Ernährungssicherung und Nachhaltige Entwicklung

IV. Gesamtkonzepte und Gegenentwürfe

7. Konzepte von Welternährung und Rahmenbedingungen für Nachhaltigkeitsstrategien

Die Grundlage der industrialisierten Landwirtschaft bildete die Einführung der kreditgestützten Spezialisierung der landwirtschaftlichen Betriebe auf wenige Produkte oder sogar nur ein Produkt, mit dem Höchsterträge erzielt werden sollten. Die Preise dieser Produkte wurden in Krisenzeiten durch die öffentliche Hand abgestützt. Dieses Produktionsmuster setzte sich in den USA ab den dreißiger und vierziger Jahren durch, als die Steigerung der Agrarproduktion wegen des Weltkrieges notwendig wurde. Die Agrarproduktion der EG holte nur langsam auf; erst in den sechziger und siebziger Jahren hat sich auch hier die industrialisierte Landwirtschaft durchgesetzt. Mit dem Eintritt der preissubventionierten EG-Agrarüberschüsse in den Weltmarkt und der Konkurrenz zu den USA kam es zur Globalisierung der Agrarproduktion und es entwickelte sich ein Wettbewerb um globale Märkte für Agrarprodukte, an dem sich inzwischen mehr oder minder alle Staaten der Erde zu beteiligen versuchen.

Die Entwicklungsländer exportierten noch aus der Tradition des Kolonialismus zunächst primär Rohstoffe, um die gestiegenen Bedürfnisse der eigenen Bevölkerung nach Handelsgütern zu befriedigen. Das Sinken der Rohstoffpreise führte zu einem Wechsel der Strategie: Auf günstigen Standorten wurden nun Agrar-Massengüter für den Export angebaut, der Anbau von Grundnahrungsmitteln für die Bevölkerung wurde auf marginale Standorte verdrängt und damit im Ertrag stark reduziert. Der Import von Lebensmitteln wurde erforderlich.

Das Leitbild „Standortgerechter Landbau"

Zur weiteren Zukunftssicherung der Welternährung sind umfassende Neuansätze notwendig. Die einfachen Wachstumspfade der Vergangenheit mit einer reinen Ausdehnung der bewässerten Fläche, der weiteren Landnahme, der Ausdehnung der Anbaufläche unter den Hochertragssorten und des externen Betriebsmitteleinsatzes können so nicht weiter beschritten werden. Doch worin besteht ein möglicher neuer Ansatz?

Die Agenda 21 selbst deutet drei unterschiedliche Entwicklungspfade für die Landwirtschaft an:

  1. die „Neue Grüne Revolution", d.h. der alte Weg der intensiven Landwirtschaft mit völlig neuem, gentechnisch verändertem Saatgut, das Ertragssteigerung und Umwelt- und Ressourcenschutz gleichzeitig verspricht;

  2. der „Integrierte Landbau", der durch eine breite Palette von allen denkbaren Maßnahmen kulturtechnischer Art den Einsatz externer Betriebsmittel minimieren beziehungsweise die höchste Effizienz ihres Einsatzes verwirklichen will;

  3. der „Alternative Landbau", der nicht präzise definiert wird, dessen Existenz durch die Agenda 21 zum ersten Mal in einem internationalen Regierungsdokument erwähnt wird, und den es – so die Agenda 21 – zu studieren, zu dokumentieren und eventuell auch zu fördern gilt.
Die Agenda 21 widmet sich der Gentechnik in einem eigenen Kapitel und verspricht sich von ihr große Lösungsansätze. Sie macht zwischen Pfad 1 und Pfad 2 keine Unterscheidung, sondern begreift diese Entwicklungswege als komplementär mit fließenden Übergängen.

Zwischen diesen drei Pfaden gibt es in der Landwirtschaft Europas stark ausgeprägte Unterschiede, weil der „Alternative Landbau" durch die EU-Richtlinie zur biologischen Landwirtschaft bereits gesetzlich umrissen ist. Definitionsgemäß muss hier auf jeglichen Einsatz chemischer Pflanzenschutzmittel, synthetischer Düngemittel und auf die Gentechnik verzichtet werden. Die Unterschiede zwischen diesen drei Entwicklungspfaden sind in der Landwirtschaft des Südens nicht so scharf voneinander getrennt.

Von den kleinen Nischen eines städtischen, gehobenen Marktes und den geringen, von der EU lizenzierten Exportmöglichkeiten für biologische Produkte abgesehen, gibt es den „Biologischen Landbau" als eng definiertes Methodengefüge in den meisten Entwicklungsländern bislang kaum. Die hohe Flexibilität zugestandener Mittel und Methoden legt es nahe, hier eher von „Standortgerechtem Landbau" zu reden, wie es sich bei den meisten Nicht-Regierungsorganisationen eingebürgert hat, die im Entwicklungsbereich arbeiten. Die Abgrenzung des standortgerechten Landbaus gegenüber der Gentechnik ist genauso scharf wie bei der „Biologischen Landwirtschaft". Gegenüber dem Einsatz chemischer Pflanzenschutz- und synthetischer Düngemittel ist der „Standortgerechte Landbau" aber in mancher Hinsicht kompromissbereiter.

