Ernährungssicherung und Nachhaltige Entwicklung

VI. Fazit

11. Die Notwendigkeit der Verteidigung und der Wiedergewinnung von Entscheidungs- und Handlungsspielräumen

Landwirtschaft ist der Bereich ökonomischen Handelns der Menschen, in dem ihre Rückgebundenheit in die Natur am deutlichsten spürbar und unhintergehbar ist. Aus Verantwortung für die ganze Schöpfung müssen die weltweiten Probleme der Landwirtschaft und ihre besonderen Auswirkungen für die Schwachen vermehrt beachtet werden. Die Gestaltung der Landwirtschaft hat bei der Umsetzung des Leitbildes der nachhaltigen Entwicklung eine Schlüsselrolle.

Nicht zukunftsfähig sind Strategien zur Entwicklung der Landwirtschaft, die auf einen größtmöglichen kurzfristigen Gewinn ausgerichtet sind. Dies führte weltweit zu Übernutzung, Degradation und Erosion von Böden sowie zur Kontamination von Luft und Wasser. Hierdurch wird die Aufgabe der globalen Ernährungssicherung erheblich erschwert, denn durch Versiegelung, Schädigung und Erosion geht mehr Boden verloren, als fruchtbare Flächen hinzukommen. Daher kann das Ziel der Landwirtschaft zukünftig nicht mehr sein, global gesehen primär steigende Erträge zu erwirtschaften. Vielmehr muss durch eine angepasste Bewirtschaftung ein optimaler Ertrag unter gleichzeitiger Erhaltung der Bodenfruchtbarkeit und unter Vermeidung von Erosion angestrebt werden. Dies wird nur im Zuge einer Rückgewinnung einer regionalen Perspektive und durch eine Stärkung der lokalen Produzenten durch die Förderung des standortgerechten Landbaus möglich sein. Notwendig ist daher eine politische Stärkung von Regionalisierungen und Dezentralisierungen im Bereich der Landwirtschaft.

Die internationale Politik ist in diesem Zusammenhang aufgerufen, zu dieser Stärkung beizutragen. Einige Instrumente hierzu wurden bereits benannt: In Bezug auf die WTO handelt es sich darum, im Rahmen einer sogenannten „Food Security Box" Ausnahmeregelungen für Entwicklungsländer zuzulassen, die Maßnahmen zu Ernährungssicherheit erlauben. Die bestehenden Ausnahmeregelungen in der „Green Box" wären dahingehend zu überprüfen, dass sie ausreichend Raum für Umweltschutzmaßnahmen bieten. In diesem Zusammenhang sollte den sozialen und ökologischen Aspekten der Herstellungsverfahren von Gütern ein höherer Stellenwert beigemessen werden, so dass eine den Prinzipien der Nachhaltigkeit verpflichtete Produktionsweise nicht die Gefahr von Wettbewerbsnachteilen mit sich bringt. Schließlich sollte im TRIPS-Abkommen lebende Materie von der Patentierung ausgenommen werden, zumindest aber die Rechte von Bauern und lokalen, indigenen Gemeinschaften anerkannt werden. Außerdem ist darauf zu achten, dass insbesondere solche Regelungen multinationaler Umweltabkommen, die eine Stärkung von Regionalität beinhalten, durch die WTO nicht faktisch konterkariert werden.

Marginale Standorte, vor allem in den Ländern des Südens, sollten auch dann – allerdings nachhaltig – genutzt werden, wenn hierdurch nur eine partielle Versorgung der regionalen Bevölkerung erreicht werden kann. Ein gewisser Selbstversorgungsgrad stärkt das soziale Gefüge, eine diversifizierte Ernährung beugt Mangelerscheinungen und Krankheiten vor, die Regionalflora und -fauna bleibt erhalten und die Degradation und Erosion von Böden wird verringert.

