, mit einer einzigen Methode zu bewahren und zu schützen, was Jahrtausende mit unterschiedlichen Umweltbedingungen und Anbaumethoden zu seiner Entwicklung benötigt hat. Diese Vielfalt ist – wie Musik oder die Form von Dialekten – ein Teil des Lebenszusammenhangs, in dem sie entstanden ist. Ohne diesen Lebenszusammenhang und die Bedingungen, die sie hervorgebracht hat, kann diese Vielfalt nicht lange bestehen. Daher müssen Gemeinden und Regionen die Vielfalt in ihrer Landwirtschaft retten, wenn sie sich ihre eigenen Handlungsspielräume für eine eigenständige weitere Entwicklung erhalten wollen". Vielfalt kann außerdem nicht erhalten werden, wenn sie nicht tatsächlich auch genutzt wird. Nur durch Anbau kann sich die Vielfalt unter natürlichen Bedingungen weiter entwickeln. Da das Bedürfnis nach Vielfalt nicht enden kann, dürfen auch die Anstrengungen nicht nachlassen, diese Vielfalt zu bewahren. Keine Technologie kann uns die Verantwortung abnehmen, die genetische Vielfalt der Nutzpflanzen für die jetzige und die zukünftigen Generationen zu bewahren.
Die Bemühungen um den Erhalt der natürlichen Vielfalt bei Nutzpflanzen werden immer schwieriger, da sie, auch als Folge der Politik der Europäischen Union, zu einem dramatischen Rennen gegen die Zeit geworden sind. Schon jetzt hat diese Politik mit Sicherheit dazu geführt, dass Tausende von Sorten unwiederbringlich verloren gegangen sind. Ursache dafür ist die Errichtung der EU-Sortenliste und die damit verbundenen Prozeduren, die die Interessen der großen Saatgutfirmen schützen, die sich in der „Union for the Protection of New Varieties in Plants" (UPOV) zusammengeschlossen haben (siehe naechsten Absatz).

Die Sortenlisten der Europäischen Union

Aufgrund der derzeit gültigen Gesetzeslage ist es europaweit verboten, Saatgut-sorten weiterzugeben oder zu verkaufen, die nicht auf der EU-Sortenliste vertreten und somit geschützt sind. Normalerweise bestehen Saatgutkataloge nur aus solchen Sorten, wofür meist eine Lizenzgebühr beim Sortenschutzinhaber bezahlt wird. Natürlich ist es ein Problem, wenn einzelne Firmen mit hohen Kosten neue Sorten züchten, die dann von anderen Firmen „übernommen" und unter einem anderen Namen verkauft werden.

Um auf die Sortenliste der EU zu kommen, muss eine Saatgutsorte einem bestimmten Test unterzogen werden, mit dem sichergestellt werden soll, dass die Sorte sich von allen anderen merkbar unterscheidet und ihre genetische Struktur ein Mindestmaß an Uniformität und Stabilität aufweist. Diese Tests kosteten 1976 etwa 360 DM an Gebühren, 1995 war dieser Betrag auf 2.400 DM gestiegen. Wenn die neue Sorte die Tests besteht, kann sie in die nationale Sortenliste eingetragen werden – Kosten: 650 DM – und dort verbleiben, sofern eine jährliche Gebühr in Höhe von weiteren 375 DM gezahlt wird. Außerdem kann von der Saatgutfirma, die die Rechte an der Sorte hält, verlangt werden, ein normiertes Feld mit dieser Sorte zu unterhalten, damit die genetische Uniformität fortlaufend überprüft werden kann.

Diese Bestimmungen gelten nicht nur für neue, sondern auch für alte Sorten. Dies hat viele kleinere Saatgutunternehmen in eine Krise gestürzt, denn da sie kein Kapital für aufwendige Zuchtprogramme haben, spezialisieren sich diese Unternehmen oft auf traditionelle Sorten. Viele dieser Unternehmen hatten keine Chance, dass ihre Sorten in die nationale oder die EU-Sortenliste aufgenommen wurden, weil Landsorten und alle anderen Sorten mit einer gewissen genetischen Variabilität automatisch durch das Stabilitätskriterium des Testverfahrens ausgeschlossen wurden. Da, wie gesagt, seit Juli 1980 alle Sorten, die gehandelt werden, auf diesen Listen verzeichnet sein müssen, haben viele kleinere Unternehmen aufgegeben und an größere Konkurrenten verkauft. Rank Hovis McDougall hat so in einer einzigen Woche 83 kleine Saatgutfirmen aufgekauft.