Integrierter Pflanzenschutz und Partizipation: Das Modell, das hinter der Agenda 21 steht

Agenda 21, Kapitel 14 erklärt den „Integrierten Pflanzenschutz bzw. Landbau" (IPS) zum Leitbild der nachhaltigen Landwirtschaft. Um das zu verstehen, muss man den Hintergrund kennen, denn zwischen IPS in den Tropen und IPS in Europa ist ein großer Unterschied. Dahinter standen die Erfahrungen mit einem groß angelegten Programm in Indonesien. Innerhalb des „Inter Country Program South East Asia" der FAO hat Indonesien beschlossen, IPS zum verbindlichen Pro-gramm im Reisanbau zu machen, weil die Pflanzenschutzprobleme überhand nahmen. Auf nationaler Ebene wurden alle Förderungen für Pflanzenschutzmittel wie Subventionen, Kredite, Spezialberatung aufgegeben. In einem Pflanzen-schutz-mittelgesetz wurden 57 chemische Pflanzenschutzmittel verboten oder stark eingeschränkt, und es wurde ein großes Programm zur Schulung, Forschung und Entwicklung von Alternativen eingeführt. In diesem Zusammen-hang wurden 200.000 Bauern geschult, die dann wiederum die Aufgabe hatten, andere Bauern zu schulen; die Forschung wurde dezentralisiert und mit Schulung und Beratung kombiniert; Berater, Wissenschaftler und Politiker mussten sich Schulungskursen über die Bedeutung des IPS unterziehen. Die Minderung des chemischen Pflanzenschutzmitteleinsatzes wurde zum Erfolgskriterium. Tatsäch-lich erreichte dieses Programm durch einen hohen Grad an Mobilisierung, dass die chemischen Pflanzenschutzmittel um 40 Prozent im Reisanbau zurückgingen, ohne dass Ertragsverluste zu verzeichnen waren. Die geschulten Bauern hatten im Durchschnitt höhere Erträge und weniger Ausgaben für chemischen Pflanzenschutz.

Die Erfolgskriterien für das Programm in Indonesien waren:
  • ein fester politischer Wille und eine konsistente Politik,

  • die Mobilisierung und Schulung der Bauern durch echte Partizipation auf breiter Front, unter Einbeziehung des lokalen Wissens und Aufwertung der Rolle der Bauern,

  • eine Kontrolle des Marktes und konsequente Risikominderung,

  • keine vage Definition des IPS, sondern die Beibehaltung des chemischen Pflanzenschutzes als „letzte Zuflucht".
Allerdings sind die Erfolge dieses Programms anschließend durch Strukturelle Anpassungsprogramme in Frage gestellt worden, in deren Folge
  • der Verkauf landwirtschaftlicher Produkte privatisiert wurde;

  • Beratungswesen, Schulung und Forschung durch Deregulierung und Sparzwänge abgebaut und privatisiert wurden;

  • die weitere Förderung der Alternativentwicklung nur noch durch ausländische Entwicklungshilfe erfolgte,

  • auch das staatliche Kontrollwesen beim Verkauf und Einsatz von chemischen Pflanzenschutzmitteln über Entwicklungshilfegelder finanziert werden musste.
    Die Abgrenzung zum „Integrierten Landbau" wiederum bestimmt sich vor allem durch die Anwendung der Chemie. Das Deutsche Pflanzenschutzgesetz definiert das Verhältnis des Integrierten Pflanzenschutzes zur Chemie so, dass der chemische Pflanzenschutz auf das „notwendige Maß" zu begrenzen sei. Einen Schritt weiter geht die Definition der FAO, die den chemischen Pflanzenschutzeinsatz sehr viel restriktiver auf das „letzte Mittel" beschränken will, nachdem alle anderen Methoden versagen. Der „Integrierte Landbau" ist in Deutschland zum Leitbild geworden, das von dem vorgeschriebenen Standard der „guten fachlichen Praxis" nur wenig abweicht. Die Auslegung dieses Leitbildes bleibt aber unverbindlich und vage. So hat das Bekenntnis zum „Integrierten Pflanzenschutz" kaum zu nennenswerten gesamtwirtschaftlichen Einsparungen beim chemischen Pflanzenschutz oder bei der synthetischen Düngung geführt. Es gibt aber auch in Deutschland eine Variante der „Standortgerechten Landwirtschaft", die im konstruktiven Sinne alle Möglichkeiten der Chemieeinsparung ausschöpft und dabei auch umfangreichere Änderungen der Anbaustruktur, Techniken der Bodenbearbeitung, Schadschwellenbestimmung, Fruchtfolge, Saatgutauswahl und Pflanzen-ernährung einbezieht.

    Bei einem Übergang zum standortgerechten Landbau handelt es sich also nicht nur darum, dass Gemeinden und Regionen zu ihrer Nahrungsmittelversorgung dadurch beitragen, dass sie regional spezifische Saatgutsorten anbauen; der wesentliche Punkt besteht auch hier darin, die Abhängigkeit von externen Inputs soweit wie möglich zu reduzieren. Dabei geht es nicht einfach um die Rückkehr zu traditionellen Formen der Landbewirtschaftung. Es ist keineswegs so, dass der standortgerechte Landbau technikfeindlich oder gar bewusst technologisch rückständig wäre – es sind im Vergleich zum globalen Agrobusiness lediglich andere Kriterien, die über den Einsatz bestimmter technischer Mittel in der Produktion von Gütern und Dienstleistungen entscheiden. Dies gilt auch für den „dritten Pfad" der Agenda 21: die alternativen oder ökologischen Landbaumethoden.

    Die folgende Übersicht zeigt die ganze Bandbreite der verschiedenen Aspekte, die bei einem solchen Übergang zu einem anderen Entwicklungspfad der Landwirtschaft berücksichtigt werden müssen. Bei dem Katalog von Kriterien handelt es sich um eine idealtypische Beschreibung eines Leitbildes, das je nach den regional unterschiedlichen ökonomischen, ökologischen und sozialen Bedingungen der verschiedenen Standorte angepasst werden muss.

    Kriterien für einen anderen Entwicklungspfad in der Landwirtschaft
    • Die Sonnenenergie und andere erneuerbare Formen der Energie sind im alternativen Landbau die Hauptenergiequelle. Auf die in der industriellen Landwirtschaft in großen Mengen eingesetzte fossile Energie unterschiedlicher Form wird soweit wie möglich verzichtet.