Insgesamt gilt es, das Wissen, die Erfahrung und die Sorten der Landbevölkerung in den Regionen der Welt zu erhalten und zur Sicherung der Ernährung auf nachhaltige Weise zu nutzen. Hierzu bedarf es eines Schutzes dieses Wissens durch die bereits formulierten Rechte der Farmer – den sogenannten „Farmer’s Rights" –, um ein Gegengewicht zu Sortenschutz, Patentschutz und Globalisierung des Saatgutmarktes zu schaffen. Indigenes und regionales know-how wurde zumeist in Gemeinschaften entwickelt und erhalten. Daher sollte es nicht durch multinationale Konzerne vermarktet werden dürfen. In einer am Prinzip der Nachhaltigkeit orientierten Ökonomie darf weder die Gesellschaft der Landwirtschaft ihre Schadstoffe aufhalsen, noch sollten umgekehrt negative externe Effekte von der Landwirtschaft ausgehen.

Vor diesem Hintergrund gibt es einen erheblichen Reformbedarf bei den internationalen Agrarbeziehungen. Anstatt eine weitere Liberalisierung im Agrarbereich voranzutreiben, bietet sich nun, gerade nach dem Scheitern der ursprünglichen Intentionen der Verhandlungsrunde in Seattle Ende 1999, die Chance einer grundlegenden Reform der WTO. Die Stärkung der Stellung der Entwicklungsländer im Welthandelssystem, der Aufbau eines globalen, an Prinzipien der Gemeinnützigkeit orientierten Netzes zur Verbesserung der Ernährungssicherung und die Stärkung der sogenannten „non trade concerns" in Nord und Süd sind grundlegende Elemente einer solchen Reform.

Insbesondere die multilateralen Umweltabkommen – etwa die Abkommen zur Artenvielfalt, zur biologischen Sicherheit, zum Artenschutz, zur Verhinderung der Wüstenbildung, zum Klimaschutz oder die umweltrelevanten Elemente der Agenda 21 – sollten auch für die WTO einen verbindlichen Rahmen darstellen. Es sollte angestrebt werden, diese existierenden internationalen Vereinbarungen so weit wie möglich auszuschöpfen.

Der voranstehende Text versteht sich als ein erster Anstoß zur Diskussion. Es wurden eine Reihe von Themen benannt, die uns äußerst wichtig erscheinen, wenn die Entwicklung am Beginn des 21. Jahrhunderts zukunftsfähig sein soll. Die zukünftige Entwicklung der Landwirtschaft ist derzeit hart umkämpft. Die Konfliktmuster erscheinen als Scheidewege – etwa zwischen einer input-intensiven und einer standortgerechten, ökologisch orientierten Landwirtschaft oder zwischen einer bäuerlichen und einer am industriellen Vorbild orientierten Gestaltung des Agrarsektors. Unterschiedliche nationale Interessen finden sich in internationalen Verhandlungspositionen wieder, Verbandsinteressen werden in Forderungen an die Agrarpolitik deutlich, wirtschaftliche Interessen beeinflussen die Entwicklung der Technologie und die politische Auseinandersetzung um die Patentierung.

Eine zukunftsfähige Gestaltung der Landwirtschaft muss diese Auseinandersetzungen zur Kenntnis nehmen, erfordert dann jedoch, sich vom tagespolitischen Geschäft ein Stück weit zu distanzieren und die langfristig notwendigen Entwicklungen zu diskutieren. Tagespolitische Forderungen müssen sorgfältig daraufhin untersucht werden, in welche der grundlegenden Entwicklungsrichtungen sie die Landwirtschaft bewegen wollen.

In diesem Sinn versteht sich der vorliegende Text auch als ein Aufruf zur Partizipation. Die Fragen, die mit dem Zusammenhang von Ernährungssicherung und nachhaltiger Entwicklung verbunden sind, beziehen sich auf komplexe Sachverhalte, die nicht leicht zu erschließen sind. Es ist jedoch von großer Bedeutung, dass möglichst viele Menschen sich Kenntnisse erwerben, genauer hinsehen und diese Fragen nicht nur den Experten überlassen. Nur dann werden die eigenen Handlungsmöglichkeiten (wieder-)entdeckt werden können.

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