In keinem Fall zahlen Unternehmen die Gebühren für die Testprozedur und die Eintragung beziehungsweise den Verbleib auf der Sortenliste, wenn ein bestimmtes Saatgut nur in geringen Mengen verkauft werden kann. Da die Verkäufe an gewerbliche Landwirte und Gartenbaubetriebe neun Zehntel des Umsatzes einer durchschnittlichen Saatgutfirma ausmachen, werden in der Regel dann auch nur jene Sorten für die Liste gemeldet, die bei den gewerblichen landwirtschaftlichen Betrieben Anklang finden. Dies ist insofern problematisch, da Hobby- oder Schrebergärtner und ökologisch orientierte landwirtschaftliche Betriebe ganz andere Saatgutsorten benötigen als ein herkömmlicher Betrieb, der mit „industrialisierten" Landbaumethoden wirtschaftet. Ein hoher Ertrag, Gleichförmigkeit und gute Eigenschaften bei der Weiterverarbeitung sind die bevorzugten Charakteristika für einen kommerziellen Betrieb, wohingegen der „Amateur" vor allem anderen eine Frucht mit einem besonders guten Geschmack präferiert.

Bei Erbsen bevorzugt ein gewerblicher Landwirt zum Beispiel eine Sorte, bei der die Pflanzen nicht an Stöcken angebunden werden müssen, bei denen die Früchte zur gleichen Zeit reif werden, so dass sie zu einem Zeitpunkt geerntet werden können, der für den Tiefkühlmarkt genau der richtige ist, und die nur wenig Blätter oder verholzte Stängel haben, die die Erntegeräte blockieren könnten. Der Freizeitgärtner und der ökologisch orientierte Landwirt dagegen möchten eine hoch wachsende Pflanze, so dass sie beim Ernten keine Rückenschmerzen bekommen; über einen möglichst langen Zeitraum sollen immer einige Hülsen reif werden, und der Geschmack soll am besten sein, wenn die Erbsen frisch geerntet sind – die Eigenschaften nach der Tiefkühlprozedur interessieren nicht so sehr. Aber obwohl die Probleme und Gefahren schon lange bekannt sind, sind in den letzten Jahren doch Dutzende von hochwachsenden Erbsensorten und Tausende anderer alter Nutzpflanzensorten langsam aus den Saatgutkatalogen verschwunden.

Die Prozedur zur Aufnahme in die Sortenlisten hat auch dazu geführt, dass genetisches Material verloren geht, weil nur eine bestimmte Sorte einer traditionellen Nutzpflanzenart aufgenommen wurde. Andere Varianten der Saatgutfirmen wurden einfach als identisch klassifiziert, obwohl es in manchen Fällen sehr klar war, dass dies gar nicht zutraf. Die Übergänge sind immer fließend – es haben sich zum Beispiel Sorten, die im Laufe der Jahre in verschiedenen klimatischen Gebieten selektiert werden, mit der Zeit verändert und sind oft gar nicht mehr zu vergleichen mit Ausgangssorten, die denselben Namen tragen. Zum Beispiel war in den siebziger Jahren die Zwiebel „Bedfordshire Champion" bei Kleingärtnern in England eine der beliebtesten Sorten, und in den verschiedensten Saatgutkatalogen tauchten unterschiedliche Varianten dieser Sorte auf: „Bedfordshire Champion Hurst Reselected", „Golden Globe", „Nuttings Golden Ball", „Cambridge No. 10", „Sutton Globe" oder „Up-to-Date" waren unter anderen solche Varianten. Nach dem Juli 1980 durften alle diese Varianten nur noch unter dem Namen Bedfordshire Champion verkauft werden, ungeachtet der Tatsache, dass einige der Varianten sich von der Ausgangssorte erheblich weiterentwickelt hatten, weil sie über viele Jahre in ganz unterschiedlichen Regionen angepflanzt und weiter vermehrt worden waren. Es spielte noch nicht einmal eine Rolle, dass einige der neuen Varianten eine Resistenz gegen eine bestimmte Sorte von Mehltau aufwiesen, die die Ausgangssorte nicht hat.