    • Ein Teil der Energie wird in ökologisch orientierten landwirtschaftlichen Betrieben selbst erzeugt.

    • Im alternativen Landbau dominiert die Nutzung von Regenwasser und kleinräumigen Bewässerungssystemen. Große Staudämme, die Verteilung von Trinkwasser über weite Distanzen und tief gebohrte Brunnen zur Wasserversorgung – Entwicklungen des industriellen Systems – werden nur in wirklichen Notsituationen eingesetzt.

    • Der alternative Landbau verwendet ausschließlich organische Düngemittel. Die Bekämpfung von Pflanzenkrankheiten und Schädlingen erfolgt durch das Anlegen von Mischkulturen sowie durch mechanische und biologische Verfahren. Auf die anorganischen Dünger, die Pestizide und Herbizide des industriellen Systems wird nur bei der Gefahr eines Totalverlustes zurückgegriffen.

    • Im alternativen Landbau werden hauptsächlich heimische traditionelle Saatgutsorten verwendet; möglich sind auch Mischungen verschiedener Saatgutsorten. Sortenreines Saatgut, insbesondere Hybridvarianten, sollten keinesfalls auf der Mehrzahl der Felder angebaut werden.

    • Auf den Feldern gibt es keine Monokulturen wie bei der industriellen Landwirtschaft, sondern eine Vielfalt verschiedener Sorten und einen Anbau in sorgfältig überlegter Fruchtfolge.

    • Der alternative Landbau ist erheblich arbeitsintensiver als die industriellen Anbauweisen, bei denen sehr viel mehr mit Maschinen bewerkstelligt wird; bäuerliche Formen der Landbewirtschaftung, auch Familienbetriebe, finden wieder ihr Auskommen.

    • Das Kapital der ökologisch orientierten landwirtschaftlichen Betriebe wird von den Besitzern der Höfe oder durch neue, lokale Formen der Kreditwirtschaft aufgebracht; die Höfe im industriellen System werden vom herkömmlichen Bankensystem mit Krediten versorgt, was die vorherrschenden Konzentrationstendenzen weiter verschärft.

    • Die Vermarktung der Produkte erfolgt beim alternativen Landbau hauptsächlich über regionale Vertriebsstrukturen. Die industrielle Landwirtschaft produziert dagegen für den anonymen (Welt-)Markt.
      Die Umstellung von industriellen auf alternative Anbaumethoden braucht einige Jahre, in denen die Landwirte Ertragsverluste erleiden; in dieser Zeit der Umstellung müssen Hilfen und Zwischenfinanzierungen zur Verfügung gestellt werden – was jedoch durchaus im Interesse einer regional orientierten Ökonomie ist, denn von der Umstellung profitiert langfristig die Gemeinde oder Region als Ganze. Außerdem stellt sich sehr oft heraus, dass die Umstellung weniger Probleme mit sich bringt, als die meisten Menschen glauben, denn viele Ausgaben entstehen den Landwirten nur innerhalb des industriellen Systems. Zum Beispiel ist es fast unvermeidlich, Pestizide zu verwenden, wenn stickstoffhaltige Kunstdünger ausgebracht werden, weil der Dünger die Pflanzen nicht nur zu kräftigerem Wachstum anregt, sondern auch für Insekten, Bakterien und Pilzinfektionen anfälliger macht. Wird auf Kunstdünger hingegen verzichtet, sind Pestizide oft ebenfalls überflüssig. Eine weitere Ursache für erhöhten Schädlingsbefall sind die großen Felder ohne Hecken dazwischen, die die Bauern entfernt haben, um die immer größer dimensionierten Landmaschinen besser nutzen zu können.

      In den Tropen ist allen drei oben dargestellten Entwicklungspfaden der Versuch gemeinsam, neue Technologiepakete für alle Betriebsgrößen zugänglich zu machen, um keine zusätzlichen Strukturwandlungsprozesse und damit die Verdrängung von Kleinbauern, Pächtern und arbeitsintensiver Beschäftigung auszulösen. Diese gute Absicht ist jedoch schwierig in die Realität umzusetzen, denn mit dem Gebrauch von externen zugekauften Betriebsmitteln geht Bedarf an Bargeld einher. Der ungleiche Zugang zu Geldmitteln beziehungsweise der Vorfinanzierung der variablen Inputs bringt soziale Auslesefaktoren mit sich, die über Umwege dann doch zu einem Strukturwandlungsprozess und zu einer arbeitskraftsparenden Mechanisierung führen können.

      Während unter den Preisverhältnissen der Industriestaaten, wo die Arbeit teuer und das Kapital billig ist, die Mechanisierung – selbst der biologischen Landwirtschaft – weit voran geschritten ist, muss in den Entwicklungsländern, wo Arbeitskraft billig und Kapital teuer ist, die hohe Arbeitsintensität möglichst erhalten bleiben. Die Mechanisierung kann hier nur sehr selektiv vorgenommen werden: Sie darf lediglich eine Kapazitätsausweitung der Arbeit beziehungsweise eine Erhöhung ihrer Produktivität bewirken, nicht jedoch zu einer Verdrängung von Arbeit führen. Zum Beispiel kann die Mechanisierung der Feldbearbeitung und Herstellung eines Saatbeets zu Beginn der Regenzeit in Afrika den Umfang der bestellbaren Fläche pro Arbeitskraft enorm erhöhen, vorausgesetzt, dass genügend Land vorhanden ist.

      Das Grundprinzip des „Standortgerechten Landbaus" ist die geschickte und möglichst effiziente Nutzung der lokalen Bedingungen des Betriebes. Dazu gehört neben dem Management eines stabilen, kleinräumlichen Gleichgewichts von Nützlingen und Schädlingen auch die kleinräumliche optimale Anpassung der Kulturen und Pflanzensorten an die Böden, an das Kleinklima und an die Wasserverfügbarkeitsverhältnisse im Saisonablauf. Dazu gehört außerdem die Optimierung weitgehend geschlossener betrieblicher Kreisläufe – Kreisläufe zwischen den Kulturen, den Nutztieren und den Menschen.

      Der „Standortgerechte Landbau" ist ein beständiger Such- und Lernprozess nach neuen Anpassungen und Optimierungen. Ihm liegt die genaue Beobachtung der Natur und ihre ganzheitliche Nutzung zugrunde.

      Dieser Entwicklungspfad ist besonders geeignet für die Überwindung der drei großen Vernachlässigungen der Grünen Revolution:
      1. die Vernachlässigung der ganzen Bandbreite der pflanzengenetischen Ressourcen, das heißt, die Ausnutzung der Vielfalt der unterschiedlichsten Genotypen einer Kulturpflanze;

      2. die volle Nutzung auch der produktivitätssteigernden Kapazitäten von marginalen Anbaugebieten, die für den intensiven Bewässerungslandbau nicht geeignet sind und deren Kulturarten und Saatgutbedürfnisse von der Grünen Revolution weitgehend vernachlässigt worden sind;

      3. die Nutzung der unternehmerischen Fähigkeit auch auf marginalen Flächen, bei denen die Akteure als Subsistenz- oder Semi-Subsistenzlandwirte, als Pächter oder Nebenerwerbsbauern von dem technischen Fortschritt weitgehend ausgeschlossen wurden, weil sie nicht die Finanzierungsmöglichkeiten hatten, um die modernen Betriebsmittel zu kaufen.
      Es kann als gesichert gelten, dass die Zukunftsfähigkeit der Welternährung nicht so sehr an den großen Kapitalinvestitionen in der Landwirtschaft hängen wird, sondern an einem Übergang zu dem wissensintensiven Prozess einer „Standortgerechten Landwirtschaft". In dieser Landwirtschaft ist der Erzeuger selbst Hauptträger des Wissens, das auf das Gleichgewicht zwischen der Ertragssteigerung der Pflanzen und Tiere und den ökologischen, sozialen und ökonomischen Belangen abstellt. Das bedeutet, dass die Forschung und Entwicklung nicht in die Laboratorien der Universitäten und der Industrie ausgelagert werden kann, sondern dass sie sich in die sozioökonomischen Verhältnisse der Bauern vor Ort integrieren muss.

      In der Vergangenheit wurde auf die Rolle und die Fähigkeiten der Bauern wenig Wert gelegt. Sie waren lediglich Empfänger von Modernisierungsbotschaften, die anderswo entwickelt wurden. Man vertraute darauf, dass die höhere Leistungsfähigkeit der Innovationen die Bauern schon überzeugen würde. Doch nur allzu oft nahmen sie weit weniger an als erhofft, und die Anwendung der neuen Anbaumethoden in der Praxis brachte bei weitem nicht die Erfolge, die auf den Versuchsfeldern erzielt wurden. Bei näherem Hinsehen, warum Bauern die modernen Technologiepakete nicht voll ausschöpften oder gar nicht akzeptierten, fanden Sozialwissenschaftler immer wieder sehr rationale Gründe. Unter den real existierenden sozioökonomischen Verhältnissen der bäuerlichen Agrarkulturen gibt es viele Hindernisse, die es nicht sinnvoll machen, die höchstmögliche Produktivität anzustreben.

      Mit Sicherheit ist das Wissen der Bauern, was die jeweiligen konkreten ökologischen, sozialen und ökonomischen Produktionsbedingungen betrifft, der wichtigste Faktor für den Entwicklungspfad der standortgerechten Landwirtschaft. Doch dürfen die Bauern nicht auf sich allein gestellt bleiben. Ein neuartiger Forschungs- und Beratungsansatz muss ihnen dabei helfen, ihre endogenen Produktivkräfte optimal zu nutzen. Dafür müssen partizipatorische Forschungsmethoden und ein dialogischer Stil der Beratung entwickelt werden. Die Wissenschaft darf sich nicht mehr in ihre Elfenbeintürme zurückziehen, sondern muss mit den Bauern zusammen den Landbau optimieren. Sie muss das traditionelle Wissen und die Intuitionen der Bauern als ein Potential entdecken und ernstnehmen. Gemeinsam müssen die Forschungsziele definiert und die Ansatzpunkte bestimmt werden. Verzögerungen zwischen der Erarbeitung von Forschungsergebnissen und ihrer Anwendung wird es nicht geben; die Erkenntnisse der Wissenschaft müssen sich in den konkreten sozioökonomischen Verhältnissen bewähren. Die Bauern lernen durch die Forscher, so dass sie ihr traditionelles Wissen und die empirische Methode langsam selbst mit den Forschungsresultaten kombinieren können. Ihr Humankapital wird gestärkt, ihr Selbstbewusstsein und ihre Unabhängigkeit gefördert, damit sie die nächsten Optimierungsfragen vielleicht auf sich allein gestellt lösen können.