Wenn eine alte traditionelle Sorte zum Eintrag in die nationale oder die EU-Sortenliste angemeldet wird, ist sie damit noch immer nicht dauerhaft gesichert, denn sie bleibt nur so lange auf der Liste, wie die Firma, die die Anmeldung veranlasst hat, die jährliche Gebühr für die Eintragung bezahlt. Da die Firmen jedoch Kosten sparen wollen, sind seit 1980 Hunderte von Gemüsesorten wieder aus der Liste genommen worden, was bedeutet, dass es nicht mehr legal ist, sie zu verkaufen: Es drohen Prozesse und Strafen. Gesetzt den Fall, eine solche Sorte hat trotzdem überlebt, so müsste jeder, der sie wieder legal verkaufen möchte, die vollen Gebühren für eine neue Testserie und für die Wiederaufnahme in die Sortenliste bezahlen.

Bei der Europäischen Union waren einige Verfahren anhängig, um die Bestimmungen zum Verkauf von kleinen Saatgutmengen an nicht-gewerbliche Gärtner zu erleichtern. In jüngster Zeit konnten hier einige erfreuliche Erfolge erzielt werden; dennoch erscheint der Erhalt der traditionellen Sorten durch die Gesetzeslage nach wie vor eher gefährdet als erleichtert.


6. Gentechnik in der Landwirtschaft

Die Bedrohung der biologischen Vielfalt gerade im Agrarbereich wird noch verstärkt, wenn die globale Verbreitung gentechnisch veränderter Pflanzen weiter forciert wird. Bis Januar 2000 existierte kein weltweites Abkommen zur Gewährleistung der grenzüberschreitenden biologischen Sicherheit. Zwar war zu der Konvention zur biologischen Vielfalt, einer der wichtigen Konventionen des Umweltgipfels von Rio 1992, in der Vertragsstaatenkonferenz von Jakarta 1995 ein Verhandlungsmandat für ein Protokoll zur biologischen Sicherheit erteilt worden; dieses scheiterte jedoch 1999 in Cartagena (Kolumbien) am Widerstand der „Miami-Gruppe". Die Miami-Gruppe ist eine Interessengemeinschaft von Agrarexportländern, bestehend aus USA, Kanada, Australien, Argentinien, Chile und Uruguay. Damit war die Sicherheit des transnationalen Handels mit gentechnisch veränderten Organismen nicht geregelt. Dies stand im Gegensatz zu den in der WTO bereits weit ausgebauten Regeln zur Gestaltung des Welthandels. Unter dem WTO-Regime wird ein starker Druck auf die Entwicklungsländer ausgeübt, Patentgesetze auch für „biologisches Material" nach den Trade Related Intellectual Property Rights (TRIPS) zu verabschieden. Der weitreichende Patentschutz in den USA und nachfolgend in Europa – nach der EU-Patentrichtlinie, die Patente auf Mikroorganismen, Pflanzen und Tiere und mit Einschränkungen auch auf Teile des menschlichen Körpers zulässt – soll weltweite Geltung erhalten.

Die aus dem Patentschutz erwachsenden Ausschließungsrechte bei der Nutzung von in der Regel transgenen Organismen kämen mehrheitlich den Ländern des Nordens zugute, während die Ursprungsländer des genetischen Materials – mehrheitlich Länder des Südens – lediglich durch Zahlung von Lizenzgebühren zu Nutznießern der eigenen biologischen Vielfalt werden könnten. Ein ordnungs- oder kartellrechtliches Instrument, das als Regulativ monopolistischer Tendenzen eingesetzt werden könnte, bietet die WTO auch für den Bereich der Gentechnik nicht. Damit sind weder die biologische Sicherheit noch die Kontrolle von monopolistischen Tendenzen im Bereich des Saatguts und der biologischen Vielfalt gewährleistet. Die Entstehung von transnationalen Konzernen, die die Saatgutproduktion beherrschen und ihre Sorten mit Patenten schützen, ist bereits in vollem Gange und wird durch das TRIPS-Abkommen eher befördert denn verhindert.

Dabei ist es aus ethischen wie auch aus sozialen Gründen fraglich, ob diese Entwicklung mit den Zielen einer nachhaltigen Ernährungssicherung vereinbar ist. Wenn einige wenige multinationale Konzerne einen Besitzanspruch auf das zur Verfügung stehende Saatgut erheben können, so fördert dies nicht nur die Abhängigkeit der Bauern, sondern letztlich aller Menschen. Von daher sollten Pflanzen und Tiere wie auch veränderte lebende Organismen (Living Modified Organisms, LMOs) von der Patentpflicht ausgenommen werden. Mindestens jedoch sollten im TRIPS-Abkommen die Rechte von Bauern (Farmer’s Rights) und lokalen, indigenen Gemeinschaften geschützt bleiben, damit Jahrhunderte alte informelle Besitzansprüche und Praktiken wie etwa der Saatgutaustausch erhalten bleiben können.