      Partizipatorische Forschung: Was ist das? Ein Beispiel aus der Praxis

      Die Wissenschaftlerinnen Dr. Eva Weltzien-Rattunde, Pflanzenzüchterin an dem Internationalen Agrarforschungszentrum für aride und semiaride Gebiete in Hyderabad, und Kirsten vom Brocke von der Universität Hohenheim führen in dem sehr schwierigen Gebiet der Trockenregion im Staate von Rajastan seit Jahren eine partizipatorische Forschung durch, um den Hirseanbau der dortigen Bauern zu verbessern. Die Bauern dieses Gebietes bauen sowohl traditionelle als auch moderne Hirsesorten an. Systematisch haben die Wissenschaftlerinnen mit Hilfe einer spezifischen Methode, der „participatory rural appraisal", das Wissen der Bäuerinnen und Bauern über Eigenschaften und Qualitätsmerkmale ihrer Sorten dokumentiert. Insbesondere wurde von ihnen auch der gesamte Prozess des Saatgutmanagements, das heißt der Pflege, Selektion und Aufbereitung des Saatguts traditioneller Sorten sowie der Austausch von Saatgut zwischen einzelnen Familien oder einer ganzen Region und der Umgang der Bauern mit modernen Züchtungen erfasst. Erstaunlich bei der Bewertung des Saatguts durch die Bauern selbst war, dass sie zum einen sehr genau über die Eigenschaften ihrer selbst angebauten Sorten informiert waren. Zum anderen erwies sich aber, dass ihre Beurteilung der Vorteilhaftigkeit einzelner Sorten sehr unterschiedlich und von der Kastenzugehörigkeit, dem Geschlecht, der Betriebsgröße, der Lage des Betriebs, der Verteilung der Felder und anderem abhängig war. Weitergehende Informationen über das ganze Spektrum des existierenden Saatguts waren bei den Bauern jedoch nicht vorhanden.

      Die Wissenschaftler haben dann die Bauern animiert, ihnen unbekannte Sorten versuchsweise anzubauen, und zwar mit ihren normalen Produktionsmethoden. Sie wurden dabei durch Berater unterstützt. Die Bauern haben bei der Auswertung ihrer eigenen Versuche ein großes Spektrum von Klassifizierungen selbst eingeführt: Wachstum und Produktivität, Qualität der Körner und Futterqualität des Strohs, die Angepasstheit an die Umweltbedingungen und anderes mehr. Noch vor der Ernte wurden alle Felder inspiziert und in Gruppen die Ergebnisse im Vergleich zu den bisher angebauten Sorten verglichen. Aus diesen Diskussionen bestimmten die Bauern dann selbst jeweils in ihrem Ort, welche Selektion zur Weiterzüchtung vorgenommen werden solle. Die Auswahl war sehr unterschiedlich, weil auch die sozialen und ökologischen Verhältnisse von Gruppe zu Gruppe und Dorf zu Dorf abwichen. Die Bauern haben sich mit den erfolgten Kreuzungen und den weiteren Verbesserungsschritten der Züchter im höchsten Maße identifiziert und großes Interesse daran gezeigt zu lernen, wie man systematisch kreuzt, selektiert und gewichtet.

      In der Auswertung dieses Projektes urteilten die Wissenschaftler, dass die Einbeziehung der Bauern ein äußerst effizienter Weg war, um die Züchtung an die sozialen und ökologischen Bedingungen der Bauern anzupassen. Ohne die Bauern wären die Wissenschaftler nicht in der Lage gewesen, den Wert und die Bedeutung bestimmter alter Landrassen für die Bauern zu verstehen.


      Um die potenziellen Konflikte zwischen dem Ziel des Produktionswachstums und der Erhaltung der natürlichen Ressourcen zu bewältigen, wird es auch nötig sein, die konventionelle Vorstellung vom Bauern als Produzent von Erzeugnissen zu überwinden. In die Forschungs- und Beratungsansätze muss das Verhalten des Bauern als Landnutzer in seinem spezifischen ökosystemaren Kontext und in seinen gesellschaftlichen Bedingungen eingehen, die dieses Verhalten beeinflussen. Dabei kann es notwendig sein, die gesellschaftlichen Vorstellungen von Fortschritt in Frage zu stellen.

      Das Verhältnis zwischen der Optimierung der biologischen Effizienz externer Betriebsmittel – bei hohem Sicherheitsstandard – und der maximalen effizienten Nutzung der endogenen Prozesse durch biologische und ökologische Maßnahmen wird bei der standortgerechten Landwirtschaft nicht von vornherein festgelegt. Ein völliger Verzicht chemischer Pflanzenschutzmittel oder synthetischer Düngemittel erfolgt nicht a priori. Allerdings gibt es eine klare Rangfolge der Methoden; erst nach völliger Ausschöpfung der endogenen Kapazitäten wird komplementär zur Beseitigung restlicher Probleme auf den Einsatz externer Betriebsmittel zurückgegriffen. Sofern sich der Markt für chemiefreie Lebensmittel weiter günstig entwickelt, wird für viele Betriebe die völlige Umstellung auf die biologische Landwirtschaft eine lukrative und selbstverständliche Reaktion sein.

      Die wissensintensive Landwirtschaft in den Tropen und vor allem in schwierigen semiariden Gebieten, die von starken Schwankungen des Niederschlags und anderen klimatischen Unsicherheiten geprägt sind, bedarf einer besonders bedächtigen und vorsichtigen Annäherung. Ressourcenarme Bauern sind äußerst anfällig für Ertragseinbußen oder Ernteausfälle. Die Maximierung der Sicherheit durch eine Bandbreite verschiedener Kulturtechniken steht unter diesen Bedingungen im Vordergrund. Darunter fallen zum Beispiel Methoden wie die Auswahl extrem dürreresistenter Sorten oder Kulturen, eine bewusst starke Zersplitterung der Felder, verzögerte und heterogene Aussaattermine und Kulturtechniken oder eine starke Streuung von Mischkulturanlagen. Ertragsvergleiche unter Kleinbauern zeigen häufig, dass der Verzicht auf optimale Erträge in guten Jahren wegen Anbaus robusteren traditionellen Saatguts zwar schmerzlich ist. Dennoch führt die Strategie der Sicherung einer Minimalernte bei schlechten Witterungs-bedingungen im Zehnjahresdurchschnitt immer noch zu höheren Erträgen, als wenn das Risiko eines völligen Ernteausfalls in schlechten Jahren beim Anbau von empfindlicheren Hochleistungssorten in Kauf genommen wird – ganz abgesehen von der sozialen Frage, wie denn die Familie bei einem Ernteausfall überhaupt überleben kann.

      Es kann keine Anstrengungen zur Verbesserung der Produktionsmethoden auf Seiten der Bauern ohne Produktionsanreize geben. Eine gleichgewichtige Entwicklung der ländlichen Ökonomie basiert meist auch auf einem zunehmenden Austausch zwischen den Provinzstädten und dem Land sowie auf der Entwicklung von kleinräumlichen regionalen Märkten und Austauschbeziehungen. Der Informationsaustausch über die Marktentwicklungen, die Nachfrage und die Vermarktungsmöglichkeiten ist für die Bauern ebenso wichtig wie die produktions-technischen Informationen. Eine Diversifizierung der Produktion muss einhergehen mit dem Aufbau von Vermarktungsmöglichkeiten für diversifizierte Erzeugnisse. Auch mit diesen Aspekten muss sich Forschung und Beratung beschäftigen.

      Neben der Verbesserung der Vermarktungsmöglichkeiten ist es genauso wichtig, dass die Bauern durch ihre Organisationen und durch ihr Wissen die Möglichkeiten der Märkte beeinflussen und auch auf die nationale Politik durch demokratische Mitbestimmung und ihre politische Interessenvertretung Einfluss nehmen. Das Selbstbewusstsein der Bauern und ihr sozialer Status in der Gesellschaft sind extrem wichtig für die Zukunft der Hunderte von Millionen kleiner Bauernbetriebe auf der Welt, die über die Zukunft der Welternährung entscheiden. Auch dies ist ein wissensintensiver Prozess, der sehr stark abhängig ist von dem allgemeinen Bildungsniveau der Bauern und ihrem Zugang zu modernen Informationskanälen.

      Hindernisse auf dem Weg zum „Standortgerechten Landbau"

      Die Gefährdung dieses Weges geht von den Interessen des Agrobusiness aus, das sich vor allem durch die Anwendung der Gentechnik der Saatzüchtung bemächtigt hat. Da in den genetischen Codes des Saatguts auch ein großer Teil der Agrarentwicklung vorweggenommen wird, bedeutet die Kontrolle des Saatgutsektors die Kontrolle über die zukünftigen Entwicklungspfade. Als effektivstes Kontrollinstrument hat sich das Patentrecht herausgestellt, denn es garantiert die Verfügungsgewalt mit Hilfe von Ausschließungsrechten und kann Bedingungen diktieren, unter denen patentgeschützte Innovationen angewandt werden. So ist der Kampf um die Frage nach Patenten auf Lebendformen, die durch Patententscheidungen in den USA ausgelöst wurden und die erst in neuester Zeit durch den TRIPS-Vertrag der WTO und in Europa durch die EU-Richtlinie über den rechtlichen Schutz biotechnologischer Erfindungen eingeführt worden sind, die eigentliche Machtfrage im Blick auf die wichtigen Optionen der zukünftigen Entwicklungspfade im Agrar- und Ernährungsbereich.

      Auch alternatives Saatgut ist vermarktbar – eine Lobbyaktion trägt Früchte

      Nach dem Saatgutverkehrsgesetz darf nur solches Saatgut vermarktet werden, das in seinen genetischen Eigenschaften homogen, stabil und unterscheidbar ist. Diese sehr enge Auslegung durch das Bundessortenamt hat dazu geführt, dass nur Hochzuchtsorten auf dem Markt sind. Von Ökobauern selbstgezüchtete Sorten, Landrassen oder Wildformen durften nicht weitergegeben werden. Diese Regelung, die eigentlich dem Verbraucherschutz dienen soll, also die Bauern schützen soll vor Irreführung, weil man Saatgut seine Qualität nicht ansieht, widerspricht dem Gebot der Diversität. Stand früher die Frage nach den Höchsterträgen im Vordergrund, hat sich heute die Beurteilung gewandelt: Jetzt spielt die Erhaltung pflanzengenetischer Ressourcen und die Agrobiodiversität eine wichtige Rolle.

      Bei der FAO-Konferenz zu pflanzengenetischen Ressourcen, die 1996 in Leipzig auf Einladung der Bundesregierung stattfand und bei der ein Globaler Aktionsplan ausgearbeitet wurde, haben die Nichtregierungsorganisationen (NRO) die Regelung des Saatgutverkehrsgesetzes stark hinterfragt. Diese Kritik kommt in allerdings vorsichtiger Weise selbst in dem Globalen Aktionsplan zum Ausdruck.

      In einer Aktion von deutschen NROs, initiiert von der Entwicklungspolitischen Bildung auf dem Lande in der EKD, wurde mit Öko-Saatgut des bayrischen Bauern Josef Albrecht, der wegen der Weitergabe dieses selbstgezüchteten Saatguts angeklagt war, auf die Problematik hingewiesen. Saatguttüten wurden in Leipzig an viele Menschen weitergegeben und ausgetauscht, und diese Menschen wurden aufgefordert, sich selbst beim Bundessortenamt anzuzeigen, weil sie gegen das Gesetz verstoßen hätten. Mehrere Tausend Selbstanzeigen gingen beim Bundessortenamt ein.