Die Gentechnik hat in der Landwirtschaft bereits weite Verbreitung gefunden. Weltweit wurden bis 1998 in etwa 45 Ländern circa 25.000 Freilandversuche mit fast allen wichtigen Kulturpflanzen, vor allem aber mit Soja, Mais, Raps, Baumwolle und Kartoffeln durchgeführt. Etwa 150 Freisetzungsversuche fanden in Entwicklungsländern statt. In den USA wurden in der Vegetationsperiode 1998 bereits auf 11 Prozent der gesamten Ackerfläche – 20 von 180 Mio. ha – transgene Sorten angebaut.

Bei den inzwischen bis zur Marktreife entwickelten transgenen Pflanzensorten herrschen bisher die Veränderungen der agronomischen Eigenschaften vor. 77 Prozent der 1998 angebauten transgenen Pflanzen waren herbizidresistent, 22 Prozent insektenresistent. Zukünftig soll es Pflanzen mit veränderter Zusammensetzung der Inhaltsstoffe, verzögerter Reife bei Früchten und Resistenzen gegen Virus- und Pilzerkrankungen geben. Kritisiert wird, dass diese Konzepte in der überwiegenden Mehrheit auf die Bedürfnisse einer stark industrialisierten und exportorientierten Landwirtschaft ausgerichtet sind, wie sie in den Industriestaaten vorherrscht. Die Mehrheit der Bauern in den Entwicklungsländern verfügt nicht über die Mittel, um diese Sorten gewinnbringend anzubauen. Die gentechnische Forschung geht daher an ihren Bedürfnissen vorbei. Die tatsächlich entwickelten transgenen Pflanzensorten erfüllen damit nicht den häufig geäußerten Anspruch, mit Hilfe der Gentechnik den Hunger in der Welt besiegen zu wollen. Es gibt inzwischen Hinweise in wissenschaftlichen Studien, dass transgene Pflanzen nachteilige Einflüsse auf die Artenvielfalt und Ökosysteme haben können. Die Bedeutung dieser Erkenntnisse bezogen auf den großflächigen und länger-fristigen Anbau dieser Pflanzen ist weitgehend ungeklärt.

Herbizidresistente Pflanzen enthalten Gene, die die Pflanzen vor den schädlichen Wirkungen sogenannter Totalherbizide schützen. Damit können Landwirte während der Wachstumsphase mit derartigen Herbiziden arbeiten, da lediglich die Unkräuter, nicht jedoch die Nutzpflanze absterben. Hier werden negative Einflüsse auf die Artenvielfalt befürchtet, da bei großflächiger Anwendung dieser Herbizide die Nahrungskette im Ökosystem Acker gestört wird. Auch könnte es zum Auftreten resistenter Kräuter kommen, wenn die Resistenz von der Nutzpflanze auf die Begleitflora übertragen wird. Der Vorteil liegt nach Angaben der Hersteller in der Verringerung der Herbizidmengen. In der Praxis kompensieren die Kosten für das teurere Saatgut jedoch die Einsparungen beim Herbizid-einsatz; außerdem tritt eine Verringerung des Herbizideinsatzes häufig gar nicht ein. Herbizidresistente Pflanzen können so für die Anbieterunternehmen zu einem doppelten Gewinn – Herbizid und Saatgut aus einer Hand – und damit zu einer starken Monopolisierung des Agrarmarktes führen.