      Bei der abschließenden Pressekonferenz der Bundesregierung bei dieser FAO-Tagung wurde nach gezieltem und beharrlichem Fragen der Journalisten von dem damaligen Staatssekretär des Bundeslandwirtschaftsministeriums Feiter zugegeben, dass das Saatgutverkehrsgesetz an diesem Punkt als Konsequenz von Leipzig geändert werden müsse. Daraufhin machte das Bundessortenamt im Auftrag des Bundeslandwirtschaftsministeriums einen weitreichenden Vorschlag, nach dem Saatgut, das den strengen Auflagen der Zulassung für die „Inverkehrbringung" nicht genügen kann, nun doch in begrenzter Menge gehandelt werden darf. Dem zugrunde lag auch eine Revision der EU-Richtlinie zum Saatgutverkehr, die eine vereinfachte Regelung zur Weitergabe von sogenanntem „Erhaltungssaatgut" vorsieht: Dieser Begriff bezeichnet Landsorten und Sorten, die an die örtlichen und regionalen natürlichen Gegebenheiten angepasst und von genetischer Erosion bedroht sind. Für diese Sorten sollte ein bestimmtes Zulassungsverfahren und auch eine nichtamtliche Prüfung EU-weit zulässig werden. Sie sollen im Gemeinschaftlichen Sortenkatalog der EU aufgeführt werden, aber mit der speziellen Bezeichnung „Erhaltungssorte".

      Der Vorschlag des Bundessortenamts (BSA) wich stark von dem EU-Richtlinienentwurf ab und ging im Sinne der Nichtregierungsorganisationen wesentlich weiter. Das Bundessortenamt wollte eine völlige Trennung zwischen Sorten, die auch weiterhin unangefochten Hochleistungssaatgut sein sollen, und „anderem Saatgut", das überhaupt keiner Prüfung oder Zulassung bedarf und auch nicht in dem Gemeinsamen Sortenkatalog aufgeführt wird. Dieses „andere Saatgut" nennt der BSA-Vorschlag „Herkunftssaatgut". Es darf mit spezieller Kennzeichnung in einem begrenzten Umfang in Verkehr gebracht werden, wenn es einigen weiteren Kriterien genügt.


      Es geht dabei nicht nur um die Fragen, ob Gentechnik in der Landwirtschaft gut oder schlecht ist, ob die Saatgutkonzerne ihr Wissen in die richtige Richtung nutzen und transferieren, so dass es auch der tropischen Landwirtschaft und dort den Kleinbauern, der Hunger- und Armutsbekämpfung und damit einer nachhaltigen Entwicklung zugute kommt, sondern es geht um sehr viel mehr: Mit der Verfügungsgewalt über moderne Bio- und Gentechnik durch die Konzerne des Nordens haben diese die entscheidenden Determinanten in der Hand, ob und wie landwirtschaftliche Produktion standort-unabhängig in Biofermentern vom Acker in die Fabriken verlagert werden kann. Die komparativen Kostenvorteile der Länder des Südens bei der Herstellung tropischer Gewürze, Genussmittel, Lebensmittel und Rohstoffe, auf die ein großer Teil der ländlichen Beschäftigung und Einkommen basieren, können nur allzu leicht und von heute auf morgen verschwinden, so dass die Entwicklungsländer ihre Standortvorteile verlieren. Im großen Ausmaß können Weltrohstoffmärkte ersetzt werden und die Landwirtschaft ihre Funktion im Welthandel zum Teil verlieren.

      Zum Beispiel war die Gefährdung des Zuckerrohranbaus durch Isoglucose ein erster Schritt; der zweite wird durch die 2000mal intensivere Süße des Süßstoffs Thaumatin erfolgen, wenn die vielen Firmen, die daran arbeiten, erst einmal in der Lage sein werden, dieses Gen zu isolieren und in andere Pflanzen oder auf Mikroorganismen zu übertragen. 50 Millionen Arbeitsplätze in der Zuckerindustrie können dadurch im Süden mit einem Schlag gefährdet sein. Andere traditionelle Exportprodukte des Südens wie Gewürze und Aromastoffe werden folgen, wie schon die ersten Patente anzeigen.

      Die Patentrechtsinstrumente beeinflussen aber auch in einer anderen sehr einschneidenden Weise die möglichen Optionen zukünftiger Agrarentwicklungspfade: Sie unterbinden den Schutz und die Vermarktung alternativer Sorten und Züchtungsverfahren und bringen genetische Ressourcen unter private Kontrolle.

      8. Zu den globalen Rahmenbedingungen der Agrarentwicklung

      Die Globalisierung des Agrarhandels stellt eine enorme Herausforderung für die zukünftige Sicherung der Welternährung dar. Sie kann sich sowohl positiv als auch negativ auswirken. Es ist positiv, dass der internationale Handel regionale Engpässe überwinden kann. Er kann außerdem dazu beitragen, übernutzte kleinbäuerliche Systeme auf arbeitsintensive Produkte zu überführen, bei deren Anbau die verfügbaren Produktionsfaktoren effizienter eingesetzt werden. Damit kann Umwelt- und Ressourcenschutz erleichtert und die Menge und Vielfalt des Nahrungsmittelangebots insgesamt erhöht werden. Die großen Gefahren der Globalisierung bestehen jedoch in den zusätzlichen Abhängigkeiten. Damit sind nicht nur die Abhängigkeiten eines Landes von den Einflüssen internationaler Warenterminmärkte, Finanzmärkte, Wechselkurs-änderungen und politischen Programmen anderer Länder gemeint, sondern auch die Abhängigkeiten von einigen wenigen internationalen Handelskonzernen. Die Globalisierung stärkt die potenten Agrarstaaten und untergräbt die Handlungsspielräume der Schwachen. Die weltweite Liberalisierung des Agrarhandels birgt die Gefahr, dass sich die globale Nahrungsmittelproduktion immer stärker auf einige wenige günstige Anbaugebiete auf der Welt konzentriert und in weiten Gebieten, wie zum Beispiel Afrika, die Eigenversorgung immer stärker ersetzt wird durch die Notwendigkeit von Nahrungsmittelimporten. Sie kann zudem eine Abwärtsspirale im Wettbewerb verschiedener Standorte um Anlagekapital bezüglich ökologischer und sozialer Standards bewirken. Schließlich ist sie für sich selbst ein ökologisch negativer Faktor, da ein weiträumiger internationaler Handel von Lebensmitteln in der Regel mit einem hohen Transportaufwand verbunden ist.

      Die Zunahme der Produktion in der Landwirtschaft hat einen Verfall der weltweiten Getreidepreise um 150 Prozent in den letzten zwei Dekaden bewirkt. Das Ergebnis ist ambivalent: Die Verbilligung von Grundnahrungsmitteln war der Hauptfaktor, dass in dieser Zeit Hunger und Armut reduziert und die ärmste Bevölkerung ernährt werden konnte. Die andere Seite der Medaille war jedoch, dass Produktionsanreize zurückgingen und die gesamte ökonomische Situation der Landwirtschaft und der ländlichen Räume stark darunter litten, so dass heute die Hauptarmut in Afrika, Asien und Lateinamerika auf dem Lande anzutreffen ist. Eine Studie der Weltbank hat das ganze Ausmaß der Verelendung von Bauern im Süden durch negativen Protektionismus, verzerrte Wechselkursparitäten und ungleiche Besteuerungen aufgezeigt. Das hohe Ausmaß der Subventionierung der Landwirtschaft im Norden verstärkt diese Tendenz noch, denn Dumping von Überschüssen der USA und der EU auf den Weltmärkten hat die Weltmarktpreise weltweit erheblich unter die Gestehungskosten selbst in vielen Ländern des Südens gedrückt. Die Bauern des Südens sind also doppelt benachteiligt worden: einerseits durch die Wirtschaftspolitik ihrer eigenen Regierungen, die die Landwirtschaft häufig zugunsten einer Förderung des industriellen Sektors vernachlässigt haben, und andererseits durch die Agrarpolitiken des Nordens. Ein Großteil der Misere zum Beispiel der Nahrungsmittelproduktion Afrikas ist auf diese Faktoren zurückzuführen.

      Ohne eine Umkehrung dieses Trends der in den letzten drei Jahrzehnten kontinuierlich fallenden realen Austauschverhältnisse (Terms of Trade) für Produkte der Landwirtschaft weltweit ist eine nachhaltige Agrarentwicklung und die Sicherung der Welternährung auf Dauer nicht zu gewährleisten. Die WTO-Verhandlungen nehmen sich dieses Problems nur halbherzig an, weil die Verträge das Dumping des Nordens nur sehr langsam und unzureichend angehen und die Plünderung der Landwirtschaft des Südens überhaupt nicht ansprechen. Die Strukturellen Anpassungsprogramme des Internationalen Währungsfonds haben dagegen zu einigen Korrekturen der Diskriminierung der Landwirtschaft im Süden geführt.

      Viele arme Entwicklungsländer importieren inzwischen mehr Nahrungsmittel als sie exportieren. Ihre Abhängigkeit von den Welt-agrarmärkten wird noch weiter zunehmen. Allein in Afrika südlich der Sahara wird der Importbedarf an Getreide von jetzt 9,3 Mio. Tonnen auf 27,0 Mio. Tonnen innerhalb von 10 Jahren anwachsen. Die Anfälligkeit der armen Länder, und dort besonders der ärmsten Bevölkerungsgruppen, für Steigerungen der Weltmarktpreise bei Getreide wächst daher rasch.

      Parallel zur Weltmarktintegration müsste daher eigentlich ein globales Ernährungssicherungssystem aufgebaut werden, damit ein ähnliches Desaster wie 1995/96 nicht mehr passieren kann, als plötzlich die Weltgetreidepreise um 50 Prozent anstiegen und rund 20 Millionen Tonnen Getreide für die Versorgung armer Länder nicht mehr zur Verfügung standen. Die Uruguay-Runde des GATT schloss in Marrakesh ab und führte zur Gründung der WTO. Die dortige Entscheidung für die armen Nettonahrungsmittelimportländer zeigt die notwendigen Strukturelemente eines solchen globalen Ernährungssicherungsnetzes auf: Es muss eine Kombination sein von struktureller Entwicklungshilfe für die Landwirtschaft, zusätzlichen Finanzierungsmöglichkeiten für Nahrungsmittelimporte in Zeiten steigender Weltmarktpreise, zunehmender Verfügbarkeit von internationaler Nahrungsmittelhilfe und Instrumenten von Exportkreditfinanzierung.

      Beim Welternährungsgipfel 1996 in Rom wurde ein globaler Aktionsplan verabschiedet. Dieser fordert „jede Nation auf, eine Strategie der Hungerbekämpfung zu entwickeln, die mit den Ressourcen und Kapazitäten jedes Landes zur Erreichung der einzelnen Ziele übereinstimmt. Zur gleichen Zeit soll es regionale und internationale Zusammenarbeit geben, um gemeinsam Lösungen zur globalen Ernährungssicherung zu konzipieren" . Weiter heißt es, dass „der Agrarhandel und die Agrarhandelspolitiken dem Ziel, die Ernährungssicherheit aller Menschen durch ein gerechtes und marktorientiertes Welthandelssystem zu garantieren, dienlich sein sollen". Es besteht die große Gefahr, dass bei internationalen Verhandlungen, die sich auf den Ausbau von Handelsliberalisierungen konzentrieren, diese Zielsetzung der Gerechtigkeit nicht ausreichend beachtet wird. Daher müssen die Weiterverhandlungen des Agrarabkommens der WTO verstärkt auf dieses Ziel hin orientiert werden, etwa indem den Entwicklungsländern spezifische Ausnahmemöglichkeiten von den allgemeinen Liberalisierungsverpflichtungen eingeräumt werden, die dem Ziel der Ernährungssicherung dienen. Insbesondere Indien hat hier durch deutliche Vorschläge wichtige Zeichen gesetzt.
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