Insektenresistente Pflanzen tragen ein Gen aus dem Bacterium thuringiensis (Bt), einem Bodenbakterium, welches ein Toxin produziert, das Insektenlarven schädigt. Das Bt-Toxin wird als Spritzmittel bei starkem Insektenbefall bereits erfolgreich in der Landwirtschaft eingesetzt und ist auch im ökologischen Landbau zugelassen. Die transgenen Nutzpflanzen enthalten Gene, die zur permanenten Produktion des Bakterientoxins in der Pflanze führen. Damit sind die Pflanzen ständig vor den Insekten geschützt, und auf Insektizidgaben gegen Raupenbefall kann theoretisch verzichtet werden. In den Anbaugebieten in den USA zeichnet sich jedoch bereits ab, dass der ausschließliche Anbau von Bt-Pflanzen zu einer raschen Resistenzbildung bei den Insekten durch Mutation führen wird. Aus diesem Grunde wird ein sogenanntes Refugien-Management vorgeschrieben, in dem bis zu 50 Prozent der Anbaufläche mit konventionellem Saatgut bestellt und teilweise auch mit Insektiziden behandelt werden soll. Auch dies führt zu einer raschen Dominanz resistenter Insekten und macht das Konzept nach kürzester Zeit unwirksam. Die Befürworter dieser Pflanzen gehen daher nur von einem kurzfristigen anbautechnischen Vorteil aus, zum Beispiel beim Schutz vor dem Europäischen Maiszünsler im Maisanbau von wenigen Jahren. Insektenresistente Pflanzen können nach mehreren wissenschaftlichen Studien schädliche Auswirkungen auf die Artenvielfalt besitzen. So schädigen sie indirekt Nützlinge, wenn diese die Schadinsekten von den Pflanzen aufnehmen und damit ihre natürliche Aufgabe im Ökosystem wahrnehmen. Schmetterlingsraupen können direkt geschädigt werden, wenn sie toxinhaltige Pollen mitfressen, die durch Bestäubung auf die Blätter der Futterpflanzen gelangt sind. Das Zusammenwirken verschiedener ökologischer Folgen kann dabei äußerst komplex sein (siehe Kasten). Die ökologischen Folgen dieser Schädigungen sind noch weitgehend ungeklärt.

Gefahr für die Nahrungskette

Florfliegen sind äußerst nützliche Insekten, da sie große Mengen an Blattläusen fressen und daher ein wichtiges Element von Schädlingsmanagementsystemen darstellen. In einer Studie zeigte Hilbeck im Jahre 1998, dass Florfliegenlarven über die Nahrungskette indirekt durch Bt-Mais geschädigt werden: Füttert man Raupen mit Bt-Mais und anschließend Florfliegenlarven mit diesen Raupen, so zeigen diese Larven eine doppelt so hohe Sterberate wie die Vergleichstiere. Daher muss angenommen werden, dass das Toxin in den Pflanzen auch Nützlinge schädigt. In den USA wird zur Zeit untersucht, ob Schmetterlingsraupen geschädigt werden, wenn sie mit der Nahrung Bt-Toxin-haltige Maispollen aufnehmen.

Aufsehen erregte eine Veröffentlichung, in der eine Schädigung des prächtigen Monarch-Falters im Labor gezeigt wurde. Die Bedeutung dieser Studie im Freiland muss noch geprüft werden. Sollten die Resultate sich bestätigen, so hätte dies Auswirkungen auf die Insektenvielfalt: Der World Wide Fund for Nature (WWF) Schweiz hat eine Studie vorgelegt, nach der sich zahlreiche heimische Schmetterlingsarten zur Zeit der Maisblüte im Raupenstadium befinden. Diese Schmetterlinge könnten - ebenso wie der Monarch-Schmetterling in den USA - von einer Schädigung durch das Bt-Toxin betroffen sein, wenn sie Bt-Toxin-haltige Mais-Pollen mit der Nahrung aufnehmen.

Hinzu kommt, dass das Toxin über die Wurzeln an den Boden abgegeben wird, wo es über Monate aktiv bleibt. Welche Auswirkungen die Gegenwart des Giftes auf die Bodenorganismen hat, ist bisher ungeklärt. Ein weiteres Konzept insektenresistenter Pflanzen ist in die Kritik geraten, noch bevor diese gentechnisch veränderten Pflanzen in den Anbau gelangt sind: Lektin-Gene aus Schneeglöckchen wurden in Kartoffeln übertragen. Es zeigte sich, dass Blattläuse das Gift aus den Pflanzen aufnahmen und wiederum Marienkäfer schädigten, die die Blattläuse fraßen. Die Marienkäfer legten 30 Prozent weniger Eier und starben nach der Hälfte der normalen Lebensdauer. Auch hier erfolgt die Schädigung über die Nahrungskette.


Diese Erkenntnisse haben dazu geführt, dass das Konzept derinsektenresistenten Pflanzen neu bewertet werden muss. Die Regierungen von Österreich und Luxemburg wenden sich seit 1997 gegen die europaweite Zulassung eines Bt-Mais (Novartis), der zusätzlich ein Antibiotikaresistenzgen und eine Herbizidresistenz enthält, und sprachen ein Einfuhrverbot aus. Die Vorbehalte dieser Länder werden nun durch ein vom deutschen Bundesgesundheitsministerium ausgesprochenes Genehmigungsverbot entsprechender Maissorten bekräftigt.

In den Entwicklungsländern sind schwerwiegendere Folgen des Einsatzes dieser Pflanzen als in den Industriestaaten zu befürchten. Die Zentren der biologischen Vielfalt, aus denen die meisten der Kulturpflanzen stammen, liegen mehrheitlich in Ländern des Südens. Auskreuzungen sind dort häufiger zu erwarten und hätten stärkere Auswirkungen auf den vorhandenen Genpool und damit auf die pflanzengenetischen Ressourcen, die für die moderne Züchtung eminent wichtig sind. Sollten transgene Pflanzen dort weite Verbreitung finden, so würden weitere lokale Sorten verdrängt und damit die züchterische Vielfalt eingeschränkt. Lokale Sorten bieten häufig gegenüber den modernen Hochleistungssorten mit ihren hohen Anforderungen auch unter den Anbaubedingungen der lokalen Subsistenzwirtschaft Erträge, die eine ausreichende Ernährung der Bevölkerung gewährleisten. Da zahlreiche Länder des Südens keine Gentechnikgesetzgebung besitzen, sind sie häufig nur unzureichend in der Lage, die Freisetzungen durch multinationale Unternehmen und deren lokale Partner behördlich zu begleiten.

Ende Januar 2000 wurden in Montreal die Verhandlungen von Cartagena wieder aufgegriffen und der mehrjährige schwierige Prozess wurde abgeschlossen. Das Protokoll über biologische Sicherheit (Cartagena Protocol on Biosafety) ist das erste große internationale Abkommen des neuen Jahrhunderts. 140 Staaten einigten sich auf international gültige Regelungen für zwischenstaatliche Fragen des Grenzübertritts von gentechnisch veränderten Organismen. Dieses neue Regelwerk wird von Regierungen der Entwicklungsländer und vieler Industrieländer sowie von Nichtregierungsorganisationen als großer historischer Fortschritt für den Umwelt- und Verbraucherschutz gewertet. Die Aufgabe, neue Technologien rechtzeitig Regeln zur Sicherung von Mensch und Umwelt zu unterwerfen, wurde endlich erfolgreich angegangen. Der Erfolg kann dem stark gestiegenen Interesse der Öffentlichkeit – gerade auch in Nordamerika – an Sicherheitsfragen in der Bio- und Gentechnik und der Anwesenheit von mehr als dreißig Ministern aus der EU und aus Entwicklungsländern zugeschrieben werden.

Wesentliche Inhalte des Protokolls sind:
  1. Es wird sichergestellt, dass dieses multilaterale Abkommen für Umwelt- und Gesundheitsschutz den multilateralen Handelsabkommen nicht untergeordnet wird.

  2. Der Vorsorgegrundsatz wird als Leitgedanke und Entscheidungsgrundlage für alle Einzelentscheidungen fest verankert, das heißt, Verbote dürfen bereits auf Grund begründeten Verdachts ausgesprochen werden.

  3. Das Verursacherprinzip wird nach Ausarbeitung der Haftungsregelungen eingeführt werden.

  4. Grundsätzlich dürfen gentechnisch veränderte Organismen nur dann von einem Land in ein anderes verbracht werden, wenn das Importland dazu, auf der Grundlage umfassender Informationen über den Organismus und seine Wirkungen auf vorhandene lokale Ökosysteme, seine Zustimmung gegeben hat.

  5. Dies gilt grundsätzlich auch für unverkäufliche landwirtschaftliche Massengüter, die als Nahrungsmittel, Futtermittel oder für die Weiterverarbeitung vorgesehen sind. Gerade für Hungerhilfe- und Entwicklungshilfeprogramme ist damit die Chance gegeben, wirkliche Hilfsprogramme klar von Dumping-Exporten zu unterscheiden, die überwiegend im Interesse der Exporteure sind.

  6. Die im Protokoll verankerten Kennzeichnungsvorschriften tragen dazu bei, Information und Entscheidungsfreiheit der Verbraucher zu sichern.
Das Protokoll für biologische Sicherheit wird in Kraft treten, sobald es von 50 Staaten ratifiziert ist.
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